Großdeutschland 5. Teil
Samstag, 6. September 2025 von Adelinde
Thomas Engelhardt
schreibt:
Zur Bevölkerungssituation in den eingegliederten Neuen Deutschen Ostgebieten:
Danzig-Westpreußen[1] hatte etwa 2,3 Millionen Einwohner. 1,5 Millionen (Polen, Kaschuben, Slonzaken, Deutsche) lebten im bis 1939 unter polnischer Kontrolle stehenden Korridorgebiet (15.894 km²), 302.000 Deutsche in den bis 1939 zu Ostpreußen gehörenden westpreußischen Kreisen (Regierungsbezirk Westpreußen, 2.927 km², mit den Kreisen Elbing (Stadt- und Landkreis), Marienburg, Marienwerder, Rosenberg und Stuhm) und 408.000 Deutsche in der ehemaligen Freien Stadt Danzig bzw. dem Gebiet des Freistaats Danzig (1.966 km²). Bis Ende 1942 wurden jedoch 1.153.000 Einwohner Danzig-Westpreußens in die vier Gruppen der Deutschen Volksliste[2] aufgenommen, davon 870.000 in Gruppe 3. Darüber hinaus zogen 50.000 Deutsche aus dem Altreichsgebiet zu sowie 51.000 Baltendeutsche aus Lettland und Estland.
Die bedeutendsten Städte im neu gebildeten Reichsgau waren Danzig, Bromberg, Elbing Thorn und Graudenz. Die bis 1919/1920 überwiegend deutschsprachigen Städte Bromberg, Thorn und Graudenz waren in der Zwischenkriegszeit durch Verfolgung und Vertreibung der Deutschen weitestgehend polonisiert worden und wurden nun neu aufgesiedelt.[3] Die Errichtung des Reichs-gaues Danzig-Westpreußen im Jahr 1939 stellte gewissermaßen die deutsche Antwort auf den Landraub Polens nach Ende des I. Weltkrieges und die nahezu vollständige Entdeutschung Westpreußens in der Zwischenkriegszeit dar.[4]
Mit dem Führererlaß vom 8.10.1939 wurde der Anschluß des unter deutscher Besatzung in Polen eingerichteten Militärbezirks Posen als Reichs- und Parteigau Posen an das Deutsche Reich zum 1. November verkündet. Obwohl das eingegliederte Gebiet Teil des Währungsgebietes des Deutschen Reiches war, hatte es eine Sonderstellung inne. Der Reichsgau Wartheland wurde nicht in das Polizeigebiet des Altreichs in den Grenzen vom 31.12.1937 integriert. Der Reiseverkehr wurde mit Verordnung des Reichsministers des Innern vom 20.07.1940 erheblich eingeschränkt.
Es bedurfte einer besonderen Erlaubnis zur Ein- beziehungsweise Ausreise.
Der neu gebildete Reichsgau umfaßte im Wesentlichen das Gebiet der bis 1920 existierenden preußischen Provinz Posen, jedoch ohne das Gebiet der früheren 1920 gebildeten Grenzmark Posen-Westpreußen (1938 als Provinz aufgelöst).
Diese Landkreise verblieben nach Auflösung der Grenzmark bei den preußischen Provinzen Pommern, Brandenburg und Schlesien, denen sie seit 1938 angehörten. Die Landkreise Wirsitz und Bromberg sowie die Stadt Bromberg, die bis 1919 zur preußischen Provinz Posen gehörten, wurden 1939 dem Reichsgau Danzig-Westpreußen zugeordnet und fielen nicht an den Reichsgau Posen/Wartheland.
Der Reichsgau Wartheland[5] (bis 29.01.1940 Reichsgau Posen, ugspr. Warthegau) wies 1939 eine Wohnbevölkerung von 4,69 Millionen[6] auf, davon 85 % Polen.[7] Der deutsche Bevölkerungsanteil erhöhte sich durch Aufnahme von Einwohnern in die Deutsche Volksliste[8] bis 1940 von 327.000 Deutschen (7 % Bevölkerungsanteil) auf 12 % (insgesamt ca. 510.000 Deutsche und Deutschstämmige).
Aus dem Altreich siedelten sich nach 1939 etwa 200.000 Deutsche im Wartheland an. Hinzu kamen 232.000 aus ihren Heimat-gebieten ausgesiedelte Volksdeutsche aus Osteuropa (Deutschbalten bzw. Balten-deutsche sowie Vertragsumsiedler[9] aus der Sowjetunion und aus Rumänien und Bulgarien).
Infolge dieser Maßnahmen veränderte sich die Bevölkerungszusammensetzung des Reichsgaues binnen kurzer Zeit erheblich, zumal etwa 600.000 Polen ins „General-gouvernement für die besetzten polnischen Gebiete“ aussiedelten.[10]
Neben der Rücksiedlung der als Vertrags-umsiedler bezeichneten Volksdeutschen[11] wurden ab Sommer 1941 aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion 228.000 Volks-deutsche (vornehmlich Schwarzmeerdeutsche aus Transnistrien und der Südukraine sowie Wolhyniendeutsche aus Ost-Wolhynien) als sog. Administrativumsiedler[12] in das Deutsche Reich umgesiedelt.
Bei Kriegsende wies der Warthegau eine deutsche Wohnbevölkerung von etwa 1,2 Millionen[13] auf, die in der Regel nicht in der Statistik der deutschen Vertriebenen berücksichtigt werden.
Die deutsche Wohnbevölkerung des Reichs-gaues stellte keine Einheit dar. Innerhalb der deutschen Bevölkerung gab es aufgrund der unterschiedlichen Herkunft und der vonein-ander verschiedenen Sozialisation unter-schiedliche Interessen, teils sogar Rivalitäten und dadurch bedingt vielfältige Brüche.
Reichsdeutsche Zuzügler, die den Großteil der Verwaltungsbeamten stellten, behan-delten die alteinheimischen Deutschen und die volksdeutschen Umsiedler nicht selten mit Herablassung.
Die einheimischen Volksdeutschen wiederum fühlten sich gegenüber den auslandsdeut-schen Umsiedlern, die bei der Verteilung von Grundbesitz und Bodeneigentum bevorzugt berücksichtigt wurden, sehr oft benachteiligt.
Eingedeutschte Polen dagegen galten oftmals durchaus nicht als vollwertige Deutsche, sondern als Deutsche „2. Klasse“. Diskriminierungen und Zurücksetzungen waren der Überlieferung zufolge gang und gäbe.
Insofern muß das nach 1945 gezeichnete Bild einer solidarischen deutschen Volksgemein-schaft relativiert oder sogar korrigiert werden.
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Anmerkungen
[1]26.056 km², drei Regierungsbezirke: Danzig 9.890 km², Bromberg 7.426 km², Marienwerder 8.740 km².
(zum Vergleich: preußische Provinz Westpreußen: 25.554 km²).
[2]Volksliste I: „Bekenntnisdeutsche“, die sich vor dem Krieg für das „deutsche Volkstum“ eingesetzt hatten (Volksdeutsche), Volksliste II: Deutschstämmige, deren Familien an deutscher Sprache und Kultur festgehalten hatten. Volksliste III: im Sinne der nationalsozialistischen Volkstumspolitik auf Widerruf „zur Eindeutschung fähige Menschen“ (Eingedeutschte).
Volksliste IV: gemäß „Rassegutachten“ nach Umerziehung im Altreich zur Eindeutschung fähige sog. Schutz-angehörige Rückgedeutschte).
Deutsche Volksliste Danzig-Westpreußen: Gruppe 1 115.000, Gruppe 2 95.000, Gruppe 3 725.000, Gruppe 4 2.000.
[3]Bromberg: 1918 58.000 Einw., davon 84 % Deutsche, 1921 88.000 Einw. davon 24.000 Deutsche, 1928 100.000 Einw., davon infolge Vertreibung der dt. Einw. und Enteignung deutschen Besitzes noch 12.000 Deutsche
Thorn: 1910 46.000 Eiw., davon 27.500 Deutsche, 1931 54.000 Einw., davon 3.000 Deutsche, bis 1939 sank der Anteil auf noch 4 % Deutsche
Graudenz: 1910 40.000 Einw., davon 34.000 Deutsche, 1921 33.500 Einw., davon 7.000 Deutsche, 1931 54.000 Einw., davon 5.400 Deutsche.
Kulm: 1910 11.700 Einw., davon 5.100 Deutsche, 1921 11.700 Einw., davon noch 1.060 Deutsche.
[4]Lit.: Hermann Rauschning: Die Abwanderung der Deutschen aus Westpreußen und Posen nach dem Ersten Weltkrieg. Ein Beitrag zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen 1919-1929. Essen: Hobbing, 1988.
Ders.: Die Entdeutschung Westpreußens und Posens. Struckung: Verlag für ganzheitliche Forschung und Kultur, 2008.
[5]43.905 km², drei Regierungsbezirke: Posen 15.419 km², Hohensalza 14.441 km², Litzmannstadt 14.045 km².
(zum Vergleich: preußische Provinz Posen (bis 1929): 28.991 km²)
[6]Nach anderen Angaben im Sept. 1939 4,54 Mill. Einw. [Qu.: Hansa Weltatlas, Leipzig 1943, S. 104] bzw. 4,3 Mill.
Einw. [Qu:. Daniel J. Lemmen: Reichsgau Wartheland. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2014].
[7]Stichtag 17.05.1939. Die Bevölkerungszahl bezieht sich auf das Terr. des im September gebildeten Reichsgau Posen, ab Februar 1940 Reichsgau Wartheland.
[8]Vgl. Fußn. 62. Deutsche Volksliste Wartheland: Gruppe 1 230.000, Gruppe 2 190.000, Gruppe 3 65.000, Gruppe 4 25.000.
[9]Vertragsumsiedler: Wolhyniendeutsche, Bessarabiendeutsche, Galiziendeutsche, Bukowinadeutsche, Dobrudscha-deutsche. Die Rücksiedlung der Volksdeutschen als sog. Vertragsumsiedler erfolgte aufgrund unterschiedlicher zwischenstaatlicher Verträge. Mit Lettland wurde der Vertrag über die Umsiedlung lettischer Bürger deutscher Zugehörigkeit in das Deutsche Reich v. 29. Oktober 1939 abgeschlossen. Gemäß den Vereinbarungen zwischen der deutschen Reichsregierung und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Umsiedlung der deutschstämmigen Bevölkerung aus den Gebieten von Bessarabien und der nördlichen Bukowina in das Deutsche Reich v. 5.09.1940 erfolgten Aussiedlungen der Bessarabiendeutschen und Bukowinadeutschen. Entsprechende Verträge mit Rumänien und Bulgarien sowie erneut mit der UdSSR folgten: Vereinbarung der Regierungen des Deutschen Reichs und der UdSSR über die Umsiedlung der deutschen Reichsangehörigen und der Personen deutschen Volkszugehörigkeit aus der Litauischen SSR in das Deutsche Reich und die Umsiedlung aus dem Memelgebiet und Suwalkigebiet, Jan. 1941. Vereinbarung zwischen der Reichsregierung und der Regierung der UdSSR über die Umsiedlung von Reichsdeutschen und Volksdeutschen aus den Gebieten der Lettischen und Estnischen SSR in das Deutsche Reich, 10. Jan. 1941.
[10]Bezüglich der aus dem Warthegau ausgesiedelten Polen wurden nach 1945 unterschiedliche Angaben gemacht. Diese reichen von 280.000 bis 630.000 ausgesiedelten Polen. Bereits im Dezember 1939 wurden innerhalb von 17 Tagen 87.838 Polen aus dem damals noch Reichsgau Posen genannten Gebet in das Generalgouvernement umgesiedelt. Im Februar u. März 1940 erfolgte die Aussiedlung von 40.000 Polen und im weiteren Verlauf des Jahres 1940 wurden bis Janurar 1941 121.500 Polen ausgesiedelt.. Bis zum Frühjahr 1941 erfolgte die Aussiedlung von insgeamt 365.000 Polen.
[11]64.000 Baltendeutsche (Lettland und Estland), 54.000 Galiziendeutsche (bis 1939 polnisches Ostgalizien), 74.000 Wolhyniendeutsche (Westwolhynien; bis 1939 Polnisch-Wolhynien), 11.900 Narewdeutsche (heutiges Ostpolen), 24.000 Cholmer und Lubliner Deutsche (bis 1939 zu Polen), 43.700 Bukowinadeutsche (sowjetische Nord-Bukowina), 93.500 Bessarabiendeutsche, 14.500 Dobrudschadeutsche (Rumänien) (nach anderen Angaben: 15.600), 53.000 Bukowinadeutsche (rumänische Südbukowina), 51.000 Litauendeutsche, 44.600 Ost-Wolhyniendeutsche, 104.000 Weichsel-Warthe-Deutsche (= Deutsche aus dem Territorium des 1939 gebildeten Generalgouvernement),
11.500 Gottscheer (Gottschee-Deutsche).
[12]Als Administrativumsiedler wurden die 228.000 Volksdeutschen bezeichnet, die nach einer Anordnung der Militär- und Zivilverwaltung des Dritten Reiches in den besetzten Gebieten der UdSSR (Reichskommissariat Ukraine, rumänisches Transnistrien) ohne einen zwischenstaatlichen Vertrag in den Jahren 1942-44 in den Warthegau oder ins Altreich umgesiedelt wurden. Fast alle von ihnen hatten bis Kriegsende die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen bekommen.
[13]Diese Zahl setzte sich folgendermaßen zusammen: 327.000 Alteinwohner, 200.000 zugezogene Deutsche aus dem Altreichsgebiet, 232.000 volksdeutsche Vertragsumsiedler, 232.000 volksdeutsche Administrativumsiedler, ca. 200.000 Deutsche und Deutschstämmige gemäß der Deutschen Volksliste I – III.
Eine ganz ausgezeichnete und enorm kenntnisreiche Darstellung! Es muß den Verfasser Jahre gekostet haben, alle diese Daten zusammenzutragen. Fast eine Dissertation.
Fast nirgends liest man etwas über die Slonzaken. Ich dachte, Slonzaken gebe es vor allem in Teschen-Oderberg.
Es ist mir nicht gelungen, aus dem Text eine Antwort auf die Frage zu finden: „Wie deutsch war der Korridor?“ Dies liegt vermutlich daran, daß „der Korridor“ keine abgegrenzte politische Einheit war. Dabei ist von ausschlaggebender Bedeutung, daß die Kaschuben eben keineswegs zu den Polen gerechnet werden können. Wer das tut, folgt dem Sprachgebrauch polnischer Chauvinisten.
Meinem Verständnis nach sind die Kaschuben wie die Oberschlesier („Wasserpolacken“), Slonzaken, Hultschiner, Masuren, Lausitzern, Windischen eine jener ursprünglich slawischen Minderheiten, die sich durchaus zu den Deutschen rechnen, Deutsch ohne jeden Akzent sprechen, sich aber einer slawischen Haussprache bedienen. Die Kaschuben haben sich jahrhundertelang gegen die Vereinnahmung als eine „Art Polen“ gewehrt und waren Gegner der Polen.
Die Hultschiner sind ein mährischer, jedoch eigenständiger kleiner Volksstamm. Nach dem WKI sollten sie von Deuschland getrennt und an die CSR angeschlossen werden, ebenso, wie die Millionen Böhmendeutschen. Sie haben aus eigenem eine Volksabstimmung orgenisiert (wie auch die Deutsch-Österreicher), die sich praktisch einstimmig für den Verbleib im Deutschen Reich aussprach. Das nützte ihnen nichts, das Hultschiner Ländchen wurde an die CSR angeschlossen, die Hultschiner wurden nach dem WKII allesamt vertrieben.