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Großdeutschland – 2. Teil

Thomas Engelhardt

fährt fort:

Mit dem Langzeitprojekt Großdeutschland[1] waren mehrere unterschiedliche Zielstellun-gen verbunden:

  1. Die Errichtung eines deutschen Zen-tralstaates, die Eliminierung der föde-ralen Strukturen und Abschaffung der Länder.

  2. Die Umwandlung der deutschen Länder in zentral geführte Reichsgaue als neue Selbstverwaltungskörperschaften des nationalsozialistischen Großdeutsch-land.

  1. Die Zusammenfassung aller mitteleu-ropäischen Deutschen (bzw. Deutsch-sprachigen) in einem Staatsverband. Im Jahr 1937 lebten 65,5 Millionen Deut-sche im Reich, 32,1 Millionen Deutsche bzw. Deutschsprachige
    – Österreicher,
    – Sudetendeutsche,
    – Prager Deutsche,
    – Deutschböhmen,
    – Deutschmährer,
    – Luxemburger,
    – Areler Deutsche,
    – Nordschleswiger,
    – Elsässer,
    – Lothringer,
    – Südtiroler,
    – Grenzlanddeutsche in Dänemark,
    – Belgien,
    – Holland,
    – Frankreich,
    – Italien,
    – Polen,
    – Slowenien und
    – Volksdeutsche in den ost- und südosteuropäischen Staaten
    – sowie Deutschstämmige in Mitteleuropa wie
    – belgische Flamen,
    – niederländische Holländer,
    – Friesen,
    – Deutsch-Schweizer) .

  1. Die Ausweitung des geschlossenen deutschen Sprachgebietes Richtung Osten über die geschlossene Sprach-grenze hinaus sowie die Umwandlung des Streudeutschtums in ein geschlos-senes deutsches Sprachgebiet. Erreicht werden sollte das durch die Einbezie-hung der Sprachinseln[2] sowie des Grenzlanddeutschtums und die Rück-siedlung auslandsdeutscher (volks-deutscher) Minderheitengruppen in das Reichsgebiet.

  1. Im Westen war die Einbeziehung ehe-maliger zum I. Deutschen Reich gehö-render Gebiete (Burgund, Südflandern) in den Reichsverband sowie die Ver-schiebung der deutsch-französischen Sprachgrenze entsprechend der histo-rischen Gegebenheiten geplant.[3] 

  • Reichsgau Burgund (geplant), Reichstatthalter (geplant) Léon Degrelle (* 1906, † 1994)

  • Reichsgau Flandern, gegr. 15. Dez. 1944, Gauleiter (im Exil): Jef Van de Wiele (* 20.07.1903 Brügge, † 4.09.1979 ebd.)

  • Reichsgau Wallonien, gegr. 8. Dez. 1944, Gauleiter (im Exil): Léon Degrelle (* 1906, † 1994)

  1. Die Entflechtung des als zersiedelt und bevölkerungsreich geltenden deutschen Westens und Südwestens (Rheinpro-vinz, Ruhrgebiet, Südhessen, Baden, Württemberg) durch Umsiedlung des Bevölkerungsüberschusses in das ver-größerte Ostpreußen und in die Neuen deutschen Ostgebiete (Regierungsbe-zirk Zichenau, Neuostpreußen/Bezirk Bialystok).

Eine allerdings stark vereinfachte Landkarte von Großdeutschland siehe hier:

https://de.wikipedia.org/wiki/NS-Ordensburg#/media/Datei:Gauhauptstadtplanungen.svg

Die Kartendarstellung entspricht jedoch insofern nicht der historischen Realität, weil die deutsche Binnengrenze zu keinem Zeitpunkt zwischen Dezember 1937 (bzw. 1.09.1939) und Kriegsende verändert wurde (!). Ausnahmen stellen die Wiedervereinigung mit der Ostmark (bis 1938 Österreich) im März 1938[4], die Eingliederung des Sude-tenlandes (ab 1938 Reichsgau Sudetenland)[5] i.d.Z. vom 1.-10.10.1938 sowie der An-schluß des Memellandes[6] im März 1939 dar.

Im Klartext bedeutet das entgegen allen heutigen Darstellungen jedoch: Die deutsche Binnen-, Zoll-, Währungs- und Polizeigrenze entsprach weitestgehend der Grenzlinie des Deutschen Reiches im Jahre 1937. Wer bei-spielsweise aus dem Altreichsgebiet in den 1939 neu gebildeten Reichsgau Wartheland oder in das Protektoratsgebiet (Böhmen und Mähren) einreisen wollte benötigte einen entsprechenden Sichtvermerk bzw. die ent-sprechende Berechtigung (sog. Durchlaß-schein bzw. Passierschein).

Dieser sog. Durchlaßscheinzwang erstreckte sich auch auf andere an das Deutsche Reich angegliederte Gebiete:

  • Reichsgau Wartheland (September 1939: deutscher Militärbezirk Posen, 26. Oktober 1939 Eingliederung des Militärbezirk Posen in das Deutsche Reich, Bildung des neuen Reichsgaues Posen, 29. Januar 1940 Umbenennung in Reichsgau Wartheland)

  • Land Sudauen[7], gebildet 1939 (das Gebiet des zum Teil deutschsprachigen Landes Sudauen gehörte bis 1939 zur polnischen Wojwodschaft Bialystok; ab 1941 Landkreis Sudauen 

  • Bezirk Bialystok[8] (gebildet 1941, bis 1939 Wojwodschaft Bialystok, 1939 von der Sowjetunion besetzt und in die Weißrussische Sowjetrepublik einge-gliedert). Der Bezirk Bialystok unter-stand ab 1941 deutscher Zivilverwal-tung, war jedoch formell kein Bestand-teil des Deutschen Reichs. Das Territo-rium, in Kartendarstellung vor 1945 auch als Süd-Ostpreußen bezeichnet, ist seit 1945 zwischen Weißrußland und Polen aufgeteilt.

  • Regierungsbezirk Zichenau (1939 an die Provinz Ostpreußen angegliedert, jedoch weder in die Provinz einge-gliedert noch förmlich annektiert)

  • Landkreise Rippin und Leipe (Lipno), 1939 an die Provinz Westpreußen angegliedert, jedoch nicht eingegliedert

  • Protektorat Böhmen und Mähren

Zum Verlauf der deutschen Polizeigrenze, an der der Durchlaßscheinzwang galt (Stand Juni 1941), siehe hier:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f2/Polizeigrenze_Stand_01.06.1941.jpg

________________

Anmerkungen

[1]  Die offizielle Staatsbezeichnung war ab 1943 Großdeutsches Reich. Der Begriff serzte sich jedoch bis Kriegsende nicht durch.

[2]  In Böhmen und Mähren: Iglauer Sprachinsel, Schönhengstgau/Mährisch-Trübau, Zwittauer Sprachinsel, Brünner Sprachinsel, Olmützer Sprachinsel.

[3]  Lit.: Günter Lohse/Waldemar Wucher/Friedrich Heiss: Deutschland und der Westraum. 1943. Amsterdam: Volk und Reich 1943. –  Peter Schöttler: „Eine Art ‚Generalplan West‘“. Die Stuckart-Denkschrift vom 14. Juni 1940 und die Planungen für eine neue deutsch-französische Grenze im Zweiten Weltkrieg. In: Sozial. Geschichte 18, 2003, S. 83 – Ernst Anrich: Die Geschichte der deutschen Westgrenze. Leipzig: Quelle & Mayer, 1943 (Bausteine für Geschichtsunterricht und nationalpolitische Schulung).

[4]Einmarsch der Deutschen Wehrmacht am 12.03.1938, Anschlußgesetz v. 13.03.1938 u. Ostmarkgesetz v. 14.04. 1939.

[5]Gesetz über den Anschluß der sudetendeutschen Gebiete an das Deutsche Reich vom 21.11.1938, eigtl. „Gesetz über die Wiedervereinigung der sudetendeutschen Gebiete mit dem Deutschen Reich vom  21. November 1938.(Reichsgesetzbl. I, S. 1641).

[6]Wiedervereinigung des Memellandes mit Deutschland aufgrund des mit Litauen abgeschlossenen Staatsvertrages v. 23. März 1939.

[7]Ab 21.05.1941 Landkreis Sudauen, 1.300 km², größter Landkreis Ostpreußens, jedoch außerhalb der deutschen Polizei-, Zoll- u. Währungsgrenze liegend; ein tatsächlicher Anschluß des Gebietes an das Deutsche Reich fand nicht statt, die Zugehörigkeit Sudauens zum Deutschen Reich war nur bedingt gegeben. Vgl. Fußn. 47. 

[8]Der Bezirk Bialystok umfasste ca. 31.000 km² (zum Vergleich Ostpreußen: 37.000 km²)  und sollte die Grundlage für einen neu zu bildenden Reichsgau Neuostpreußen bilden. Der Bezirk hatte 1941 1,38 Mill. Einwohner (800.000 Polen, 300.000 Weißrussen, 200.000 Ukrainer, 50.000 Juden, 2.000 Deutsche).

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