Das Volkslied
Sonntag, 2. November 2025 von Adelinde
„Höre fleißig auf alle Volkslieder;
sie sind eine Fundgrube der schönsten Melodien
und öffnen dir den Blick in den
Charakter der verschiedenen Nationen.“
Robert Schumann
Gestern war ich auf einer Beerdigung. Die Gedenk-stunde wurde durch ein „Gesangs“-Stück mit ge-waltigem „Sound“ der Beatles beendet!
Dieses Gelärm, in den 60er Jahren des 20. Jahr-hunderts dem Geist der Frankfurter Schule* ent-sprungen, verbreitete sich unter den jüngeren Deutschen wie die Pest und verdrängte die Deut-schen Volkslieder.
Als Kreis-Chorleiterin ermunterte ich die Chöre meines Kreissängerbundes, am Chorwettbewerb des NDR teilzunehmen. Mit Ekel begleitete Begründung für die Ablehnung:
Da sollen Volkslieder gesungen werden …
Die Chorleiter brachten ihren Chören lieber englisch-sprachiges Zeug bei.
Was waren sie uns Deutschen einst und mir damals als Chorleiterin aber wert und könnten es auch heute noch sein? Lassen wir einige namhafte Verfasser zu Wort kommen:
– „Wort und Ton des Volksliedes singen und sagen von guter, echter deutscher Art, von Freiheit und Kraft, von Wahrheit und Recht, von Liebe und Treue. Das alles scheint ver-loren. Allein es hieße dies alles auch verloren geben, wollte man nicht die Erinnerung daran als Hoffnung und Ansporn halten und pfle-gen.“
Der Verfasser in „Zur Pflege des Volksliedes und Volksgesanges.“ 1920
– „Mag nur ein Geselle, Landsknecht, oder Reiter, ein Gelehrter, ein Vornehmer oder aber einer der berufsmäßigen ,Singer‘ der Dichter eines Volksliedes sein, es ist und bleibt einer aus der großen Menge. Und selbst wo uns fest umrissene Charaktere, bekannte Namen entgegentreten: Luther, Hutten, Hans Sachs u.a, da verleugnen ihre Volkslieder die allgemeinen Familienzüge nicht.
Eben weil hier diese Dichter aus dem Volks-empfinden heraus zu dichten vermochten, weil sie sich mit dem ganzen Volke eins und sich als lebendiges Glied des Ganzen fühlten, deshalb wurden ihre Lieder Volkslieder.“
Prof. Dr. Julius Sahr in „Das deutsche Volks-lied“, Leipzig, Göschen, 1912
– „In seinen Liedern hat der Deutsche gelacht und geweint, geträumt und geklagt, ge-kämpft und gerungen, gezürnt und gebetet; sie sind deshalb ein Stück deutschen Geistes- und Gemütslebens.“
Franz M. Böhme in „Deutscher Liederhort“, Leizpig, Breitkopf & Härtel, 1893
– „Durch die deutsche Volksdichtung geht ein tiefreligiöser Zug.“
Otto Böckel in „Das deutsche Volkslied“. Marburg, Elwert, 1908
– „Viele Volksweisen sind wahre Perlen der Tonkunst. Soll doch Beethoven einmal erklärt haben, er gebe seinen ganzen Komponisten-ruhm um die Erfindung der Volksweise ,Innsbruck, ich muß dich lassen‘ (Nun ruhen alle Wälder)! Und wahrlich, auch unsere heutigen Tonmeister könnten manchmal mit Nutzen bei dem Volksliede in die Lehre gehn.“
Dr. J.W. Bruinier in „Das deutsche Volkslied“. Leipzig, B.G. Teubner, 1914
– „Der Reim des Volksliedes bedarf nicht der Vollendung, die ihm die heutige Kunstpoesie gibt und geben muß, da er durch die Melodie eine Veredlung und Hervorhebung erfährt, die ihn dem Ohre viel annehmbarer macht als ein bloßes Lesen oder Sprechen.“
Fr. W. Freiherr von Ditfurth in „Fränkische Volkslieder“. Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1855.
– „Nur Kulturblasiertheit oder oberflächlichste Betrachtung findet im Volkslied weiter nichts als eine naive Art der Volksbelustigung oder die unterste Stufe der Poesie. Wer tiefer blickt, entdeckt in ihm wirklich einen guten Genius des Volkes.“
Bischof Keppler in „Mehr Freude“, Freiburg i.B., Herder, 1911
– „Es muß etwas in diesen Liedern stecken, was ihnen Stärke gibt, dem Zahn der Zeit zu trotzen, der so schnell an unseren schönsten Opernarien nagt.“
Eiwert, A., Ungedr. Rest alten Gesanges, Gießen, 1784
– „Wenn das Volk sein Volkslied erst wieder kennen und schätzen lernt, dann ist nur noch ein kleiner Schritt dazu, daß es dies Lied auch wieder gemeinsam und frei singen lernt, und wo dies sich wieder einbürgert, da hat der Volksgesang seine Auferstehung gefeiert.“
Der Verfasser in „Zur Pflege des Volksliedes und Volksgesanges.“ 1920
– „Wie zu einem erfrischenden Waldquell kehrt der Deutsche immer wieder gern zum Volkslied zurück und erfreut sich trotz der fortgeschrittenen Weltanschauung an solcher Naturquelle, wenn er das hastige, herzlose Alltagstreiben und die Überkunst einmal gründlich satt hat.“
Franz Magnus Böhme in „Deutscher Liederhort“.
– „Das Volkslied lebt zu allen Zeiten und in allen Landen, so lange Musik erklingt und Menschen singen. In ihm spiegelt sich der Charakter von Völkern und Volksschichten, der Wechsel von Jahres- und Tageszeiten, der Wandel des Lebens von der Jugend bis ins Alter.
Im Volkslied sind Wort und Weise eng mit-einander verbunden. Bei der Weitergabe von Mund zu Mund werden bisweilen Text und Melodie verändert. Manche Lieder erscheinen in den verschiedensten Fassungen, ein Beweis dafür, wie sehr sie dem Volke eigen sind.
Viele deutsche Volkslieder wurden im Laufe der Jahrhunderte aufgezeichnet. Wie die Kultur allgemein, so wandelte sich auch der dichterische und musikalische Ausdruck. Es gibt wesentliche Unterschiede zwischen dem älteren und jüngeren Volkslied, wie auch zwischen der älteren und jüngeren Malerei.
Aus der Zeit um 1450 stammt die wertvolle Liederhandschrift ,Das Lochamer Gesang-buch‘. In ihm sind so herrliche Weisen zu finden wie ,All mein Gedanken‘ und ,Ich fahr dahin‘.
Besonders viele Lieder sind aus dem 16. Jahrhundert überliefert. Es ist die Blütezeit des alten deutschen Volksliedes, die Zeit, in der Hans Sachs lebte (,Der Maie, der bringt uns Blümlein viel‘). Zu den schönsten Liedern gehören ferner ,Es sungen drei Engel‘, ,Inns-bruck, ich muß dich lassen‘, ,Ach Elslein, liebes Elselein‘, und ,Die beste Zeit im Jahr ist mein‘.
Der Dreißigjährige Krieg hat viel vernichtet, und die Überlieferungen werden in der Fol-gezeit spärlicher. Der Liedermund des Volkes ist aber nie verstummt. So konnte der Dichter Johann Gottfried Herder in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts viele Volkslieder auf-zeichnen und der Nachwelt erhalten.
Auch andere Dichter, wie Goethe, Uhland und Hoffmann von Fallersleben, haben auf die Schönheit des Volksliedes hingewiesen.
Einige ihrer eigenen Gedichte wurden in Verbindung mit Melodien so bekannt und beliebt, daß sie wie Volkslieder weiterleben, z.B. ,Sah ein Knab ein Röslein stehn‘, ,Es gingen drei Jäger wohl auf die Pirsch‘ und ,Alle Vögel sind schon da‘.
Eine Wiederbelebung namentlich des älteren Volksliedes und des Volkstanzes erfolgte durch die Jugendbewegung zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Jugend zog, die Laute umgehängt, hinaus in die freie Natur und sang und spielte Weisen, die allgemein längst vergessen waren.
Man sammelte sie in einem Liederbuch, dem „Zupfgeigenhansel“. Volkstänze, wie unsere Großeltern und Urgroßeltern sie tanzten, kamen auf grünem Anger wieder zu Ehren.
Viele Komponisten der Gegenwart, z.B. Paul Hindemith, Paul Höffer, Armin Knab, haben der Jugend mit Liedsätzen und Spielmusik nach Volksliedern reiches Musiziergut ge-schenkt.“
Aus dem Liederbuch „Singt und spielt“, Velhagen & Klasing, 1966, ohne Autoren-angabe
– „Im Mittelpunkt dieser Sammlung (Ernst Duis, aus dem Vorwort zu seinem Liederbuch ,Volkslieder‘, Hannover, Frühjahr 1947) steht das Volkslied, wie wir es heute verstehen, das seine fruchtbarste und eigentliche schöpferi-sche Zeit im 15. und 16. Jahrhundert hatte.
Die Inhalte dieser Lieder sind nicht gebunden an kirchliche oder höfische Lebensformen, sondern sie sprechen ganz unmittelbar von Liebe und Leid, von Glaube und Not, von der Arbeit und von der Erde auf der wir wohnen. Sie sind daher jedem verständlich und er-dichten doch in dieser Einfachheit den tra-genden Grund unseres Lebens.
Das Volkslied hat die Jahrhunderte überdau-ert und trägt die ganze Kraft eines großen Ursprungs in sich. Es vermag durch diese Kraft und Innigkeit weiter zu wirken und gibt demjenigen, der es aufnimmt und begreift, Maß und Urteil über das letztlich Echte einer künstlerischen Aussage. Indem wir ein sol-ches Lied singen, verwandelt es unser Herz, und die Welt wird groß und schön.
Volkslieder sind wahrlich das, worauf der wahre Künstler, der die Irrwege seiner Kunst zu ahnen anfängt, wie der Seemann auf den Polarstern, achtet.“
Johann Friedrich Reichardt (1752-1814)
– „Alle Nationen habe ihre Zungen und sprechen in Regeln gefaßt, auch in ihren Chroniken und Handelsbücher verzeichnet, wo etwas Ehrlichs und Mannlichs gehandelt oder etwas Künstlichs und Höflichs ist ge-redet worden von den Ihren.
Allein wir Deutschen haben solches verges-sen, das unser geringe geachtet, wie ehrlich es auch gewesen, und auf andere Leute und fremder Nation Wesen, Sitten und Gebärde gegaffet, gleich als hätten unsere Alten und Vorfahren nie nichts gehandelt, geredet, ge-setzt und geordenet, das ihnen ehrlich und rühmlich nachzusagen wäre.“
Agricola, aus der Vorrede zu seinen ‚Deutschen Sprichwörtern‘, 1530
„Wort und Ton des Volksliedes singen und sagen von guter, echter deutscher Art, von Freiheit und Kraft, von Wahrheit und Recht, von Liebe und Treue. Das alles scheint ver-loren. Allein es hieße dies alles auch verloren geben, wollte man nicht die Erinnerung daran als Hoffnung und Ansporn halten und pfle-gen.“
Der Verfasser in ,Zur Pflege des Volksliedes und Volksgesanges.‘ 1920
– „Wenn das Volk sein Volkslied erst wieder kennen und schätzen lernt, dann ist nur noch ein kleiner Schritt dazu, daß es dies Lied auch wieder gemeinsam und frei singen lernt, und wo dies sich wieder einbürgert, da hat der Volksgesang seine Auferstehung gefeiert.“
Der Verfasser in ,Zur Pflege des Volksliedes und Volksgesanges.‘ 1920
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Anmerkung
*) „Im Jahr 2010 schrieb Fidel Castro, daß die im Exil lebenden marxistischen Akademiker in den 1950er Jahren mit der Rockefeller-Familie zusammenarbeiteten, um Bewußtseinskontrolle zu entwickeln und Rockmusik als neues Opium für die Massen einzusetzen – daher, so Castro, die Invasion der Beatles in die USA, die, wie er behauptete, von der Frankfurter Schule beauftragt worden waren, den Merseybeat als Waffe einzusetzen, um die Befreiungsbewegungen zu zerstören.
In den späten 1930er Jahren nahm Adorno an einem von der Rockefeller Foundation finanzierten Forschungsprojekt in Princeton teil – über Radioinhalte, nicht über Gedankenkontrolle – und verstand die Beatles durchaus als Instrumente einer Kulturindustrie, mit der der Spätkapitalismus die Revolution vereitelte. Adorno war jedoch nicht die graue Eminenz hinter der Weltherrschaft der Pilzköpfe.“

Die Beatles Mitte der 1960er Jahre: Die umgedrehten Kreuze wurden zwar hineinmontiert, passen aber gut zu den dokumentierten Aussagen. Foto: Screenshot aus dem Video „Illuminati enthüllt: Die Beatles“, Youtube / @WeckrufJHWHs
Liebe Heidrun,
da hast Du das schlimme Erlebnis bei der Trauerfeier gleich in einen Kulturrettungsartikel umgewandelt!! Herzlichen Dank!
Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß Ernst Duis recht hat, wenn er behauptete, daß die fruchtbarste Zeit des deutschen Volksliedes im 15. und 16. Jahrhundert lag. Er muß doch die Lieder des 19. Jahrhunderts gekannt haben! Hoffmann v. Fallersleben, Silcher, Reichardt, wobei letztere vielleicht erst mit der Zeit vom Kunst- zum Volkslied geworden sind.
1947 konnte er auch nicht viel mehr Lieder aus dem 15. und 16. Jhdt. kennen als ich/wir beide: Das sind eine, zwei Handvoll Lieder wie „Innsbruck, ich muß Dich lassen“, „Der Winter ist vergangen“, 1537, „So treiben wir den Winter aus“ 1584, „Nach grüner Farb mein Herz verlangt“ und „Grüß Gott, Du schöner Maien“ (nach Franz Wilhelm Frhr. von Dithfurth „Fünfzig ungedruckte Balladen und Liebeslieder des 16. Jhdts“, HEILBRONN 1877).
Oder nicht? Ich muß heute direkt mal das von einem Dozenten an der PH empfohlene „Der Wundergarten“ nach Liedentstehungsdaten durchforsten!!
Ich selber kenne bestimmt 300 Lieder, die mir direkt einfallen, 1000, wenn ich meine Liederbücher durchgehen würde. Davon sind die meisten nach 1600 entstanden, bin ich mir sicher.
Erstaunlich, was man heute an Zitaten zum Volkslied im Internet finden kann. Und alle vor 1933 und wohltuend!
Das Lochhamer Liederbuch (nicht Gesangbuch) ist sogar in Neuauflagen im Internet wieder zu haben.
Warum hast Du „Nun ruhen alle Wälder“ hinter „Innsbruck, ich muß Dich lassen“ in Klammern gesetzt? Hatte das mal die Melodie vom Innsbruck-Lied? In „Großes deutsches Liederbuch“ steht: Der Text ist von 1647/ Paul Gerhard, also 17.Jhdt. Die Melodie soll zwar von Heinrich Isaac (1450-1517) sein, sie muß demnach ursprünglich auf einen anderen Text gesungen worden sein.
Zur bewußten Umerziehung haben sicher die Beatles beigetragen. Empfehlenswert ist dazu das Buch „Der Musilcode“ von Nikolas Pravda (Untertitel: „Frequenzen, Agenden und Geheimdienste zwischen Bewußtsein und Sex, Drugs & Mind Control“ 2020, ISBN 978-1-63684-296-7)
Dein Artikel wird mir den heutigen tiefnebligen Tag mit Volksliedern durchklingen…. Danke!
Liebe Elke,
vielen Dank für Deinen kritischen Leserbrief! Alles richtig, sehe ich genau so. Ich habe einfach mal die greifbaren Zitate in die Abhandlung eingefügt. So steht eben auch „Nun ruhen alle Wälder“ in dem betreffenden Zitat in Klammern hinter „Insbruck ich muß dich lassen. Wundert mich auch, denn die Melodie geht ja anders als „Innsbruck …“. Einen schönen volkslieddurchsonnten Sonntag wünscht Dir Heidrun
Alles im Leben hat seine Zeit. Mit der Technik ist der Erfahrungsbereich der Menschen gewachsen.
Mit der Massenmigration findet kein Knab mehr ein Blümelein. Aus neu erbauten Kirchentempeln und ihren Rechtleitungsvertretern kommen andere Töne. Und eine Politik, die jeden Knab, der äußert, er hätte ein Röslein gefunden, als völkisch nationalsozialistischen Nazi abstempelt, wird erreichen, daß der Ton eben nicht mehr ganz so menschenfreundlich ist.
Hier rappt sich was zusammen. Vorkriegsgesänge. Clanbrutalität. Messerkriminalität. Meinungsverbrechen und Volksverhetzung als Ausdruck eines „bösartigen Volkswillens“, der intensiver Bearbeitung durch den weisungsgebundenen Staatsschutz behandelt werden muß. Der Spiegel der Gesellschaft riecht keine Röslein mehr – hier geht es hart zur Sache.
Man denke an den Kinderchor vor noch nicht allzu langer Zeit: >Unsre Oma ist ne alte Umweltsau<. Früher war die Oma geliebt, heute ist sie nur noch für abzuleistende Hilfsdienste erwünscht und natürlich für den Verein Oma-gegen-Rechts. Die strickende Großmutter, die Vorleserin geheimnisvoller Geschichten, um sie herum eine fröhliche Kinderschar – es mag sein, daß es das noch gibt.
Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten? Es gibt Lieder, die bleiben. Die Erinnerung sollte niemals aufgegeben werden.
A.S.