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Das Leben in einer Zelle in der BRD

Sie wurde gebeten, einmal aufzuschreiben,

wie das Leben so in einer Zelle aussieht …

Also gut, ich schreibe jetzt vom Zellenleben, aber vergeßt nicht, es handelt sich um mein Erleben, andere erleben es sicher oft anders.

Um es gleich vorwegzunehmen: In einer Filmaufnahme, die

Ursula Haverbeck

nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis im Kreise von Freunden zeigte, sah man sie froh und humor-voll auf die Frage nach dem Leben in der Zelle antworten:

Es ist wie betreutes Wohnen.

Das wird manch einen überraschen. Doch auch in dem Buch „Land mein Land, wie leb ich tief aus dir!“ ist uns eine Beschreibung ihres Gefängnislebens geschenkt:

Mir geht es gut, so gesund wie mit zweiund-neunig möglich. Ich bin dankbar für viele freundliche, höfliche, hilfsbereite Menschen, die in der Regel ein halbes Jahrhundert jünger sind als ich, die älteste Inhaftierte der Welt, so wird behauptet. Irgendwas muß der Mensch schließlich sein!

Als ich mit Agraringenieuren – zuvor Bauern genannt – mit der Giftspritze hinter dem Traktor, und den Agrarpolitikern nach der Methode „Wachse oder weiche“ verhandelte über den ökologischen Landbau, da lagen sie noch mit Einwegpanties im Kinderwagen – noch nicht „Selbstfahrer“ – und das bis heute nicht, aber immerhin, keine Windelwäscherei mehr.

Da muß es ja Verständigungsschwierigkeiten geben. Das ist doch klar. Ihre Lieblingsbe-schäftigung ist Kochen und Backen, meine Lesen und Nachdenken.

Mit mir zu sprechen, erfuhr ich sehr bald von einer noch zumindest phantasiebegabten Gewalttätigen, „mit Ihnen zu sprechen, ist mir zu anstrengend“. „Anstrengend?“ fragte ich ganz verblüfft. „Ja, da muß man immer den-ken, und da hab ich keine Lust zu, das ist anstrengend“.

Zu Beginn kam die in der Bibliothek Arbei-tende – also nicht Denkunwillige – mit einer zweiten Frau und fragte: „Sie oder Du?“ Ich zögerte einen Augenblick und sagte „Sie“. In Ordnung, und sie zogen wieder ab.

Die Mitgefangenen werden von allen Beamten mit Namen, Frau und Sie angesprochen, und das mache ich auch so. Das war meine erste Lehrstunde.

… Es gibt drei Kategorien von Haft:

Untersuchungshaft, normale Haftstrafe (den ganzen Tag eingeschlossen in der Zelle) und gelockerten Vollzug. Bei mir sind vierzehn Inhaftierte in einem Groß-Eßraum mit langem Eßtisch für alle, von dem alle Türen abgehen zu den Zellen, einem Fernsehraum mit Sofa, Sitzecken, Kaffeemaschine, Bügelbrett und -eisen, Fernsehen usw., vor allem auch mit vielen Spielen. Das ist im gelockerten Vollzug so. Es wird wirklich viel für die Häftlinge getan, sie können alles Mögliche beantragen …

Zweimal im Monat gibt es aber auch jetzt Einkauf von Obst, Honig, Butter, Käse, Eiern usw., Vegan-Ernährung und vor allem tür-kische Spezialitäten, die auch einen großen Teil des Mittagessens ausmachen, doch man kann sich ja etwas anderes machen. Die Kü-che bietet viele Geräte, sogar ein elektrisches Waffeleisen.

Es gibt ein „Frauenkaffee“ einmal in vierzehn Tagen, Sprachunterricht, Sport und psycho-logische Betreuung und ein großes Sommer- und Herbstfest. Die meisten haben Fernsehen in der Zelle, was bezahlt werden muß, wie auch die vierzehntätige Privatwäsche, die wir benutzen …

Ich bin inzwischen für Verschiedenes An-sprechpartner der Inhaftierten und habe Verschiedene, die sich mir anschließen beim einstündigen Freigang im hübsch angelegten Gelände mit großem und kleinem Rundweg, mit einem Seerosenteich, Bänken in Sonne oder Schatten und einem gepflasterten Platz mit Netz zum Ballspielen. Alles zum Frühjahr von den Gartenarbeiterinnen mit Blumen bepflanzt.

Von Essensausgabe bis zu Wäsche und Hausputz wird alles selbst gemacht, aber immer in Begleitung einer Mitarbeiterin „Justiz“.

Mir ist meine Zeit zu schade zum Kochen – vom Gebackenen bekomme ich sehr oft Kostproben.

Am Nikolaustag stand ein großer Scho-koladen-Weihnachtsmann vor der Zellentür, und ab Advent ein Weihnachtsbaum, ge-schmückt von der Häftlingsgruppe Hausputz. Es gibt jeden Sonntag Gottesdienst, katho-lisch und evangelisch gemeinsam.

Alle vierzehn Tage wird frische Bettwäsche reingereicht und Handtücher. Meine Zelle wurde, besonders nach einem sehr unge-mütlichen Sturz, altersgemäß ausgerüstet, auch die gegenüberliegende Dusche.

Ich erhalte die interessantesten Briefe aus der ganzen Welt, werde um Beiträge gebeten und bin immer froh, wenn wir von Freitagnach-mittag bis Montagfrüh alle eingeschlossen sind und nur Frühstücks- und Mittagsstörung haben.

So sieht es aus, wenn man erkannt hat, daß weder der Tag noch die Arbeit ein Vorzeichen haben, alles ist völlig wertneutral. Ich setze das Vorzeichen. Das erkläre ich auch hier, wenn gefragt wird, wieso ich immer so heiter bin.

Es liegt in meiner Hand, ob ich eine notwen-dige Arbeit lustlos brummend oder mit Freude und Spaß bei der Sache mache. Es gibt eigentlich nichts, das im Laufe eines Tages nicht auch ein wenig Komik hat, was zum Lachen führt. Besonders komisch war meine Seerosenteicherrettung, das ganze Gefängnis war voller Lachen.

Natürlich werde ich jetzt langsam älter, höre, sehe, spreche schlechter, bin oft müde und nicht mehr so entschlußfreudig.

Am Tag ihrer Haft-entlassung Nov. 2020

Doch gleichzeitig fühle ich mich getragen von so unendlich vielen Menschen aus der ganzen Welt, die verstärkt schreiben: „Halte durch, Du wirst bald frei, es ist überall so viel Bewegung, wir beten für Dich.“

Gerade gestern erhielt ich zwei sehr nachdenklich machende Briefe aus Quebec (Kanada) und aus Neusee-land.

Also es bleibt dabei:

Froh zu sein, bedarf es wenig,
und wer froh ist, ist ein König!

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