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Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: „Ich bin der Faschismus.“ Nein, er wird sagen: „Ich bin der Antifaschismus.“ Das soll – wie treffend! – der italienische Sozialist Ignazio Silone einmal gesagt haben.

Wer kennt heute noch den überragenden, mit Furtwängler seiner Zeit auf eine Stufe gestellten Pianisten und Dirigenten Erich Kloss?!

Weimarer Republik und Hitler-Reich machten ihm das Leben schwer. Doch der nach dem 9. Mai 1945 auf den Trümmern des Deutschen Reiches einsetzende Antifaschismus löschte ihn aus dem Gedächtnis des deutschen Volkes aus, frei nach dem Motto Hesekiels18,24:

…  aller seiner Gerechtigkeit, die er getan hat, soll nicht gedacht werden; sondern in seiner Übertretung und Sünde, die er getan hat, soll er sterben.

Was „Übertretung und Sünde“ waren und sind, pflegen die jeweiligen Vertreter der Gesinnungsdiktaturen zu bestimmen. Und so finden wir im Weltnetz über Erich Kloss lediglich einige mickrige Hinweise darauf, daß es ihn einmal gegeben hat:

Von einem, der auszog, Musik zu machen – und das Fürchten lernte

Buchdeckel des Buches von Diana Thorn, dieses und alle anderen Bilder dieses Artikels ihrem Buch entnommen

betitelt Diana Thorn frei nach dem bekannten Märchen der Brüder Grimm ihr – auch geschichtlich – aufschlußreiches, spannendes Buch*.

Am Beispiel des Ausnahme-Pianisten und -Dirigenten

Erich Kloss

wird dem Leser der Gesinnungsterror dreier Regimes – auch solcher, die sich demokratisch nennen – anschaulich vor Augen geführt.

Erich Kloss stammt aus Schleiz in Thüringen, wo er am 24. Februar 1898 das Licht der Welt erblickte.

Früh zeigen sich seine musikalische Hochbegabung und sein Wunsch, Musiker zu werden. Der Förderer junger Talente, der preußische General der Kavallerie und letzte regierende reußische Fürst Heinrich XXVII., gewährt dem 14-Jährigen Unterstützung in dessen Streben, auf dem Konservatorium zu Leipzig Musik zu studieren. Doch

schon hier beginnen die Stolpersteine seines Musikerlebens, sich ihm in den Weg zu legen:

der 14-jährige Erich Kloss

Unglücklicherweise trifft er hier, in der finsteren Genieschmiede im Schatten des Reichsgerichts, ausgerechnet in seinem Klavierprofessor einen stets krittelnden giftigen Feind, der sich ganz offensichtlich vorgenommen hat, dem frühvirtuosen Wunderknaben die Flausen gründlich auszutreiben.

Er spricht ihm barsch jegliche pianistiche Begabung ab und setzt ihn dazu mit Vorwürfen unter Druck, dem Vater gänzlich unnütz auf der Tasche zu liegen; eine Vorhaltung, die allerdings nicht mehr greift, als nach dem ersten Quartal die fürstliche Förderkasse alle weiteren Kosten übernimmt. (a.a.O., S. 12-13)

Nachdem er sich schon während seines Besuchs der Fürstlich Reußischen Fortbildungsschule musikalisch mit Geige, Cello und Klavier in verschiedenen Kapellen bis hin zum zweiten Kapellmeister des Zwickauer Stadttheaters eingesetzt hat, wird er 1916 in München, seinem Traumziel, als 18-Jähriger der Schüler

Anna Hirzel-Langenhan

der wohl gefragtesten Koryphäe auf dem Gebiet der Klavierpädagogik, der Pianistin Anna Hirzel-Langenhan. (ebd., S. 15-16)

Es ist jedoch Krieg. Er kann sich dem Frontdienst entziehen, indem er hungert und Unmengen Zigaretten raucht, so daß das Rekrutierungsbüro den Elenden gleich wieder wegschickt.

Jetzt kann er ungehindert sein Klavierstudium bei der verehrten Lehrerin vollenden.

Nach eineinhalb Jahren Intensivausbildung wagt sich Erich Kloss erstmals als Konzertpianist an die Öffentlichkeit.

Es ist der 26. Juli 1918, Augsburg, Ludwigsbau: … Erich Kloss, der knapp 20-jährige Pianist, gibt sein Debut mit dem Liszt-Klavierkonzert in Es-Dur, auswendig gespielt. (ebd., S. 16)

Die Zeitungen schreiben hochanerkennende Rezensionen. Er wird eingeladen von seinem Gönner Heinrich XXVII. Reuß aufs Schloß Oberstein bei Gera und spielt dort u. a. auch das Klavierkonzert Es-Dur von Liszt. Das Geraische Tageblatt hebt die

Fülle technischer Schwierigkeiten [hervor], die zu überwinden schon dem Virtuosen Freude machen würde. Kloss ging aber über die virtuose Leistung hinaus und verfeinerte die glänzende Technik seines Spiels durch eine tiefe Innerlichkeit, die man sonst leider bei Liszt-Interpreten oft genug vermißt.

… Der Pianist wurde zum Schluß wiederholt durch rauschenden Beifall auf das Podium gerufen. (ebd., S. 19)

Der Durchbruch ist gelungen. Derlei Rezensionen werden sich – mit steigendem Ausdruck der Bewunderung – in Fülle wiederholen.

Gesinnungspolizei roter Anarchen 1918

Doch am 9. November 1918 endet das Deutsche Kaiserreich, die Linke übernimmt das Kommando, in Versailles denken sich die Feinde Deutschlands einen “Friedens”-“Vertrag” zur Knebelung, wenn nicht Strangulierung des Deutschen Volkes aus.

Dieser “Vertrag” ist kein Vertrag, denn zu einem Vertrag gehören mindestens zwei Vertragspartner. Der eine, Deutschland, ist von der Beschlußfassung ausgeschlossen. Seine Vertreter werden zum Schluß nur zu dem Zweck zugelassen, die Lüge von Deutschlands “Alleinkriegsschuld” durch Unterschrift zu beglaubigen!

Entsprechend geht es jetzt in Deutschland zu. In Bayern regiert der sozialistische Revolutionsführer Kurt Eisner mit seinen Arbeiter- und Soldatenräten:

Die Rote Armee, aus dem kommunistischen Osten zur Hilfe gekommen, durchkämmt mit Maschinengewehren die Stadt [München].

Erich Kloss gibt in der Münchener Tonhalle das Klavierkonzert Nr. 2 in B-Dur von Johannes Brahms mit den Münchener Philharmonikern …

Die Umstände, unter denen dieses Konzert stattfindet, wird das Kulturmagazin Münchener Mosaik später einfühlsam wiedergeben:

„… Seit den furchtbaren Tagen des November 1918 wagt es keiner mehr, geruhsam zu leben, sich zu freuen und sorglos zu sein. In jedem Augenblick können Unruhen ausbrechen. Eines Tages sind sie da. Die Straßen erfüllt von vagabundierenden Gruppen. Gewehrsalven knattern in den Nachmittag. Kaum zu denken, daß an einem solchen Tag jemand noch Zeit für Konzerte oder Theater findet.

Auch das für den Abend dieses Tages in der Münchener Tonhalle angesetzte Konzert ist bis zum Abend in Frage gestellt. Ein junger Mensch fieberte diesem Konzert entgegen; denn für ihn war es der Beginn seiner künstlerischen Laufbahn …

Zwanzig Jahre zählte der junge Meister. Er hieß Erich Kloss.

Es war kein günstiger Augenblick, in dem er seine Laufbahn begann: wenige Wochen später drängen Rotgardisten in seine Wohnung ein, die alles kurz und klein schlugen …“ (ebd., S. 20-21)

Diana Thorn erklärt:

Erich Kloss war aus unerfindlichen Gründen in den Verdacht geraten, „Weißgardist“ zu sein. Es wird ihn etliche Engagements kosten, den demolierten Flügel zu ersetzen. (ebd., S. 21)

Kein Wunder, daß der junge Pianist die Ereignisse des 19. Februar 1919  in seinem Sinne gewichtet und damit einen Lichtkegel auf die damaligen Tage richtet:

Am Vormittag haben sie den Eisner erschossen, und am Abend hab’ ich mein Konzert gehabt. (ebd.)

Vor halbleeren Sälen

Noch im selben Jahr konzertiert Kloss in seiner Heimatstadt Schleiz. Die Rezensenten äußern sich überaus begeistert von der technischen und seelischen Reife des jungen Pianisten.

Bezeichnend für die politische und kulturelle Lage des großen Kulturvolkes in der Mitte Europas notiert die Neue Augsburger Zeitung über einen der Liszt-Chopin-Abende, den Erich Kloss Anfang April 1920 – diesmal –  in Augsburg gibt. Die Zeitung bedauert, daß

… hier noch unbekannte Künstler, selbst hervorragender Qualitäten, vor halbleeren Sälen konzertieren müssen [und] … für den ihren Hörern bereiteten Genuß auch noch Geld zulegen … In diesem Zeichen stand auch der künstlerisch außergewöhnlich bedeutsame Liszt-Chopin-Abend, den der blonde, erst einundzwanzig Jahre zählende Pianist Erich Kloss im Börsensaal veranstaltete.

Er begann, die Hörer sofort in den Bann seiner heute schon gefestigten pianistichen Persönlichkeit zwingend, mit der technisch geradezu erschöpfend wiedergegebenen h-Moll-Sonate von Franz Liszt … (ebd., S. 23)

Trotz aller Hindernisse:

Erich Kloss bleibt unbeirrt auf seinem Weg, Musik zu machen, und wird diesen Weg – auch wenn es noch viel schlimmer für ihn kommt – bis zu seinem Lebensende nicht verlassen.

Auf Einladung eines Freundes und Bewunderers schließt er sich 1925 einem Streich-Terzett in Berchtesgaden als Pianist an:

Nach der ersten Berchtesgadener Spielzeit 1925 feiert ein Artikel das saisonale Abschiedskonzert des Ensembles und stellt jeden einzelnen Musiker als hochwertigen Solisten vor … (ebd., S.33)

Das Konzert endet mit Liszts Ungarischer Rhapsodie Nr. 12, gespielt von Erich Kloss:

„Man erwartete vom Letzten das Beste und wurde nicht enttäuscht … Er spendete die 12. Rhapsodie in einer künstlerisch illustrierten Prachtausgabe.“ (ebd.)

Aus dem ganzen Nachkriegselend der Weimarer Republik verspricht eine neue, aufstrebende Partei die Deutschen herauszuführen: die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei.

Leben mit der Gesinnungspolizei der Weimarer Republik

Erich Kloss dirigiert vom Flügel aus das Münchner „Kleine Funkorchester“

Kloss ist inzwischen neben dem Berchtesgadener Kur-Quartett als Leiter des Münchner „Kleinen Funkorchesters” unter Vertrag genommen, das erst 1930 entstanden ist.

Doch schon im November 1931 mischt die NSDAP mit. Zu ihrer Weihnachtsfeier lädt sie einen Sänger ein, der mit der Partei nicht das Geringste am Hut hat, aber dennoch bereit ist, bei der Feier zu singen, vorausgesetzt Erich Kloss begleitet ihn am Klavier. Erich Kloss

tut, was er bei solchen Engagements immer tut – er spielt Klavier. Nur ist es diesmal eben eine NSDAP-Weihnachtsfeier, bei der er spielt.

Die Folgen sind gravierend. (ebd., S. 65)

Denn bei der Verhandlung des Senders über die Verlängerung seines zum Jahresende auslaufenden Probevertrages und einer anstehenden Gehaltserhöhung kommt ans Licht, daß ein Referent aus dem Kulturministerium seinen sofortigen Rauswurf aus dem Sender verlangt und ihm geraten wird, auf die Gehaltserhöhung zu verzichten, damit nicht noch höhere Wellen hochschlagen.

Es ist das erste mal, daß diese NSDAP Grund für politische Repressalien liefert – sie wird es tun bis an sein Lebensende. (ebd., S. 66)

Woran allerdings in diesem Falle – wie in späteren Fällen – die Partei unschuldig ist. Die Verfolgung dieses unpolitischen Künstlers ist das Werk Rechtgläubiger der anderen Seite, der „Demokraten“, diesmal der der Weimarer Republik.

Der Vorgang bleibt nicht verborgen. Kloss wird aus der Kollegenschaft heraus geraten, der NSDAP beizutreten.

… besser der NSDAP angehören und damit deren Schutz genießen, als sich schon wegen puren Verdachts auf Nähe zur Partei den Sanktionen gegen sie auszuliefern. Hilf der Partei, und sie hilft dir. (ebd.)

Die NSDAP ist noch nicht an der Macht, und Kloss sieht die Freiheit der Kunst durch politischen Druck dieser Art in Gefahr.

Es war für ihn politisch begründete Erpressung, mit der man ihn um seinen Lohn betrog.

Zum 1. Februar 1932 tritt der Pianist ein in die NSDAP. (ebd.)

Zweiter Dirigent des „Nationalsozialistischen Reichssymphonieorchesters“

Der Rundfunkpionier und Schöpfer des ersten Rundfunkorchesters beim Münchner Sender sowie Förderer Erich Kloss’, Franz Adam,

ist mit Haut und Haar dem „Führer“-Kult verfallen (ebd. S. 69)

und tritt am 1. Januar 1930 der NSDAP bei. Er

wird „Reichssachbearbeiter in Musikfragen“ und dringt vor bis ins Machtzentrum um den „Führer“. Der soll von der Idee eines „nationalsozialistischen Orchesters“ so angetan gewesen sein, daß er gleich zur Konzeption einer „braunen Kleiderordnung“ für Musiker und Dirigenten schritt und eine Skizze Chef-Designer Paul Ludwig Troost zur Ausführung übergab. Ansonsten bleibt die Hilfe für das Orchester eher aufs Organisatorische beschränkt. (ebs., S. 69)

Den Orchester-Mitgliedern wird keinerlei Parteiarbeit abverlangt.

Nicht einmal den Treue-Eid auf den „Führer“ müssen die Musiker leisten. (ebd.)

Wer sich allerdings eine Hilfe irgendeiner Art vom „Führer“ für „sein“ Orchester erhofft hatte, sah sich getäuscht.

Bald werden ihm ohnehin sämtliche Orchester gehören, als das Deutsche Reich in Leibeigenschaft an ihn übergeht. (ebd., S. 71)

Mit diesem Orchester tritt Erich Kloss gelegentlich als Solist auf.

Er war bei einem triumphalen Konzerterfolg in Berlin mit dem Liszt Es-Dur Klavierkonzert dabei gewesen und hatte im Frühjahr 1932 bereits Gelegenheit gehabt, die 92 Mann zu dirigieren.

… Auch auf Franz Adams Angebot, das Orchester im nächsten Jahr auf seiner Italien-Tournee zu begleiten, mag Erich Kloss nicht gern verzichten. Entschlossen, den künstlerischen Olymp zu stürmen, nimmt er, was sich ihm bietet und seinen Anforderungen entspricht. (ebd., S. 71-72)

Für spätere -„demokratische“, gutmenschliche – Gesinnungsprüfer ist dies der entscheidende Makel auf dem Lebenslauf des Künstlers. Welch ein Verbrechen, im künstlerischen Schaffen mit dem allgegenwärtigen NS im 3. Reich in Berührung gekommen zu sein!

Der Leiter der RMK Bayern, Erich Kloss, neben (v.l.) dem Pianisten Edwin Fischer und Wilhelm Stroß (Stroß-Quartett) (Bildausschnitt)

Nun kommt noch eine zweite „unverzeihliche“ Sünde zustande: Er übernimmt – weniger freiwillig als gedrängt – am 1. September 1934 die Landesleitung Bayern für die „Musikerschaft in der Reichs-Musikkammer“.

Zum Zeitpunkt seines Eintritts in die Reichs-Musikkammer befindet sich Erich Kloss in allerbester Gesellschaft:

  • Dr. Richard Strauß ist ihr Präsident,
  • Staatsrat Dr. h. c. Wilhelm Furtwängler dessen Stellvertreter.
  • In  der Hauptabteilung A „Berufsstand der Deutschen Komponisten“ präsidiert Richard Strauß,
  • im Führerrat sitzen u. a. Prof. Joseph Haas,
  • Geh. Rat Prof. Dr. von Hausegger,
  • Prof. Paul Hindemith,
  • Eduard Künneke und
  • Prof. Hans Pfitzner.
  • In der Hauptabteilung B „Reichsmusikerschaft“ leitet Prof. Hermann Abendroth die „Reichsfachschaft Musikerzieher“ –

warum, so könnte man fragen, sollte Erich Kloss da nicht die Landesleitung der Musikerschaft Bayern übernehmen? (ebd., S. 79)

Inzwischen ist er verheiratet mit Emilie („Milly“) Wernecke. Sie wird sein Leben durch alle Schwierigkeiten hindurch begleiten und tatkräftig für das Überleben der Familie sorgen.

Milly begrüßt Furtwängler 1934

Erster offizieller Termin, bei dem Milly an der Seite ihres Mannes die Honneurs übernimmt, ist der Empfang von Wilhelm Furtwängler am Münchener Hauptbahnhof. Der Dirigent hat über dem „Komponistenstreit“** mit den politschen Machthabern Ende 1934 sämtliche Ämter niedergelegt und steht in diesem Frühjahr (kurzzeitig) vor dem Nichts.

Jetzt war es die Gesinnungspolizei des neuen Regimes, die zugeschlagen hat!

In einem Akt spontaner Opposition haben Erich Kloss als politsch Verantwortlicher und die Konzertagentur Clement ein Konzert in der „Verbannung“ für Furtwängler in München arrangiert.

„Ganz München freut sich auf Sie!“ gibt Milly den widerspenstigen Enthusiasmus für Furtwängler in der bayerischen Landeshauptstadt wieder. (ebd., S. 87)

Erich Kloss tritt erst am 1. Juli 1936 als Zweiter Dirigent in das „Nationalsozialistische Reichssymphonieorchester“ (NS-RSO) ein, bei dem Franz Adam sich vorbehält, sich als Erster Dirigent bei öffentlichkeitswirksamen Konzerten ins Rampenlicht zu stellen und den Ruhm für sich abzuschöpfen.

Übermaß an Arbeit, aber auch herrliches Musizieren im NS-Staat

"Nur die Pianistin Elly Ney ist womöglich noch mehr aus der Welt geschafft ... neben ein paar Werkfeierstunden bespielt sie die Aula der Städtischen Krankenanstalten." (Thorn) Doch das schützt sie nicht vor der Säuberung durch die Antifaschisten.

Erich Kloss wird nun – wie z. B. auch Wilhelm Furtwängler und die Pianistin Elly Ney – verpflichtet, an der „Deutschen Arbeitsfront“ (DA) und deren Abteilung „Kraft durch Freude“ (KdF) mit dem NS-RSO zu konzertieren. Die deutsche Arbeiterschaft, die sonst wohl kaum Gelegenheit gehabt hätte, Konzerte zu besuchen, erlebt solche Konzerte mit klassischer Musik nun in ihren Werkshallen.

Die Anforderungen an das Orchester und seinen Dirigenten sind mörderisch. Im Jahre 1937 z. B. sind allein in den Werkhallen ganz Deutschlands 232 Konzerte abzuleisten. Eine größere Öffentlichkeit und Ruhm erreichen die Künstler hierdurch nicht. Die Arbeiter aber danken es mit hingegebener Aufmerksamkeit und Disziplin. Den Hauptanteil des Dirigierens abseits der Konzerthallen hat Kloss zu übernehmen.

Gemäß der KdF-Devise „die Kultur zu den Arbeitern, die Arbeiter zur Kultur“ wird er im Dienste der Musik von Werkshalle zu Werkshalle jagen, zu den Angestellten in die Stadthallen, den Beamten in die Ministerien, zu Bauern, Landhelfern und Soldaten, Arbeitsdienst und Jungvolk.

Und zwischendrin wird er ein anspruchsvolles Publikum mit glanzvollen Konzerten in Städten und Metropolen begeistern. Allein 1936 wird er es auf rund 200 Konzerte bringen. (ebd., S. 98)

Die Fahrten von Hunderten Kilometern beinahe Tag für Tag und die teils kargste Unterbringung zehren an den Kräften der Musiker. Kloss magert ab und kränkelt. Ein Rezensent eines Werkskonzertes in Euskirchen meint gutgläubig:

Die fleißigen Chronisten einer späteren Zeit werden … mit ehrfurchtsvollem Staunen bewundernd vor der Tatsache stehen, daß nationalsozialistischer Gemeinschaftgeist auch ohne „Staatszuschuß“ ein Orchester von 95 Musikern und von solchem Range nach Euskirchen verpflichtet hat. (ebd., S. 102-103)

Doch diese Gerechtigkeit widerfährt nicht einem Künstler, der im NS-Staat gewirkt und sich fürs Volk aufgeopfert hat. Treffend kommentiert Diana Thorn:

Leider irrt hier der Rezensent! Die fleißigen Chronisten späterer Tage werden nicht einmal die Existenz dieses Orchesters zur Kenntnis nehmen. (ebd., S. 103)

Konzert in der Walzwerkhalle der Vereinigten Deutschen Metallwerke in Frankfurt-Heddernheim

Es sei denn – könnte man hinzufügen -, sie erwähnen es, um einen damit im Zusammenhang stehenden Ausnahme-Künstler zu diskriminieren und schließlich totzuschweigen. So geschehen mit dem selbstlos einsatzbereiten Erich Kloss.

Darin waren sie sogar dem NS-RSO „überlegen“, von dem ein Oboist des Orchesters später bezeugt – wie „in Fred K. Priebergs Standardwerk zur ,Musik im NS-Staat’***“ (Thorn) niedergelegt -,

… als Nicht-Parteimitglied beim Probespiel für das NS-RSO einen Konkurrenten mit goldenem Parteiabzeichen problemlos ausgestochen zu haben. Im Übrigen sei es hier „nicht nationalsozialistischer zugegangen als in anderen Orchestern“. (ebd., S. 113)

Kloss wird 1938 zur Verleihung des Titels eines Generalmusikdirektors vorgeschlagen. Und wie im Gesinnungsstaat BRD „muß“ zuvor die „politische Zuverlässigkeit“ überprüft werden. Wenig Löbliches, so Thorn, kommt zu Tage:

„Ist Frau in Frauenschaft?“ – nein. „Sind Kinder in HJ, BDM, JV?“ – nein, zu klein. Allerdings wird unter „Soziales Verhalten“ die „Gebefreudigkeit des Pg. K. und die seiner Frau von allen Sammlern im Block anerkannt.“ (ebd., S. 144)

Konzert in einer Werkhalle

Schallplattenaufnahmen des Orchesters wurden gemacht, sind jedoch

bis auf wenige verschwunden – sei es durch Kriegseinwirkung, Diebstahl oder gezielte Vernichtung.

… Von den Aufnahmen, die im Reichssender München entstanden waren, hat keine einzige die Aufräumarbeiten der Nachkriegszeit überlebt. (ebd., S. 170)

Gauamtsleiter Dr. Müller spricht 1942 in einer Lobrede für das NS-RSO ein Wort aus, das der Nachwelt zur Kennzeichnung alles dessen, was mit dem NS in Verbindung steht, immer greifbar zur Hand ist: Barbarei. Er bescheinigt

den Musikern, „… eines der herrlichsten Orchester des Großdeutschen Reiches aufgebaut“ zu haben.“ … und wie „entscheidend der Kampf der Kultur gegen die Barbarei“ sich für die ganze Welt ausgewirkt habe …

Nur vier Jahre später wird eine neue Geschichtsauffassung in der so beschworenen völkischen Bastion gegen die Barbarei einen erklärten Hort derselben erblicken, und der Begriff der „Barbarei“ wird abonniert sein auf alles, was das NS-Reich je zu deren Bekämpfung aufgeboten hatte.

Musik mit dem Stigma des „Mißbrauchs“ durch ein verbrecherisches Regime wird die, die sie ausübten, zu Komplizen machen. Im gnadenlosen Visier der Nachwelt wird die „mißbrauchte“ Musik ihre Jünger beschmutzt und diese umgekehrt die Musik besudelt haben. (ebd., S. 188)

Büste von Erich Kloss gestaltet von Walter Kruse

Wahrhaftig: Erich Kloss „erlaubt“ sich 1942 als Pianist und Dirigent zugleich das „verwerfliche Spiel“, mit dem NS-Reichssymphonie-Orchester das Grieg’sche a-Moll-Konzert aufzuführen. Das – so ein nicht namentlich genannter Rezensent –

ließ er vom Flügel her in seinem ganzen nordischen Zauber, in seiner perlenden Anmut und verträumten Landschaftsstimmung lebendig werden, sensibel in Anschlag, Rhythmus und Phrasierung, glänzend in jeglichem Können und Ausdruck, ohne äußerliche Virtuosität. Das Orchester schmiegte sich vollendet seiner Auffassung an.

Am 1. Juni 1944 liest man

das letzte erhaltene öffentliche Echo, das von Erich Kloss und dem Orchester kündet. Dann verstummt seine Musik im Kriegsgetöse.

Nur zu Truppenbetreuung und Lazarett-Einsätzen wird wohl das ständig schrumpfende Orchester noch angefordert. In München herrscht Bombenangst.

Von den unsäglichen Nachkriegsverhältnissen

lesen Sie, wenn Sie mögen, in der nächsten Folge.

________________________

*Verlag Hohe Warte, Pähl 2014

**„Furtwängler hatte sich für jüdische Dirigenten wie Bruno Walter und Otto Klemperer eingesetzt und „entartete Musik“ wie die Symphonie Mathis der Maler von Mendelssohn-Schüler Hindemith aufgeführt.“ (Anmerkung 9, ebd., S. 87)

*** Fischer Taschenbuch, Januar 1982

 

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Lukas Wolfgang Britze
Lukas Wolfgang Britze
5 Jahre zuvor

Vielen Dank fuer diesen Beitrag und die Recherche!

Max Costelli
Max Costelli
1 Jahr zuvor

Danke dafür, daß ich so viele Jahre später erleben darf, daß es früher wie heute unrechte Aburteilung von Menschen gab und gibt, die in einem gesellschaftlichen System ihr Können, Wissen und ihre Begabung zugunsten der Gesellschaft eingesetzt haben. Nachfolgend scheinheilig, unter gesellschaftlich „neuen” Bedingungen nun einen abstrusen Grund unproportional-überhöht zur Abwertung bewährter, vielfach anerkannter Leistung zu finden, ist leider deutsch-typisch und unverschämt.
Danke für diesen ausführlichen Lebensbericht eines großen deutschen Künstlers, der es Wert ist, unvergessen zu bleiben!

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