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Das hat mich bewegt – der Bericht des Stadtarchivars und Heimatforschers Dr. Karl Kowalewski in der Elbe-Jeetzel-Zeitung vom 16.4.2011 über den verheerenden Stadtbrand Lüchows, der heutigen Kreisstadt des Landkreises Lüchow-Dannenberg, und den Wiederaufbau innerhalb weniger Monate. Eine wahrhaft österliche Geschichte!

Lüchow Ende April 1811 (EJZ 16.4.11, Stadtarchiv Lüchow)

Am 24. April 1811

war das Feuer in einer Brennerei ausgebrochen. In Windeseile sprang es von Haus zu Haus, von Häuserzeile zu Häuserzeile, weitete sich zum Feuersturm und verwandelte die Stadt in eine Gluthölle.

Als der Morgen des 25. April 1811 graute, war die ganze Stadt Lüchow bis auf wenige Gebäude … ein rauchender Schutthaufen, aus dem gespenstisch die Schornsteine in den verdüsterten Himmel ragten. Zweihundert Familien waren obdachlos geworden. 193 zerstörte Wohnhäuser, 89 Hintergebäude, 116 Vieh- und Pferdeställe, 23 Scheunen, ein Speicher, neun Brau- und Brennhäuser, ein Mangelhaus, zwei Mühlhäuser, ein Laboratorium fielen samt Inneneinrichtungen dem Inferno zum Opfer.

Das Bewegende für mich ist die nachfolgende Gemeinschaftsleistung. Ohne Wenn und Aber hatten 800 Arbeitskräfte mit 200 Fuhrwerken zu Aufräumarbeiten anzutreten, und zwar unentgeltlich:

Die Arbeiter und die Fuhrleute, Bauern, die auf der gesetzlichen Grundlage der Hand- und Spanndienste ohne Entlohung herangezogen werden, kommen aus dem ganzen Distrikt, aus Arendsee, Diesdorf, Jübar, Wittingen, Calbe, Salzwedel, Gartow, Wustrow und natürlich aus Lüchow.

Morgens um 6 Uhr müssen sie in Lüchow sein. Das bedeutet stundenlange Anfahrten auf schlechtesten Wegen und stundenlange Heimfahrten.

Nach wenigen Tagen

hat sich das Räumungssystem eingespielt. Ab 8. Mai besteht nur noch ein täglicher Bedarf von 26 Wagen und 150 Arbeitskräften.

Bereits am 16. Mai sind die Trümmer von den letzten Karrees, also den Vierteln, in die das Sanierungsgebiet aus Gründen der Übersichtlichkeit eingeteilt ist, abgeräumt. Damit kann die Arbeit an den Bauplätzen beginnen, am 5. September 1811 ist Lüchow völlig trümmerfrei.

Das heißt, die Stadt ist nach 5 1/2 Monaten wiederauferstanden, und das ohne Hilfe von Maschinen. Eine schier unfaßliche Leistung! Sie wäre aber sicher nicht möglich gewesen ohne die Führung durch einen genialen, weitsichtigen Könner, dessen Schaffen sich ungehindert entfalten durfte.

Die gesamte Organisation des Wiederaufbaus, soweit die Behörden dafür zuständig sind, liegt in den Händen eines Minimalbestandes von drei Personen, bestehend aus dem Distriktbaumeister Lietzmann aus Salzwedel und zwei Assistenten … Er (Lietzmann) ist der erste wirkliche zivile Held der Geschichte Lüchows.

Lietzmann läßt Lüchow jedoch nicht in seiner alten Form wiederaufbauen, sondern verwirklicht klarblickend

ein zukunftssicheres Konzept:

Im Mittelpunkt seiner Analyse steht die geografische Tatsache, daß die Jeezelstadt nur eine Aus- und Einfahrt habe, die durch die Lange Straße miteinander verbunden sind … Er weist auf Lüchows Bedeutung als Zentralmarkt für die Landwirtschaft hin:

„Auf der Langen Straße werden alle Produkte verkauft, und sie ist deshalb ganz als Marktplatz anzusehen.“

Und so ist es bis heute: Ein Geschäft reiht sich in Lüchows Langer Straße an das andere. Das Wichtigste jedoch:

Das Gewirr von schmalen, krummen, verkehrshemmenden Straßen, das, was Lietzmann die „vielen Winkeleien“ nennt, muß beseitigt werden. So ergibt sich ihm die Schlußfolgerung, daß die Stadt, bevor auch nur ein Haus wieder aufgebaut wird, in einer Radikaloperation einen völlig neuen Grundriß erhalten muß. Die „Winkelei“ wird in ein System von Rechtecken verwandelt, die durch ein ebenfalls rechtwinkliges Netz von Straßen miteinander verbunden sind, von geraden Straßen, von Straßen, die im Schnitt doppelt so breit sein werden wie bisher.

Ansichtspostkarte von Lüchow

So entsteht eine schmucke Fachwerkstadt, der man die Geschwindigkeit, mit der sie errichtet wurde, nicht ansieht. Denn es mangelt ihr nicht an liebevoll – also doch wohl zeitaufwendig – gestalteten Fassaden mit Erkern und Gauben. Auf dem geräumigen Marktplatz vor dem (jetzt alten) Rathaus wird auch heute noch mittwochs ein Wochenmarkt voller Leben abgehalten. Kowalewski:

Lietzmann läßt wie aus einem Guß ein neues, ein modernes Lüchow 1811 entstehen, das dem modernen Verkehr das gibt, was er für das Gedeihen der Stadt braucht. Da bleibt keine Parzelle unverändert. Es sind nicht viele, die auf ihrem alten Terrain bleiben.

Alle müssen sich dem Gesamtwohl unterwerfen.

Allerdings leidet keiner Schaden. Wo Grundstücksverluste entstehen, wird entschädigt.

Die Redlichkeit, die klare Führung, die einsichtsvolle Gefolgschaft der Arbeitenden haben dies bewunderungswerte Werk ermöglicht. Auch dem Bericht des Unterpräfekten an den Präfekten in Magdeburg merkt man Stolz und Berührtheit des Schreibers an:

Es ist außerordentlich, daß in der Zeit von 5 1/2 Monaten solche ungeheuren Arbeiten bewirkt worden sind, da die Stadt mehr als zur Hälfte beim benannten Zeitraum hergestellt ist. Die Gewerbe jeder Art sind nun wieder in lebhaftestem Betriebe und die breiten und geraden Straßen bereits so voller Gebäude, daß es kaum zu glauben ist, es habe vor nicht ganz sechs Monaten dort ein unermeßlicher Schutthaufen gestanden.

Diese Resultate werden immer ein Beweis von der grenzenlosen Tätigkeit, Industrie und Anstrengung der Einwohner Lüchows bleiben, und kann der Herr Lietzmann auch deren Folgsamkeit bei den gemachten Anordnungen während des ganzen Baus nicht genug rühmen.

Deutsche Disziplin und Einsatzbereitschaft, deutscher Fleiß und Ordnungssinn

– hier stehen sie uns wieder vor Augen – wie nach dem 2. Weltkrieg, als in wenigen Jahren – besonders in Westdeutschland – die von den Bomben der Alliierten zerstörten Städte wiederauferstanden waren und alle Welt sich die Augen rieb angesichts des – leider nur – westdeutschen Wirtschaftswunders.

Die Mitteldeutschen waren von der marxistischen Planwirtschaft und ihren unfähigen Vertretern reglementiert, konnten eben nicht frei schaffen wie Lietzmann 1811 und waren somit daran gehindert, ein gleiches Wiederauferstehungswunder zu schaffen wie die westdeutschen Brüder und Schwestern.

Bewegend!

(alle Zitate dem EJZ-Bericht von Kowalewski entnommen)

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R. Leonhard-Gundel
R. Leonhard-Gundel
12 Jahre zuvor

Ich finde es beglückend, vor allem für naturreligiöse Menschen, dass der Begriff der “Auferstehung” zur Osterzeit einmal ganz anders ins Bewußtsein gebracht wird. Gut so, Adelinde, und ich freue mich schon auf den nächsten Beitrag!

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