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Vom Wir zum Ich zum Wir

Vom Wir und dessen Gewissen

Die Koreanerin Sung Hee Lee-Linke

sagte:

Es gibt Kulturen, in denen die Pflicht den Vorrang vor dem Gewissen hat … Das Gewissen eines Menschen ist immer auch Produkt der jeweiligen Kultur und Tradition einer Gesellschaft. (mehr)

Erich Meinecke, Mann mit Korea-Erfahrung,

sagte:

Im Schreiben von “Erörterungs-Aufsätzen” sind die Koreaner alle Nieten, da sie gar keine persönliche, individuelle Meinung haben, artikulieren können, wie jeder Deutschlehrer weiß, der in Korea unterrichtet hat. Die tun und denken dort einfach immer das, was alle tun. (mehr)

Hamed Abdel-Samad, Mann mit Japan-Erfahrung,

sagte:

… in Japan existiert das Wort “Gewissen” meines Wissens nach überhaupt nicht …

In einem Dorf in Ägypten in der Familie eines Imams aufgewachsen, habe er sein

Gewissen nach dem ausgebildet, was ich gelernt habe. (mehr)

John Stuart Mill, Vordenker demokratischer Freiheit,

schrieb 1859 in seinem Werk “On Liberty” (Über Freiheit):

Der größere Teil der Welt hat keine Geschichte im eigentlichen Sinne, da die Tyrannei der Gewohnheit vollständig ist. Im ganzen Osten ist dies der Fall. Die Gewohnheit ist dort in allen Dingen oberste Instanz. Rechtsprechung und Recht bedeuten Übereinstimmung mit der Gewohnheit, ihrem Argument wagt niemand … zu widerstehen. Das Resultat sehen wir.

Die Nationen müssen einmal Ursprünglichkeit besessen haben … sie … waren damals die größten und mächtigsten Nationen der Welt. Was sind sie jetzt?

… Es scheint, ein Volk kann für eine gewissen Strecke Zeit fortschrittlich sein und bleibt dann stehen. Wann steht es still? Wenn es aufhört, Individualität zu besitzen.

… Wir haben ein warnendes Beispiel an China: einer Nation mit viel Talent und in gewisser Hinsicht sogar viel Weisheit, dank dem selten großen Glück, daß es bereits in einer frühen Zeit eine besonders gute Sammlung von Sittenregeln erhielt … von Weisen und Philosophen … das Volk, das dies vermochte, müßte es nicht das Geheimnis menschlichen Fortschrittes entdeckt und sich beständig an der Spitze der Entwicklung der Welt gehalten haben?

Im Gegenteil: es ist zum Stillstand gekommen, ist so geblieben seit Tausenden von Jahren, und wenn es jemals weiterkommen sollte, so nur durch Hilfe der Fremden!

Ihnen ist über alles Erwarten gelungen, woran englische Menschenfreunde so fleißig arbeiten: alles Volk gleichzumachen, alle ihre Gedanken und ihr Handeln durch dieselben Maximen bestimmen zu lassen – und das sind die Früchte!

Mill hat den im 20. Jahrhundert beginnenden Wandel Chinas nicht mehr miterlebt. Weit allerdings scheint das chinesische Volk mit der Entwicklung eines eigenständigen Gewissens – trotz seiner Anpassung an westliche Verhältnisse – noch nicht gekommen zu sein.

Vom Ich zum Wir

Was Mill jedoch als Zeitgenosse miterlebt hat, war der aufkommende Marxismus. Mill sah Europa in der Gefahr, durch Meinungsterror den gleichen Weg zum Verlust eigenständigen Denkens und Gewissens zugunsten eines Kollektivgewissens zu beschreiten:

Das moderne Regime öffentlicher Meinung ist, in unorganisierter Form, was das chinesische Erziehungs- und Staatssystem in organisierter Form ist, und wenn der Individualismus nicht imstande ist, sich erfolgreich dieses Jochs zu erwehren, so wird Europa … dahin tendieren, ein zweites China zu werden.

Daß ein solches Kollektiv jedoch – nach außen hin – äußerst mächtig sein kann, zeigt Mill mit seinem Hinweis auf den Jesuitenorden:

Ein einzelner Jesuit ist bis zum äußersten Grade der Erniedrigung der Sklave seines Ordens, obwohl der Orden selbst nur in der gesammelten Kraft und in dem Einfluß seiner Glieder besteht.

Das Erziehungs-“Ideal” des Jesuitenordens ist der Jesuit, der sich in Form eines “lebenden Leichnams” in das System Befehl-Gehorsam ohne eigenes Gewissen einfügt.

Ebenso erging es Sparta, und auch die international- bzw. national-sozialistisch geführten Völker rund um den Erdball standen unter der Devise: Du bist nichts, dein Volk ist alles. Führer befiehl, wir folgen dir.

Vom Wir zum Ich

Necla Kelek, Seyran Ates, Ayan Hirsi Ali

und andere Freiheitskämpferinnen zeigen mit unglaublichem Mut, ja mit Todesverachtung den individuellen Gewissens-Stillstand und das ferngesteuerte Kollektiv-Gewissen im Bereich des Islam, aus dem sie stammen. Sie sahen für sich selbst keinen anderen Weg als den der Integration in den “westlichen” Kulturkreis mit dessen Individualismus.

Aus bitterster Erfahrung – gerade als Frauen, die einem extremen Sklavendasein entflohen sind – zeigen sie ihren Heimatvölkern, was ihnen mangelt und was es zu gewinnen gilt. Zugleich mahnen sie den “Westen”, nicht aus falsch verstandener Toleranz die Gewissens- und Meinungsfreiheit einem “Frieden” zu opfern, der von unduldsamen, gewaltbereiten Einwanderergesellschaften erpreßt wird, deren Kollektiv-“Gewissen” zart besaitet und leicht zu beleidigen ist.

Jüngstes Beispiel ist die Begleitmusik zum Brand des Ludwighafener Wohnhauses. Von türkischer Seite wurde gegen die Deutschen gehetzt, die sich aufopfernd um die Betroffenen kümmerten, gegen Feuerwehr und Polizei. Zur Aufklärung der Brandursache werden Kriminalisten aus der Türkei eingeflogen, der türkische Ministerpräsident erscheint höchstpersönlich am Unglücksort. Wenn das keine Beleidigung Deutschlands ist! Im umgekehrten Falle hätte der ganze Chor der muslimischen Weltgesellschaft aufgeheult.

Die deutschen ARD jedoch verschieben den Lena-Odenthal-“Tatort” von diesem Sonntag auf den 6. April aus Rücksicht auf die trauernden Türken, denen eine Ehrenmord-Geschichte jetzt nicht zugemutet werden könne. Das ist deutscher Anstand, aber andererseits ist doch niemand gezwungen, sich den Krimi anzusehen!

Ich neige dazu, Henryk M. Broder rechtzugeben, dessen neuestes Buch (Pantheon 2007) betitelt ist:

Hurra, wir kapitulieren! Von der Lust am Einknicken

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erime
16 Jahre zuvor

Hm, Sie sprechen hier ziemlich viele Themen gleichzeitig an. Ich finde, der tagespolitische Hinweis am Ende paßt nicht zum übrigen und möchte denselben im weiteren nicht kommentieren.

Aber ich bin erstaunt über die so treffsicheren Urteile von John Stuart Mill über die chinesische Kultur. Ist in mein “Repertoire” wichtiger geistesgeschichtlicher Kennzeichnungen aufgenommen worden. Auch G.F.W. Hegel hat mancherlei Wertvolles dazu gesagt.

Allerdings bin ich etwas unglücklich, daß ich gerade mit einer so flappsigen Bemerkung zitiert worden bin.

Das ist nur in “Schnellform” gesagt, müßte aber, um nicht zu abwertend zu klingen, mit mehr Respekt vor einer anderen Kultur formuliert und breiter ausgeführt werden.

Wir im Westen erlauben uns zu allem eine Meinung und quasi jeder hat eine andere. Kein Wunder, daß da eine Gesellschaft in atomisierte Einzelwesen auseinanderflattern muß, die sich überhaupt nicht mehr auf ein notwendiges Mindestmaß von gesellschaftlichem, kulturerhaltendem Konsens einigen können. (Z.B. auch in Ehen.)

Die chinesische Kultur ist die älteste Hochkultur der Menschheit. Sie zeigt – für mich – auf, daß große Kulturen und Völker tatsächlich NICHT sterben und untergehen müssen – nach irgendwelchen “Lebensgesetzen” wie sie etwa Oswald Spengler aufgestellt hat.

Mir wäre lieber, die weiter westlich entstandenen hunderte von anderen Hochkulturen könnten für diese Tatsache ebenfalls einen Beweis darstellen. Aber davon kann wohl keine Rede sein.

In der chinesischen Kultur steckt also eine unwahrscheinliche Lebenskraft drin, vor der man allergrößte Achtung haben kann und sollte und von der sich westliche Kulturen viel absehen können.

Grade ein tiefgründigerer Kulturvergleich macht deutlich, daß jede Kultur ihre eigenen Stärken und Schwächen hat und keine quasi von der Weltgeschichte “auserwählt” ist, sondern erst alle zusammen das zustande bringen, was “Menschheit” so wertvoll machen könnte.

Wiesemann, Michael
Wiesemann, Michael
16 Jahre zuvor

Ich zweifle, ob man wirklich von “Weltgewissen” reden kann und damit einen konstruierten Zusammenhang zum Begriff des “Gewissens” schaffen sollte. “Weltgewissen”, im Beitrag als Kollektivgewissen gemeint und zu Recht angegriffen, unterscheidet sich in allen wesentlichen Punkten von dem, was wir im abendländischen Kulturbereich unter dem Begriff “Gewissen” subsumieren. Gewissen ist ein zutiefst persönliches, individuelles, innerlich erfahrbares Korrektiv für unser Handeln. Genau aber, um dieses individuell vorhandene Korrektiv zu entkräften und wirkungslos zu machen, beglücken uns Weltverbesserer über die Brücke des Kollektivismus oder der dogmatisierten Religionen mit entsprechenden Ideologien oder Glaubenssätzen, notfalls mit Gewalt und Vernichtung, wie uns bekannt.
Der Begriff “Gewissen” ist im europäischen Verständnis als Lehnwort zunächst aus dem Griechischen (syneidesis), sodann aus dem Lateinischen (conscientia) hergeleitet und bedeutet – wie die beiden Vorsilben -syn- und -con- erkennen lassen -, etwa soviel wie “Mit”-wissen. In der altgriechischen Philosophie beruhte der Gewissensbegriff auf der Vorstellung, dass es für jedes sittlich schlechte Verhalten gegenüber Menschen oder Gottheiten -[ergänze heute: christl. “Gott”] einen Zeugen, einen Mit-wisser gäbe, nämlich das innere “Gewissen” (Duden, Herkunftswörterbuch, 4. Aufl. 2006). [ ] = vom Autor ergänzte Teile.
Eine weitergehende, oft auch religiöse Vertiefung des Gewissenbegriffs erfuhr das Abendland durch die christliche Ethik und durch die mittelalterliche, [europäische] Philosophie (Duden, aaO).
“Weltgewissen” hingegen ist eher so etwas wie eine gesellschaftspolitisch und zwangsläufig dann auch weltweit übereinstimmenden Ideologie, oder- soweit sie sich auf den Weltethos-Gedanken nach Küng beziehen soll – eine ethische, weltweit geltende Idee, diese jedoch dann mit Kulturanspruch.
Nur
1. eine derartige weltweite Ideologie gibt es nicht, wir finden sie nur in diversen Weltregionen. Den Menschen in den einer Ideologie unterworfenen Völkern ein Gewissen abzusprechen, wage ich nicht, eher bin ich bereit, die bereits im Osten durchlebten Kulturhochphasen als Beitrag zum besseren Menschheitsdasein zu betrachten, denen auch das Gewissen eigen war.
2. Während das Gewissen als innerer, psychischer Vorgang
beschrieben werden kann, ist das hier als “Kollektivgewissen” bezeichnete Gebilde eine kognitive Meinungslehre, die eine Einzelentscheidung nicht zulässen will oder kann, sondern dem Druck der oft erzwungenen Mehrheit oder der Mächtigen unterworfen ist und die den Andersdenkenden und den Leuten mit Gewissen geradezu aufoktroyiert werden kann. Dieses eher eingebläute Sozialverhalten, auch wenn es als Brauch daherkommt, schafft seinerseits ein Sein, dass dann reagierend auf das Bewußtsein einwirkt und dieses bestimmt (K. Marx). Es entbindet den Einzelnen davon, durch Individualität kreativ zu sein (lebendig zu sein) und durch eigenes, selbstverantwortetes Nachdenken ohne vorgekaute Dogmatik jedweder Provenienz bessere Wege des Gemeinwohls unter Beachtung des Korrektivs zu finden und zu gehen. Im Kollektivismus der bislang erlebten Art findet eine Pervertierung des einst edlen und für enge Bereiche nützlichen Gedankens “Einer für Alle, Alle für Einen” statt, und zwar unter Ausschaltung des individuellen Gewissens. Was einst für die Sippe überlebenswichtig war und dem in der Sippe gewachsenen Gewissen der Sippenmitglieder nach Brauch und meinetwegen Stammesregel entsprach, und somit meistens richtig war, wird im Kollektivismus zur Zwangsjacke aus Gründen einer Ideologie, die sich – welche auch immer – bislang nie als brauchbar für die Menschen erwies.

Das Abendland wartet ja noch immer auf das Reich Gottes, das Jesus in seiner Botschaft verkündigte. Aber bei dem Gedanken an Verantwortung für andere – gesteuert über das Gewissen – läßt der Turbokapitalismus keinen Raum. Was aber kann gewissenloser sein als diese Epoche, die wir durchleben? Kein Grund auf andere, die sich z. T. dagegen wehren, herabzublicken.

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