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Auszug aus einer zeitnahen Studie
von Fritz Köhncke

Die neomarxistische Bewegung der neuen Linken bringt sich ins Spiel

Max Horkheimer mit seinen marxistischen, sich an Freud orientierenden Vorstellungen, schon seit den 20iger Jahren des vorigen Jahrhunderts, ist einer der Wegbereiter dieser neuen Bewegung, der nach der Rückkehr aus den USA nach dem Kriege als Soziologe an der Universität Frankfurt in führender Position tätig ist und von der Bundesrepublik hofiert wird.

Er ist einer der geistigen Väter jener jungen Menschen, die gegen Gesellschaft und Staat rebellieren.

Einer seiner Mitstreiter ist der Soziologe und Philosoph Theodor W. Adorno, der – wie Rolf Kosiek schreibt – schon zeitig

Erkennungsmerkmale des sogenannten „faschistischen Menschen“

schuf, die später von den US-Besatzungstruppen bei der Beurteilung und Klassifizierung der Deutschen angewendet und für die Umerziehung und Lizenzvergabe wichtige Maßstäbe wurden.2)

Beide sind Vertreter des Klassenkampfes, den sie allerdings nicht mit Gewalt sondern auf geistiger Ebene austragen wollen. Ebenso wie Max Horkheimer ist Theodor Adorno für die Gesellschaft der Bundesrepublik eine wegweisende Persönlichkeit, obwohl oder gerade weil er sich von den klassischen Idealen des Deutschen Idealismus abwendet.

Seine Ablehnung der physischen Gewalt während der Studentenunruhen bringt ihn um die Sympathie und Folgebereitschaft vieler seiner Anhänger.

Auch der Soziologe Herbert Marcuse scheint auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen den Rebellierenden  nicht aktiv genug zu sein wegen seiner Ablehnung physischer Gewalt, gilt gleichwohl aber auf Grund seiner modernisierten Freudschen und marxistischen Anschauungen als geistige Führungspersönlichkeit der APO.

Seit 1965 als Hochschullehrer an der Freien Universität Berlin gewinnt er

mit seiner Forderung nach völliger Befreiung aus allen Zwängen und gegenüber allen Institutionen sowie mit der Betonung der Freudschen Trieblehre großen Einfluß auf die studentische Protestbewegung im Sinne des Marxismus.3)

Auf derselben Linie politischer Anschauungen liegen Alexander Mitscherlich, Jürgen Habermas u.a., und sie sind sich einig in der Ablehnung der deutschen Geschichte; und zwar in der Weise, wie es schon 1944 der Kommunist und spätere Minister in der DDR Alexander Abusch in seiner programmatischen Schrift Der Irrweg einer Nation auf den Punkt gebracht hat.

Und dieser Irrweg des deutschen Volkes beginnt spätestens mit Luther … Doch schon melden sich die Stimmen der political correctness, etwa in der Titelüberschrift

Martin Luther: Reformator, Rebell und Judenhasser

von Michael Lösch. Der Weg geht weiter über Friedrich den Großen und Bismarck bis hin zu Hitler, und wir dürfen hinzufügen, schon die Gestalt des Arminius, der im Jahre 9 Germanien von der römischen Herrschaft befreite, wird heutzutage ins Zwielicht nationalistischer Überheblichkeit gestellt.

Somit wird das deutsche Volk für den Ablauf der deutschen Geschichte vom Anfang her bis zum Ende des Dritten Reiches mit einer unauslöschlichen Schuld, die es nach dem Zweiten Weltkrieg abzutragen gilt, belastet.

Gespaltenes Volk

Und diese geforderte Kollektivschuld, die es zu sühnen gilt, entzweit jene, die den NS-Staat und den Krieg erlebten, ja durchlebten und die Nachgeborenen, die  das Kriegselend nicht kennen und die Opferbereitschaft, nicht die Hilflosigkeit vor der Diktatur des maßlos gewordenen Führers.

Man lese etwa zu dem sich langsam herausbildenden Generationskonflikt das Buch Die Unfähigkeit zu trauern des „Rädelsführers“ Alexander Mitscherlich, der den Vorwurf erhebt, daß die Erwachsenen im aufblühenden Weststaat die NS-Zeit verdrängten, ein Vorwurf, der bei vielen der jungen Generation Verständnislosigkeit erzeugte und in vielen Familien eine Kluft zwischen dem Heute und Gestern entstehen ließ.

Und es sind ja nicht mehr so sehr die Eltern und die Kinder, zwischen denen die Kluft der gegenseitigen Verständnislosigkeit entstand, sondern sie erstreckt sich nun auch auf die Enkel, die auf Grund des dank der Frankfurter Schule in der Gesellschaft seit knapp 50 Jahren „korrigierten Geschichtsbildes“ ihre Großeltern nicht mehr verstehen können.

Doch schon lange vor 1968 beginnt die systematische Umerziehung, überkommene Wertevorstellungen werden auf den Kopf gestellt, und die Geschichte wird politisiert.

Der Niedergang der Kultur an deutschen Bühnen beginnt von draußen

Ein Rufer in der Wüste nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist Bernhard Kummer mit dem Aufsatz Jean Anouilh und die deutsche Jugend und mit der Monographie Fehlentscheidung des deutschen Theaters: Jean Paul Sartre4) .

Im Sinne Friedrich Schillers von der „Schaubühne als moralische Anstalt“ schreibt Kummer, Fritz Hochwälder zitierend:

Gerade weil das Menschen- und Weltbild infolge zweier Weltkriege von Zerfall bedroht ist, tut uns vom Theater her wieder feste Form not …,

und er fährt fort:

Statt dessen predigt man uns wie nie zuvor die Sinnlosigkeit alles Tuns, die Ausweglosigkeit unseres Hoffens. Man nimmt von Bert Brecht den „Verfremdungseffekt“ … um der sogenannten „Zersetzung des Menschenbildes“ das Wort zu reden, „nachdem die Welt sich aufgelöst hat“ (Brecht), „Gott“ tot gesagt ist bis zum Überdruß, und der Mensch seine „Existenz als Clownerie“ (S. Bekkett) zu begreifen meint, auf jenen „Godot“ wartend, der nicht kommt.5)

Sartre etwa 1967 (Bild: Wikipedia)

Anouilh (Bild: Geldanlage Schweiz - 8%)

So importiert man uns seit 1946 Anouilh mit seiner Antigone (erstmals in Darmstadt) und anderem sowie Sartre, zunächst mit seinem Stück Die Eingeschlossenen.

Beide Dramatiker sind Kommunisten und haben psychoanalytische Wurzeln, genauso wie die Väter der folgenden 68er Revolution.

Kummer stellt die Frage:

Aber warum zwingt man uns Anouilh denn auf?

und zitiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28. 12.1953:

[Die Bühnen] gehorchen dem neueren ungeschriebenen, aber nicht zwingendem Gesetz, daß, was berühmte Namen in Frankreich, Amerika, England Neues herausbringen, alsbald im möglichst „alleinigen Erstrecht“ auf die deutschen Bühnen muß.

Kummer bemerkt dazu:

Man kann nicht sagen, daß dies ein demokratischer Vorgang ist. Fände man es etwa mit Hans Sachs (in Richard Wagners Meistersingern) noch „weise“, „einmal im Jahr“ das Volk zu fragen, was es auf seinen „subventionierten“ Bühnen sehen möchte, so würde dieses Volk gewiß nicht rufen:

„Gebt uns Erstaufführungen  des französischen Erotikers und Existenzialisten Jean Anouilh!“ Sondern es würde sagen: „Gebt uns etwas Gutes, was uns das Herz stärkt und den Blick weitet! Gebt uns Kunst, die wir verstehen, und die uns reifer macht! Gebt uns Schönes!“6)

Die französische Nationalheilige Jeanne d‘ Arc, die ihr Vaterland im Kriege gegen England rettet und den Tod auf dem Scheiterhaufen erleidet, die in Schillers Die Jungfrau von Orleans mit deutschem Idealismus versehen wird, wird bei Anouilh pervertiert in ein kleines, dennoch kesses Hirtenmädchen, das komödiantisch mit den Potentaten spielt, am Schluß als vom Dichter so gewollte Popanz zum Denkmal der Jungfrau mit dem Lilienbanner avanciert und fern von irgendwelchen sittlich-moralischen Ideen im Nihilismus landet.

Nicht anders ergeht es der antiken Antigone des größten Tragödiendichters Griechenlands, nämlich Sophokles‘, die im gleichnamigen Stück Anouilhs ihrer ideellen Gesinnung und sittlichen Tatbereitschaft entkleidet wird.

Treffend bemerkt Bernhard Kummer:

Man muß das Kind beim rechten Namen nennen, in diesem Fall das „Kind Antigone“, das nicht – wie bei Sophokles – als Persönlichkeit eine wesentliche Tat tut, sondern als ein Nichts durch eine sinnlose Tat „wesentlich“ wird.7)

Das ist zweifellos ein Merkmal des französischen Existenzialismus, die Verkündung eines freien Willens, der sich keinem überkommenen Gesetz, keinem sittlichen Postulat verpflichtet fühlt, sondern, ohne einen festen Grund zu haben, sich entscheidet und damit keine Erklärung, keinen Rechenschaftsbericht zu fürchten hat (Vgl. Herbert Marcuse u.a.).

Von da her wird auch der Ruf der Antigone verständlich: „Ich weiß nicht mehr, warum ich sterbe.“ Somit wird ihr Empfinden, Denken und Handeln wesenlos.

All dies tragisch-komische Handeln der Protagonisten  in Anouilhs Stücken gilt in seiner Wirksamkeit auf deutschen Bühnen der Nachkriegszeit, der Zerstörung des deutschen Idealismus,

der seine Wurzeln auch im fernen alten Griechenland hat. Und das wiederum führt uns schondamals in den Fünfziger Jahren weit nach links in politische Zentren, die uns wesensfremd sind.

Hermann Pongs bezeichnet Jean Paul Sartre als sozialistischen Schriftsteller,

der den atheistischen Existentialismus begründet: Existenz als Freiheitsentscheidung ohne Gott, ins Nichts hinein8),

und Bernhard Kummer äußert anläßlich der Erstaufführung des Schauspiels Die Eingeschlossenen 1960 in München und dann in anderen Städten:

Sartre, „ein Schriftsteller, in dessen Herzen alle Sterne erloschen sind“, wie Bischof Dibelius sagte,

  • vom Heiligen im Gemeinschaftsleben,
  • von „Gottesspuren“ im Volk (Hermann Schwarz),
  • von dem, „was sein kann zwischen Mensch und Mensch“ (Reinh. Goering), nichts wissend,
  • ohne Beziehung zur Kraft der Erde,
  • ohne Aufblick zu Sternen,
  • ohne Gnade oder das Gefühl des Beschenktseins,
  • ohne Anerkennung eines Sittengesetzes, eines Ewigkeitswertes, einer Menschenwürde als Begriff und Ideal,
  • ohne Goethes „Beständiges der irdischen Tage“, das „ewigen Bestand verbürgt“,
  • ohne Reuefähigkeit und ohne Sühnepflicht,
  • und natürlich ohne jeden Gott in oder über uns:

Sartre stellt sich selber dar in seinen Menschen. War man sich denn klar, was man an letzten Sicherungen preisgab, als man Sartre zu unserem Lehrmeister  Nr. 1 erhob? Jetzt zumindest hat man Gelegenheit, bei ungezählten Vorführungen jener Schemen in Altona darüber nachzudenken.9)

Zum Inhalt des Stückes Die Eingeschlossenen sagt Kummer:

Franz Gerlach, ein deutscher Leutnant, hat sich nach dem Kriege 13 Jahre lang in einer Mansarde seines großen elterlichen Hauses versteckt, eingeschlossen … er lebt dort, verkommend und wahnsinnig mit seiner ihn versorgenden Schwester Leni in Blutschande …, im Glauben, daß draußen die Rache der Sieger tobt, gequält, aber ohne Reue, von seinem Schuldkomplex. An der Wand hängt das Hitlerbild. Die Orden an der verrotteten Uniform sind aus Schokolade. …10)

Sein Schuldkomplex besteht im wesentlichen aus der Tatsache, daß er in menschenquälender,  menschenverachtender Weise in Rußland Gefangene gefoltert hat.

Weil Sartre seine Kritik am unmenschlichen französischen Krieg gegen Algerien, das seit 1954 für seine Unabhängigkeit kämpft, aus der Geschichte Frankreichs heraus nicht darzustellen wagt, greift er zu Greueltaten aus dem Nachbarlande, um sein Ansinnen zu verdeutlichen; denn im daniederliegenden Deutschland kann man natürlich – vom Nachbarstaate herübergeweht – solch historisch verbrämten Handlungsverlauf ins Bewußtsein der Öffentlichkeit stellen.

Eine Kritik zur Aufführung in München lautet:

Banalitäten wuchern üppig. Psychoanalytisch verbrämter Plüsch erinnert an Sudermann Strindberg und Ipsen sind weitere Paten. –

Was fangen nun wir Deutschen damit an? Rundheraus gesagt und zwar mit einem Lieblingsausdruck des Autors: nichts!

Ist es schon ein Ärgernis, sich auf weite Strecken des umständlichen Stückes einem Hitlerbild konfrontiert zu sehen, so kann von dieser Verunklarung der politischen Geschehnisse eher Wirrnis als Katharsis ausgehen.

Das aber ist offensichtlich nebensächlich, wenn die intellektuelle Magie des Namens Sartre dahintersteht.11)

Schärfer noch schreibt Kummer:

Und das deutsche Theater ließ sich zwanzigfach mit dem wohl schlechtesten Bühnenstück des Jahrzehnts und der erbärmlichsten Deutschgestalt unserer Spielpläne beglücken: dem eingeschlossenen Folterleutnant von Altona im Spiegel des Nichts von Sartre.12)

Aber diese Kritiken aus dem Jahre 1960 verhindern natürlich nicht, daß das Stück in hervorragender Besetzung mit Maximilian Schell und Sophia Loren ab 1962 als Film in den Kinos erscheint.

So wird für viele junge Leute, die es nicht besser wissen, der Altonaer Folterleutnant zum Sinnbild des deutschen Offiziers im Zweiten Weltkrieg, wodurch der Abstand zwischen der Vätergeneration als Kriegsteilnehmer und der im Wirtschaftswunder aufwachsenden nachfolgenden Generation sich zur Kluft erweitert, zu einer Kluft, in der, abseits von jedem Ideal, das Nichts des Dramatikers Jean Paul Sartre wohnt.

Und auch damit wird der Weg freigemacht, der zu den außerparlamentarischen Ereignissen des Jahres 1968 führt.

Der Stückeschreiber und Regisseur Rainer Werner Fassbinder als Fallbeispiel

Alle erlebte Gegenwart wird sehr bald im Rückblick zur Historie.

Fassbinder (Bild: Geldanlage Schweiz - 8%)

Für das Individuum fängt sie in der Familie an. Deren Sosein kann den Lebenslauf eines Menschen in seiner positiven wie auch negativen Ausprägung ganz erheblich mitbestimmen.

Als nach dem Kriege allmählich die Rate der Ehescheidungen und damit der auseinanderbrechenden Familien ansteigt, verlieren viele Kinder und Jugendliche den Halt unter den Füßen, steuern in eine richtungslos gewordene Zukunft, verzweifeln häufig an einer Sinngebung des Lebens und landen in einer leeren Welt, der sich nur noch das Nichts öffnet.

  • Dem am 31. Mai 1945 in Bad Wörishofen geborenen Rainer Werner Fassbinder widerfährt keine kindliche Geborgenheit im Schoße der Familie.
  • Der Vater, der als Arzt tätig ist, bringt kaum Zeit für seinen Sohn auf,
  • die Mutter kann dem Jungen keine Zuneigung entgegenbringen, hat aber einen Liebhaber, der keine zehn Jahre älter ist als ihr heranwachsendes Kind.
  • Schließlich bricht die Ehe der Eltern auseinander,
  • und der zweite Ehemann will mit dem bereits „verlotterten“ Sohn seiner Frau nichts zu tun haben.
  • Die mangelnde elterliche Zuwendung und die auch sonst zerrütteten Familienverhältnisse sind eine Hypothek, für die der intelligente, ja hochbegabte Rainer Werner Fassbinder sein Leben lang zu zahlen hat.
  • Kein Wunder, daß er schulisch nicht weit kommt und als verhaltensgestört und schwer erziehbar eingestuft wird.
  • In seinem Sozialverhalten innerhalb der bestehenden Gesellschaft beeinträchtigt, sozusagen determiniert schon durch das kindlich-jugendliche Schicksal, sieht er diese nun einmal vorhandene Gesellschaft mit anderen Augen, als man zu erwarten gewohnt ist.

So wird er früh zum Außenseiter, der nach anderen Bindungen sucht, ohne irgendwo oder irgendwie fest zu werden, der der Gesellschaft Nachkriegsdeutschlands kritisch und ablehnend gegenübersteht.

Schon im Vorfeld der „68iger Revolution“ wird Fassbinder 1967 Mitglied des Münchener Action-Theaters, und er selbst kritisiert diese Bühne folgendermaßen:

Zwischen den Schauspielern und dem Publikum entstand etwas wie Trance, etwa wie eine kollektive Sehnsucht nach revolutionärer Utopie.

Er spielt in einer modernen Inszenierung der „Antigone“ von Sophokles, danach führt er Regie in „Leonce und Lena“ des politischen Realisten Georg Büchner.

Der von Fassbinder zitierte Satz ist bezeichnend für einen Teil der Massenaufläufe, die letztlich ohne klare Vorstellungen, ohne durchgreifende Führungskräfte kein Endziel erreichen, wenngleich sie das soziale Verhalten der Befürworter und Gegner im kommenden Jahrzehnt stark beeinflussen.

Nach der Auflösung des Action-Theaters im Mai 1968 entsteht auf Veranlassung Fassbinders das „Münchener antiteater“, ein vom antiautoritären Geist der außerparlamentarischen Opposition geprägtes Schauspielerkollektiv.Dem noch bürgerlichen Theaterverständnis soll eine neue Ästhetik entgegengesetzt werden:

Mit politisch aufklärenwollendem Impetus im Geiste der neuen Zeit ragiert das „antiteater“ direkt auf aktuelles Zeitgeschehen, wie z.B. Fassbinders Inszenierung von Goethes „Iphigenie auf Tauris“ zeigt.

Damit beginnt eine Verfälschung und Politisierung klassischer Theaterliteratur.

Sie wird sozusagen – ohne daß die Theaterleute es unbedingt wissen oder begreifen – in den Dienst der „Frankfurter Schule“ gestellt.

1970/71 schließlich entsteht das Theaterstück Blut am Hals der Katze.

Die Resonanz nach der Uraufführung, in der Fassbinder selbst mitspielt, geht von scharfer Ablehnung bis zur enthusiastischen Zustimmung.

Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt, Fassbinder habe nicht die intellektuelle Kraft, seine kleinen Helden und die banalen Dialoge zu verachten, und der Rezensent sagt wörtlich:

Ich finde, daß seine hilflosen Elegien ehrlicher und beunruhigender sind als die viel zu selbstsicheren Denunziationen des durchschnittlichen politischen Theaters.“13)

Ist diese Feststellung nicht ein Spiegelbild der sich herausstellenden Ausweglosigkeit auf Veränderung und Besserung der Welt, angesichts des Vietnamkrieges, der befürchteten Notstandsgesetzgebung, der ziellosen, aber dennoch durch die Ideologie der Frankfurter Schule gesteuerten Protestbewegungen?

Wenn die Süddeutsche Zeitung von Fassbinder schreibt:

Er hat wohl überhaupt nur wenig kritisches Bewußtsein,

so mag es unmittelbar vielleicht stimmen. Dafür spricht, daß sich die engagierte Linke von ihm distanziert, jedoch mittelbar zeigt dieses Stück die Verfahrenheit gesellschaftlicher Zustände in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die in hohem Maße von der Politik mitbestimmt wird.

  • Wenn Fassbinder in dem 1971 erschienenen und uraufgeführten Theaterstück Blut am Hals der Katze Phoebe Zeitgeist auf die Erde herabsteigen läßt, verständnislos auf den „gesellschaftlichen Müll“ – wie Siegfried Kienzle sich ausdrückt – blickend,
  • wenn dann Sprache nur noch „als Instrument der Beschönigung und Unterdrückung“ sichtbar wird,
  • wenn die Menschen ob der Verlogenheit und Sinnwidrigkeit in dieser Welt „an den eigenen Phrasen würgen, nur noch zu stammeln vermögen“14),

dann kann man nicht anders als konstatieren,

  • daß das Stück eben gerade seine Entstehungszeit widerspiegelt,
  • daß also auch der „unpolitische“ Verfasser Rainer Werner Fassbinder in höchstem Maße politisch wirkt, wie auf andere literarische Weise Peter Handke oder zur Zeit der Restauration  in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der politische Realist Georg Büchner.

Ein Rezensent der Aufführung von Blut am Hals der Katze im Sommer 2014 beim Theatertreffen in München überschreibt seine Kritik mit den Worten „Kaputte Menschen in einer kaputten Welt“.

Freudsche Psychoanalyse und Nihilismus stehen Pate in dieser sinnentleerten Welt, ohne idealistischen Aufblick, Schwächen werden zwar aufgedeckt und auf der Bühne erschütternd dargestellt, aber ein Hoffnungsschimmer auf ein in Würde geführtes Menschenleben kommt nicht auf.

Auch daran mag Fassbinder, der ja neben seiner Theatertätigkeit als Autor und Regisseur eine Reihe von Filmen zur Umbruchszeit um die Mitte des vorigen Jahrhunderts auf den Weg gebracht hat, zu Grunde gegangen sein, sozusagen als ein Verzweifelnder, der am 10. Juni 1982 an einer Überdosis Kokain verstirbt.

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Fortsetzung in Teil 2

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Anmerkungen
2) Rolf Kosiek, Die Machtübernahme der 68er, Tübingen  8/2011, S. 36
3) Ebenda, S. 38
4) Bernhard Kummer, Jean Anouilh und die deutsche Jugend; in „Der Quell“ 1954, S. 163ff., Fehlentscheidung des deutschen Theaters – Jean Paul Sartre, Zeven 1960
5) Ders., Fehlentscheidung … , S. 11
6) Ders., Jean Anouilh … , S. 165
7) Ebenda, S. 170
8 ) Hermann Pongs, Das kleine Lexikon der Weltliteratur, Stuttgart 6/1967, S. 1591
9) Bernhard Kummer, Fehlentscheidung … , S. 41
10)Ebenda, S. 43
11)Ebenda, S. 42
12)Ebenda, S. 8
13)Siehe: Peter Berling, Die 13 Jahre des Rainer Werner Fassbinder, Bergisch-Gladbach 1992
14)Siehe: Siegfried Kienzle, Schauspielführer der Gegenwart, Stuttgart 6/1999

 

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