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Friedrichs II. Vater, der berühmt-berüchtigte, dicke Soldatenkönig, Friedrich Wilhelm 1.

war ein jähzorniger Grobian, der seinen Untertanen in primitivster Weise vorführte, was Absolutismus ist: Alles hörte auf sein Wort, und wer es seiner Meinung nach nicht genügend tat, kriegte erbarmungslos seinen Krückstock und seine Stiefel zu spüren, wenn nicht Schlimmeres. Friedrich hatte das in seiner Jugend am eigenen Leibe bis hin zu Kerkerhaft und gar Aussicht auf Hinrichtung erlebt.

Ich bin ein böser Mensch,

hat dieser König Friedrich Wilhelm I. über sich selbst einmal gesagt,

und wenn ich einen Tag gut bin, so bin ich doch hernach gleich wieder böse.

Ganz böse kann dieser König allerdings nicht gewesen sein. Denn nach dem Tode seines Vorgängers, seines prachtliebenden Vaters Friedrich I., räumte er seinen preußischen Staat gründlich auf:

  • er brachte die Finanzen in Ordnung,
  • baute das Heerwesen aus, ohne  einen Krieg zu führen – außer seiner Beteiligung am Nordischen Krieg für zwei Monate –,
  • hatte ein Herz für die Bauern und andern kleinen Leute,
  • schaffte den Pomp bei Hofe ab,
  • führte statt dessen Sauberkeit ein und
  • war selbst fleißig, sparsam, umsichtig,
  • sah auf Ordnung bis ins Kleinste und
  • siedelte 30 000 vertriebene Salzburger Familien in Ostpreußen an.

Damit entwickelte sich dieses durch die Folgen des 30-jährigen Krieges und der Pest verwüstete Land binnen kurzer Zeit zur blühendsten Provinz Deutschlands. Schon unter seiner Herrschaft gab es – einmalig in Europa – Glaubensfreiheit.

Von ihm stammt das berühmte Wort, der König habe der erste Diener seines Staates zu sein. Er lebte also die Tugenden vor, die das Markenzeichen Preußens ausmachen, und übergab seinem Sohn Friedrich ein geordnetes Staatswesen. Friedrich Wilhelm I. hatte allerdings keinen Sinn für Kunst und Literatur, haßte das Franzosentum, das sich in Deutschland breitgemacht hatte, und wollte nichts anderes sein als ein Deutscher. Zu einem guten Deutschen gehörte seiner Meinung nach der christliche Glaube, den er auch in seiner zahlreichen Familie als Patriarch zelebrierte.

Friedrich war das Wesen seines Vaters zuwider. Dennoch hat er die Pflichtauffassung von ihm übernommen und seine Leistung für den Aufbau Preußens später hoch anerkannt.

Seine philosophische Veranlagung hatte Friedrich offenbar von seiner Großmutter Sophie Charlotte von Hannover geerbt, der Gesprächspartnerin des Philosophen Leibniz, und sein Kulturbedürfnis, seine sprachliche und musikalische Begabung wohl auch von ihr und von seiner gebildeten Mutter Sophie Dorothea von Hannover, die ihrem ihr zugeteilten Ehemann gegenüber anfangs und auch später wieder tiefsten Abscheu empfand und dennoch 14 Kinder dieses Mannes geboren hat, von denen 10 das Erwachsenenalter erreichten. Friedrich war ihr 4. Kind und der 1. überlebende Sohn und somit Thronfolger.

Der intrigante Grumbkow, der Habsburger Spion am preußischen Hof, hat es einmal auf den Punkt gebracht, wozu allein die Frauen des Hochadels auf der Welt seien:

die großen Fürstinnen sind dazu geboren, dem Wohl des Staates geopfert zu werden.

Das heißt, sie hatten sich zur Machterhaltung und -vermehrung des Staates, dem sie angehörten, zu prostituieren. Sie hatten möglichst ansehnlich zu sein und Kinder zu gebären. Rechte besaßen sie – ebenso wie das gesamte weibliche Geschlecht – keine, nicht anders als die meisten Musliminnen noch heute.

Friedrich II. beschneidet selbst seine Macht

Am Tage seines Regierungsantritts, dem 1. Juni 1740 – der Soldatenkönig ist tags zuvor gestorben – beginnt Friedrich damit, seine eigene Macht als absolutistischer Herrscher, die er gerade eben erst als ältester Sohn geerbt hat, zu beschneiden zugunsten der Freiheit und eines menschenwürdigeren Lebens seiner Untertanen.

  • Sofort verfügt er, seine Armee dürfe künftig nicht mehr mit Absicht und Übermut das Volk schikanieren.

Denn es ist die Pflicht eines guten Soldaten, ebensowohl menschlich und vernünftig zu sein als unerschrocken und brav!

sagt er seinen Generälen.

  • Den Herren Ministern und Geheimräten gegenüber stellt er klar, daß es zwecklos sei,

[sich sein Wohlwollen]  mit Kränkungen der Untertanen  [erringen zu wollen].

  • Am nächsten Tag diktiert er den Kabinettsbefehl zur sofortigen Abschaffung der Tortur bei Verhören.

Unsere größte Sorge soll dahin gerichtet sein, das Wohl des Landes zu befördern und einen jeden Unserer Untertanen vergnügt und glücklich zu machen!

  • Dem läßt er sogleich eine amtliche Verfügung folgen zur Öffnung der staatlichen Kornkammern. Das Getreide ist zu Niedrigpreisen an die Armen zu verkaufen.
  • Am nächsten Tag verbietet er das „Fuchteln“, das Schlagen mit dem Stock bei den Kadetten,
  • stiftet den Orden „Pour le mérite“ und
  • erteilt den Auftrag, zwei Zeitungen in Berlin zu gründen, die deutschsprachigen Berlinische Nachrichten und das französischsprachige Journal de Berlin.
  • Am nächsten Tag macht er klar, daß es in seinem Königreich keine Zensur mehr gebe.

[Den Journalisten sei] unbeschränkte Freiheit [zu belassen]. Gazetten dürfen, wenn sie interessant sein sollen, nicht genieret werden!

  • Das ist die Forderung, mit der Friedrich sich auszeichnet, der erste Monarch Europas zu sein, der die Pressefreiheit und damit die Meinungsfreiheit einführt.
  • In diesem Tempo geht es weiter. Er läßt sich Bericht erstatten über den Zustand der Akademie der Wissenschaften, die seine Großmutter Sophie Charlotte gemeinsam mit Leibniz geschaffen und die sein Vater, der Soldatenkönig, völlig verkommen lassen hat. Sie soll in neuem Glanz erstehen, aber – wie er hinzufügt –

nicht zur Parade, sondern zur Instruktion.

Geistesgrößen aus ganz Europa sollen hier versammelt werden. So schreibt er z.B. an die Franzosen Voltaire und Maupertuis, an den venezianischen Schriftsteller Algarotti, den deutschen Mathematiker Euler nach St. Petersburg. Und sie folgen seinem Ruf.

Carl Philipp Emanuel Bach war schon seit zwei Jahren an seinem Hof und hielt es 30 Jahre bei ihm aus, obwohl er dauernd herabgesetzt wurde durch seine beleidigend niedrige Entlohnung, die ein Zehntel dessen betrug, was der Flötist und Komponist Quantz bekam, der 3 Jahre später eingestellte wurde und dessen galanter Stil Friedrich besser gefiel als der nach seinem Geschmack „zu gelehrte“ Bachs. Auch so etwas gehört zum Bild des Philosophen von Sanssouci.

  • Nach 3 Wochen liest man seine handgeschriebene Verordnung, die katholischen Schulen betreffend:

Die Religionen müssen alle Tollerieret werden und Muß der Fiscal nuhr das auge darauf haben, das keine der anderen abruch Tuhe, den hier mus ein jeder nach Seiner Faßon Selich werden.

Kein Zweifel: Das Zeitalter der Aufklärung bricht an. Ausgerechnet der absolutistische König des Entwicklungslandes Preußen ist sein Wegbereiter.

In seiner Abhandlung über

Friedrich als Freimaurer

sieht Titus Malms Friedrichs Aufbruch im Zusammenhang mit seinem Gesuch von 1738, in die Freimaurerloge aufgenommen zu werden.

Ein Jahr zuvor hatte die 1717 in London gegründete Großloge den Sprung auf das europäische Festland geschafft, und 20 Jahre danach, im Dezember 1737, begann in Hamburg die erste deutsche Loge mit ihrer Arbeit. Wenige Monate darauf bewarb sich Friedrich um Aufnahme in diese Gesellschaft, „welche“ – wie der 26-Jährige vermutete – „wahrheitsliebende Männer zu Mitgliedern habe.“ Friedrich wurde aufgenommen und bekam alsbald den Gesellen- und auch den Meistergrad zugesprochen.

Auf Schloß Rheinsberg hielt er Logenabende ab und gewann zahlreiche hochgestellte Persönlichkeiten für seine Hofloge „La première“ dazu, und im Journal de Berlin ließ er seine Mitgliedschaft und die der Rheinsberger Mitbrüder bekanntgeben, ganz gegen die Gepflogenheiten geheimer Männerbünde.

Doch schon 2 Jahre nach seinem Eintritt in die Loge, ab 1740, nahm er an keiner Logenveranstaltung mehr teil. Denn bereits nach so kurzer Zeit mußte er feststellen:

Alchymie und Theurgie [Götterbeschwörung, Wundertätigkeit] haben jetzt ihren Sitz in der Freymaurerey. Ich verlache diese Narrheiten.

Malms vermutet:

Einem Menschen wie ihm mußten diese seinerzeit neu auftretenden mystifizierenden Logensysteme, insbesondere die Ritter-Spielerei jener sog. „Strikten Observanz“, herzlich zuwider sein, in der es von pompösen, doch inhaltlosen Titeln nur so wimmelte.

Es war also nicht die Freimaurerei, die Friedrich beeinflußte, sondern er hatte sich ihr aus seinem Freiheitsgeist heraus zugewandt, den er in der Loge irrtümlich ebenfalls anzutreffen gehofft hatte.

Als er einmal von dem Gelehrten Maupertuis wissen wollte, was die Infinitesimal- und Differentialrechnungen eigentlich wären, soll er die Erklärungen des Maupertuis nicht verstanden haben. Maupertuis soll daraufhin gesagt haben:

Sire! … Die höhere Mathematik ist wie das Geheimnis der Freymaurer. Durch Erzählen erfährt man es nicht, sondern man muß sich einweihen lassen, um es völlig zu begreifen.

So! rief der König lächelnd aus: Dann mag ich die höhere Mathematik lieber nicht lernen; denn ich merke an mir, daß das Einweihen nicht jedermann hilft.

Dagegen erklärt Kant in seinem schon genannten Aufsatz:

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Kant sieht sehr klar, welche seelischen Sperren dabei zu überwinden sind:

Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat sie sogar liebgewonnen und ist vorderhand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon machen ließ. Satzungen und Formeln, diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Mißbrauchs seiner Naturgaben, sind die Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit. Wer sie auch abwürfe, würde dennoch auch über den schmalen Graben einen nur unsicheren Sprung tun, weil er zu dergleichen freier Bewegung nicht gewöhnt ist. Daher gibt es nur wenige, denen es gelungen ist, durch eigene Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit herauszuwickeln und dennoch einen sicheren Gang zu tun.

Und deutlich bläst er den Unmündigen, darunter den Frauen, den Marsch:

Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen … gerne zeitlebens unmündig bleiben, und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen. Daß der bei weitem größte Teil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außerdem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte, dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperrten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen droht, wenn sie es versuchen, allein zu gehen.

Mit dem weiblichen Geschlecht hatte auch Friedrich seine Probleme.

Die ihm zudiktierte, zunächst unbekannte und als dumm und bigott beschriebene Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern verabscheute er von vornherein.

Ich will lieber Hahnrei werden oder unter dem Pantoffel eines hochmütigen Weibes stehen als eine dumme Person heiraten, die mich durch Albernheiten rasend macht und deren ich mich vor den Leuten schämen muß. Und nun gar eine Betschwester,

schreibt er an Grumbkow. Oder an anderer Stelle heißt es:

Ich will nicht, daß meine Frau ein Dummkopf ist, ich muß mit ihr vernünftig reden können, sonst ist es nicht mein Fall …

Dabei hatte er schon einer wahren Liebe zu entsagen gehabt, der sein Vers galt (aus dem Französischen übersetzt):

Verberge Deiner Wünsche liebstes Ziel,
Verschweige, daß nur Eine dir gefiel,
Um die du sterben möchtest jede Stunde.

Spätestens hier wird Kants Ansicht ad absurdum geführt, nach der allein die Pflichterfüllung moralischen Wert habe, die ohne Neigung erbracht wird. Welche Seelenschädigung wird hier verlangt! Was soll hier Pflicht sein – der Willkür des frivol auf Nützlichkeit ausgerichteten Vaters gehorchen und sich opfern? Welche Pflicht darf sich an die Stelle der Freiheit setzen bei der Wahl des ehelichen Lebensgefährten?

Ich soll durchaus verliebt werden, wenn es auch durch Prügel erreicht wird. Nun habe ich aber doch unglücklicherweise nicht das Temperament eines Esels … Der wahre Grund [daß er der Prinzessin so selten schreibt] ist, daß ich keinen Stoff habe und oft genug nicht weiß, womit ich eine Seite füllen soll … daß mir diese Heirat nolens volens entgegengebracht wurde, und daß der Preis, den ich dafür empfangen sollte, die Freiheit war [aus dem Küstriner Gefängnis] … die Frau Prinzessin dürfte dabei schlecht wegkommen: die Heirat macht mündig, und sobald ich mündig bin, bin ich Herr im Hause. Meine Frau hat nichts darin zu sagen; nur kein Weiberregiment in irgend etwas auf Erden. Ich glaube, daß ein Mann, der sich von Weibern regieren läßt, der größte Kujon ist, den man sich denken kann und überhaupt nicht verdient, ein Mann genannt zu werden …

Welch ein Ausbruch! Welch chauvinistisches Freiheitsverständnis des noch 21-Jährigen! Doch nur zu berechtigt war Friedrichs Wunsch, eine geistig und seelisch ebenbürtige Gesprächspartnerin zur Frau zu bekommen!

In der glücklichen Lage war Voltaire.

Seine Lebensgefährtin Èmilie du Châtelet war Physikerin, Philosophin und Freidenkerin.

Wie selten dergleichen Frauen sind!

bedauert Friedrich 1737 in einem Brief an Voltaire und meint:

Europa zählt sie zu den größten Männern.(!)

Dieses herabsetzende Lob diktiert ihm seine männliche Überheblichkeit in die Feder ebenso wie in einem andern Brief an Voltaire seine süffisanten Bemerkungen bezüglich der Marquise du Châtelet:

Ich höre gern, daß eine Dame so weit Herr ihrer Leidenschaften ist, daß sie all ihre Liebhabereien zugunsten ihrer Pflichten aufgibt … [oder:] Wie nützlich die schöne Literatur doch der Gesellschaft ist … sie gefällt sogar den Frauen …

Wenn er die Frauen und Mädchen bei seinen Überlegungen auch zu allermeist überhaupt nicht auf der Rechnung hat, zeigt er doch – äußerst selten zwar – hin und wieder, daß auch das weibliche Geschlecht ein Recht auf Bildung und Geistesfreiheit hat:

Ein Mädchen kann sich mit weiblichen Arbeiten, mit Musik, ja mit Tanzen unterhalten. Vor allem aber trachte man danach, ihren Geist zu bilden, ihr Geschmack für gute Werke beizubringen, durch die Lektüre ernster Dinge ihr Urteil zu üben und ihren Geist zu nähren. Sie soll sich nicht schämen, in der Wirtschaft Bescheid zu wissen. (!)

Kein allzu großer Wurf! Aber – waren wir vielleicht in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts schon weiter? Um so höher zu achten ist es, wenn der 57-jährige Friedrich 200 Jahre früher, im Jahre 1769, gereift nach schweren Lebensstürmen, inmitten seiner rasanten und überaus umfangreichen Aufbauarbeiten nach dem Siebenjährigen Krieg schreibt:

… ich war oft empört bei dem Gedanken, wie gering man in Europa diese Hälfte des Menschengeschlechtes schätzt. Das geht so weit, daß man alles vernachlässigt, was ihren Verstand ausbilden kann. Es gibt so viele Frauen, die den Männern nicht nachstehen! Es gibt in unserem Jahrhundert große Fürstinnen, die ihre Vorgänger weit überragen … Männlichere, kraftvollere Erziehung würde dem weiblichen Geschlecht das Übergewicht über das unsere verleihen …

Welch ein Sinneswandel! Als Maria Theresia, seine große Habsburger Kriegsgegnerin, 1780 stirbt, schreibt Friedrich der Große:

Ich habe den Tod der Kaiserin-Königin bedauert. Sie hat ihrem Thron und ihrem Geschlechte Ehre gemacht. Ich habe mit ihr Krieg geführt, aber nie war ich ihr Feind.

In Kriegszeiten hatte er sie allerdings gemeinsam mit seinen beiden anderen Gegnerinnen, der Zarin Elisabeth und der wahren Herrscherin hinter dem französischen Thron Ludwigs XV., Madame de Pompadour, als „Unterrock“ verächtlich gemacht. In seiner damaligen Zwangslage, allein gegen alle europäischen Mächte sich jahrelang mit zahlenmäßig weit unterlegenen Kräften behaupten zu müssen, konnten ihm schon mal solche Ausrutscher unterkommen. Sie seien ihm verziehen!

Verzeihen?

Voltaire meinte:

Toleranz ist die schönste Gabe der Menschlichkeit. Wir alle sind voller Schwächen und Irrtümer. Also vergeben wir uns gegenseitig unsere Torheiten! Das ist das erste Gebot der Natur.

Und diese Einstellung begeisterte auch Friedrich den Großen:

Das hieße Plato träumen, verlangte man von den Menschen Vollkommenheit, wo ihr Wesen nur ein Gemisch von Schwächen und Jämmerlichkeiten ist.

Wie sollte man da nicht Verständnis aufbringen, zumal man selbst bei wachsender Reife auch seine eigenen Fehler immer deutlicher erkennt. Allerdings Verständnis und Verzeihen sind zweierlei. Toleranz braucht Grenzen. Mathilde Ludendorff bringt im dichterischen Teil ihres Triumph des Unsterblichkeitwillens eine andere Sicht auf die christliche Forderung des immerwährenden Verzeihens und auf die in Wirklichkeit vorhandene und entfaltbare Seelenkraft des einzelnen Menschen:

Langmütig und freundlich ist Liebe,
Doch darf sie nicht freveln an andern Wünschen des Gottes [gemeint ist das göttliche Wesen in uns]!
… Es trägt nicht alles der göttliche Stolz …
Des Krischna … so furchtbar Gebot
Vom immer bereiten Verzeihen der Menschen …
Es hielt die Menschen tief unten
In ach so genügsamer Schwäche.
Es kriechen in Scharen zu Tode die vielen
Im täglichen Austausch von Schuld und Verzeihen
Und nennen dies jammervoll klägliche Dasein:
„Nur Mensch sein mit menschlichen Schwächen.“
… trage auf starken, göttlich unbeugsamen Schultern
Der vollen Verantwortung stolze, doch schwere Bürde
Für all’ deine Worte und all dein Tun.

Dagegen sagt der Philosoph von Sanssouci:

Man muß sich beständig erinnern, daß in der Welt nichts vollkommen und daß Irrtum und Schwachheit das Erbteil aller Menschen sei. Dasjenige Land ist am allerglücklichsten, wo eine wechselseitige Nachsicht des Herrn und der Untertanen über die Gesellschaft jene Milde ausgießt, ohne welche das Leben eine beschwerliche Last und die Welt ein Jammertal wird, anstatt eines Schauplatzes des Vergnügens ist.

Friedrich verabscheute zwar die christliche Religion, die Bergpredigt Jesu aber nahm er davon ausdrücklich aus.

Mathilde Ludendorff setzte auf Würde und auf Verantwortung des Einzelnen für sein Tun und Lassen, was jedoch nicht bedeutete, daß sie nicht dem Verstehen und der Menschenliebe hohen Wert beimaß. War sie es doch, die den Sinn der menschlichen Unvollkommenheit erkannt hatte, mit der jeder Mensch in die sonst vollkommene Schöpfung hineingeboren wird. Diese Unvollkommenheit zu ermöglichen, nennt die Philosophin das „Große Wagnis der Schöpfung“, so der Titel eines ihrer Spätwerke. Die Unvollkommenheit des menschlichen Selbsterhaltungswillens ermöglicht dem Menschen die schöpferisch freie seelische Entscheidung für oder gegen gottgeeintes Sein. Dies kann nur absichtslos in Freiheit geschehen, spontan „wie Gott selbst“, dessen Wesen Freiheit ist. (M. L.).

Wenn Friedrich philosophiert, verläßt er sich allein auf die reine Vernunft, die ratio, erkennt aber ihre Unzulänglichkeit:

Die Hälfte unseres Lebens bringen wir damit zu, die Irrtümer unserer Vorfahren abzulegen; aber dennoch lassen wir immer die Wahrheit auf dem Grunde ihres Brunnens, aus dem sie auch die Nachwelt mit allen ihren Bemühungen nicht herausziehen wird.

Aus seiner schlechten Erfahrung heraus glaubt er nicht an eine mögliche Gotterkenntnis in der Zukunft, wie Mathilde Ludendorff sie dann doch gegeben hat, und fragt sich:

… könnte es nicht sein, daß die Weltweisen sich sämtlich täuschten? Ich kenne so viele Systeme, als es Philosophen gibt … Die Metaphysik … stellt für mich nur ein unermeßliches Meer dar, das wegen zahlreicher Schiffbrüche berüchtigt ist. Die Metaphysik gleicht einem Scharlatan; sie verspricht viel, aber durch die bloße Erfahrung werden wir belehrt, daß sie nichts hält.

Er nimmt vorerst mit dem vorlieb, was ihn das Wahrscheinlichste dünkt. Er glaubt an die Prädestination, die Vorherbestimmung des Menschen und des gesamten Geschehens im Weltall durch die „Vorsehung“. Und wir lernen hier die Begrenztheit auch dieses Philosophen kennen. Friedrich sinnt über den Sinn seines Lebens und das des gesamten Weltalls nach und kommt dabei von selbst auf die Frage nach der göttlichen Schöpfungsmacht, die alles hervorgebracht hat und weiter beeinflußt, und hat dabei arg zu kämpfen mit seinen christlichen Eierschalen, die ihm trotz allen Freigeistes und trotz seines Hasses gegen die christliche Religion und ihren Dogmatismus hinter den Ohren verblieben sind:

Meine Vernunft sagt mir, daß Gott das allervollkommenste von allen Wesen ist. Mein Begriff von Gott ist der eines allmächtigen, allgütigen, unendlichen und im höchsten Grade vernunftbegabten Wesens. Ich behaupte, daß dieser Gott in allem durch die erhabensten Gründe geleitet werde und daß er stets nur das Vernünftigste und Konsequenteste tue. Das stößt in keiner Weise die Freiheit Gottes um; denn da Gott die Vernunft selber ist, so bedeutet der Ausspruch: er entschließe sich durch die Vernunft, ebensoviel als: er entscheide sich nach seinem Willen, was in diesem Sinne eigentlich nur ein Wortspiel ist. Zudem kann Gott seine eigenen Handlungen voraussehen, da sie bis in alle Unendlichkeit sich nach der Vortrefflichkeit seiner Attribute richten. Seine Handlungen tragen stets den Stempel der Vollkommenheit …

Worin soll nun die Freiheit Gottes bestehen, fragt man sich nach diesem Text. Friedrich sieht das unausweichlich Folgerichtige von Ursache und Wirkung in der Erscheinungswelt und damit deren Unfreiheit, und genau so, wie der Mensch von der Einsicht in vernünftige, zum Ziel führende Handlungsweisen geleitet sein kann, läßt sich das – von Friedrich als Übermensch vorgestellte – Vernunftwesen Gott von der Vernunft leiten. Die nach Meinung Friedrichs trotzdem und wenig logisch der „Vorsehung“ gegebene Freiheit mag die Freiheit sein, das Vernünftige anzuerkennen und zu befolgen. Mit göttlichem Schöpfertum hat das aber wenig zu tun.

Angeleitet von Mathilde Ludendorff

sehen wir das göttliche Schöpferische oder schöpferische Göttliche frei vom Zwang der Gesetzlichkeit von Ursache und Wirkung, frei von raum-zeitlichen Begrenzungen, es erhebt sich spontan und schafft spontan, von selbst, ursachlos. Das Wesen des Göttlichen ist Freiheit, schöpferische Freiheit, und die Gottheit – so gesehen – kann die Ergebnisse ihres Schaffens durchaus nicht voraussehen.

Hier hat Friedrich nicht den blassesten Schimmer von der göttlichen Freiheit des Schöpferischen. Er weiß aber, daß er hier nichts weiß:

Die metaphysischen Fragen gehen über mein Verstehen. Umsonst suchen wir das zu erraten, was unser Begriffsvermögen übersteigt, und in dieser Welt der Unwissenheit gilt die wahrscheinlichste Hypothese für das beste System.

Ihm fehlt noch die Kenntnis des Werkes Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft, worin der Philosoph deren Grenzen aufzeigt: Die Vernunft ist eine Fähigkeit, Raum, Zeit und Ursächlichkeit der Erscheinungen, der Dinge, zu erkennen. Für das Ding an sich, das göttliche Wesen der Erscheinung, ist sie blind. Friedrich aber setzt sie dafür ein und muß scheitern, wie vor ihm viele Metaphysiker gescheitert sind.

Das innerseelische Schauen, das ihm an sich nicht ganz fremd war, anerkannte er noch nicht als 2. wirkliche Erkenntnisfähigkeit des Menschen. Sie ermöglicht Gotterleben und -erkenntnis. Dies hätte er 175 Jahre später bei Mathilde Ludendorff lernen können, was ihm bei seiner Begabung vielleicht gar nicht schwer gefallen wäre. Es hätte ihn aus seinen krampfhaften Versuchen, das Göttliche zu beschreiben, erlösen können.

wird fortgesetzt

 

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