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Den folgenden Text kann man auch als Film sehen und hören.

Ich lade Euch herzlich ein

zu einem kleinen Spaziergang in die Welt der Philosophie

und möchte einmal auf eine Art von Philosophen aufmerksam machen, die lebendig, anschaulich, beseelt schreiben wie z. B. Mathilde Ludendorff.

Mathilde Ludendorff 1923

„Die Sprache der Schriften ist betont nichtphilosophisch, Fachtermini werden vermieden oder mit Übersetzung versehen“,[1] vermeldet Frank Schnoor 2001 in seiner Doktorarbeit über „Mathilde Ludendorff und das Christentum“.

Ganz recht: Ihre Sprache entspricht nicht der Norm, die in philosophischen Fachkreisen als die gültige hochangesehen ist. Dieser Norm entspricht seit zweieinhalb Jahrtausenden Nüchternheit, Unanschaulichkeit, theoretische Konstruktion, ja bloße Wortspielerei, kurz die Vorgehensweise des alles zerteilenden Logos, der grübelnden oder – wie Kant sagt – reinen Vernunft.

Auf ganz andere Weise ist tatsächlich Mathilde Ludendorff dazu gekommen, ihre Werke zu schreiben. Sie ist der „schauende Erkenntnistyp“, wie ihn die

 

Annegret Stopczyk

Philosophin Annegret Stopczyk

z. B. in Giordano Bruno sieht und darauf aufmerksam  macht, daß Bruno sich nicht als „Subjekt seiner Erkenntnisse (sah), er verstand sich nicht als Macher und Hervorbringer, sondern wie Parmenides als ein von Diana geführter Mann … Gleichzeitig präsentierte er sich nicht als Aktiver, wie es sich seit Aristoteles für einen Vernunftmann gehörte, sondern als passiver, schauender Erkenntnistyp.“[2]

Passivität gehört zu den für „weiblich“ und damit seit Aristoteles und seinen Lehrern Platon und Sokrates für minderwertig eingeschätzten Verhaltensweisen. Werfen wir also zuvor einen Blick sowohl auf Parmenides wie auf Bruno!

Der Vorsokratiker Parmenides von Elea[3] berichtet:

 

Parmenides von Elea (~- 515 -455)

„Die Stuten, die mich tragen, soweit mein Herz nur begehrt, geleiteten mich, seitdem sie mich auf den kundenreichen Weg der Göttin geführt … Auf diesem Weg ließ ich mich tragen; denn auf diesem trugen mich die verständnisreichen Stuten, indem sie den Wagen zogen, und Jungfrauen wiesen den Weg … zuvorkommend empfing mich die Göttin …:,Junger Mann, der du in Begleitung unsterblicher Wagenlenkerinnen mit den Stuten, die dich tragen, unser Haus erreicht hast, sei willkommen!’“

Parmenides ließ sich tragen und führen, noch dazu von weiblichen Kräften „auf kundenreichem Weg, der den wissenden Mann über alle Städte hin trägt“[4] zur Gottheit. Er kleidet sein erhabenes Erleben in mythische Sinnbilder.

Gleiches erfahren wir bei

Giordano Bruno,

Giordano Bruno (1548-1600; Bild: Wikipedia)

der die „Vorsokratiker“ lobt, die noch ganzheitlich und in den Bildern der alten Mythen dachten.

Bruno weist den „Sokratismus“ – wie er ihn nennt – zurück. Sokrates hatte den Zugang zur Weisheit der Mythen verloren und spottete über sie. Bruno lehnt den Dualismus Platons scharf ab und schilt die „Dürftigkeit“ des Übervaters moderner, bis heute vorherrschender Denkweise, nämlich die des Aristoteles, der – wie Bruno – findet – „niemals müde wird, das, was in Natur und Wirklichkeit ungesondert ist, im Verstande zu sondern.“[5]

Giordano Bruno beschreibt dies innerseelische Erleben, als allumfassend, anders als der alleszerteilende Logos, die reine Vernunft. Darüber hat Immanuel Kant ein ganzes Werk geschrieben, „Kritik der reinen Vernunft“. Diese Vernunft betrachtet die Einzelteile der dinglichen Welt in ihrer räumlich-zeitlich-ursächlichen Begrenztheit. Dazu ist sie hervorragend befähigt, denkt sie doch selbst einzig und allein nur in diesen Kategorien.

Darüber hinaus aber kann sie nicht denken. Mit der reinen Vernunft finden wir uns in unserer Welt der Dinge zurecht. Die Wesensschau ist der Vernunft verschlossen.

Wenn das Schauen in einem Menschen aber geschieht, dann – so Bruno – lebt er gleichsam göttlich in der Erhabenheit der Natur, „wo die Gottheit freier umgeht“– wie er sagt und weiter:

„So schaut er das Ganze wie ein Einziges und sieht nicht mehr durch Unterscheidung und Zählung, wie sie sich aus der Verschiedenheit der Sinne ergibt, durch die man wie durch Ritzen nur in verworrener Weise wahrnehmen kann.“

Hier treffen wir auf deutliche Parallelen des Erlebens Giordano Brunos zu dem der Philosophin Mathilde Ludendorff, die in ihrem Werk „Selbstschöpfung“ den Seelenwandel beschreibt, der sich in der Gott schauenden Seele vollzieht, ja, der Voraussetzung für Gotterkennen ist.[6]

 

Mathilde Ludendorff 1923

Dort heißt es:

„Gottesbewußtheit bedingt Einklang der Seele mit Gott…
Gottesbewußtheit bedingt Wahlverschmelzung mit Gott…
Gotteinheit aber bedingt Erlösung vom unvollkommenen Sein.“

Das „unvollkommene Sein“ – wie Mathilde Ludendorff es nennt – mit seinen „gewöhnlichen Begierden“ – wie Bruno sagt – ist die Folge des Selbsterhaltungswillens, der – wie Mathilde Ludendorff darlegt – im Menschen von der göttlich-vollkommenen Einheit des Alls abgesondert und ohne Rücksicht auf sie darauf aus ist, Lust zu häufen und Leid zu meiden.

Und wie Bruno bedient sich auch Mathilde Ludendorff eines Naturbildes, um die Erhabenheit des Gotterlebens zu versinnbildlichen:[7]

„Stille harret auf einsamer Höhe, lautlose Stille.
Das Schweigen lauschet mit uns auf nächtlich umdunkeltem Gipfel.
Ein heiliges Klingen hebt an, das Werdelied der vollkommenen Seele.“

In diesem „Werdelied“ führt Mathilde Ludendorff in ihrem Werk „Selbstschöpfung“ ähnlich dem Brunoschen Bild von den „Ritzen und Fenstern“ das Bild des Seelenkerkers vor Augen, aus dem sich die Seele selbst befreit, indem sie Steine aus den Mauern herausbricht und somit Licht und Luft hereinströmen läßt, bis ihr einst der Abflug ins Unendliche gelingt und sie der Mauern für immer ledig ist, die sie von der in Allem waltenden Gottheit getrennt haben. Bei Bruno „wirft“ die Seele „die trennenden Wände nieder“ und wird nun angesichts der ganzen Weite des Horizonts „ganz Auge“.

 

Steinberg am Rofan (Bild: hikeandbike.de)

Für Mathilde Ludendorff war das Hochgebirge seelische Heimat und zugleich Sinnbild menschlicher Seelenverfassungen. Dort auf dem Rofan, im Angesichte des Todes bei der Grablegung ihres Ehemannes Gustav Adolf v. Kemnitz, „kam jene seltsame Klarheit stärker denn je zuvor über mich, jene Überwachheit, wie sie in der Zukunft das große Schaffen der Werke meines Gotterkennens mir dann wieder und wieder schenkte.“ [8]

Die Gottschau – Mathilde Ludendorff bezeichnet sie auch als Überbewußtsein – läßt beide Philosophen zu Dichtern werden.

Die Gottschau – Mathilde Ludendorff bezeichnet sie auch als Überbewußtsein – läßt beide Philosophen zu Dichtern werden. Fernab von den leblos-abstrakten Gedankenkonstruktionen der Vernunft-Jünger unter den Philosophen ist ihre Sprache anschaulich.

Mathilde Ludendorff berichtet selbst über ihre Gedanken zur Sprache der Philosophie:[9]

 

Starnberger See (Bild: radiogong.de)

„Während die Wellen des Sees mir zu Füßen rauschten, lag ich jeden Tag am Strand … und schrieb ungestört nieder, was leise und dann lauter und immer herrlicher zu klingen begann. Ich … erkannte im Schreiben, daß es Dichtersprache wurde. Wie seltsam! Wenn ich zuvor bei Kant gelesen, wie er die Hoffnung aussprach, daß seine Erkenntnis wohl irgendwann einmal von einem Dichter in die gehobene Sprache der Dichtkunst gekleidet werde, da hatte ich ihm im Geiste geantwortet: Ach, lieber Kant, das hast du vergeblich erhofft, denn hier könnte nur der dichten, der das schöpferische Erleben der Erkenntnis gehabt hat.’“

Über das Erleben, das dem Beginnen mit dem Prosateil ihres ersten philosophischen Werkes vorausgegangen war, berichtet sie:

„Es waren nur wenige Tage vergangen, da ging ich von der Sprechstunde aus an den Kramerhang auf jenem Weg, den ich schon so manches Mal im Mondschein aufgesucht hatte, bis hin zu einem einsamen Waldplätzchen, das zwischen Tannen die erhabene Zugspitzgruppe freigab, und ließ des Erlebens Allgewalt, das ich in den Felsen jüngst gehabt, wieder über mich kommen … meine überwache Seele erlebte mit unbeschreiblicher, erhabener Schönheit und Kraft den Sinn des Lebens aller bewußten Seelen.“[10]

Wie hatte ich selbst, wie hatte Friedrich der Große über den Sinn des Lebens gegrübelt, vergeblich! Der Sinn des Lebens erschloß sich der reinen Vernunft nicht.

Mathilde Ludendorff „ließ des Erlebens Allgewalt wieder über“ sich „kommen“. Sie war nicht die „Macherin“, passiv ließ sie es über sich kommen.

Früher schon, Jahre vor Beginn ihres philosophischen Schaffens, war in ihr unversehens etwas entstanden, dessen Nichtvergehen sie sich wünschte, was man aber nicht aktiv herbeibefehlen kann:

„O diese köstliche Klarheit, dieses Überwachsein, möchte es doch nie mehr schwinden, so sehnte ich. Aber weiter, als zu der Gewißheit, daß sich hier der Weg zu den heiligen Rätseln öffnete, drang ich nicht, denn durch ,Nachdenken’ läßt sich diese leuchtende Klarheit nichts abringen!“[11]

Philosophen dieser Art „passen weder ins abendländische noch ins morgenländische oder asiatische Herrschaftssystem“, stellt Annegret Stop­czyk sehr richtig fest.

Erich Ludendorff konnte in der Lebensgemeinschaft mit seiner Frau, der Philosophin, beobachten:

„Es ging von meiner Frau die höchste Weihe aus, wenn sie in tiefster Empfindsamkeit oft in transzendentaler Schau die Werke gestaltete.“[12]

Dennoch steht bei ihrer Philosophie auch die Erkenntnisart der Vernunft Pate. Als Ärztin ist sie auch Naturwissenschaftlerin. Diese Verbindung von Naturerkenntnis und Wesensschau bringt die große allumfassende Weisheit, ihre Philosophie hervor, die sie selbst Gott-Erkenntnis nennt.

Das Wesen des Alls, das alles hervorgebracht hat und nun durchflutet und im Dasein erhält, benennt Mathilde Ludendorff mit dem Wort „Gott“. Dieses Wort war die ursprüngliche, germanische, vormosaische Bezeichnung für das Wesen der Welt.

 

Ausschnitt Rückseite der Ein-Dollar-Note (Bild: Wikimedia Commons)

Die mosaische Sichtweise benutzt dieses althochdeutsche Wort in einem gänzlich anderen Sinne, denn der mosaische Jahweh ist so wesensverschieden und weitab vom God, Guten, Göttlichen, daß mit dieser Übernahme des Begriffs das Wort „Gott“ für Freidenker verbrannt war.

Mathilde Ludendorff hat es in seiner ursprünglichen Bedeutung ihrem Volk wiedergegeben.

Damit nimmt Mathilde Ludendorff den Faden zu weiblicher Weisheit wieder auf, der vor 3000 Jahren begonnen hatte, mürbe zu werden, und um 400 v. u. Z. in Griechenland vollends abgerissen war, was sich mit Ausbreitung des Christentums in ganz Europa auswirken sollte.

Immer wieder und immer öfter ereignete sich in ihr „jene seltsame Klarheit, jene Überwachheit“, wie sie schreibt.

 

Diesem „schauenden Erkenntnistyp“ waren auch – wie sie schildert – die „gewaltigen Natureindrücke ganz wesentliche Voraussetzung zum Schaffen, die bei den Klettertouren bei manchem Versteigen im Fels, bei manchem Unwetter oder bei Skitouren durch Wettersturz unerwartete, manchmal allzu ernste Gefahren brachten“.

Sie „haben in mir seelische Kräfte geweckt, ohne die wohl mein Schaffen niemals wach geworden wäre.“

Auch hier wieder das Mit-sich-Geschehen-Lassen. „Es blieb in jenen Jahren nur bei einem Erwachen“, berichtet sie weiter. Der „unerbittliche Ernst der Naturgesetze“ habe sich aber in ihre Seele eingegraben, an denen sie bis dahin, wie ihr schien, „mit abgewendeten Augen singend vorübergezogen“ war.

Als weitere wichtige Voraussetzung empfand sie ihre „Eigenart, die mir in frühester Jugend schon Ereignisse bestimmter Art tief nachwirksam in der Seele machte, und die mich, mochte der persönliche Anteil an dem Ereignis auch noch so tief gehen, nicht an dem Persönlichen des Erlebnisses haften ließ. Ich nahm bald das tiefer liegende Allgemeine, das darunter erkennbar war, wahr und bereicherte meine Erfahrung daran.“[13]

„Als ich aber dann mit dem Schaffen begann“ – beschreibt sie das Schaffens-Geschehen –, „da wuchs mir wieder das Buch unter den Händen.

Hier ging ich nicht mehr von Beweisführungen durch Statistiken aus. Nein, von den Tatsachen der Entwicklungsgeschichte, von ihren Gesetzen … ging ich aus und erlebte nun weit mehr als in dem ersten Werke, wie reich die Intuition im Schaffen selbst in mir geweckt wurde und mich zu Erkenntnissen führte, die ich ebenso wenig wie ein Leser meines Buches zuvor gehabt hatte.

So fing schon hier jener seelische Zustand der Überwachheit im Schaffen an … Auch die Merkwürdigkeit, die sich in der Zukunft jedesmal wiederholte, zeigte sich hier schon, daß ich mich zu solchen Schaffensstunden nicht etwa vorbereiten, daß ich auch nicht etwa völlig verschont bleiben müßte von den Sorgen des Lebens, von den Alltagspflichten, von Arbeit in Fülle.

Nur anderes gab es damals und würde es auch zur Stunde noch geben, das mir Schaffen stören könnte: Häßliche Kleinlichkeit, schäbige Charakterzüge, Unfriede, der sich in meine nächste Umgebung drängt; die konnten das Schöpferlied der Seele manchmal verstummen machen.“[14]

Weitere Stellen aus ihren Lebenserinnerungen zeigen das passive Empfangen der Erkenntnis, zu der ein aktives Wollen niemals gelangen könnte. Gerade diese Tatsache ist die wichtigste Erkenntnis Mathilde Ludendorffs:

Nach unermeßlich langen Zeiten, die die Entwicklung der Erscheinungswelt benötigte, um ihr Ziel zu erreichen, das Großhirn des Menschen, ist mit dem darin enthaltenen Ich gleichzeitig die göttliche Freiheit in der Schöpfung wiedererlangt.

Die Erscheinungen sind räumlich und zeitlich begrenzt und den Gesetzen der Ursächlichkeit unterworfen, somit unfrei.

Im Ich des menschlichen Großhirns aber, der nun entstandenen „einzigen Stätte der Freiheit im All“[15] kann sich nun dieses Sich-Offenbaren des Göttlichen ereignen. Und es ereignet sich „ursachlos wie Gott selbst“.

Dieses Geschehen läßt sich nicht herbeiführen, weil das Göttliche sich nicht zwingen läßt. Zwang wäre Verursachung. Das Göttliche bleibt verhüllt. Eine versuchte Verursachung göttlichen Erlebens ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Daher bringt allein der „schauende Erkenntnistyp“ die Voraussetzungen mit, der Wahrheit des Göttlichen ins Antlitz zu schauen. Der „schauende Erkenntnistyp“ weiß dann, wovon er spricht.

Sein passives Sich-ereignen-lassen-Können ist die einzige Möglichkeit, zur Göttin Sophia, zur Weisheit zu gelangen. Wer über das Göttliche Wahrheit berichten will, braucht ihr Erschauen. Denn, wie schon Kant feststellte, ist Erkenntnis nur à posteriori, nach Anschauung, möglich. Alles andere wäre Spekulation.

Der Vernunft ist das Göttliche verschlossen. Wenn sie über es Aussagen machen möchte, so bleiben ihr lediglich Vermutungen. Ihr fehlt die Anschauung von dem, worüber sie spricht.

 

Bild: welt.de

So verdankt Mathilde Ludendorffs einzigartiges Werk „Schöpfungsgeschichte“ sein Entstehen dem Umstand, daß sie sich „in wunderbaren Sommersternennächten“, wie sie schreibt, „diesem köstlichen Schaffen hingeben“ durfte, das „ja ausschließlich aus dem Wesen der Schöpfung geboren, einer Mitarbeit der Vernunfterkenntnis nicht bedurfte … Was hier erschaut wurde, war jenseits der Grenzen der [Vernunft-]Erkenntnis.“

„… in dieser heiligen Pracht“ lebte sie da, „in dieser gewaltigen unermeßlichen Welt der kreisenden Gestirne, wie ich einst in den Seelen der unsterblichen Einzeller gelebt hatte.“ Sie taucht ein in die Erscheinungen und erlebt sie in ihrem Wesen.

„Wie selbstverständlich ward mir da die Wahrheit“ – auch hier läßt sie Erkennen geschehen, die Wahrheit „ward“ ihr:

„Wer die Rätsel der Menschenseele als Wille enthüllen will, der muß den gewaltigen Weg der Entwicklung hin zur Bewußtheit … von Urbeginn an schreiten …

Ich werde zurückschreiten bis hin zu den stumm kreisenden Urwelten … werde mit diesen Milliarden glutender Sonnen eins werden … werde dann weitere Zeiträume zurückschreiten bis zur ersten Erscheinung des Weltalls, um zu erleben, welcher göttliche Wille jeweils als Kraft Erscheinung wurde, die zum fernen Ziel hinführte.“

In einer der folgenden Nächte „kam das Erhabenste: Es kam in dieser Nacht das Erschauen des Schwindens des Weltalls in seiner stillen Feierlichkeit, in seiner Einfachheit und seiner großartigen Unerbittlichkeit … sinnvolle Verhüllung göttlichen Willens … Heimkehr in das Jenseits, Heimkehr der Seelen, Heimkehr der Stoffe des Alls, Lösung von aller Verwebung an die Formen des Seins.“

„Nach dieser Nacht mußte ich mir eine Woche Ruhe lassen, zu Kräften zu kommen und das Durchlebte abklingen zu lassen, ehe ich es wagen durfte, dies Schwinden des Alls in Worte zu fassen.

Und doch ergriff mich nach dieser Woche die Niederschrift noch so tief, daß meine Freundin, die ins Zimmer trat, sichtlich über mein Aussehen erschrak; ich winkte ihr ab – war noch eine Stunde schweigsam bei meinem Werke – und mußte dann noch das Weiterleben lernen!“[16]

Wen wundert es, wenn dies Erleben und Gotterkennen von den meisten Menschen nicht nachvollzogen werden kann? Mathilde Ludendorff wollte ihre Gotterkenntnis in Worte fassen, „die auch fernsten Geschlechtern ein Gleichnis des Erlebens sein“ konnten. „Ja, fernsten Geschlechtern; an sie nur dachte ich dabei!“

 

Mathilde Ludendorff

Mit der Veröffentlichung ihr Innerstes damit preiszugeben, war ihr zunächst ein unerträglicher Gedanke. Dann aber wurde ihr klar, daß sie ihr Werk einer ihr „wohltuenden Gleichgültigkeit der Millionen“ gäbe, einem „schmerzenden Mißverstehen der Tausende, der erkennenden Aufnahme der Hunderte und dem seltenen kongenialen Miterleben Einzelner … Jedes Kulturwerk trägt seine Hüllen um sich, die nur der durchdringt, der sie auch getrost durchdringen mag.“[17]

______________________________

Anmerkungen

[1] Frank Schnoor, Mathilde Ludendorff und das Christentum, Dissertation, bei der theologischen Fakultät der Universität Kiel eingereicht und für den Druck überarbeitet, Dr. Hänsel-Hohenhausen, 2001, S. 54
[2] Annegret Stopczyk, Sophias Leib, Entfesselung der Weisheit, Heidelberg 1998, S. 267-268 seine Lebenszeit wird aus widersprüchlichen Berichten errechnet: entweder von 540 bis 470 oder von 515 bis 445 v. u. Z.
[4] Geoffrey S. Kirk, John E. Raven, Malcolm Schofield, Die vorsokratischen Philosophen, Stuttgart/Weimar 2001, S. 267
[5] Giordano Bruno, Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen, Hamburg 1993, S. 41
[6] Mathilde Ludendorff, Selbstschöpfung (Erstauflage 1923), München 1941, S. 278
[7] ebd., S. 66
[8] Mathilde Ludendorff, Lebenserinnerungen, Band 2, Durch Forschen und Schicksal zum Sinn des Lebens, München 1937, S. 296
[9] Mathilde Ludendorff, Lebenserinnerungen, Band 3, Erkenntnis – Erlösung, Pähl 1960, S. 161-162
[10] ebd., S. 98
[11] Lebenserinnerungen, Band 2, a. a. O., S. 71
[12] Erich Ludendorff, Mathilde Ludendorff – ihr Werk und Wirken, Erstauflage 1937, Pähl 1960, S. 68
[13] ebd., Band 3, S. 30
[14] ebd., S. 53 ff.
[15] Mathilde Ludendorff, Des Menschen Seele, München 1941, S. 44
[16] ebd., Band 4, S. 83 ff.
[17] ebd., Band 3, S. 102

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