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Wie das Volk sich selbst half und einen wunderschönen Dorfladen in Altenburg schuf

Ein gütiges Schicksal hat mich vom norddeutschen Landkreis Lüchow-Dannenberg – Gemeinde Gartow -, in dem ich mich sehr wohlfühlte, in den tiefsten Süden Deutschlands geführt: nach Altenburg (Gemeinde Jestetten) im Landkreis Waldshut, wo ich mich wiederum sehr wohlfühle.

Beide Gemeinden – Gartow und Altenburg – haben so manches gemeinsam:

    1. Sie liegen umgeben von einer Grenze: Gartow zwischen Niedersachsen und den (ehemaligen DDR-)Ländern Brandenburg und Sachsen-Anhalt; Altenburg zwischen Deutschland (Baden-Württemberg) und der Schweiz (Kanton Schaffhausen und Kanton Zürich).
    2. In beider Nähe ist ein atomares Endlager geplant: Gorleben bei Gartow; Benken (Kanton Zürich) gegenüber Altenburg
    3. In beiden leben – von Alters her bis auf den heutigen Tag – Menschen mit Ideen und Tatkraft zum eigenständigen Gestalten des Lebens in der Gemeinde.

    Das am äußersten Ende des “Jestetter Zipfels” gelegene Altenburg gehört heute zur Gemeinde Jestetten. Es verfügt noch über eine Grundschule, einen Kindergarten und einen Blumenladen, und außer der katholischen Kirche hatte Altenburg bis vor kurzem in seiner Infrastruktur nichts weiter mehr zu bieten, nachdem Edeka die Altenburger Filiale aufgegeben hatte. Wer jetzt – außer Blumen – etwas einkaufen wollte, mußte sich nach Jestetten aufmachen.

    Doch die Altenburger kannte nicht, wer glaubte, daß sie es bei diesem Mangel beließen. Sehr bald hatten gescheite Leute einschließlich Bürgermeisterin Ira Sattler eine Dorfversammlung fachkundig vorbereitet und einberaumt. 200 Personen erschienen, berieten sich miteinander und beschlossen, eine Genossenschaft zu gründen, die den ehemaligen Edeka-Laden zu einem

    Dorfladen Altenburg

    umgestalten und betreiben sollte. Und so geschah es.

    selbst ein Gemälde an der Außenwand durfte nicht fehlen

    Bis heute haben sich 279 Menschen als Genossenschaftsmitglieder eingetragen und ihren Beitrag eingezahlt. Innerhalb von 8 Wochen wurden Vorstand und Aufsichtsrat gebildet, verwaltungstechnisch alles auf die Reihe gebracht, Zulieferer und Verkaufspersonal gefunden, wurde umgebaut, frisch gestrichen, neu eingerichtet, dekoriert, das Einweihungsfest organisiert und am 29. Juni bei strömendem Regen und dennoch bester Laune von Jung und Alt gefeiert.

    vorne Verkäuferin Bächle-Tröller, links Verwaltungsfachmann Meyer

    Alles hatte pünktlich geklappt. Viele, viele Helfer und Helferinnen hatten in ehrenamtlicher, in der Freizeit erbrachter, dennoch professioneller Arbeit angepackt, getragen von Gemeinschaftsgefühl und ungetrübter Schaffensfreude. Es gab keinen Mißton und keinen Mißmut.

     

    vorne Aufsichtsrats-Vorsitzerin Binkert, hinten Vorstands-Vorsitzerin Bär

    Vorstands-Vorsitzende Daniela Bär berichtet z. B.:

    Ich hatte an der Arbeit für den Dorfladen so eine Freudigkeit in mir, daß ich nach meiner Arbeit im Beruf gar nicht schnell genug zum Laden eilen konnte, um dort die Arbeit weiter voranzubringen.

    geschenkter Tisch mit Kreuzstichdecke und geschenkten Stühlen

    an der Kasse mit Blick in den Laden

    Diese Beschwingtheit ist im Dorfladen weiterhin zu spüren. Daher trifft man stets etliche Leute im Laden an, die sich aus dem durchdachten und vielseitigen Angebot etwas aussuchen und freundliche Worte miteinander austauschen oder sich gar zum Plausch an die schöne Sitzgruppe setzen.

    geschenkter, schön restaurierter Schrank mit Borten und Schubladen

    Gemüseabteilung, die freundliche Verkäuferin eilt zu Hilfe

    der Laden von außen, es fehlen noch die neuen Fensterscheiben mit Zugang zu einem Geldautomaten der Volksbank Jestetten

    das Gegenüber: der Dorfplatz von Altenburg

    Die Altenburger haben mit ihrem Werk ein Beispiel gegeben, an dem zu sehen ist, wie die Menschen

    • trotz – von anonymen Wirtschaftsmächten herbeigeführten – Weltwirtschaftskrisen,
    • trotz Einebnung und Überdehnung, somit Anonymisierung ihrer Lebensräume,
    • trotz aller Fremdbestimmung ihrer Verhältnisse,
    • trotz Anonymisierung in Massen-Einrichtungen wie Supermärkten,
    • trotz des allgemein zu verzeichnenden Zuges weg von überschaubaren Gemeinschaften hin zu Großräumen und Vermassung …

    sich Nischen schaffen, in denen sie sich heimisch und geborgen fühlen und die sie selbst ausgestalten können.

    So läßt sich am Beispiel Altenburg eigentlich recht zuversichtlich in die Zukunft blicken. Denn in ganz Deutschland gibt es ja ähnliche Bestrebungen zu überschaubaren Verhältnissen und Schaffung von Möglichkeiten zu eigenständiger Lebensgestaltung. Und es gibt sie noch, die alten Familienbetriebe, siehe u. a. den Adelinde-Bericht über die Gärtnerei Horstmann in Gartow.

    Altenburg ist ein liebenswerter Ort, in dem es die Bewohner nicht nur verstehen, erfolgreich gemeinsam zu arbeiten, sondern auch zu feiern – wie am Eröffnungstag ihres Dorfladens so auch z. B. alljährlich bei der allemannischen Fasnet (siehe Bild ganz unten).

    Kinder haben in dem verkehrsruhigen Ort viel Bewegungsfreiheit, und man läßt ihnen auch die Freude an harmlosem Spaß mitten in der Ortschaft.

    In Altenburg können Kinder fröhlich aufwachsen und Ältere sich beispielsweise im neu erstandenden Dorfladen miteinander austauschen.

    Diese Großzügigkeit, Gelassenheit und freundliche Zugewandtheit der Menschen zueinander in Altenburg spiegelt sich eben auch in ihrem Dorfladen wieder.

    Altenburg – ein Dorf (beinahe) wie es sein sollte.

    Fastnacht in Altenburg

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