Schiller und “Die Horen”

Schiller als Regimentsarzt

Schiller als Regimentarzt 1781-82 (Philipp Friedrich Hetsch)

Schiller ist 35 Jahre alt, als er 1794 – also mitten in der Französischen Revolution – eine neue, seine Zeitschrift “Die Horen” herausgibt. In deren

Ankündigung

betont er:

Zu einer Zeit, wo das nahe Geräusch des Kriegs das Vaterland ängstiget, wo der Kampf politischer Meinungen und Interessen diesen Krieg beinahe in jedem Zirkel erneuert und nur allzuoft Musen und Grazien daraus verscheucht, wo weder in den Gesprächen noch in den Schriften des Tages vor diesem allverfolgenden Dämon der Staatskritik Rettung ist, möchte es ebenso gewagt als verdienstlich sein, den so sehr zerstreuten Leser zu einer Unterhaltung von ganz entgegengesetzter Art einzuladen.

Das ist auch das Anliegen des Adelinde-Gesprächs, über die Tagespolitik hinaus das Höhere, Bessere, Schöne, Lebenerhaltende zu betrachten, zumindest nicht aus den Augen zu verlieren. Schiller strebt an, dem Bedürfnis der Menschen in schwerer Zeit gerecht zu werden,

durch ein allgemeines und höheres Interesse an dem, was rein menschlich und über allen Einfluß der Zeiten erhaben ist, sie wieder in Freiheit zu setzen und die politisch geteilte Welt unter der Fahne der Wahrheit und Schönheit wieder zu vereinigen.

Schillerkopf

Schiller (aus einem Gemälde von Ludovike Simanowiz)

Schiller will die Menschen, die durch das Trommelfeuer bedrohlicher Nachrichten niedergeschlagen sind, über den Alltag erheben und ihre Gemüter aufhellen. Mit seiner neuen Zeitschrift will er

zu dem Ideale veredelter Menschheit … einzelne Züge sammeln und an dem stillen Bau beßrer Begriffe, reinerer Grundsätze und edlerer Sitten, von dem zuletzt alle wahre Verbesserung des gesellschaftlichen Zustandes abhängt, nach Vermögen geschäftig sein.

Er verfolgt gemeinsam mit seinen – namhaften – Mitarbeitern (wie Fichte, Gleim, Goethe, Herder, Hufeland, Gebrüder Humboldt u. v. a. m.)

dieses einige Ziel …, die Humanität zu befördern.

Dazu gehören für ihn

die Schönheit zur Vermittlerin der Wahrheit zu machen und durch die Wahrheit der Schönheit ein daurendes Fundament und eine höhere Würde zu geben.

Er will Ergebnisse der Wissenschaft in leichtverständlicher Form darbieten, um zur Bildung breiterer Volkskreise beizutragen.

Wohlanständigkeit und Ordnung, Gerechtigkeit und Friede werden also der Geist und die Regel dieser Zeitschrift sein; die drei schwesterlichen Horen Eunomia, Dike und Irene, werden sie regieren.

In diesen Göttergestalten verehrte der Grieche die welterhaltende Ordnung, aus der alles Gute fließt, und die in dem gleichförmigen Rhythmus des Sonnenlaufs ihr treffendstes Sinnbild findet.

Die Fabel macht sie zu Töchtern der Themis und des Zeus, des Gesetzes und der Macht; des nämlichen Gesetzes, das in der Körperwelt über den Wechsel der Jahreszeiten waltet und die Harmonie in der Geisterwelt erhält.

Venus von Milo, 100 v. Chr. (Wiki)

Venus von Milo, 100 v. Chr. (Wiki)

In seiner Liebe zur griechischen Götterwelt, in seinem tiefen Verständnis ihrer Sinnbildlichkeit erklärt er, wie die Horen die Schönheit in Person, Venus, gleich bei deren Geburt in Empfang nahmen:

eine reizende Dichtung, durch welche angedeutet wird, daß das Schöne schon in seiner Geburt sich unter Regeln fügen muß und nur durch Gesetzmäßigkeit würdig werden kann, einen Platz im Olymp, Unsterblichkeit und einen moralischen Wert zu erhalten.

In leichten Tänzen umkreisen diese Göttinnen die Welt, öffnen und schließen den Olymp und schirren die Sonnenpferde an, das belebende Licht durch die Schöpfung zu versenden. Man sieht sie im Gefolge der Huldgöttinnen und in dem Dienst der Königin des Himmels, weil Anmut und Ordnung, Wohlanständigkeit und Würde unzertrennlich sind.

Somit hat er seiner Zeitschrift einen

ehrenvollen Namen

gegeben und ist zuversichtlich, daß die Zeitschrift sich dessen stets würdig erweisen werde.

Thomas Mann

warnt in seiner Rede, die er 1955 im geteilten Deutschland sowohl in Stuttgart wie in Weimar zum 150. Todestag Schillers – ein Jahr vor seinem eigenen Tod – gehalten hat und die heute als “Versuch über Schiller” im Silberburg-Verlag erhältlich ist:

Buch Thomas MannHüten wir uns nur, solche Vorsätze schwächlich-ästhetizistisch zu nennen … Arbeit am Geist der Nation, ihrer Moral und Bildung, ihrer seelischen Freiheit, ihrem intellektuellen Niveau … Arbeit an der Menschheit, welcher man Anstand und Ordnung, Gerechtigkeit und Friede wünscht statt gegenseitiger Anschwärzung, verwilderter Lüge und speiendem Haß, – das ist nicht Flucht aus der Wirklichkeit ins Müßig-Schöne, es ist bewahrender Dienst am Leben, der Wille, es zu heilen von Angst und Haß durch seelische Befreiung.

Mann erinnert daran, daß Schiller schon in seinem Helden, dem Marquis Posa, das Herz

der ganzen Menschheit schlug, der Welt und allen kommenden Geschlechtern.

Und er zitiert Schiller, der das nationalistische

vaterländische Interesse

für unreif hält und so auch als Philosoph eine solche Einengung ablehnt:

Es ist ein armseliges kleinliches Ideal, für eine Nation zu schreiben; einem philosophischen Geist ist diese Grenze durchaus unerträglich. Dieser kann bei einer so wandelbaren, zufälligen und willkürlichen Form der Menschheit, bei einem Fragmente (und was ist die wichtigste Nation anders?) nicht still stehen; er kann sich nicht weiter dafür erwärmen, als soweit ihm diese Nation oder National-Begebenheit als Bedingung für den Fortschritt der Gattung wichtig ist.

DBP_1956_237_Thomas_MannAngesichts des Wettrüstens der geteilten Menschenwelt sieht Mann – seinerzeit 1955 – die Menschheit auf ihren Tiefpunkt zusteuern:

Wut und Angst, abergläubischer Haß, panischer Schrecken und wilde Verfolgungssucht beherrschen eine Menschheit, welcher der kosmische Raum gerade recht ist, strategische Basen darin anzulegen, und die die Sonnenkraft äfft, um Vernichtungswaffen frevlerisch daraus herzustellen.

Mehr denn je sehen wir heutzutage gewissenloses Gelddenken in Verbindung mit einer alles beherrschenden mechanistischen Macher-Gesinnung am laufenden Band Ängste, Todesängste schüren, um daraus Kapital zu schlagen, ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Erde und ihrer Geschöpfe.

Schiller sah das kommen.

In seinem “Eleusischen Fest” klagt die Ceres:

Find’ ich so den Menschen wieder,
Dem wir unser Bild geliehn,
Dessen schöngestalte Glieder
Droben im Olympus blühn?
Gaben wir ihm zum Besitze
Nicht der Erde Götterschoß,
Und auf seinem Königsitze
Schweift er elend, heimatlos?

Wie Schiller sich aus dem Treiben ausklinken wollte mit seinen “Horen”, um dem Wettlauf der menschlichen Lemminge zum Abgrund die Besinnung auf den Sinn des Lebens entgegenzusetzen, so will auch das Adelinde-Gespräch zum Mut der Menschen beitragen, sich aus dem Getriebe der Manipulationen auszuklinken und ein kluges, selbstbestimmtes Leben zu führen und sich für

Wohlanständigkeit und Ordnung, Gerechtigkeit und Frieden

stark zu machen, wovon

zuletzt alle Verbesserung des gesellschaftlichen Zustandes abhängt.