Isis – die alleinige, all-einende Gottheit

Der Ägyptologe Prof. Jan Assmann

behauptet in seinem Buch

Assmann-Buch

– gestützt auf eine Reihe von Geschichtsforschern der Vergangenheit – angefangen von Rabbi Moses ben Maimon, genannt Maimonides, bis hin zu Friedrich Schiller -, Moses habe sich Echnaton zum Vorbild genommen, als er seinen Monotheismus verkündete, denn er sei ja in Ägypten aufgewachsen und erzogen worden.

Echnaton

– so nannte sich Nofretetes Gatte, der ägyptische Pharao Amenophis IV.  –  war wahrscheinlich wie seine Mutter und seine Gattin abgestoßen von der Vielgötterei, so daß er sie verbot, als er 1365 v. u. Z. sein Amt antrat.

Statt seiner vielen Götter und Göttinnen sollte das Volk von nun an einen einzigen Gott anbeten: die – männlich gedachte – Sonne, den Sonnengott Re, auch Aton genannt.

Dieser neue Gott hatte zwar keine menschliche, aber doch noch immer eine Gestalt. Die Altäre, Tempel und Bildnisse des alten Glaubens ließ Echnaton zerstören und untersagte dem Volk seine altüberkommenen Feste.

Der Monotheismus war geboren

– in Ägypten, von Ägyptern, nicht von Juden.

Der große Zionistenführer Nahum Goldmann – noch in Unkenntnis der Forschungen Assmanns – hat sich einmal sehr stolz über den Monotheismus als “Erfindung” des Judentums und Geschenk an die Menschheit geäußert. Somit komme den Juden das Verdienst zu, die Vielgötterei durch die “überlegene” Lehre von dem Einen Gott abgelöst zu haben. Denn der Hebräer Moses sei es gewesen, der die Gesetzestafeln von dem Eingott JHWH (Jahweh) empfangen habe, deren zwei erste Gebote lauten:

1. Du sollst keine Götter haben neben mir.
2. Du sollst dir kein Bildnis machen.

Diese Gebote hat auch Allah seinen Anhängern, den Moslems, gegeben. Auch sie sollen sich kein Bildnis von ihm machen. So habe Ibrahim mit Ismael in Mekka die schwarzflächige Kaaba errichtet, einen Ort der Gottesanbetung ohne Kultbildnis.

Das ägyptische Volk indes litt, und als Echnaton nach 16 Amtsjahren gestorben war, holte es sich das Verlorene zurück und vernichtete das Andenken an Echnaton und seine Gemahlin Nofretete beinahe restlos. Zurück blieb das Trauma einer religiösen Radikalität, wie sie bis dahin unbekannt gewesen war.

Assmann schält nun heraus, wie mit dem mosaischen JHWH gleichzeitig etwas völlig Neuartiges in den Bereich der Religion eingeführt wurde, nämlich

die “Unterscheidung in wahr und unwahr”:

Der Raum, der durch diese Unterscheidung zuallererst geschaffen wird, ist der Raum des jüdisch-christlich-islamischen Monotheismus,

schreibt Assmann. Daher nennt er diese Konstruktion die

mosaische Unterscheidung.

Israel trennt sich von Ägypten. Sein “Exodus”, der Auszug der Kinder Israels aus Ägypten, der geschichtlich nicht nachweisbar und daher nur als Symbol zu werten sei, sei der Ausdruck seiner Unterscheidung von den Anderen, erklärt Assmann. Israel als das Eine nahm Abstand vom Andern, und “Ägypten” galt ihm fortan als Name für das Andere, das Ausgegrenzte, Verworfene, Kranke, religiös Unwahre und wurde ihm zum Inbegriff des “Heidnischen”.

Nur die Juden sind Menschen, die Nichtjuden sind keine Menschen (Talmud, Kerithut 6b, Jebhammod 61a).

Das große Gesindel sind die Völker der Erde, sie sind finster und werden Nichtjuden genannt (Talmud, Sohar III. 125 a).

Die so verabscheute Vielgötterei der “Heiden”, “Primitiven”, “Unreinen” dagegen hatte eine solche Unterscheidung in wahr und unwahr bis dahin nicht gekannt. Ihre Gottheiten trugen zwar verschiedene Namen, die die jeweiligen Stämme und Völker ihnen verliehen hatten, aber in ihrem Wesen unterschieden sie sich ursprünglich von Volk zu Volk nicht. Ihre Gottheiten waren, wie Assmann in Übereinstimmung mit den Matriarchatsforscherinnen unserer Zeit betont,

international, weil sie kosmisch waren … niemand bestritt die Wirklichkeit fremder Götter und die Legitimität fremder Formen ihrer Verehrung. Den antiken Polytheismen war der Begriff einer unwahren Religion vollkommen fremd.

Die Religionswissenschaftlerin Gerda Weiler

hält wie Assmann fest, daß bis in die Jungsteinzeit hinein

Ma'at-Zeichen

die Religion der Himmelsgöttin tatsächlich eine Weltreligion der frühen Menschen gewesen ist,

eine Religion der alleinigen und all-einenden Gottheit, die aber mit verschiedenen Namen angerufen wurde. So trägt die Gottheit mit ägyptischem Namen Ma’at

 

Nefertari mit Federkrone wie Ma'at

nicht nur eine Straußenfeder auf dem Kopf – die Straußenfeder ist ihre Hieroglyphe, das heilige Erkennungszeichen ihrer ordnenden Macht. Ma’at ist das Hauptprinzip der Welt, dem der Pharao zeitlebens verpflichtet ist. In der Ma’at ist die prähistorische Vogelgöttin zur menschengestaltigen Göttin geworden. (Weiler)

Das Zeichen für die Gottheit mit dem Namen Isis ist der Thron.

Isis-Hieroglyphe

Oft ist die Gottheit mit dem Anch-Zeichen für Leben abgebildet. Das gleiche Sinnbild meint die Venus und das Weibliche schlechthin. Bei den Tuareg wurden Figürchen gefunden, denen das Anch-Zeichen zu Grunde liegt.

Anch-Zeichen

Tuareg-Zeichen

Die Himmelsgöttinnen breiten ihre Flügel aus und hüllen die Menschen, welche sie schützen wollen, wie in einen Mantel ein,

Hathor beschützt den Pharao

lesen wir bei Weiler und weiter:

In der ägyptischen Hochkultur sind es die Pharaonen, die von den Flügeln der Göttin beschattet werden.

Im Christentum erinnert der “Schutzengel” an sie.

Noch

Marc Aurel

läßt seinen Lucius von der Gottheit träumen:

Da bin ich, Lucius, durch dein Gebet gerührt, die Mutter der Natur, die Herrin aller Elemente, erstgeborenes Kind der Zeit, die Höchste der Gottheiten, Königin der Toten, Erste der Himmlischen, die alle Götter und Göttinnen in einer Erscheinung vereinigt … die alleinige Gottheit, welche unter mannigfacher Gestalt, verschiedenartigen Riten und vielerlei Namen der ganze Erdkreis verehrt, so nennen die Phrygier … mich Pessinuntia …, die Athener … nennen mich kekropische Athena, die Kyprier nennen mich paphische Venus, die Kreter Diktyna, die Sizilianer ortygische Proserpina; die Eleusinier nennen mich Demeter, andere Hera, wieder andere Bellona und Hekate und Rhamnusia. Aber die Äthiopier und die Ägypter, die die ursprüngliche Lehre besitzen, ehren mich mit eigenen Bräuchen und nennen mich mit meinem wahren Namen Königin Isis.

Die Germanen nannten die uranfängliche Gottheit Kleito, Jörd, Freia. Wir wissen nur so wenig von ihr, weil Ludwig der Fromme uns unsere Wurzeln gekappt hat, indem er alle vorchristliche Kultur unserer Altvorderen vernichtete.

Isis wird die “Zehntausendnamige” genannt,

hebt auch Assmann hervor,

sie ist der letztinstanzliche Referent aller Gottesnamen. Gott (hat) entweder alle oder gar keinen Namen, da er Eines und Alles ist.

Hier ist Isis zwar flugs zum Er geworden, das Sie, kaum aufgetaucht, ist schon wieder verschwunden, aber sonst stimmt Assmann mit Weiler und anderen Autoren überein. Doch

was trieb Moses

dazu, den grausam blutrünstigen, rachsüchtigen Herrschergott JHWH für seine Juden zu kreieren? Hatten sich die Israeliten doch

angesichts des höheren Alters und fortgeschritteneren Niveaus der ägyptischen Kultur … so vollständig den ägyptischen Riten und Sitten (angepaßt), daß es nicht möglich war, einen einzigen Unterschied in der Lebensform beider Völker herauszufinden,

schreibt Assmann und führt seinen Gewährsmann Spencer an, der die rabbinische Quelle zitiert,

die besagt, daß “wo immer die Israeliten in der Wüste haltmachten, sie damit anfingen, sich Götzen zu machen.” Die Götzen, die sie sich machten, waren ägyptisch. Der klarste Beweis ist das Goldene Kalb, das schon die alten Autoren … als Apis-Stier identifiziert hatten. Sie beteten zu dem Gott, den sie kannten, und nicht zu Mosis “unbekanntem Gott”.

Diesen Rückfall in die verbotene “Idolatrie”, die sog. Götzenanbetung, wollte JHWH unnachsichtig bestrafen, ließ sich aber durch Moses mit dem Hinweis auf “Abraham, Isaak und Israel” davon abbringen, das “halsstarrig Volk” zu “vertilgen”.

Also gereuete den HErrn das Übel, das er dräuete, seinem Volk zu tun. (2. Mose 32, 9-14)

Assmann fährt fort:

Begriff und Verabscheuung der Idolatrie wurden immer stärker im Lauf der jüdischen Geschichte.

Je später die Texte, desto stärker herausgearbeitet seien Abscheu und Spott, mit denen die Hebräer die Götzendiener überschütten. Im Psalm 115 zum Beispiel heißt es:

  1. Aber unser Gott ist im Himmel; er kann schaffen, was er will.
  2. Jener Götzen aber sind Silber und Gold, von Menschenhänden gemacht.
  3. Sie haben Mäuler und reden nicht; sie haben Augen und sehen nicht,
  4. sie haben Ohren und hören nicht; sie haben Nasen und riechen nicht,
  5. sie haben Hände und greifen nicht; Füße haben sie und gehen nicht; sie reden nicht durch ihren Hals.
  6. Die solche machen, sind ihnen gleich, und alle, die auf sie hoffen.
  7. Aber Israel hoffe auf den HErrn! … 11-15 … der HErr denkt an uns und segnet uns; er segnet das Haus Israel … Ihr seid die Gesegneten des HErrn …

Mosis Ein-Gott ist somit wie die sog. Götzen ein persönlicher Gott, nur unerreichbar weit außerhalb und keineswegs mehr liebend mit der irdischen Lebenswirklichkeit vereint, die nun zum Jammertal wird.

Das strenge Gebot

du sollst dir kein Bildnis machen!

wird zwar später von der katholischen Kirche übertreten,

Michelangelo, Erschaffung Adams

ist aber ein Anklang an die ursprüngliche Weisheit, die Menschen des Altertums aller Länder in ihren Mythen zum Ausdruck gebracht haben von der Schöpfungsmacht einer uranfänglichen Gottheit, die das Weltall mit seiner ganzen Mannigfaltigkeit der Lebensformen gebar, weiterhin durchdringt und in sich vereinigt, die dann aber in Bildnissen weiblicher Menschengestalten versinnbildlicht wurde.

Die katholische Mutter Gottes ist noch eine Erinnerung daran, wenn auch die Große Mutter zur Magd JHWHs herabgemindert wurde. Ihr Sohn ist zwar jetzt der “Gottessohn”, galt jedoch in der Antike als Sinnbild der Schöpfung, der Erscheinungswelt, die die Große Mutter als Schöpfungsmacht hervorgebracht hat. In ihrer Liebe zu ihrem Göttinsohn ist die Weltanschauung der antiken Menschen versinnbildlicht, die die Schöpfung noch nicht dual, sondern als Einheit mit der göttlichen Schöpfungsmacht sahen.

 

Matthias Grünewald, Stuppacher Madonna

Das Bild zeigt die verschleierte Isis und die Wissenschaft – die Gottheit als nicht meßbar dargestellt (Putte mit Zirkel), das heißt, sie ist mit der reinen Vernunft nicht erfaßbar. Denn das Göttliche ist ohne Raum, Zeit und Ursächlichkeit. Vergeblich sucht daher die Wissenschaft, den Schleier der Gottheit zu lüften. Deren Fußspuren im Erdboden sind das einzige, dem die messende Vernunft vielleicht ein Ahnen der Gottheit selbst abringen kann.

Das Göttliche erschließt sich der Menschenseele allenfalls spontan im Erleben.

Schiller – Beethoven

Die beiden Isis-Sprüche, die Schiller in seinem Werk Die Sendung Moses zitiert, hatte Beethoven sich abgeschrieben (nicht ganz exakt) und unter Glas gerahmt auf seinen Schreibtisch gestellt. Der erste Spruch – auf einer alten Bildsäule der Isis – lautet:

Ich bin, was da ist.

Der zweite Spruch – auf einer Pyramide zu Sais – heißt:

Ich bin alles, was ist, was war und was sein wird. Kein Sterblicher hat meinen Schleier aufgehoben.

 

Beethoven verkürzt

Isis-Spruch in der Handschrift Beethovens