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Sie liebte eine Frau

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Rudolf Lehmann, Eugenie Schumann 1871 im Alter von 20 Jahren

Eugenie Schumann

war die jüngste Tochter Clara und Robert Schumanns. Sie litt ein Leben lang unter dem Vergleich mit ihren genialen Eltern, denen sie mit ihrer immerhin auch beachtlichen Musikalität das Wasser nicht reichen konnte. Ein “lebenslanges Martyrium”, wie sie in ihren “Erinnerungen” gesteht.

Die auch von Brahms hochgeschätzte und geförderte, später berühmte Sängerin

Marie Fillunger,

genannt Fillu zur Unterscheidung von ihrer Namensschwester Marie Schumann, war im Hause Schumann liebevoll aufgenommen, bis sich herausstellte, daß sie sich unsterblich in Eugenie verliebt hatte, die ihre Liebe erwiderte.

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Marie Fillunger im Alter von 30 Jahren, aus: Eva Rieger, Mit 1000 Küssen Deine Fillu

Clara Schumann und ihre älteste Tochter Marie

ebenso wie Fillus Mutter mißbilligten das Verhältnis. Fillu entfernte sich selbst aus der Atmosphäre des Nicht-Verstehens, indem sie nach England ging, wo sie Triumphe feierte. Eugenie folgte ihr.

Die verdiente Musikwissenschaftlerin

Eva Rieger

führt in ihrem Buch “Mit 1000 Küssen Deine Fillu” (Köln 2002) aus:

Es hat mehrfach Mutmaßungen darüber gegeben, wie die erotischen Äußerungen von Frauen des 19. Jahrhunderts ihren Freundinnen gegenüber einzuordnen sind. In der kulturhistorischen Forschung glaubte man bis vor kurzem, daß die engen Frauenfreundschaften im 19. Jahrhundert weitgehend emotional und weniger sexuell begründet waren. Da den bürgerlichen Frauen eine angeblich angeborene Asexualität zugeschrieben wurde, verzichteten dieser Theorie zufolge auch lesbische Frauen auf die Ausübung der Sexualität.

Von daher hatte die prüde Gesellschaft nichts gegen enge Frauenfreundschaften, wenn der beschriebene Glaube auch mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmte. Die lesbischen Frauen hatten durchaus erotische Wünsche, die sie einander sicher oftmals besser erfüllten als es Frauen in heterosexuellen Ehen zuteil wurde, in denen die Art ihrer weiblichen Sexualität – wohl meist aus Unkenntnis – nicht berücksichtigt und überfahren wurde und zu der damals weit verbreiteten “Frigidität” der Frauen führte.

Was aber für homosexuelle Frauen im 19. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert hinein hauptsächlich ein gesellschaftliches Hindernis war, das war der allgemeine Standpunkt (Rieger):

Wer zu alt war und nicht mehr für eine Ehe in Frage kam, wurde als “alte Jungfer” belächelt – als eine Person, die niemals in den Genuß sexueller Befriedigung gekommen war und daher als verschroben und defizitär galt. Eine Verheiratung bedeutete demnach gesellschaftliche Anerkennung.

Fillu vermeidet in ihren Briefen an Eugenie intime Äußerungen. Aber freimütig bekennt sie sich zu ihrer Liebe und bringt sie auf vielfältige und zärtliche Weise zum Ausdruck.

Und Eugenie scheut sich nicht, in ihrem Buch “Erinnerungen” (Stuttgart 1925) von

meinem zweiten und bessern Teil, meiner Freundin, Marie Fillunger,

zu schreiben und zu erzählen:

Wir kamen uns schnell näher, und sie wurde mir eine lebenslang geliebte Freundin.

Und dann schwärmt sie von ihrer Liebsten:

Sie war ein Wesen ganz andrer Art, als sie bisher in mein Bereich gekommen waren. Gesunder Humor, ein Mutterwitz, der stets die größte Heiterkeit um sich verbreitete, echt österreichische Gutmütigkeit, dito etwas Leichtsinn, immer mit beiden Füßen im Leben stehend, sich überall heimisch machend, dabei sich stets selbst treu, unbekümmert um die Meinung der Welt, jedem Einfluß unzugänglich, alles, was norddeutsche Kultur war, energisch ablehnend, das war Marie Fillunger…

Die vergessene Musikschaffende

Marie Fillunger muß auf dem Gebiet des Gesangs eine so überragende Künstlerin gewesen sein wie etwa Clara Schumann auf dem des Klavierspiels. Eugenie berichtet, sie

sprach im tiefsten Alt, sang aber den herrlichsten Sopran, den ich je gehört. Joachim sagte einmal, ihre Stimme gehöre zu den seltenen, die einen sinnlichen Reiz hätten. … nie wieder habe ich eine Stimme von solchem Klangreiz gehört; auch war sie immer da; selbst wenn Fillu wochenlang nicht gesungen hatte, kam sie weich und voll, mit freiem Ansatz aus ihrer Kehle. Die Leichtigkeit, mit der sie die Sopranpartie in der Neunten Symphonie und im Schlußchor der Peri sang, war unvergleichlich; bis in die höchste Höhe hinauf blieb der Ton rund und seelenvoll. Vor kurzem noch schrieb man mir aus Deutschland, Fräulein Fillunger sei weder in der Neunten noch in der Peri je ersetzt worden.

Dazu, daß weibliches Musikschaffen wenig anerkannt wurde und unbekannt blieb, trug auch Fillu bei. Gerade in England gab es eine große Anzahl Komponistinnen, deren Vokalwerke sie nicht in ihr Repertoir aufnahm. Sie sang nur Werke der anerkannten “Götter”, vermutlich aus reinem Selbsterhaltungswillen. Denn mit Unbekannten waren keine “Blumentöpfe” zu gewinnen. So schließt sich der Teufelskreis.

Heute ist sie selbst mitsamt ihrer verwehten hohen Gesangskunst völlig vergessen. Denn wer liest schon die “Erinnerungen” ihrer geliebten Lebensgefährtin Eugenie Schumann!

 

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