Schicksale deutscher Frauen in der Sowjetunion nach 1945

Thomas Engelhardt

erinnert uns an die Leiden deutscher Frauen nach 1945, die nach Sibirien verschleppt wurden, um dort unter Bedingungen zu arbeiten, die auch für Männer nicht tragbar waren.

Mein Vater ist seit Januar 1944 in Rußland vermißt, und mein Wunsch ist es, daß er möglichst kurzfristig zu Tode gekommen sein möge und nicht das durch-machen mußte, was eine abgrundtiefe Bosheit deut-schen Menschen zufügte.

Da sie aber Deutsche waren und nach Ilja Ehrenburg nur als aus dem Leben zum Tode Gebrachte was wert waren, erinnert sich heute – auch unter Ein-wirkung einer Linken mit ihren gewalttätigen Schlä-gertrupps -, der Antifa – die „Welt“ nicht mehr ihrer Leiden.

Erinnerung an ihre Leiden erfahren die Priviligierten der Welt. Sie haben sogar mit ihrer Durchsetzung eines § 130 StGB dafür gesorgt, daß ihr Leiden als einzigartig und unhinterfragbar gilt. So sagt auch Thomas Engelhardt:

In der öffentlichen Diskussion über aus-ländische Zwangsarbeiter kommen sie nicht vor. So wenig wie ihre Fron in den Wäldern Sibiriens, in Tundra und Taiga, in Bergwer-ken, Fabriken und Kolchosen Rußlands.

„Man hat die Opfer von uns Frauen einfach vergessen“,

klagt Charlotte Kaufmann an.

Auf dem Höllenmarsch in die Lager des sowjetischen Gulag hungerten die Ver-schleppten, Durst peinigte sie.

„Wenn die Posten gute Laune hatten“,

erinnert sich Irmgard Reimann, 77,

„gabs mal einen Eimer mit Wasser. Viele starben auf dem Transport.“

Die damals 21-Jährige war den Soldaten, die sie zur Zwangsarbeit deportierten, am 14. Februar 1945 in die Hände gefallen.

Wie bei allen Kriegen, die Männer beginnen, trugen auch nach dem Zweiten Weltkrieg Frauen die bitterste Last.

„Wir waren wohl die Unschuldigsten an diesem furchtbaren Krieg, mußten aber die Kriegsschulden für das ganze deut-sche Vaterland bezahlen“,

meint Kaufmann, als Kind nach Karelien verschleppt.

So zahlten eine Million Frauen und Mädchen für den verlorenen Krieg:

„Als mir im Sommer 1948 eine Ver-dienstbescheinigung vorgelesen wurde, stand da, daß uns allen 20 Prozent unseres Lohnes als Kriegsschulden abgezogen wurden“,

berichtet die alte Dame. Resümee Kaufmanns:

„Als Hitler an die Macht kam, war ich fünf Jahre alt, als der Krieg ausbrach, noch keine zehn. Mit 16 Jahren ging ich in Ge-fangenschaft. Wo war meine persönliche Schuld?“

Mit vielen Ortsnamen der Straf- und Arbeitslager verbindet sich aller Schrecken, der nachwirkt bis heute: Kopeske und Tscheljabinsk östlich des Ural, Kemerowo in Sibirien, Petrosawodsk/Karelien und Tausende andere. Dort lebten sie, hungerten, malochten, und dort starben sie. Junge Frauen, Kinder – die jüngste unter 1000 Frauen und minderjährigen Mädchen im Straflager 517/Padosero war zwölf.

Zwangsarbeit bedeutete Schinderei. Die Frauen quälten sich mit Rodungsarbeiten, beim Straßenbau, in Sägewerken. Am Onegasee verlegten sie Gleise, erfroren beim Kanalbau am Eismeer und bei minus 40 Grad Celsius. Beim Betongießen rissen sie sich die Hände blutig, ätzten ihre Lungen in Kalk-brennereien. Im Donezbecken und jenseits des Ural zwang man sie unter Tage in die Kohlengruben.

Andere Arbeitslager erreichten die Gefan-genen auf offenen Waggons. Die 73-jährige Berta Sczepan erzählt:

„Die Bewacher tauschten unsere Essensrationen für Wodka ein.“

„Ich war all die Jahre im sibirischen Kohlenbergwerk unter Tage, acht bis zehn Stunden am Tag, und hatte kaum etwas zu essen“,

erinnert sich Margot Gerhard, 72, an ihr fünfjähriges Martyrium. Rotarmisten hatten die 16-Jährige Ende Januar 1945 im ost-preußischen Elbing gefangen.

Die Sowjets zwangen Frauen zu härtester Holzfällerarbeit:

„Schon der Fußmarsch zum Rodungsplatz bedeutete für uns eine unsagbare Stra-paze; die absolute Mangelernährung und die Ruhr haben uns sehr geschwächt“,

blickt Ursula Seiring, 76, zurück. Durchfall und Seuchen waren die Folgen. Anna Schlemminger, 80, als 24-Jährige an Ostern 1945 von Rotarmisten aus Ostpreußen verschleppt:

„Erst im Winter bekamen wir richtige Kleidung, wenn wir Schnee schippen und Holz sägen mußten.“

Meist zahlten die Peiniger den Lohn will-kürlich, regellos, vielfach gar nicht – und meist erst ab dem dritten Jahr der Gefan-genschaft. Irmgard Reimann berichtet von „mitunter für vier Wochen nur 200 Rubel“, für die Arbeit im Bergwerk. Davon wurde aller-dings „ein Betrag für die Unterkunft einbe-halten“. Obendrein mußten die Frauen ihre Verpflegung davon bezahlen, bei Preisen von zehn Rubel für einen Eimer Kartoffeln, für ein Marmeladeglas voller Milch vier Rubel, 1200 Gramm Brot für drei Rubel – und auch das noch gegen karg zugeteilte Brotmarken.

„Einmal haben wir nachts Kohlen aus einem Waggon geladen“,

entsinnt sich Martha Grüner, 73,

„dafür gab‘s 20 Rubel.“

Auch in Naturalien wurde entlohnt. „Bei erfüllter Norm“ für Bäumefällen am Eismeer erhielten Anna Schlemminger und ihre Mit-gefangenen 700 Gramm Brot. Blieben sie unter der vorgegebenen Leistung, mußten sie sich mit einem Pfund Brot und Wassersuppe begnügen.

Die überlebten, vergaßen nie. Ursula Seiring:

„Morgens 125 Gramm Brot und Tee, abends Wassersuppe. Danach suchen wir uns gegenseitig die Köpfe nach Läusen ab. Die Wanzen quälen uns alle sehr. Nachts ist täglich Antreten und Abzählen. Bei der hohen Todesziffer – 30 bis 40 Tote pro Tag bei etwa 3000 Gefangenen pro Lager – stimmen die Zahlen fast niemals überein.“

Manche vollends Verzweifelte nahmen sich selbst das Leben; vereinzelt ertränkten sich Frauen in Latrinen. Sie hausten in Erdlöchern unter unsäglichen hygienischen Bedingun-gen, in Baracken hinter elektrischen Zäunen mit schußbereiten Posten.

Ende 1950 kehrten gerade mal 300 000 Zwangsarbeiterinnen über Frankfurt an der Oder im Osten und das niedersächsische Friedland im Westen heim. Hunderttausende waren gestorben, verschollen. Genaue Zahlen kennt niemand.

Entschädigung vom Vaterland? „Geltungskriegsgefangene“ nannte das Kriegsgefangenen-Entschädigungsgesetz die verschleppten Zivilisten. Im Dezember 1992 kappte der Bundestag das Gesetz, ersetzte es durch ein „Heimkehrerstiftungsgesetz“. Der Drei-Millionen-Mark-Etat dieser Stiftung des öffentlichen Rechts mit Sitz in Bonn finanziert sich aus Steuergeldern.

Olga Hahn, heute 74, als 18-Jährige ver-schleppt, erhielt nach dem alten Kriegsge-fangenen-Entschädigungsgesetz 570 Mark für ihr Martyrium von März 1945 bis Juli 1948. Zuständige Ämter legten das Gesetz aber nicht selten nach Gutdünken aus. So zahlten sie an Elfriede Klimmeck für vier Jahre Lager rund 1000 Mark.

Andere Frauen erhielten 1320 Mark. Martha Grüner erhielt nach ihrer Heimkehr im No-vember 1949 vom Ausgleichsamt Wiesbaden mit 131 Mark „Überbrückungsgeld“. Und Eva Martensson schob man nach über vier Jahren Zwangsarbeit im Einwohnermeldeamt Ham-burg-Bergedorf 300 Mark zu – und eine Dose Kondensmilch.

Parallelen zu sehen zwischen Zwangsarbeit, die Ausländer in Deutschland leisteten, und Zwangsarbeit von Deutschen in Lagern des späteren Ostblocks beweist – aus Sicht des Bundeskanzlers Gerhard Schröder – eine falsche Geschichtsauffassung. Die Frauen, die heute berichten, tun dies nicht, um Haß zu säen. Sie reden, um weiße Flecken der Geschichte mit Leben und mit Wirklichkeit auszufüllen.

ZAHLEN DES GRAUENS

Nach dem Zweiten Weltkrieg leisteten über eine Million deutsche Frauen Zwangsarbeit hinter dem Eisernen Vorhang.

Die Sowjets allein verschleppten 864 000 FRAUEN und Kinder. Bei der Deportation und in den Arbeitslagern starben 322 000 FRAUEN und Kinder an Hunger, Erschöpfung.