Rußland! 4. Teil

Fortsetzung mit dem 4. Teil der Abhandlung Rußland!

Thomas Engelhardt berichtet weiter:

1801   Mit einem Dekret des russischen Zaren wird das georgische Teil-Königreich Kartlien-Kachetien annektiert und das Königshaus ent-thront.

Die Regionen im Westen Georgiens blieben noch ein Jahrzehnt lang staatlich unabhängig.

1806   Beginn des Russisch-Türkischen Krie-ges (1806-1812)[1]. Der Krieg endet mit der Annexion Bessarabiens[2] beim Friedens-schluß 1812.

1806-1812   7. Russisch-Türkischer Krieg und Frieden von Bukarest 1812 (28. Mai 1812) – Die Grenze zwischen dem Osmani-schen und Russischen Reich verlief ab 1812 nicht mehr am Dnjestr (Dnister), sondern rund 100 km weiter westlich am Pruth. Für diesen Territorialgewinn verzichtete Rußland auf die osmanisch beherrschten Donaufür-stentümer Moldau (westlich des Pruth) und Walachei.

1804-1813  4. Russisch-Persischer Krieg um die Vorherrschaft im Kaukaus

1810  Rußland erobert und besetzt das geor-gische Königreich Imeretien.

1812  Besetzung und Annexion Bessarabi-ens[3] durch Rußland. Das Territorium, for-mal vom Fürstentum Moldau (osmanischer Vasallenstaat) abgetreten, wird als Gouverne-ment Bessarabien in das Russische Kaiser-reich eingegliedert. Rußland (unter der Regierung Alexander I.) verschiebt die bis 1812 am Dnjestr verlaufende Grenze zum Osmanischen Reich an den Pruth.

1812  Rußland annektiert infolge des Buka-rester Friedens das georgisch-grusinische Königreich Imeretien mit der Hauptstadt Kutaissi im Kaukasus (heute: Georgien/Grusinien).

1813   Frieden von Gulistan: Persien verlor alle seine Territorien nördlich des Flusses Aras mit Ausnahme der Khanate Eriwan und Nachitschewan und erkannte die Autorität Rußlands in diesem Gebiet an.[4] Persien verlor das Recht, mit seinen seinen Kriegs-schiffen auf dem Kaspischen Meer zu segeln und Rußland erhielt das Alleinrecht, eine Militärflotte auf dem Kaspischen Meer zu stationieren.  Die Georgier, Aserbaidschaner und Dagestaner wurden infolge dieses Ver-trages von Gulistan mit Gewalt ins russische Zarenreich integriert.[5]

1813   Einmarsch russischer Truppen und unter russischem Befehl stehender Kosaken-verbände im Rheinbundstaat Königreich Sachsen.[6] Nach der Völkerschlacht von Leipzig[7] verbleiben die Russen als Besat-zungstruppe in Sachsen, das als besiegte feindliche Macht behandelt wird.

Maßgeblich unter russischer Beteiligung wird ein Generalgouvernements Sachsen (1813- 1815) als Teil des sogenannten Zentralver-waltungsdepartements und Besatzungsgebiet gegründet.

Dieses „General-Gouvernement der Hohen Verbündeten Mächte“ wurde im Okt. 1813 gebildet und umfaßte das Territorium des sächsischen Staates sowie Sachsen-Alten-burg, die preußischen Territorien und beide Fürstentümer Schwarzburg.

Generalgouverneur war von Dez.1813 bis Nov. 1814 der russische Fürst Repnin-Wolkonski, danach besetzten Preußen dieses Amt (Staatsminister von der Beck, Minister Eberhard von der Recke als Zivilgouverneur, zuletzt Friedrich Wilhelm Leopold Freiherr von Gaudi).

Der preußische Generalmajor v. Gaudi wurde am 21.06.1815 vom preußischen König zum Präses der Teilungskommission in Dresden berufen. Im Januar 1815 wurden etwa zwei Fünftel des sächsischen Staatsgebietes abge-trennt und in einem neuen preußischen Herzogtum Sachsen zusammengefasst.[8]

Das Generalgouvernement wurde bereits am 06.06.1815 aufgelöst. Preußen annektierte mit Duldung Rußlands zwei Fünftel des Staatsgebietes von Sachsen (mit drei Fünftel der Bevölkerung) und bildete im Juni 1815 aus dem Herzogtum Sachsen eine neue preußische Provinz Sachsen, die bis 1944 bestand.

1817-1864   Kaukasuskriege Rußlands. In den Kaukasuskriegen unterwarf die russische Armee das nördliche Gebiet des Kaukasus und annektiert diese Gebiete.[9] Mehrere Kaukasusvölker werden unterworfen (Tscher-kessen, Adygen, Tschetschenen, Balkaren, Karatscheier, Abasinen, Abchasen, Dage-staner). [10]

Der Kaukasuskrieg endete mit der Vertrei-bung von mehreren hunderttausend Men-schen ins Osmanische Reich, die sich auf dem Territorium der heutigen Türkei, Syriens, Jordaniens, Israels, Ägyptens und anderer nahöstlicher Staaten ansiedelten.

1821  Rußland besetzt erneut die Donaufür-stentümer Moldau und Walachei, die, formal Vasallenstaaten des Osmanischen Reiches, seit dem Frieden von Kainardschi (1774) zunehmendem russischem Einfluß erliegen.

1826-1828   5. Russisch-Persischer Krieg[11]

1828   Russisch-Türkischen Krieges 1828–1829) – Während des Krieges (1828–1829) besetzten russische Truppen die Walachei und die Moldau.

1828   Friede von Turkmantschai: Rußland annektiert die persischen Khanate Jerewan (heute Armenien) und Nachitschewan (heute zu Aserbaidschan).[12]

1829   Frieden von Adrianopel (14.09.1829). Rußland gewinnt nahezu die gesamte Do-naumündung sowie große Teile Armeniens. Die Donaufürstentümer, Vasallenstaaten des Osmanischen Reiches, erlangen die vollstän-dige Autonomie.

Die Machtbefugnisse Rußlands werden zu-nehmend ausgebaut, während die Rechte der Pforte einschränkt und diejenigen der beiden Fürstentümer eliminiert werden. Im weiteren Verlauf werden die einheimischen Fürsten zu russischen Statthaltern degradiert, die für alle für inneren Verwaltungsangelegenheiten Befehle direkt aus Sankt Petersburg erhielten.

um 1850   Mit dem aggressiven Vordringen Rußlands im östlichen Sibirien gelangte auch die zum Kaiserreich China gehörende Mand-schurei in die Interessensphäre des Zaren-reichs.

1853- 1856  Krimkrieg. Der Krieg begann als neunter Russisch-Türkischer Krieg, in den die westeuropäischen Mächte eingriffen, um eine Gebietserweiterung Rußlands auf Kosten des geschwächten Osmanischen Reichs zu ver-hindern.[13]

1855   Vertrag von Shimoda zwischen Ruß-land und Japan v. 7. Febr. 1855. Der Vertrag legte den Verlauf der russisch-japanischen Grenze fest: Die Kurilen-Inseln nördlich von und einschließlich Urup wurden zu russi-schem Territorium, die Inseln südlich von und einschließlich Etorofu[14] zu japanischem Ge-biet erklärt. Die Insel Sachalin wurde gemeinsa-mer Besitz.

1858   Vertrag von Aigun v. 28. Mai 1858. Rußland nötigte China in diesem Vertrag das gesamte Gebiet nördlich des Amur ab. China wurde damit  gezwungen, mehr als 500.000 km² seines mandschurischen Territoriums an Ruß-land abzutreten.[15] Damit fällt die sog. Äußere Mandschurei[16] endgültig an Ruß-land.

1860  Pekinger Konvention u. Vertrag v. Peking v. 18. Oktober 1860[17] Rußland annektiert zusätzlich das Küstengebiet aus dem östlich vom Ussuri gelegenen nordöst-lichen Teil der chinesischen Provinz Jilin und den am unteren Amur gelegenen nördlichen Teil der chinesischen Provinz Heilongjiang.[18]

Noch im selben Jahr ließ Zar  Alexander II. im Süden des neu erworbenen Gebietes den rus-sischen Marinehafen Wladiwostok (=„Beherr-sche den Osten“) gründen.

1866   Beginn der Unterwerfung des usbeki-schen Emirats Buchara unter russische Herr-schaft. In der Schlacht von Irdschar v. 20. Mai 1866  wurde die Streitmacht des Emirats ver-nichtet.

1868   Nach der Unterwerfung der Kasak-Kirgisen (heute Kasachen) erfolgt die Grün-dung und Errichtung eines Generalgouver-nements Turkestan.[19] In der Auseinander-setzung mit China um Dominanz, Einfluß und Kontrolle Zentralasiens hatte Rußland die Expansion nach Süden beschlossen und voran gebracht.

1868-1873  Vollständige und endgültige Eroberung und Besetzung der usbekischen Staaten Emirat Buchara, Khanat Chiwa und Khanat Kokand.  Buchara und Chiwa bleiben formal selbständig, unterstehen als Protek-torate jedoch russischer Schutzherrschaft.[20] Kokand wird annektiert, Samarkand russisch besetzt.

1875   Vertrag von St. Petersburg. Erwerb von Sachalin durch Rußland. Der Vertrag von Sankt Petersburg wurde 1875 zwischen Japan und Rußland geschlossen. In diesem verzich-tete Japan auf die Insel Sachalin zugunsten der Kurilen bis zur Halbinsel Kamtschatka.

1876   Besetzung des heutigen Kirgisien (Kirgistan) und Eingliederung in das Gene-ralgouvernement Turkestan (Oblast Fergana u. Oblast Semiretschje)

1878   Frieden von San Stefano (3.03.1878)[21]

1878   Im Gefolge des Russisch-Türkischen Krieges annektiert Rußland Gebiete des Osmanischen Reiches: das Gebiet von Kars (Provinz Kars, Osmanisch-Armenien), die Provinz Ardahan und Batumi (Adscharien) (Friedensvertrag von San Stefano v. 3. März 1878).[22]

Fortsetzung folgt

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Anmerkungen

[1]Auslöser des 7. Russisch-Türkischen Krieges war die russische Besetzung der unter osmanischem Einfluss stehenden Fürstentümer Moldau und Walachei 1806. Konstantinopel erklärte daraufhin dem Russischen Reich am 24. Dezember 1806 den Krieg. 1812 war der russische Zar zur Vermeidung eines Zweifrontenkrieges zu einem raschen Frieden gezwungen, denn der Einmarsch Napoleons I. nach Rußland stand bevor.

[2]Besarabien (abgeleitet von Besarab, dem walachischen Fürstengeschlecht Basarab).

[3]Bis 1812 zum (rumänischen) Fürstentum Moldau (unter osmanischer Schutzherrschaft stehend) gehörig.

[4]Dieses Gebiet schloss ein: alle Städte und Dörfer von Dagestan, alle Städte und Dörfer von Georgien, die alle an der Küste des Schwarzen Meeres angesiedelten Städte und Dörfer einschlossen, namentlich in Mingrelien, Abchasien, Gurien, Imeretien; alle Städte und Dörfer des heutigen Aserbaidschan, einschließlich aller Orte an der Küste des Kaspischen Meeres, namentlich in den  Khanaten Baku, Quba, Derbent, Schirwa, Karabach, Gandscha, Scheki u. Talysch einschließlich der Festung Lenkoran sowie Mugan (etwa heutiger Rayon Biləsuvar).

[5]Der heutige Staat Iran betrachtete 2013 offiziell diesen Vertrag sowie den Frieden von Turkmantschai als die erniedrigendsten Verträge, die er je unterzeichnete.

[6]Sachsen war seit 1806 Mitgliedstaat der Rheinischen Konföderation.

[7]16.- 19.10.1813.

[8]Zeitgleich existierten infolgedessen zwei politische Territorien, die den Namen Sachsen für sich beanspruchten.
Das Königreich Sachsen (seit 1806 als Königreich in der Rheinbund-Föderation) sowie das preußische Herzogtum Sachsen (seit Jan. 1815).

[9]Im Krieg im Nordwestkaukasus wurden die Feldzüge Ort für Ort und Tal für Tal durchgeführt. Erst im Mai/Juni 1864 wurden die letzten Hochgebirgsregionen von der russischen Armee erobert. Der Krieg wurde insgesamt erbittert und grausam geführt. 1859–61 wurde der drittletzte Tscherkessen-Stamm der Abadsechen im Kaukasus erobert, wobei die eroberten Orte zerstört wurden. Seit Anfang 1862 ging die russische Armee dazu über, ausnahmslos alle noch zu erobernden Ortschaften niederzubrennen und abzureißen.  Am tragischsten waren die Kämpfe am Ende des Krieges im Mai/Juni 1864, als sich die Bewohner der Dörfer in vier Flusstälern vollständig bewaffneten – Männer, Frauen, Kinder und Alte – mit der Absicht, sich nicht zu ergeben, sondern bis zum Tod zu kämpfen, was den russischen Sieg zu einem Massaker machte. Dabei wurden vier ubychischen und sads-abchasischen Unterstämme der Pßchu, Achzipsou, Aibgo und Dschigit  (Tscherkessen und Abchasen) faktisch ausgelöscht. Bei aller Tragik dieses Massakers werden bis heute von Historikern verschiedene Meinungen vertreten,  inwieweit es sich um einen beabsichtigten Völkermord handelte.

[10]Die Tscherkessen sind ein Sammelname für eine Volksgruppe, die in mehrere kleine Völkerschaften und Stämme zersplittert ist. Die Dagestaner bilden keine in sich geschlossen Volksgruppe. Die größten Völkerschaften sind die Awaren und die Darginer.

[11]Die Briten versuchten zu dieser Zeit, Rußlands Expansion in Zentralasien zu behindern und übten Druck auf den Schah von Persien aus, der russischen Expansion militärisch zu begegnen.

[12]Persien anerkannte mit diesem Vertrag Kapitulationsrechte von russischen Staatsbürgern in Persien. Konkret bedeutete dies, dass es keinem persischen Staatsbediensteten erlaubt war, das Gebäude eines russischen Staatsbürgers in Persien zu betreten, ohne zuvor eine Genehmigung bei der russischen Botschaft eingeholt zu haben. Sämtliche rechtlichen Ansprüche an russische Staatsbürger unterlagen der russischen Rechtsprechung.

Nach Artikel 10 durfte Rußland Konsuln dorthin entsenden, wo es dies auf dem Territorium der Perser wünschte. Ferner wurde Persien auferlegt von Rußland konzipierte Wirtschaftsverträge zu schließen.

In der 1827 kampflos den Russen übergebenen Stadt Choy, die heute in der iranischen Provinz West-Aserbaidschan liegt, wurde nach Friedensschluss eine 3.000 Mann starke russische Garnison stationiert, um eine Garantie für die Zahlung der Kriegsentschädigung zu haben.

[13]Die westliche Bezeichnung „Krimkrieg“ – mit der Verortung nach seinem Haupt-Kriegsschauplatz der Halbinsel Krim – wird seiner weltumspannenden Ausmaße und seiner großen Bedeutung für Europa, Rußland und Orient nicht gerecht. Der in Rußland verwendete Name „Orientalischer Krieg“ verknüpft ihn zumindest mit der Orientalischen Frage, welche sich auf die Bereiche Balkan bis Jerusalem und Konstantinopel bis Kaukasus lokalisieren läßt. Der Zerfall des Osmanen-Reiches schuf internationale Probleme. Die Betitelung als ein weiterer „Türkisch-Russischer Krieg“, wie sie sich in vielen türkischen Quellen findet, berücksichtigt die massive Beteiligung des Westens nicht. Der Krimkrieg kann als Vorform des Ersten Weltkrieges angesehen werden. Kriegsschauplätze waren neben der Krim Transkaukasien, der Ferne Osten, der Ostseeraum, das Weiße Meer und die Barentsee.

[14]Jetzt: Iturup.

[15]Im Jahr1903, 45 Jahre nach dem Erwerb durch Rußland, gliederte sich die die Äußere Mandschurei in die beiden Regionen „Amurski Obwod“ und „Provincia Nadmorska“, jetzt:  Oblast Amur (330.00 km², 864.458 Einw.) am oberen und mittleren Amur u. Südhälfte der Region Chabarowsk (ca. 4000.000 km², ca. 1 Mill. Einw.)

(Region Chabarowsk heute insgesamt  790.000 km², 1.412.260 Einw., davon der größere Teil im Amur-Tal ansässig.

[16]Der Begriff Mandschurei wird heute nur noch auf das Territorium der früheren Inneren Mandschurei, d.h. den bei China verbleibenden Teil, angewendet.

[17]Die Pekinger Konvention setzte sich aus drei Einzelverträgen zusammen, die China als die sog. Ungleichen Verträge bezeichnet.  Die Volksrepublik China anerkennt die Gebietsabtretungen seitens des  Kaiserreichs China nicht an, ohne bis heute Rückgabeforderungen zu erheben.

[18]Jetzt: Region Primorje (164.700 km², 2.019.529 Einw.) mit  Wladiwostok.

[19]Das Generalgouvernement Turkestan bestand aus dem Oblast Syrdarja, dem Oblast Semiretschje, dem Emirat Buchara, dem Khanat Chiwa, (beide jetzt Usbekistan),  1899  wird der Oblast Transkaspien (heute Turkmenistan) angegliedert.

[20]Das Emirat Buchara wird im Jahr 1868 russisches Protektorat, das Khanat Chiwa 1873.

[21]Der Frieden von San Stefano (heute Yeşilköy am Marmarameer, im Westen Istanbuls) beendete am 19. Februar (jul.) / 3. März 1878 (greg.) den Russisch-Türkischen Krieg 1877–1878.  Eine Folge des Krieges war die Unabhängigkeit Bulgariens, das jedoch geteilt wurde. Nordbulgarien, unter russischem Einfluß, erlangte  ausgestattet mit einem Sonderstatus die formale Unabhängigkeit als bulgarischer Staat (Bulgarien), verbleibt jedoch gegenüber der Pforte tributpflichtig. Südbulgarien (= Rumelien) verbleibt als autonome Provinz Ostrumelien beim Osmanischen Reich.

[22]Kars und Ardhan fallen aufgrund des Vertrages von Kars (13.10.1921) an die Türkei zurück.