Rußland! 3. Teil

Thomas Engelhardt

fährt fort:

Liste der Eroberungszüge und Kriegshandlungen der russischen Armee

1758  Nach einem ersten, vergeblichen Vorstoß russischer Truppen unter dem General Apraksin[1] nach Ostpreußen gelang im Januar 1758 der russischen Armee unter dem Befehl von Wilhelm von Fermor[2] die Eroberung und Besetzung der preußischen Provinz.

Rußland forcierte unter der Herrschaft der Zarin Elisabeth (1709–1762) eine Expansion nach Westen interessiert. Hauptziel war der Erwerb Semgallens und des Herzogtums Kurland.

Beide Territorien standen unter polnischer Oberhoheit. Für deren Abtretung an Rußland sollte Preußen (Ostpreußen) besetzt werden, um es Polen zum Tausch anzubieten.

Die ostpreußische Bevölkerung wurde ge-zwungen, der Zarin Elisabeth zu huldigen, was den Eindruck verstärkte, daß das Land  zum Bestandteil des russischen Staates ge-macht wird.

An Amtsgebäuden wurde der preußische Adler durch den russischen ersetzt. Dieser russische Doppeladler fand sich an allen öffentlichen Gebäuden sowie auf amtlichen Siegeln.

Auch alle Zeitungen erschienen im Kopf mit diesem russischen Hoheitszeichen.

Graf Fermor und der als sein Stellvertreter im Köngsberger Schloß residierende Gouverneur Nikolaus von Korff[3] blieben bis 1762 im Amt. Ostpreußen war in dieser Zeit eine rus-sische Provinz (niemand ahnte, daß sich knapp zweihundert Jahre später die Ge-schichte wiederholen sollte).

Mit der Proklamation v. 16. Juli 1762 wurde der russische Generalleutnant Fedor Voejkov [4] neuer Gouverneur in Ostpreußen.

Am 6. August 1762 erließ Voejkov auf Befehl der Zarin Katharina ein Manifest, in dem der „zuvor geschlossene“ Friede bestätigt und die Einwohner Ostpreußens von ihrem der Kaise-rin Elisabeth geleisteten Treueid entbunden wurden.

Ostpreußen wurde wieder der Herrschaft des preußischen Königs unterstellt.

1761  Der Gouverneur von Sibirien, P. A. Sojmonow, erteilt 1761 den Befehl, das Volk der Ainu auf den Kurilen-Inseln sowie auf der Insel Hokkaidō, das die Russen zu jener Zeit noch als eine der Kurilen-Inseln betrachteten, Rußland gegenüber tributpflichtig zu machen.[5]

(1766 weiteten die Russen ihre Kontrolle auch über Iturup und Kunashir aus. Um den damals bereits geäußerten Ansprüchen Japans auf diese beiden Inseln zu entgegnen, stellten die Russen dort im Jahr 1768 Pfähle mit der Aufschrift „Kurilen“ auf).

1763   Rußland marschiert mit einer Armee von 15.000 Soldaten in das Herzogtum Kur-land und Semgallen ein und erzwingt die Wiedereinsetzung des Herzogs Ernst Johann v. Biron.

Die Unrechtmäßigkeit dieser Intervention wurde von Katharina d. Großen eingeräumt, hielt diese jedoch im Interesse Rußlands für geboten (Kurland wird 1795 von Rußland annektiert).

1764   Errichtung eines neues Gouverne-ments Neurußland in den eroberten osmani-schen Gebieten (heutige Südukraine)

1766   Rußland übernimmt die Kontrolle auf den beiden südlichen zu Japan gehörenden Kurilen-Inseln Iturup und Kunashir.[6]  (1785–86 gelang es den Japanern, die Russen aus Iturup und Kunashir zu verdrängen. Danach erneut eingedrungene Russen wurden von den Japanern im Jahr 1799 vertrieben. 1801 besetzten die Japaner schließlich auch die Insel Urup, wo ab 1795 bis 1807 die russische Siedlung Alexandra existierte.[7]

1768-1774  Russisch-Türkischer Krieg. Rußland annektiert das Gebiet der südlichen Ukraine, die Krim sowie Gebiete im Nordkau-kasus. Im Verlauf des Krieges besetzen russi-sche Truppen die Moldau und die Walachei.[8] Der Krieg 1768-1774 kennzeichnete das Ende des Osmanischen Reiches als Groß-macht.

Rußland nutzte die zunehmende Schwäche des Osma-nischen Reiches zugunsten der eigenen Expansion und setzte den Vormarsch bis Bulgarien fort. Nach einem Schlachtensieg in Bulgarien kommt es 1774 zum Frieden von von Kainardschi.[9]

Rußland vorverlegt seine Grenze zum Osma-nischen Reich. Die neue Grenze verläuft ent-lang des Flusses Bug (Südlicher Bug).

1772   Erste polnische Teilung: der östliche und nordöstliche Teil Weißrußlands mit Wi-tebsk werden okkupiert und in das Russische Reich eingegliedert.

1783   Annexion des Krim-Khanats und mit Erlaß vom 8. Februar (jul. )/19. Februar 1784 (greg.) als Oblast Taurien in das russische Kaiserreich eingegliedert.

1783   Ostgeorgien (Kartlien-Kachetien) wird unterworfen und schließt einen Schutzvertrag mit Rußland. 1801 wurde Kartlien-Kachetien per Dekret des Zaren annektiert und sein Kö-nigshaus entthront. Die Regionen im Westen des Landes blieben noch ein Jahrzehnt lang staatlich unabhängig. Erst 1810 eroberte Rußland das georgische Königreich Imere-tien.

1787   Rußland beginnt den 8. Türkenkrieg [10], ausgelöst durch die Annexion der Krim durch Katharina II. i. J. 1783.

1792   Im Frieden von Jassy (rumänisch Iași) in der Moldau vom 9. Januar 1792 erkannte das Osmanische Reich den Verlust der Krim und des Nordufers des Schwarzen Meeres bis zum Dnjstr an. Der Dnjestr wird zur neuen Grenze zwischen Rußland und dem Osmani-schen Reich. Die kaukasische Grenze Ruß-lands blieb der Fluß Kuban.

1793   Zweite polnische Teilung: Weißrußland mit Minsk sowie Polesien, Podolien und der östliche Teil Wolhy-niens (später: Ost-Wolhynien) werden besetzt und in den russischen Staatsverband eingegliedert.

1795   Dritte polnische Teilung: Litauen u. Westwolhynien werden besetzt und in Ruß-land eingegliedert.

1795    Rußland annektiert das (unter polni-scher Oberhoheit stehende) Herzogtum Kur-land und Semgallen[11]. Kurland wird in eine russische Provinz (Gouvernement Kurland) umgewandelt und bildete neben dem damaligen Gouvernement Estland (dem heutigen Nordteil der Republik Estland) und Livland eines der drei russischen Ostseegouvernements, die vom deutsch-baltischen Adel zunächst jeweils autonom verwaltet wurden.

1796    Russisch-Persischer Krieg (3. Krieg mit Persien) Krieg um die Vorherrschaft und den Einfluß im Kaukaus (zeitweilige Beset-zung Aserbaidschans)

1796   Bildung zweier neuer Gouvernements Taurien und Neurußland aus den annektierten Gebieten des Krim-Khanats

Fortsetzung folgt

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Anmerkungen

[1]Auslöser des 7. Russisch-Türkischen Krieges war die russische Besetzung der unter osmanischem Einfluss stehenden Fürstentümer Moldau und Walachei 1806. Konstantinopel erklärte daraufhin dem Russischen Reich am 24. Dezember 1806 den Krieg. 1812 war der russische Zar zur Vermeidung eines Zweifrontenkrieges zu einem raschen Frieden gezwungen, denn der Einmarsch Napoleons I. nach Russland stand bevor.

[2]Besarabien (abgeleitet von Besarab, dem walachischen Fürstengeschlecht Basarab).

[3]Bis 1812 zum (rumänischen) Fürstentum Moldau (unter osmanischer Schutzherrschaft stehend) gehörig.

[4]Dieses Gebiet schloss ein: alle Städte und Dörfer von Dagestan, alle Städte und Dörfer von Georgien, die alle an der Küste des Schwarzen Meeres angesiedelten Städte und Dörfer einschlossen, namentlich in Mingrelien, Abchasien, Gurien, Imeretien; alle Städte und Dörfer des heutigen Aserbaidschan, einschließlich aller Orte an der Küste des Kaspischen Meeres, namentlich in den  Khanaten Baku, Quba, Derbent, Schirwa, Karabach, Gandscha, Scheki u. Talysch einschließlich der Festung Lenkoran sowie Mugan (etwa heutiger Rayon Biləsuvar).

[5]Der heutige Staat Iran betrachtete 2013 offiziell diesen Vertrag sowie den Frieden von Turkmantschai als die erniedrigendsten Verträge, die er je unterzeichnete.

[6]Sachsen war seit 1806 Mitgliedstaat der Rheinischen Konföderation.

[7]16.- 19.10.1813.

[8]Zeitgleich existierten infolgedessen zwei politische Territorien, die den Namen Sachsen für sich beanspruchten.
Das Königreich Sachsen (seit 1806 als Königreich in der Rheinbund-Föderation) sowie das preußische Herzogtum Sachsen (seit Jan. 1815).

[9]Im Krieg im Nordwestkaukasus wurden die Feldzüge Ort für Ort und Tal für Tal durchgeführt. Erst im Mai/Juni 1864 wurden die letzten Hochgebirgsregionen von der russischen Armee erobert. Der Krieg wurde insgesamt erbittert und grausam geführt. 1859–61 wurde der drittletzte Tscherkessen-Stamm der Abadsechen im Kaukasus erobert, wobei die eroberten Orte zerstört wurden. Seit Anfang 1862 ging die russische Armee dazu über, ausnahmslos alle noch zu erobernden Ortschaften niederzubrennen und abzureißen.  Am tragischsten waren die Kämpfe am Ende des Krieges im Mai/Juni 1864, als sich die Bewohner der Dörfer in vier Flusstälern vollständig bewaffneten – Männer, Frauen, Kinder und Alte – mit der Absicht, sich nicht zu ergeben, sondern bis zum Tod zu kämpfen, was den russischen Sieg zu einem Massaker machte. Dabei wurden vier ubychischen und sads-abchasischen Unterstämme der Pßchu, Achzipsou, Aibgo und Dschigit  (Tscherkessen und Abchasen) faktisch ausgelöscht. Bei aller Tragik dieses Massakers werden bis heute von Historikern verschiedene Meinungen vertreten,  inwieweit es sich um einen beabsichtigten Völkermord handelte.

[10]Die Tscherkessen sind ein Sammelname für eine Volksgruppe, die in mehrere kleine Völkerschaften und Stämme zersplittert ist. Die Dagestaner bilden keine in sich geschlossen Volksgruppe. Die größten Völkerschaften sind die Awaren und die Darginer.

[11]Die Briten versuchten zu dieser Zeit, Rußlands Expansion in Zentralasien zu behindern und übten Druck auf den Schah von Persien aus, der russischen Expansion militärisch zu begegnen.

[12]Persien anerkannte mit diesem Vertrag Kapitulationsrechte von russischen Staatsbürgern in Persien. Konkret bedeutete dies, dass es keinem persischen Staatsbediensteten erlaubt war, das Gebäude eines russischen Staatsbürgers in Persien zu betreten, ohne zuvor eine Genehmigung bei der russischen Botschaft eingeholt zu haben. Sämtliche rechtlichen Ansprüche an russische Staatsbürger unterlagen der russischen Rechtsprechung.

Nach Artikel 10 durfte Rußland Konsuln dorthin entsenden, wo es dies auf dem Territorium der Perser wünschte. Ferner wurde Persien auferlegt von Russland konzipierte Wirtschaftsverträge zu schließen.

In der 1827 kampflos den Russen übergebenen Stadt Choy, die heute in der iranischen Provinz West-Aserbaidschan liegt, wurde nach Friedensschluß eine 3.000 Mann starke russische Garnison stationiert, um eine Garantie für die Zahlung der Kriegsentschädigung zu haben.

[13]Die westliche Bezeichnung „Krimkrieg“ – mit der Verortung nach seinem Haupt-Kriegsschauplatz der Halbinsel Krim – wird seiner weltumspannenden Ausmaße und seiner großen Bedeutung für Europa, Rußland und Orient nicht gerecht. Der in Russland verwendete Name „Orientalischer Krieg“ verknüpft ihn zumindest mit der Orientalischen Frage, welche sich auf die Bereiche Balkan bis Jerusalem und Konstantinopel bis Kaukasus lokalisieren lässt. Der Zerfall des Osmanen-Reiches schuf internationale Probleme. Die Betitelung als ein weiterer „Türkisch-Russischer Krieg“, wie sie sich in vielen türkischen Quellen findet, berücksichtigt die massive Beteiligung des Westens nicht. Der Krimkrieg kann als Vorform des Ersten Weltkrieges angesehen werden.

Kriegsschauplätze waren neben der Krim Transkaukasien, der Ferne Osten, der Ostseeraum, das Weiße Meer und die Barentsee.

[14]Jetzt: Iturup.

[15]Im Jahr 1903, 45 Jahre nach dem Erwerb durch Russland, gliederte sich die die Äußere Mandschurei in die beiden Regionen „Amurski Obwod“ und „Provincia Nadmorska“, jetzt:  Oblast Amur (330.00 km², 864.458 Einw.) am oberen und mittleren Amur u. Südhälfte der Region Chabarowsk (ca. 4000.000 km², ca. 1 Mill. Einw. (Region Chabarowsk heute insgesamt  790.000 km², 1.412.260 Einw., davon der größere Teil im Amur-Tal ansässig.

[16]Der Begriff Mandschurei wird heute nur noch auf das Territorium der früheren Inneren Mandschurei, d.h. den bei China verbleibenden Teil, angewendet.

[17]Die Pekinger Konvention setzte sich aus drei Einzelverträgen zusammen, die China als die sog. Ungleichen Verträge bezeichnet.  Die Volksrepublik China anerkennt die Gebietsabtretungen seitens des  Kaiserreichs China nicht an, ohne bis heute Rückgabeforderungen zu erheben.

[18]Jetzt: Region Primorje (164.700 km², 2.019.529 Einw.) mit  Wladiwostok.

[19]Das Generalgouvernement Turkestan bestand aus dem Oblast Syrdarja, dem Oblast Semiretschje, dem Emirat Buchara, dem Khanat Chiwa, (beide jetzt Usbekistan),  1899  wird der Oblast Transkaspien (heute Turkmenistan) angegliedert.

[20]Das Emirat Buchara wird im Jahr 1868 russisches Protektorat, das Khanat Chiwa 1873.

[21]Der Frieden von San Stefano (heute Yeşilköy am Marmarameer, im Westen Istanbuls) beendete am 19. Februar (jul.) / 3. März 1878 (greg.) den Russisch-Türkischen Krieg 1877–1878.  Eine Folge des Krieges war die Unabhängigkeit Bulgariens, das jedoch geteilt wurde. Nordbulgarien, unter russischem Einfluss, erlangte  ausgestattet mit einem Sonderstatus die formale Unabhängigkeit als bulgarischer Staat (Bulgarien), vleibt jedoch gegenüber der Pforte tributpflichtig.  Südbulgarien (= Rumelien) verbleibt als autonome Provinz Ostrumelien beim Osmanischen Reich.

[22]Kars und Ardhan fallen aufgrund des Vertrages von Kars (13.10.1921) an die Türkei zurück.

[23]Graf Stepan Fjodorowitsch Apraxin (Apraksin), * 1702, † 1758, Feldmarschall der russischen Armee.

[23]Wilhelm Graf von Fermor ,  * 1702, † 1771, russischer General und 1758-1772 Generalgouverneur in Ostpreußen.

[25]Nikolaus Friedrich von Korff , *1710, † 1766

[26]Generalleutnant Fedor Matv. Voejkov, * 1703, † 1778, russischer General deutschbaltischer Abstammung.

[27]Die nördlichen Kurilen standen zu diesem Zeitpunkt bereits unter russischer Verwaltung.

[28]Um den damals bereits geäußerten Ansprüchen Japans auf diese beiden Inseln zu entgegnen, stellten die Russen 1768 Pfähle mit der Aufschrift „Kurilen“ auf. 1785–86 gelang es den Japanern, die Russen aus Iturup und Kunashir zu verdrängen. Danach erneut eingedrungene Russen wurden von den Japanern 1799 vertrieben. 1801 besetzten die Japaner schließlich auch Urup, wo sich von 1795 bis 1807 die russische Siedlung Alexandra befand.

[29]Vgl. 1855, Vertrag von Shimoda.

[30]Fürstentümer im heutigen Rumänien, die als formal unabhängige Vasallenstaaten des Osmanischen Reiches von diesem kontrolliert wurden.

[31]Friede von Küçük Kaynarca (Küçük Kaynarci) v.  10. Juli (jul. )/ 21. Juli 1774 (greg.) beendet den Russisch-Türkischen Krieg. In dem in Kajnardscha (bulgarisch Кайнарджа), im heutigen Nordost-Bulgarien geschlossenen Vertrag anerkannte das Osmanische Reich die militärische Niederlage und trat die südliche Ukraine mit den Mündungen von Bug, Dnjepr und Don an das Russische Kaiserreich sowie ab Gebiete nördlich des Kaukasus an Rußland ab. Das Khanat der Krim wurde vom Osmanischen Reich unabhängig, jedoch im Jahr 1783 von Rußland annektiert.

[32]Russisch-Österreichischer Türkenkrieg 1787–1792.

[33]Das Gebiet dieses Herzogtums ist heute ein Teil von Lettland.