Roosevelts Krieg – Folge 2

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Gerhard Bracke

Roosevelts Krieg und das geschichtspolitische Problem seiner Akzeptanz

Ohne Frage haben Roosevelts Kriegsplanungen die

allgemeine Kriegsbereitschaft

kaum gedämpft, eher geschürt, – in England, in Frankreich und vor allem in Polen.

In London beklagte sich nach Kriegsausbruch Chamberlain gegenüber dem amerikanischen Botschafter Joseph P. Kennedy mit der von Unterstaatssekretär Forrestal später verbürgten und in seinen Memoiren veröffentlichten Aussage:

Amerika und das Weltjudentum haben England in den Krieg gezwungen.

Jedenfalls plante Roosevelt, gestützt auf die immer enger werdende Flottenkooperation mit Großbritannien im Weltmaßstab, basierend auf der britisch-französischen Flottenzusammenarbeit im Ostatlantik und Mittelmeer,

seit dem Frühsommer 1939 einen defensiv-offensiven Interventionskrieg gegen die drei Achsenmächte, in den gegebenenfalls amerikanische See-, Luft- und Landstreitkräfte von erheblichem Umfang eingreifen sollten.

Damit war vier Monate, bevor in Europa der erste Schuß fiel, die grundsätzliche Entscheidung für einen möglichen Kriegseintritt der Vereinigten Staaten von Amerika gefallen. (17)

Das nach dem Polenfeldzug am 6. Oktober 1939 von Hitler in der Reichstagsrede verkündete Friedensangebot an die Westmächte wurde von diesen schroff zurückgewiesen, von der sowjetischen Presse wie von Außenminister Molotow jedoch heuchlerisch unterstützt.

Die „Iswestija“ bezichtigte England und Frankreich offen der Kriegstreiberei. Es dürfte außer Frage stehen, daß die Weigerungshaltung der Westmächte ganz der Erwartung des amerikanischen Präsidenten entsprach.

Weder der sowjetische Einmarsch in Ostpolen am 17. September 1939 noch der mit der Bombardierung Helsinkis am 30. November begonnene Eroberungskrieg Stalins gegen Finnland konnten Roosevelts Hoffnung auf den künftigen Bundesgenossen einer Anti-Hitler-Koalition trüben.

Wenngleich die Zeit für die Alliierten arbeitete, entsprach die Passivität an der Scheinkrieg-Westfront im sog. drole de guerre keineswegs den Vorstellungen des amerikanischen Präsidenten.

Nach dem Kriegsausbruch in Europa begann Roosevelt mit der

Lockerung der Neutralitätsgesetze,

auch am Kongreß vorbei, regelte das von ihm eingeführte „Lend and Lease“-System die militärische Unterstützung der Westmächte, von der später auch Stalin profitierte.

Zunächst bot sich der russisch-finnische Winterkrieg als willkommene Möglichkeit an, mit Hilfsangeboten für das bedrängte Finnland die militärischen Anstrengungen nach Nordeuropa auszudehnen.

Die Europa-Mission des amerikanischen Unterstaatssekretärs Sumner Welles

Als eine der seltsamsten Episoden der jüngeren Diplomatiegeschichte bezeichnet Dirk Bavendamm die Welles-Mission im Frühjahr 1940.

Einerseits versuchte Roosevelt zu Beginn des Wahljahres, sich das Image eines „Friedenspräsidenten“ zu geben, andererseits wollte er England und Frankreich zu einer energischeren Kriegführung antreiben.

Aber auch die Allianz der Diktatoren Hitler und Stalin zog Roosevelt damals für die Errichtung einer neuen Weltordnung ins Kalkül, um auf diese Weise Druck auf die Westmächte auszuüben.

So reiste Unterstaatssekretär und stellvertretender Außenminister Sumner Welles, der zum engsten Beraterkreis des Präsidenten gehörte, in besonderer Mission nach Europa, was Roosevelt selbst am 9. Februar 1940 bekanntgab, als wäre die Entsendung von vornherein seine eigene Idee gewesen.

Gleichzeitig veröffentlichte der Präsident seinen Plan für eine neue Weltordnung, in der keiner der vorhandenen Machtblöcke die Oberhand bekommen sollte.

Die seltsame Europa-Reise, die Welles im Februar und März 1940 unternahm, entsprang eher einer Kabale innerhalb der amerikanischen Regierung, mit der sich das Außenministerium gegen die „persönliche Diplomatie“ des Präsidenten wehrte.

Jedoch baute Roosevelt die Mission so geschickt in seine Aktivitäten ein, daß diese einen ausgesprochen doppelstrategischen Charakter erhielten.

Keineswegs war geplant, den europäischen Konflikt als „ehrlicher Makler“ zu schlichten.18

Welles erhielt vielmehr die delikate Doppelaufgabe, einerseits die beiden westeuropäischen Demokratien zu einer energischeren Kriegführung anzuhalten, andererseits aber für den Fall, daß dies nicht beizeiten gelang, die geplante Friedenskonferenz auf diplomatischem Wege voranzutreiben. (19)

Da man Hitlers Offensive im Westen erwartete, kam es darauf an, wie schnell sich die Ausweitung des Krieges durch die geplante Landung der Westmächte in Norwegen realisieren ließe.

In dieser Situation verfolgte Roosevelt eine Doppelstrategie, indem er durch Welles die britische und französische Regierung zur entschlossenen Aktion drängte und zugleich auf die Einberufung einer Weltfriedenskonferenz aller am europäischen Konflikt beteiligten Mächte, einschließlich Deutschlands, Rußlands und der USA, vorbereitete.

Gegenüber Kennedy bekannte er allerdings offen, die von den Medien zur „Friedensmission“ hochstilisierte „fact finding mission“ seines Unterstaatssekretärs sei bloße „Augenwischerei“. (20)

Ihm kam es einzig darauf an, sich für die Wahl im November 1940 als „Friedenspräsident“ zu empfehlen.

Mit der „Drohung des Friedens den Krieg zu intensivieren“, war das „fast schon perverses Doppelspiel der Welles-Mission“, urteilt Bavendamm (ebd.).

Welles besuchte nicht nur London und Paris, sondern auch Berlin und Rom, wo er sogar zweimal erschien.

Bei der prinzipiellen Abneigung, die der Präsident bisher gegen Friedensverhandlungen mit Hitler bewiesen hatte, ist Welles‘ Besuch in Berlin der Beweis dafür, daß der Präsident nur an die Fortsetzung des Krieges dachte.

Denn der amerikanische Unterstaatssekretär hat dem deutschen Diktator kein Friedensangebot unterbreitet. (21)

Am 28. März 1940 beschloß das

Supreme War Council der Westalliierten in Paris

die Verminung der norwegischen Küste, und am gleichen Tag verpflichteten sich England und Frankreich durch ein Regierungsabkommen,

mit Deutschland bis zur siegreichen Beendigung des Krieges nicht mehr über einen Waffenstillstand oder Separatfrieden zu verhandeln.

Damit hatte Roosevelt sein Ziel erreicht, das 1943 auf der Konferenz in Casablanca in der Forderung nach „bedingungsloser Kapitulation“ gipfelte.

In einem Gespräch des Unterstaatssekretärs mit Reynaud am 19. März 1940 kam man überein, es ließe sich nur ein Krieg bis zum Ende denken,

egal ob daraus Chaos und Zerstörung der schlimmsten Art resultieren würden oder nicht. (22)

Der Amerikaner sprach mit seinen Partnern sogar schon über eine Aufteilung Deutschlands.

Auch Roosevelt erklärte in einer Radioansprache jener Tage, er wolle keinen „Appeasementfrieden“, sondern einen „Frieden“, der die totale Niederlage der Achsenmächte zur Voraussetzung hat.

Die Wirkungslosigkeit von Hitlers „letztem Appell an die Vernunft“ in seinem Friedensangebot vom 19. Juli 1940, nach dem Sieg über Frankreich und nachdem Churchill in Großbritannien Premierminister Chamberlain längst abgelöst hatte, war somit entschieden vorprogrammiert.

Mit großer Erleichterung reagierte Roosevelt auf den lange erwarteten Angriff Hitlers auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941.

Der Angriffstermin war ebenfalls in Washington vorher bekannt, so daß Stalin von hier aus gewarnt werden konnte vor dem „Überfall“, der ohnehin keiner war. (23)

Unverzüglich schickte Roosevelt seinen engsten Vertrauten Harry Hopkins nach Moskau, um auch dem sowjetischen Diktator im Kampf gegen Hitler aus dem unerschöpflichen amerikanischen Waffenarsenal Unterstützung anzubieten.

Sonderkonditionen aus dem Pacht- und Leihgesetz wurden dem neuen Alliierten ebenfalls eingeräumt.

Bereits am 16. Juni 1941 befahl Roosevelt die Besetzung Islands, die am 7. Juli durchgeführt wurde im Zuge der strategischen Defensive.

An den von dort nach Rußland (Murmansk und Archangelsk) verkehrenden Geleitzügen mit Kriegsmaterial aller Art beteiligten sich bald auch amerikanische Kriegsschiffe.

Zwischenfälle mit deutschen Seestreitkräften, vor allem U-Booten, wurden bewußt einkalkuliert, um aus dem Zustand des „undeclared war“ zum tatsächlichen Kriegseintritt der USA zu gelangen und dabei der Zustimmung von Kongreß und Öffentlichkeit sicher zu sein.

Doch im Verlauf des Kriegsjahres 1941 kam es mehrfach zu schweren Zwischenfällen bis hin zur Beschießung deutscher Kriegsschiffe durch US-Zerstörer, abgesehen von der mit der Neutralität unvereinbaren „Zusammenarbeit“ anglo-amerikanischer Seestreitkräfte, indem Standorte deutscher Einheiten per Funk weitergeleitet wurden, abgesehen auch von der ständigen Ausdehnung der im Atlantik beanspruchten „Hemisphären-Verteidigung“.

Hitler wies die deutsche Kriegsmarine immer wieder an, sich von amerikanischen Kriegsschiffen nicht provozieren zu lassen und keinesfalls zurückzuschießen, denn noch hoffte er den amerikanischen Kriegseintritt vermeiden zu können.

wird fortgesetzt

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Anmerkungen

17 Bavendamm, a.a.O., S. 314
18 Bernd Martin: Friedensinitiativen und Machtpolitik im Zweiten Weltkrieg 1939-1942 Düsseldorf 1974, S. 151:
„…. sondern seine eigentliche Absicht bestand darin, die Wirtschaftskraft Europas, vor allem die des autarken
Deutschen Reiches, zu schwächen, um die Vereinigten Staaten zur wirtschaftspolitischen Führungsmacht zu
erheben“.
19 Bavendamm, a.a.O., S. 138
20 Bavendamm, a.a.O., S. 139
21 Bavendamm, ebd.

22 Bavendamm, a.a.O., S. 142
23 Walter Post : Unternehmen Barbarossa. Deutsche und sowjetische Angriffspläne 1940/41 Hamburg, Berlin, Bonn
2. Aufl. 1996