Königin Luise war wie Schiller beseelt vom Geist der Freiheit – 5. Teil

So begann der Krieg bei Jena und Auerstedt

am 14. Oktober 1806, genau am 47. Jahrestag der Niederlage Friedrichs des Großen bei Hochkirch in Ostpreußen. Dort hatte am 14. Oktober 1758 ebenfalls um 5 Uhr früh die Schlacht begonnen.

Luise reiste am selben 14. Oktober 1806 um 5 Uhr früh von Weimar ab – auf der nun einsetzenden Flucht immer 2 Tage, manchmal nur einen Tag dem Feinde voraus. Am 17. endlich erhält sie die Nach-richt:

Der König lebt, die Schlacht ist verloren.

So hatte Luise 4 Tage lang nur ungewisse, unzutref-fende Nachrichten erhalten, bald frohe, bald schreckliche. Sie litt und mußte – wie sie schreibt – zwischen den Bergen der Hoffnung und den Ab-gründen des Zweifels hindurch. Nach der nun gewordenen Gewißheit sagt sie zu Gräfin Tauent-zien:

 

Königin Luise von Preußen – Farbdruck nach dem Gemälde von Gerhard von Kuegelgen (1772-1820), ehemals Memel, Rathaus, Berlin,

„Wir wollen uns nur recht zusammennehmen, um nicht diesen Schreck in Berlin zu verbreiten.­“

An ihren Mann schreibt sie:

„Du warst mein einziger Ge-danke während der harten und schrecklichen Reise, die ich hinter mir habe. Dich allein zu wissen, ohne mich, ist fürchter-lich. Übrigens hoffe ich, daß noch nicht alles verloren ist … Du hast Truppen, das Volk ver-ehrt Dich und ist bereit, alles zu tun. …“

Sie wünscht ihm, Gott möge

Dir den notwendigen Mut geben und immer mit Dir sein. … Der Herzog ist die einzige Ursache unseres Unglücks, er konnte das Heer nicht führen … Möge Gott Dich erleuch-ten für die Ernennung eines Generals, der würdig wäre, diese herrliche Armee zu füh-ren.

Sie quält sich mit Gedanken, für das Unglück mit-verantwortlich zu sein. An ihren Bruder Georg schreibt sie:

Ich weiß, was ich will, doch es kömmt nichts mehr über meine Lippen, da mein Rat solche fürchterliche Folgen gehabt. Ich weiß zwar wohl, daß es nicht der Sache den Ausschlag gab, allein es wird mir doch vorgesagt, als wäre es so.

Die Folgen beweine ich oft – nicht aber das Prinzip der Handlung und nicht die Handlung selbst. Nie werde ich beweinen, was Ehre und Selbstgefühl heiligten, wohl aber alles ande-re, was das Gegenteil wäre und eben noch viel schrecklichere Folgen haben … wird, nämlich das Überbordwerfen der ganzen Dynastie …

Königliches Palais in Berlin, Ölgemälde von Carl-Daniel-Freydanck

Die Bevölkerung Berlins, die von der Ankunft der Königin hörte, strömte scharenweise nach dem Pa-lais Unter den Linden. Es war schon dunkel, aber immer lauter drängte sich die Menge vor ihren Fenstern. Luise ließ ihnen sagen,

sie sei in Tränen, aber nicht des Schmerzes, nur der Rührung über diese Anhänglichkeit; doch bitte sie um Ruhe.

Stille ging darauf die Volksmenge auseinander.

Ihr Mann schreibt ihr am 15.:

Wir haben Bataille gehabt, und zwar an drei Orten zugleich.

Drei Divisionen seien ohne Plan und ohne Zusam-menwirken in den Kampf geführt worden und hätten sich verblutet.

Johann Gottlieb Fichte (Bild: Wikipedia)

Hufeland berichtet von einer Siegesfeier in Berlin mit Johann Gottlieb Fichte, der seit Jahresbeginn 1806 für die Erhebung Preußens gegen Napoleon aufgerufen hatte. Eine Folge der Falschmeldun-gen!

Indessen war die stolze Armee Preußens nun vor aller Welt blamiert. Sie löste sich einfach auf. Es gab keine Ordnung mehr.

Alles, was noch lebt, läuft einfach herum,

wird berichtet. Der König hatte keinen Einfluß ge-nommen. Und Luise sah, wie die Schwachen jetzt einen Frieden um jeden Preis anstrebten.

An ihren Mann schreibt sie aus Stettin am 20. Oktober:

Bester Freund. Es wäre vergeblich, die Emp-findungen schildern zu wollen, die ich emp-fand, als ich Potsdam und Berlin wiedersah. Das Volk in Berlin, welches glaubte, ich sei gefangen, begleitete meinen Wagen und sammelte sich zu Tausenden am Palais unter meinen Fenstern und schrie immer nach mir.

Nein, solch ein Volk gibt es nicht mehr. 12000 Bürger wollen sich bewaffnen und 1500 von den Vornehmsten außer die 12000 sind ebenfalls bereit, Dir zu folgen und für Dich zu fechten, wo Du willst.

Die Nachricht von der unglücklichen Bataille, statt sie niederzuschlagen, hat sie nur noch mehr erbittert gegen den Feind und ihre An-hänglichkeit, Ergebenheit für Dich, für ihren König und das Vaterland noch vermehrt.

Es ist unbeschreiblich, wie sie Dich lieben, alle Aufopferung bereit zu bringen, ihr Blut und Gut; Kinder und Väter, alles steht auf, Dich zu schützen! Benutze die Gelegenheit ja, es kann was Großes herauskommen.

Nur um Gottes Willen keinen schändlichen Frieden … Auch die Legion der Polen laß nicht außer acht. Der Augenblick ist kostbar, hand-le, wirke, schaffe, überall wirst Du im Lande guten Willen und Unterstützung finden.

Diese Briefe von 1806 sind es, die Treitschke meinte, als er an die Germaninnen erinnerte, die Tacitus beschreibt.

Das Königspaar (Bild: Wikipedia)

Napoleon hetzt und lügt, was er später ununterbro-chen in 23 Bulletins in seinen Zeitungen fortset-zen wird, um Luise die Schuld am Kriege zuzu-schieben und darüber hinaus ihre Ehre zu besu-deln. Kleine Kostproben:

  • Die Verwirrung in Berlin ist außer-ordentlich: alle guten Bürger, die über die falsche Richtung, die der Politik ihres Landes gegeben ist, seuf-zen … Nur ein Schrei ertönt gegen die Königin im ganzen Lande.

  • Die Königin schreibt täglich 20 Briefe, um die Kriegsfackel überall hinzutragen …

In den Gemächern der Königin findet er Briefe von ihr,  wühlt in ihren Sachen herum und posaunt:

Man hat in dem Gemach, das die Königin in Potsdam bewohnte, das Bild des Kaisers von Rußland gefunden, das dieser Fürst ihr zum Geschenk gemacht hat.

Man hat in Charlottenburg ihre Korrespon-denz gefunden, die sie mit dem Könige wäh-rend dreier Jahre geführt hat, und Denk-schriften …, die beweisen wollten, daß man nicht Buch und Rechnung führen brauche über Verträge, die mit dem Kaiser Napoleon geschlossen seien, sondern daß man sich ganz und gar Rußland zuwenden solle.

Diese Stücke sind vor allem historische Stücke. Sie würden beweisen, wenn es noch eines Beweises bedürfte, wie unglücklich die Fürsten sind, welche Frauen auf Staatsange-legenheiten Einfluß gewinnen lassen.

Die Noten, die Berichte, die Staatspapiere waren parfümiert und fanden sich mitten unter Putz und anderen Toilettengegen-ständen der Königin.

Diese Fürstin hatte die Köpfe aller Frauen Berlins erhitzt; aber jetzt sind sie vollständig umgeschwenkt. … Aber dies gute Volk von Berlin ist das Opfer des Krieges, während diejenigen, die ihn verursacht haben, sich gerettet haben.

Ich werde diesen Hof so klein machen, daß er sich gezwungen sehen soll, um sein Brot zu betteln.

Und mit diesem Ehrabschneider und Unhold soll sie ein halbes Jahr später den sog. Frieden von Tilsit verhandeln. Welch eine Zumutung!

 

Bild: Wikipedia

Hufeland begleitet die Königin von nun an auf ihrer weiteren Flucht gen Osten. Die Kinder waren bereits nach Schwedt an der Oder vorausgeschickt worden. Luise begrüßte sie dort. Zu den beiden ältesten Söh-nen, dem Kronprinzen (Friedrich Wilhelm IV.) und dem Prinzen Wilhelm I. (dem späteren Kaiser), wandte sie sich mit der … Mahnung:

 

Kronprinz Friedrich Wilhelm IV. (Bild: akg-images.de)

Ich sehe ein Gebäude in ei-nem Tage zerstört, an des-sen Erhöhung große Männer zwei Jahrhunderte hindurch gearbeitet haben. Es gibt keinen preußischen Staat, keine preußische Armee, keinen Nationalruhm mehr.         

Wilhelm I. (Bild: alamy)

 

 

Ach, meine Söhne, Ihr seid in dem Alter, wo Euer Verstand die großen Ereignisse, welche uns jetzt heimsuchen, fassen … kann! Ruft künftig, wenn Eure Mutter nicht mehr lebt, diese un-glückliche Stunde in Euer Gedächtnis zurück. Weinet meinem Andenken Tränen, wie ich sie in diesem Augenblick dem Umsturz meines Vaterlandes weine! – Aber begnügt Euch nicht mit Tränen allein! Handelt und entwickelt Eure Kräfte!

König Friedrich Wilhelm III. hatte indessen den Ent-schluß gefaßt, die Armee zu verlassen. Er wollte fern vom Wirrwarr des Rückzuges und unbeeinflußt von so vielen einander widersprechenden Ratgebern in Ruhe nachdenken.

Die Nachricht, daß der König die Armee verlassen habe, wirkte allerdings derart entmutigend auf die erschöpften Truppen, daß Offiziere und Soldaten ganz einfach nach Hause gingen.

Das erinnert uns an Ludendorffs Entsetzen, als er 14 Tage vor Kriegsende 1918 hörte, daß der Kaiser (Wilhelm II.) abgedankt habe. Er sah richtig voraus, daß nun aller Kampfgeist im Heer erlöschen würde und dem Feind in unserem Land freie Hand lasse, wie’s ja auch kam.

König Friedrich Wilhelm hatte schon am 15. Oktober von Sömmerda aus um Einstellung aller Feindselig-keiten gebeten. Napoleon lehnte natürlich ab, er werde seine Vorteile bis Berlin verfolgen,

wo der Friede sich leichter schließen lasse als in Weimar. Alles komme auf die Opfer an, zu denen Preußen sich verstehen werde.

Erschrocken bevollmächtigte Friedrich Wilhelm sei-nen Botschafter am 18. Oktober, mit Napoleon nicht nur einen Waffenstillstand, sondern selbst Friedens-bedingungen zu unterzeichnen. Er ist bereit, Han-nover, Bayreuth und preußisches Land links der Weser abzutreten.

Napoleon lehnte ab. Er stellte als Friedensbedin-gung, die preußischen Gebiete links der Elbe zu erhalten und den Verzicht Preußens auf jegliche Verbindung mit anderen deutschen Staaten, dazu eine Kriegskostenentschädigung in Höhe von 100 Millionen Francs.

 

Merian 1652

Inzwischen war das Königspaar in Küstrin zusam-mengekommen. Alle Beteiligten an der Beratung (Hardenberg vom König kühl empfangen, hatte Küstrin gleich wieder verlassen) waren sich darin einig, den Frieden unter den Bedingungen anzu-nehmen.

Königin Luise war unglücklich, habe aber ihre innerste Gesinnung beibehalten.

Ich habe keine Armee mehr,

gestand der König. Er mußte sich ergeben, sandte aber seinen Generalquartiermeisterleutnant Karl von Phull nach Petersburg, um dem Zaren seine Zwangs-lage zu verdeutlichen, die ihn zu einem solchen Friedensschluß nötige.

Der König setzte volles Vertrauen in die Freund-schaft des Zaren, in der Hoffnung, daß er alle Mittel zu seiner Hilfe und zur Verteidigung Rußlands auf-bieten und auch Österreich zur Mitwirkung bestim-men würde. Luise übergibt dem Freiherrn von Benkendorff einen Brief ihrer Hand, den er Zar Alexander übergeben solle:

… Alles hat das Unglück zerstört, nur nicht meine Freundschaft für Sie, lieber Vetter und Freund … Was soll aus uns werden? Wären Sie hier, wüßten wir sicher, welche Folgen diese Nachrichten bei Ihnen haben werden, dann würden wir uns erleichtert fühlen. Allein alles aufs Spiel zu setzen, kann ein König ein solches Wagnis vor Gott verantworten?

Der frühere preuß. Gesandte in München Freiherr von Schladen verzeichnet am 7. November in seinem Tagebuch, daß sich die Königin

mit dem liebenswürdigen Freimut und einer über jedes Ereignis erhabenen Seelengröße gegen ihn ausgesprochen und dabei gesagt habe: „Nur feste Ausdauer im Widerstande kann uns retten.“

Graudenz (Bild: dreamstime.com)

In Graudenz erfährt sie von den niederträchtigen Schmähungen Napoleons in dessen Bulletins und Zeitungen und schreibt an die Gräfin Voß:

… Man erfährt nichts von Berlin. Bonaparte speit Gemeinheiten und Beleidigungen gegen mich aus. Seine Flügeladjutanten haben sich mit ihren Stiefeln auf den Sophas in meinen Goblinsalons in Charlottenburg breitgemacht. … er wohnt im Schlosse. Es gefällt ihm in der Stadt Berlin, aber er hat gesagt, er wolle kei-nen Sand, er werde diese Sandgruben dem König lassen. Und man lebt und kann die Schmach nicht rächen.

Indessen erregten die Verleumdungen gegen die Königin

… nur Entrüstung und Verachtung; die Begei-sterung für die Königin Luise wuchs gerade jetzt ungemein. … Die öffentliche Meinung besaß ein richtiges Gefühl dafür, daß bei Friedrich Wilhelm durch sie und durch sie al-lein die gesunden Empfindungen des Volkes zu Worte kamen. (So der Historiker Hart-mann.)

Die Waffenstillstandsbedingungen Bonapartes bein-halteten auch die Forderung: etwaig schon auf preußischem Gebiet befindliche russische Truppen sollten hinter die Ostgrenze zurückgehen.

Friedrich Wilhelm war unschlüssig. Er dachte in dieser Krise wie in anderen auch schon an Thron-verzicht. Die russischen und englischen Diplomaten in seiner Umgebung in Graudenz und Osterode, sei-ne Verwandten, sein Hof verzweifelten schier über seine Apathie, seine Scheu vor großen und raschen Entschlüssen.

Er sprach von den unglücklichen Ereignissen wie von einer fremden Geschichte, nicht wie von der seinigen; tadelte, als wenn er nicht der Richter der einzelnen und der Lenker des Ganzen wäre, ein Ton, den er seit dem Un-glück des Vaterlandes fast immer annahm. (Berichten Zeitgenossen)

Noch härter läßt sich Gräfin Voß in ihrem Tagebuch am 30. Oktober aus:

Die Unentschlossenheit des Herrn, seine Lau-ne, seine Verblendung für seine Umgebung sind unser Unglück.

Zar Alexander I. (Bild: WDR)

Der Zar kündigte den Anmarsch zweier russischer Armeen an und mahnte:

Vereinigen wir uns inniger als je und bleiben wir treu den Grundsätzen der Ehre und des Ruhmes.

Napoleon verhängte am selben Tage die Kontinen-talsperre gegen England.

Sechs! Wochen nach der verlorenen Doppelschlacht von Jena und Auerstedt endlich entschließt „man“ sich, die Reste der versprengten Armee zu sammeln, alle anderen Verhandlungen abzubrechen und im Bunde mit Rußland, dessen Regimenter die preußi-sche Ostgrenze erreicht hatten, den Franzosen energisch zu widerstehen.

 

Schloß Königsberg (Bild: pinterest.de)

Inzwischen hört Luise von schweren Krankheiten ihrer von ihr getrennten Kinder (Nervenfieber, Ruhr). Gräfin Voß war mit ihnen von Danzig nach Königs-berg übergesiedelt, wo sie im Schloß Wohnung ge-nommen hatten. Mutter und Kinder hatten einander wochenlang nicht gesehen.

Hufeland (Bild: weimar-lese.de)

Hufeland betreut die Kinder, bringt Heilung.

Fortsetzung folgt