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Joseph Haydn

In seinem 18. Lebensjahr endlich bekam er seinen Stimmbruch, verlor nach 9 Jahren Mitgliedschaft im Wiener Domchor seine Sopranstimme und wurde von heut auf morgen – mittellos – auf die Straße gesetzt. Die erste Nacht – es war November 1749 – verbrachte er im Freien.

Die Kindheit

Joseph Haydn wurde als zweites Kind seiner Eltern Anna Maria und Mathias Haydn am 31.3.1732 in Rohrau/Niederösterreich geboren.

Weitere 10 Geschwister folgten. Joseph hat sie alle überlebt, als er mit 77 Jahren am 31.5.1809 in Wien stirbt. Über seine Kindheit ist wenig überliefert. In seiner autobiografischen Skizze schildert Haydn seine Mutter als fleißige, reinliche, auf Ordnung achtende Frau und Erzieherin ihrer Kinder.

Der Vater ware von Natur aus ein grosser liebhaber der Music. Er spielte ohne eine Notte zu kennen die Härpfe, und ich als ein knab von 5 Jahren sang ihm alle seine simple kurze stücke ordentlich nach.

Haydn hebt die schöne Tenorstimme des Vaters und den schönen Gesang der Mutter hervor, mit dem beide das Harfenspiel begleiteten.

Früh mußte Joseph das Elternhaus verlassen. Denn – so schildert es Georg-August Griesinger, der Haydn in seinen letzten 10 Lebensjahren oft besuchte und dessen Erzählungen aus seinem Leben für seine Biographischen Notizen über Joseph Haydn aufzeichnete:

Eines Tages kam der Schulrektor [Franck] aus dem benachbarten Städtchen Haimburg, ein entfernter Verwandter der Haydnschen Familie, nach Rohrau. Meister Mathias und seine Gattin gaben nach ihrer Weise ein kleines Konzert, der fünfjährige Joseph saß neben den Eltern und strich einen Stab auf dem linken Arm, als wenn er auf der Violin accompagnirte.

Der Schullehrer sah, daß Joseph genau Takt hielt, also anscheinend musikalisch war, und

rieth den Eltern, ihren Sepperl nach Haimburg zu schicken, damit er zur Erlernung einer Kunst angehalten würde, die ihm die Aussicht, mit der Zeit “ein geistlicher Herr zu werden”, unfehlbar eröffnete. Freudig ergriffen die Eltern, als eifrige Verehrer der Geistlichkeit, diesen Antrag, und im sechsten Jahr kam Joseph Haydn zum Schulrektor nach Haimburg. Hier erhielt er Unterricht im Lesen und Schreiben, im Catechismus, im Singen, und in fast allen Blas- und SaitenInstrumenten, sogar im Paukenschlagen. “Ich verdanke es diesem Manne noch im Grabe,” sagte Haydn öfters, “daß er mich zu vielerley angehalten hat, wenn ich gleich dabey mehr Prügel als zu essen bekam.“

Voll Dankbarkeit vermerkt er:

Gott der allmächtige (welchen ich alleinig so unermessene gnade zu dancken) gab mir besonders in der Music so viele leichtigkeit, indem ich schon in meinen 6ten Jahr ganz dreist einige Messen auf den Chor herab sang, auch etwas auf dem Clavier und Violin spielte.

So ungeregelt wie seine Rechtschreibung und Grammatik war auch die Schreibung seines Namens. Wir lesen ihn als Haiden, Hayden, Haidn, Haitn, Haytn, Heyden, Haidten, Haid, Hain, Hadn, Hättn, Heidn, Hein oder Heim. Der Vater unterschrieb mit Häyn. Und lange unterzeichnete Joseph Haydn mit verschiedenen Schreibweisen. (Pieck)

Im Gegensatz zum protestantischen Norden zögerte der katholische Süden des Reiches lange mit der Einführung einer einheitlichen Rechtschreibung. Aus Österreich berichtet Friedrich Nicolai 1781, dort habe man

die deutsche Muttersprache gänzlich versäumt. Ein gebildeter Provinzialdialekt mit Klosterdeutsch vermischt, oder der allerholperigste Kanzleistil hieß deutsche Schreibart, und alles Gute, was auf der Muttersprache wächst, mußte entbehrt werden.

Sauberkeit und Ordnung wie bei seiner Mutter gab es bei der Schulrektorsfrau Juliane Rosina Franck so wenig, daß der kleine Joseph darunter litt.

Um der Reinlichkeit willen

trug er seine Perücke schon dort in Hainburg. Sie blieb sein Kleidungsstück bis ans Ende seiner Tage.

1739 sollte bereits eine Wende seines jungen Lebens eintreten: Domkapellmeister Georg Reutter aus Wien – auf Talentsuche – schaute auch beim Schulrektoren-Ehepaar Franck ein.

Lüstern schielte der kümmerlich genährte Sepperl nach den Kirschen, die auf dem Tische des Dechanten standen; Reutter warf ihm einige Hände voll in den Hut, und er schien mit den lateinischen und italiänischen Strophen, die Haydn singen mußte, wohl zufrieden. (Griesinger)

Haydn erzählt:

in den 7ten Jahr meines alters hörete der Seel: Herr Capell Meister v. Reutter in einer Durchreise durch Haimburg von ungefähr meine schwache doch angenehme stime. Er nahme mich alsogleich zu sich in das Capell Hauß, allwo ich nebst dem Studiren die sing kunst, das Clavier, und die Violin von sehr guten Meistern erlehrnete. ich sang allda sowohl bey St: Stephan als bey Hof mit grossem Beyfall bis in das 18te Jahr meines alters den Sopran.

Im Kapellhaus sollte es dann – später auch für seinen jüngeren Bruder Michael – den wöchentlichen „Schilling“ geben, eine Tracht Prügel nämlich. Dieses Strafmaß war sicher immerhin geringer als das von Hainburg. Dafür war das Maß an Nahrung wohl etwas größer, vor allem wenn der Chor auswärts sang und die Buben sich die Taschen mit Nudeln und ähnlichen Brosamen vollstopfen konnten, die von der Herren Tische fielen.

Mit knapper Not entging er dem Kastratenschicksal, weil sein Vater herbeieilte und einschritt.

 

Von den 9 Jahren seines Aufenthaltes im Kapellhaus wissen wir allzu wenig. Überliefert ist, daß Haydn sich aus der Literatur selber herauslesen mußte, was er zur Kompositionskunst lernen wollte. So las er die Kompositionslehren des bedeutenden Hamburger Erneuerers der Musik Johann Mattheson und des Musiktheoretikers Johann Joseph Fux. Doch seine ersten Versuche, acht- und gar sechzehnstimmige Kompositionen zu Papier zu bringen, mißlangen. Haydn selbst erzählt:

Ich glaubte damals, es sey alles recht, wenn nur das Papier hübsch voll sey; Reutter lachte über meine unreifen Produkte, über Sätze, die keine Kehle und kein Instrument hätte ausführen können, und er schalt mich, daß ich sechzehnstimmig komponirte, ehe ich noch den zweystimmigen Satz verstünde.

Ein Wunderkind war Haydn also nicht. Vielleicht ein verhindertes?

Mitgenommen aus dem Kapellhaus hat er, was er sich selbst erarbeitet hat:

Mit unermüdeter Anstrengung suchte sich Haydn Fuxens Theorie verständlich zu machen; er ging seine ganze Schule praktisch durch, er arbeitete die Aufgaben aus, ließ sie einige Wochen liegen, übersah sie alsdann wieder, und feilte so lange daran, bis er es getroffen zu haben glaubte. “Das Talent lag freylich in mir; dadurch und durch vielen Fleiß schritt ich vorwärts“,

erzählt er später Griesinger.

Haydn war zu einem stämmigen, mittelgroßen jungen Mann herangewachsen, hatte eine mit Blatternnarben übersäte Gesichtshaut, eine große, lebenslang von einem Polypen geplagte Nase, eine gewichtige und daher etwas hängende Unterlippe und hielt sich selbst für häßlich.

Wohin nun?

Drei seiner damaligen Unterkünfte sind heute bekannt: bei einem Ehepaar mit Kind, das ein einziges Zimmer bewohnte; bei einem weiteren Ehepaar, bei dem er im Schlafzimmer auf dem Fußboden übernachten durfte; schließlich in einer Dachkammer des Alten Michaelerhauses am Kohlmarkt.

Seinen Eltern war er in Rohrau nun nicht mehr willkommen. Sie drängten ihn, Priester zu werden. Und Haydn überlegte zeitweilig, in den Florentiner Bettelorden der Serviten einzutreten, um seinen nagenden Hunger zu stillen.

Dazu unternahm er im Frühling 1750 eine Wallfahrt nach Mariazell. Die 80 Kilometer von Wien bis dorthin bewältigte er in dreieinhalb Tagen. Dort gab es kräftige Pilgerkost, Übernachtungsmöglichkeit im Heustadl und neue Hoffnung für den noch unbekannten Musiker:

Er hatte einige Motetten von seiner Composition in der Tasche, und bat den Regens chori daselbst, sie in der Kirche auflegen und singen zu dürfen. Diese Bitte wurde ihm abgeschlagen; um aber seinen Zweck, sich hören zu lassen, zu erreichen, nahm er am folgenden Tage seine Zuflucht zu einer List. Er stellte sich im Chor hinter den Knaben, welcher die Altstimme zu singen hatte, und bot ihm einen Siebenzehner, wenn er ihm seine Stelle einräumen wollte; der Knabe getraute sich aus Furcht vor dem Lehrer nicht, den Handel einzugehen, und nun schob Haydn rasch die Noten vom Pulte über den Kopf des Knaben hinweg, und sang zur allgemeinen Zufriedenheit. Der Regens chori sammelte eine Kollekte von sechzehn Gulden, und schickte damit den hoffnungsvollen Jüngling nach Wien zurück.

Der Versuchung, in einem Mönchsorden sein Leben zu fristen, widerstand er.

Da ich endlich meine stimme verlohr, muste ich mich in unterrichtung der Jugend ganzer 8 Jahr kumerhaft herumschleppen (NB: durch dieses Elende brod gehen viele genien zu grund, da ihnen die zeit zum studiren manglet), die Erfahrung trafte mich leyder selbst, ich würde das wenige nie erworben haben, wan ich meinen Compositions Eyfer nicht in der nacht fortgesezt hätte.

Zu der Zeit hatten die Wiener noch immer viel Spaß an dummen, geschmacklosen Hanswurststücken, wie sie in ganz Deutschland üblich waren, aber von Lessing und Gottsched bekämpft sowie von der Neuberin gemieden wurden, die durch ihre Auswahl des Besseren ganz entscheidend dazu beitrug, daß das deutsche Theater in Richtung „moralische Anstalt“ (Schiller) aufstieg. Der krumme Teufel des Komödianten Johann Felix Kurz mag so eine Hanswurstiade gewesen sein. Haydn schrieb die Musik dazu. Die ist verloren gegangen. Das Stück aber war am Kärntnertortheater mit Erfolg über die Bühne gegangen und trug Haydn mit einem Schlag vierundzwanzig Dukaten ein, das waren über einhundert Gulden. Er konnte seine Schulden begleichen und sich endlich satt zu essen kaufen.

Im Michaelerhaus

Sein Kämmerchen war gerade groß genug für Bett, Tisch und Stuhl, hatte aber Tageslicht durch ein Fenster, das zum Michaelerplatz und Kohlmarkt hinuntersah. Weil die Schräge zu den Dachziegeln nur notdürftig verschalt, also nicht isoliert war, wurde es im Kämmerchen während des Sommers zu heiß, im Winter zu kalt, im Frühling und Herbst zu feucht, weil Regen oder Schnee durch die Spalten der nicht fugendicht aufliegenden Dachziegel eindrang.

Es scheint, daß es im Dachgeschoß einen Mieter gab, der ein “wurmstichiges Klavier” besaß, das er Haydn auslieh. Teuer wurde nun noch der Kauf musikalischer Lehrbücher. (Pieck)

Haydn beschaffte sich mehrere, darunter das Werk Treulicher Unterricht im General-Baß von David Kellner. Besonders auch die sechs ersten Klavier-Sonaten von Carl Philipp Emanuel Bach waren ihm Lehrbuch:

Da kam ich nicht mehr von meinem Klavier hinweg, bis sie durchgespielt waren, und wer mich gründlicher kennt, muß finden, daß ich dem Emanuel Bach sehr vieles verdanke, denn ich habe ihn verstanden und mit Fleiß studiert.

Das einschließlich Dachgeschoß sechsstöckige Michaelerhaus beherbergte im 1. Stock die Fürstin Maria Octavia Esterházy, die Mutter Paul Antons. Bis zu dessen Volljährigkeit war sie Regentin der weitverzweigten Familie gewesen und danach nach Wien gezogen.

Die Esterházys – treu an der Seite des Habsburger Herrscherhauses, bewährt im Abwehrkampf gegen die Türken – waren große Kunstliebhaber und -­förderer. Sie besaßen

weit über 60 Schlösser, über 110 Kirchen, etliche Schulen und Pensionshäuser, verteilt auf sämtliche Staaten der ehemaligen K.u.K. Monarchie. (Wikipedia)

Die Esterházys werden Haydns Schicksal für 40 Jahre seines Lebens.

Wir wissen nicht, ob Haydn der Fürstin vorgestellt wurde. Denkbar ist aber, daß sie von Haydns Talent mehr wußte, als der ahnte, und vielleicht hat sie seine spätere Anstellung im Hause Esterházy ihrem Sohn empfohlen,

meint der Musikwissenschaftler Pieck.

Ein weiterer für Haydn bedeutsamer Bewohner des Michaelerhauses – im 3. Stock – war der von Maria Theresia zum Ritter erhobene Neapolitaner spanischer Herkunft Niccolò Martínez, bei dem der berühmte Librettist Pietro Metastasio alias Trapassi als Freund ein- und ausging. Er war der Hauslehrer der zwölfjährigen Tochter Marianna seines Freundes Martínez. Zu deren Erziehung wurde nun auch Haydn zugezogen. Er mußte ihr

Unterricht im Singen und Klavierspielen geben … und erhielt dafür drei Jahre lang die Kost umsonst. (Griesinger)

In seinem Nachfolger als Gesangslehrer, dem Neapolitaner Niccolò Porpora, erhielt er eine weitere wichtige Beziehung.

Ich gerieth in die Bekanntschaft des bekannten Kapellmeisters Porpora, dessen Unterricht häufig gesucht wurde; der aber, vielleicht wegen Alters, einen jungen Gehülfen suchte und solchen in meiner Person fand.

Dafür bezahlte Porpora mit Kompositionsanweisungen.

… ich schriebe fleissig, doch nicht ganz gegründet, bis ich endlich die gnade hatte von dem berühmten Herrn Porpora (so dazumahl in Wienn ware) die ächten Fundamente der sezkunst zu erlehrnen.

Dabei ertrug Haydn nicht nur dessen körperliche Unsauberkeit, sondern auch seine mürrische Art:

Da fehlte es nicht an Asino [Esel], Coglione [Dummkopf], Birbante [Schelm] und Rippenstößen; aber ich ließ mir alles gefallen, denn ich profitierte bey Porpora im Gesange, in der Komposition und in der italienischen Sprache sehr viel. (zit. von Griesinger)

Die Bekanntschaft mit Porpora bescherte ihm aber auch schönes Erleben. Eine gewisse „Wilhelmine“, Geliebte des venezianischen Botschafters in Wien, Pietro Correr, war ebenfalls seine Schülerin. Sie und Correr besuchten gern den Badeort Mannersdorf wegen seiner schwefelhaltigen Quellen. Dort gefiel es auch Maria Theresia so gut, daß sie sich dort des öfteren aufhielt, was dann auch die Wiener Adelsgesellschaft in Mannersdorf zusammenführte, so auch Correr und „Wilhelmine“.

Die wollte nun auch dort nicht auf ihren Gesangsunterricht verzichten. Porpora und sein unentbehrlich gewordener Klavierbegleiter und Stiefelknecht Haydn mußten mitreisen.

Drey Monate hindurch versah hier Haydn Bedientendienste bey Porpora, er speiste an Corrers Offiziantentafel, und bekam monatlich sechs Dukaten. (Griesinger)

Unter den Sommergästen von Mannersdorf befand sich auch Prinz Joseph (von Sachsen-Hildburghausen). Der gab in seiner Mannersdorfer Villa Abendkonzerte, zu denen er Correr, Wilhelmine, Porpora und Haydn einlud. Haydn

mußte hier zuweilen dem Porpora, in Gegenwart Glucks, Wagenseils und anderer berühmter Meister, am Klavier accompagniren, und der Beyfall solcher Kenner diente ihm zur besonderen Aufmunterung.

So war Haydn nun eingeführt in die Gesellschaft erstklassiger musikalischer Meister – auch Carl Ditters (später geadelt als von Dittersdorf) war unter ihnen – und lernte auch, sich als Diener der Adelsgesellschaft

zwar nicht servil, doch angenehm beflissen rund um die Uhr auf dem Posten höchstderselben Befehle gewärtig (zu halten). (Pieck)

In geordneten Verhältnissen

1754 stirbt seine Mutter mit 47 Jahren. Noch im Sterbejahr seiner Frau heiratet Vater Mathias die neunzehnjährige, von ihm schwangere Hausmagd Anna Maria Seeger. Wegen „Unzucht“ wird er mit einer Geldbuße von 10 Gulden bestraft. Joseph Haydn und seine Geschwister sind tief enttäuscht von ihrem Vater.

Haydn kann es sich jetzt leisten, aus seiner Dachkammer auszuziehen und ein Zimmer in der Seilerstätte zwischen Stadtmauer und Stephansdom zu nehmen. Ein recht sicheres Gehalt verdient er u. a. als Primgeiger bei den Barmherzigen Brüdern und kann sein Einkommen darüber hinaus als Gelegenheitsorganist im Palais des Grafen von Haugwitz aufbessern, des Grafen, der im Auftrag Maria Theresias die Verwaltung der Monarchie modernisieren wird.

1756 beginnt der Siebenjährige Krieg. Die Staatskasse wird stark in Anspruch genommen. Musiker sind in dieser Zeit wenig gefragt. Völlig mittellos – Haydn wird auch noch sein gesamtes Hab und Gut in der neuen Wohnung gestohlen – hat er Glück im Unglück: Carl Joseph Weber Edler von Fürnberg, ein hoher Beamter der Niederösterreichischen Landesregierung, lädt ihn ein, sich auf seinem Schloß Weinzierl bei Wieselburg zu erholen, kostenlos!

Dort lädt der Edle von Fürnberg

von Zeit zu Zeit seinen Pfarrer, seinen Verwalter, Haydn und Albrechtsberger zu sich, um kleine Musiken zu hören. Fürnberg forderte Haydn auf, etwas zu komponiren, das von diesen vier Kunstfreunden aufgeführt werden könnte.

Haydn schreibt sein erstes Streichquartett. Er selbst spielt Bratsche, Albrechtsberger Cello. Der gilt als der beste Organist Europas, wird Mozarts Freund und später Kompositionslehrer Beethovens und Schuberts.

Haydn erinnert sich im Alter an Fürnberg als an einen Gönner, von dem er „besondere gnaden genossen“ habe, u. a. die, dem böhmischen Grafen von Morzin weiterempfohlen worden zu sein. Der besitzt in Prag ein Palais, in Lukavec ein Schloß und stellt Haydn als Musikdirektor ein für das kleine Orchester des Grafen, bestehend aus Streichern, Oboen, Fagott und Hörnern.

Nun endlich, im Jahre 1759, im Alter von 27 Jahren hat er trotz Krieg und knappen Kassen eine Anstellung erreicht, die ihm seine Existenz sichert, dazu Zeit und Ruhe zum Komponieren: Er erhält 200 Gulden Jahresgehalt bei freier Wohnung und Kost an der Offizierstafel.

Aber unverheiratet soll der Kapellmeister sein. An diesen Vertragspunkt hält sich Haydn nicht. Er heiratet noch im selben Jahr, ohne daß es dem Grafen auffällt.

Von der „Xantippe“ und anderen Frauen um Haydn

In Wien hat er die beiden Töchter des Friseurs Keller unterrichtet und sich in die jüngere verliebt, deren Gegenliebe er jedoch nicht erringen kann. Sie geht ins Kloster, und Haydn tröstet sich mit der älteren Schwester Maria Anna Aloisia Apollonia, die von Haydns Biographen schon bald nach seinem Tode mit Häme übergossen und als wahres Monster dargestellt wird, „Xantippe“ genannt nach dem Namen der legendären Frau des Sokrates, die den gleichen, unausrottbaren Verriß wie Haydns Frau erlitt.

Biograph Dies hat Maria Anna nie gesehen ebenso wie Biograph Pohl, für den ein halbes Jahrhundert nach Maria Annas Tod

nur zu gewiß (ist), daß Haydn “von seinem Weibe die Hölle im Hause hatte”. Mit ihr “brachte sich Haydn ein unverträgliches, zanksüchtiges, herzloses, verschwenderisches und bigottes Weib, eine keifende Xantippe, ins Haus”. Nach den “glaubwürdigsten Zeugnissen” sei sie eine “gebieterische und eifersüchtige Frau” gewesen, dazu “keiner Überlegung fähig”. Sie “war aber auch boshaft und suchte ihren Mann geflissentlich zu ärgern”. So habe sie, “soviel auch Haydn dagegen eiferte, seine Partituren zu Papilotten”, also Haarwickeln, und “zu Pasteten-Unterlagen” mißbraucht, und dadurch sei manche Handschrift Haydns verschwunden. Das Zusammenleben mit einem solchen Ausbund an Tücke und Unverstand, dazu noch “ohne körperliche Reize”, konnte nur, schließt Pohl, in das für Haydn unverdiente Unglück führen: Er “hatte nie die Freuden häuslichen Glücks erfahren und nur ein Charakter wie der seinige vermochte das traurige Loos einer solchen, obendrein kinderlosen Ehe zu ertragen.“

So Pieck, der fortfährt: Auch Griesinger erweise sich hier als wenig zuverlässig. Der habe mit der Frau im Sommer 1799 “einige Worte” gewechselt und sie

danach in einem Brief an seinen Leipziger Verlag als “eine gute alte Matrone” bezeichnet. Doch gleich nach ihrem Tode ein Jahr darauf habe er sein Urteil ins Gegenteil verkehrt.

Äußerungen Haydns über seine Frau werden widersprüchlich kolportiert. Bei Dies finde sich z. B. Haydns Bekenntnis „Wir gewannen uns lieb“ gleich neben der Behauptung des Biographen, Haydn habe seine Frau „gegen seine Neigung“ geheiratet.

Schwerer wiegt, was sich Griesinger erlaubte. Sein Bericht über Haydns Bemerkung, “Die verdient nichts” auf das Angebot, Frau Haydn ein Geschenk zu machen, ist nämlich absichtsvoll gekürzt. Griesinger hatte nach dem Gespräch Anfang 1800, also in den letzten Lebenswochen Maria Annas, brieflich nach Leipzig gemeldet, Haydn habe erwidert: “Dawider protestiere ich förmlich, ich liebe mein Weib, es fehlt ihr an nichts, aber sie hat keine Verdienste, die Belohnung verdienen.” Erst für seine “Biographischen Notizen” hat Griesinger das Gespräch retuschiert.

Haydn würdigt hier zwar die Arbeit seiner Frau herab, die sie im gemeinsamen Haus in Eisenstadt leistet – das zweimal abbrennt, so daß die Haydns 1793 in das von Maria Anna in Gumpendorf bei Wien ausgesuchte, auf eigene Kosten der Haydns aufgestockte Haus ziehen –, wie er auch ihre Arbeit in der Musikerwohnung auf Esterháza herabwürdigt als etwas, was kein Verdienst lohne, obwohl seine Frau zeitweilig verwandte wie auch nichtverwandte Pflegesöhne betreut sowie ihrem Ehemann den Rücken freihält, so daß er sich seinem Schaffen hingeben kann.

Darüber hinaus aber wird hier vor allem eine von Haß geleitete Einseitigkeit Fremder sichtbar, die sich nicht scheuen, einen Menschen nachhaltig zu verunglimpfen. Haydn hat allerdings mit weiteren Äußerungen dazu beigetragen. Er gesteht ein,

für die Reize anderer Frauenzimmer weniger gleichgültig

gewesen zu sein, denn

mein Weib war unfähig zum Kindergebären.

Zweifel an sich selbst als Mann waren zu damaliger Zeit nicht angesagt. Fürs Kinderkriegen war allein und in vollem Umfang die Frau verantwortlich.

Eine seelisch warme Beziehung zeigt sich in seinen 26 Briefen an Marianne Sabina Edle von Genzinger. Die damals achtunddreißigjährige begabte Musikliebhaberin und Mutter von 6 Kindern hat den Briefwechsel am 10.6.1789 damit begonnen, Haydn um die Durchsicht eines Arrangements zu bitten, das sie von einer Komposition Haydns für Klavier eingerichtet hat. Er antwortet, er bewundere

das eingeschückte – treflich übersezte Adagio, welches Ihrer Richtigckeit wegen jeder Verleger unter die Presse legen kan.

Verständlich, daß da Frau Haydn nicht mithalten kann, die selbst zugegeben hat, von Musik nichts zu verstehen. Ja, nach Worten Haydns ist es ihr sogar

gleichgültig, ob ihr Mann ein Schuster oder ein Künstler ist.

Häufig ist er nun Gast bei den Genzingers, und als er einmal einer Einladung nicht nachkommen kann, weil der Fürst, dem er zu folgen hat, kurzfristig die Rückreise von Wien nach Fertöd (Esterháza) angetreten hat, schreibt er ihr:

Nun – da siz ich in meiner Einöde – verlassen – wie ein armer waiß – fast ohne menschlicher Gesellschaft – traurig – voll der Erinnerung vergangener Edler täge.

Marianne von Genzinger stirbt 1792.
Seinem Biografen Dies zeigt Haydn 1806 noch selbst einen Briefwechsel mit

einer englischen Witwe in London, die mich liebte; aber sie war, ob sie gleich schon sechzig zählte, noch eine schöne und liebenswürdige Frau, die ich, wenn ich damals ledig gewesen wäre, sehr leicht geheiratet hätte.

Ihr hat er – „my dearest and most beloved Haydn“ – drei Klaviertrios gewidmet.
Daß seine Frau allmählich eifersüchtig wird, ist verständlich, um so mehr, wenn wir eine andere Affäre betrachten: Er verliebt sich in die neunzehnjährige Sängerin Luigia Polzelli, geborene Moreschi aus Neapel, die 1779 mit ihrem Mann, dem Geiger Antonio Polzelli, bei Esterházy für die fürstliche Kapelle in zweijährigen Vertrag genommen worden ist. Mit Erfolg setzt sich Haydn bei seinem Brotherrn dafür ein, daß der Vertrag verlängert wird. So bleiben die Polzellis, deren Ehe nicht glücklich ist, bis 1790, als die Kapelle aufgelöst wird und auch Haydn seine Freiheit erlangt. Haydn und Luigia bleiben in italienisch geführter brieflicher Verbindung, so daß ihre Hoffnung auf den baldigen Tod ihrer beiden Ehegatten der Nachwelt überliefert ist. In einem Brief an Luigia vom März 1791 läßt Haydn sich herbei, zu Papier zu bringen:

Du hast gut getan, ihn ins Spital bringen zu lassen, um dein Leben zu erhalten.

Im August noch zynischer:

Was deinen armen Mann betrifft, sage ich dir, daß die Vorsehung wohl daran getan hat, dich von einer schweren Bürde zu befreien, da es besser ist, in der andern Welt zu sein, als unnütz in dieser. Der Arme hat genug gelitten.

Und bald darauf, als Antonio das Zeitliche gesegnet hat, unverblümt: Vielleicht werde die Zeit kommen,

von der wir beide so oft geträumt haben, wenn vier Augen geschlossen sein werden. Zwei haben sich geschlossen, aber die anderen zwei – genug, Gottes Wille geschehe.

Als er in Fertöd festsitzt, berichtet sie aus Wien, Frau Haydn sei schwer erkrankt, worauf Haydn antwortet:

…mit ihrer üblichen Art von Krankheit kann sie mich noch um Jahre überleben. Nun, wir haben ihr Schicksal der Vorsehung zu überlassen.

Wieder in Gumpendorf, schreibt er Luigia im nächsten Brief:

Meine Frau ist die meiste Zeit krank, und immer übler Laune

– sie leidet unter Arthritis –,

aber es kümmert mich nicht mehr – schließlich wird auch diese Plage eines Tages enden.

Luigias Sohn Anton, 1783 geboren, gilt gerüchteweise als Haydns Sohn.

Briefe von seiner Frau Maria Anna sind bisher nicht aufgetaucht. In ihrem eigenhändig geschriebenen Testament von 1799 nennt sie Haydn mehrmals ihren „lieben Ehegatten“, den sie als Universalerben einsetzt und dem sie die Art ihrer Bestattung überläßt, somit ihr noch immer vorhandenes Vertrauen zum Ausdruck bringt.

Was sich im Einzelnen zugetragen hat, bleibt im Dunkeln. Es geht uns auch nichts an. Doch von Haydns Frau als „Xantippe“ zu sprechen, verbietet sich jedenfalls.

Beim Fürsten Esterházy

Zurück ins Jahr 1761! Haydns erste Festanstellung endet bereits 2 Jahre nach deren Beginn. Morzin sieht sich gezwungen, wegen Zahlungsschwierigkeiten sein Orchester aufzulösen und Haydn zu entlassen. Doch wieder hat Haydn Glück: Paul Anton Fürst Esterházy,

suchte … einen jungen Assistenten zur Unterstützung seines alternden Kapellmeisters Werner. Seine Wahl fiel auf Haydn, dessen Vorzüge er bei Morzin schätzen gelernt hatte. (Barbaud).

Haydn ist überglücklich. Noch viel mehr Grund, über die Wahl überglücklich zu sein, hat – wie sich zeigen wird – der kunstsinnige Paul Anton wie auch sein ebenso kunstsinniger Bruder Nikolaus, der ihm nach seinem Tode 1762 in der Regentschaft folgt.

Schloß und Umgebung von Esterháza schildert recht anschaulich der Zeitgenosse Johann Kaspar Riesbeck im 33. Brief seiner 1783 veröffentlichten Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland:

Nicht lange nach meiner Ankunft allhier machte ich eine Lustreise nach dem Residenzschloß des Fürsten Esterhazy, welches ohngefähr eine Tagreise von Preßburg entlegen ist. Ohne Zweifel kennst du den Ort schon aus Moores Reisebeschreibung. Vielleicht ist ausser Versailles in ganz Frankreich kein Ort, der sich in Rücksicht auf Pracht, mit diesem vergleichen liesse.

Das Schloß ist ungeheuer groß, und bis zur Verschwendung mit allem Geräthe der Pracht angefüllt. Der Garten enthält alles, was die menschliche Einbildungskraft zur Verschönerung, oder wenn du willst, zur Verunstaltung der Natur ersonnen hat. Pavillons von allen Arten sehen wie die Wohnungen wohllüstiger Feen aus, und alles ist so weit über dem gewöhnlichen Menschlichen, daß man beym Anblick desselben einen schönen Traum zu traumen glaubt …

Was die Pracht des Orts ungemein erhöht, ist der Abstich desselben mit der umliegenden Gegend. Oeder und trauriger läßt sichs nicht denken.

Der Neusiedler See, wovon das Schloß nicht weit entfernt ist, macht Meilen lange Moräste, und droht alles Land bis an die Wohnung des Fürsten hin, mit der Zeit zu verschlingen, wie er denn schon ungeheure Felder, die angebaut waren, und den ergiebigsten Boden hatten, verschlungen hat. Die Bewohner des angränzenden Landes sehen größtentheils wie Gespenster aus …

Sein Schloß steht ganz einsam, und er sieht niemand um sich als seine Bedienten, und die Fremden, welche seine schönen Sachen beschauen wollen. Er hält sich ein Marionettentheater, welches gewiß einzig in seiner Art ist. Auf demselben werden von den Puppen die größten Opern aufgeführt … Sein Orchester ist eins der besten die ich je gehört, und der grosse Haiden ist sein Hof- und Theaterkompositeur.

Doch bei seiner Ankunft auf Esterháza 1761 steht Haydn erst am Anfang seiner Karriere. Er gehört zum Hofstaat des Fürsten, darin aber zur Oberklasse der Hausoffiziere.

Zuerst einmal hat er einen Vertrag zu unterschreiben, in dem in 14 Punkten seine Pflichten und des Fürsten Rechte festgelegt sind:

  • Er hat bei Hofe Uniform und eine bestimmte Frisur zu tragen, an den gemeinsamen Mahlzeiten des Hofgesindes teilzunehmen und „andern umgang“ mit der eigenen Familie zu meiden.
  • Alle in Auftrag gegebenen Kompositionen gehören dem Fürsten, Abschriften für andere sind nicht gestattet.
  • Morgens und abends hat er dem Fürsten aufzuwarten, bis der geneigt ist, ihm seine musikalischen Aufträge zu erteilen – viel kostbare Zeit wird er künftig mit der Warterei vertrödeln.
  • Als Vizekapellmeister hat er Streit zwischen den Musikern zu schlichten, für die Ordnung des Notenmaterials und der Instrumente zu sorgen, Sängerinnen zu unterrichten, damit sie auf der Höhe ihres in Wien „mit vieler mühe und Speesen“ erworbenen Könnens bleiben, und hat alles zu tun, sich die Zufriedenheit der Herrschaft zu erwerben.
  • Er erhält 400 Gulden jährlich als Lohn, freie Kost an der Offizierstafel und kann frühestens nach 3 Jahren mit halbjährlicher Kündigungsfrist seinen Dienst quittieren, wohingegen ihn der Fürst jederzeit fristlos entlassen kann.

Gemessen an anderen Komponisten-Schicksalen hat es Haydn noch gut getroffen.

Er hat nicht rebelliert wie Mozart und Beethoven. Er war ein Diener. Bach war ein Diener der Kirche, Haydn war der Diener einer besonderen Klasse: der Edelklasse. Er hat sich ziemlich wohlgefühlt. (Pierre Boulez)

Haydns legendärer Arbeitseifer sowie sein gleichförmiger Tagesablauf machen es möglich, daß er trotz der Zickereien der Orchester-Höflinge – untereinander und teils gegen ihn – und tausender Kleinigkeiten des Hofdienstes Muße findet, sein umfangreiches Gesamtwerk zu schaffen, u. a. über 106 Symphonien, an 150 Streichquartette (davon nach Hoboken 67 „zweifelhafte“) und weitere zahlreiche Instrumentalwerke, darunter allein 126 Trios für Baryton (das Instrument des Fürsten Nicolaus), Bratsche und Violoncello, dazu Oratorien, Messen, Opern, Singspiele.

Sehr bald sind sein Orchester und damit sein Ruf als Musiker weithin berühmt. Dem Autodidakten Haydn erwächst nun auf Esterháza ein wahres Versuchslabor, in welchem er seine eigene Kompositionsweise entwickelt und damit allen nachfolgenden Musikschaffenden das Tor aufstößt zu neuen Wegen in der Musik.

Mein Fürst war mit allen meinen Arbeiten zufrieden, ich erhielt Beyfall, ich konnte als Chef eines Orchesters Versuche machen, beobachten, was den Eindruck hervorbringt, und was ihn schwächt, also verbessern, zusetzen, wegschneiden, wagen; ich war von der Welt abgesondert. Niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irre machen und quälen, und so mußte ich original werden,

blickt Haydn im Alter zurück.

Fürst Nicolaus kommt das Verdienst zu, erkannt zu haben, welche Möglichkeiten des bereichernden Neuen darin lagen, Haydns Einfällen Raum zu geben. Anerkannte Interpreten unserer Zeit urteilen über das Ergebnis:

  • „Seine Quartette und Symphonien sind Kontinente von unerschöpflicher Vielfalt. Dabei sehe ich Haydn nicht in erster Linie als Klassiker, der Ordnung in das Haus der Musik gebracht hat, sondern als Entdecker und Abenteurer. Wie vieles hat er als Erster gewagt und welche Frische haben seine Innovationen noch heute!“ (Pianist Alfred Brendel)
  • „Er steht Mozart und Beethoven um nichts nach. Er ist ein Revolutionär, besticht durch höchste Originalität und hat eine Sprache begründet.“ (Dirigent András Schiff)
  • „Ich will nichts gegen Mozart, den ich wie einen Gott verehre, sagen, aber ein Teil der Haydn-Sonaten ist viel genialer als die Mozarts.“ (András Schiff)
  • „Wollte man Haydns Schaffen kurz charakterisieren, muß man unbedingt ,seinen Witz, die rhythmische Raffinesse, die Entwicklung eines populären Stils, die bewußte Einbeziehung von Elementen der Tanz- und Volksmusik und natürlich sein tonales und melodisches Gespür nach dieser langen Vorherrschaft des Barock‘ nennen.“ (Dirigent Roger Norrington)
  • „Die Harmonie bei ihm ist kühner als bei Mozart … Mozart ist … einmalig … in seinem Sinn für Melodie. Auch Haydn hatte diesen besonderen Sinn für Melodie, aber er war vor allem ein Architekt. Das ist der Grund, weshalb wir nicht in Mozart, sondern in Haydn den Vorgänger von Beethoven sehen. Haydn schuf aus einem Fragment einen ganzen Symphoniesatz, wie es Beethoven später in seiner ,Fünften‘ machte … Der Beginn der Schöpfung, diese Schilderung des Chaos, zählt, eingeschlossen die gesamte zeitgenössische Musik, bis heute zum Modernsten, was jemals komponiert wurde.“ (Dirigent Riccardo Muti)
  • „Die Brillanz ist ein Resultat seines großen Humors, gleichzeitig besticht Haydn durch große Tiefe und Wärme. Wenn man sich mit seinen Symphonien, seinen Streichquartetten, auch mit seiner Vokalmusik auseinandersetzt, ist man immer wieder von diesem Klischee überrascht, daß Haydns Musik kaum mehr als kultivierte Unterhaltung sein sollte. Selbst seine Divertimenti sind tiefsinnig und zeugen von Intellektualitität.“ (Mezzosopranistin Bernarda Fink)

Daß Haydns Musik leicht zu spielen sei und man ein Konzert gut mit einem „Haydn“ beginnen lassen könne, um sich warmzuspielen, ist eine Ansicht, die erfahrene Musiker zurückweisen:

  • „Haydn ist entgegen landläufiger Meinung irrsinnig schwer zu spielen … Das Einfachste ist am schwersten zu spielen, es ist tiefste Musik. Von Jean Paul gibt es ein sehr schönes Bonmot: Sprachkürze ist Gedankentiefe. Das läßt sich auch auf diese vermeintliche Leichtigkeit bei Haydn münzen.“ (Pianist Markus Hinterhäuser)
  • Um Haydns Werke „adäquat darzustellen, braucht man viel Probenzeit.“ (Cellist und Dirigent Nikolaus Harnoncourt)
  • „Eine langweilige Aufführung von Haydn ist eine Sünde.“ (Norrington)
  • „Von selbst spielt Haydn sich jedenfalls nicht.“ (Brendel)
  • „… daß ein Orchester, welches Haydn hervorragend spielt, alles hervorragend spielen kann …“, hebt der Fagottvirtuose Milan Turkovic hervor.
  • „Das 19. Jahrhundert war mit wenigen Ausnahmen (Mendelssohn, Brahms) Haydn-blind.“ (Brendel)
  • Seine Oratorien und Opern „waren damals – wir sprechen von den 1950er Jahren – vollkommen unbekannt.“ Der französische Dirigent Pierre Boulez kann hier glücklicherweise in der Vergangenheit sprechen.

Freiheit

Nicolaus Fürst Esterházy stirbt 1790. Erbe ist sein Sohn Anton. Der ist kein Musenfreund und entläßt bereits zwei Tage nach dem Tod des Vaters die Musiker der Kapelle. Einige Bläser behält er für seine „Feldharmonie“.

Haydn behält nominell sein Amt, ist aber seinen Pflichten enthoben und somit ein freier Mann. Nicolaus hat ihm testamentarisch eine Pension von jährlich tausend Gulden gesichert, die Fürst Anton sogar noch um 400 Gulden erhöht. Hat Haydn sich in Esterhása zunehmend bedrückt gefühlt, so kann er sich nun seinem geliebten Wien zuwenden. An Marianne von Genzinger hat er kurz zuvor in Erinnerung an Wien noch geschrieben:

wer weis, wan diese angenehmen täge wider kommen werden? Diese schöne gesellschaften? Wo ein ganzer Kreiß Ein herz, Eine Seele ist – alle diese schöne Musicalische Abende – welche sich nur dencken, und nicht beschreiben lassen – wo sind alle diese begeisterungen?

Das Nötigste im Gepäck, macht sich Haydn nun sofort auf nach Wien. Ebenso Fürst Anton. Esterháza verwaist.

Die Nachricht von Haydns Entlassung verbreitet sich wie ein Lauffeuer und kommt auch dem Konzertunternehmer Johann Peter Salomon zu Ohren, der sich sofort zu Haydn auf den Weg macht, um ihn zu einer Reise nach England zu überreden. Haydn ist bereit.

Sein lieber Freund und Logenbruder Mozart fleht ihn an, diesem Abenteuer zu entsagen:

Lieber Papa! Sie sind nicht für die große Welt erzogen und reden zu wenig Sprachen.

Haydn erwidert:

Oh, meine Sprache verstehet man durch die ganze Welt.

Mozart verabschiedet Haydn am Tag der Abreise unter Tränen:

Ich fürchte, mein Vater, wir werden uns das letzte Lebewohl sagen.

Mozart stirbt am 5. Dezember 1791, Haydn ist dann aus England noch nicht zurück.
Dort aber feiert er wie vor ihm Händel und nach ihm Mendelssohn Triumphe. Bei den Briten ist die Hochschätzung Haydnscher Musik bis heute ungebrochen. Haydn berichtet:

meine anckunft verursachte grosses aufsehen durch die ganze stadt durch 3 Tag wurde ich in allen zeitungen herumgetragen: jederman ist begierig mich zu kennen. ich muste 6 mahl ausspeisen, und könte wenn ich wolte täglich eingeladen seyn.

George Prince of Wales, der spätere König Georg IV., spricht deutsch, spielt Cello und ist Haydns prominentester Gönner in London. Marianne von Genzinger schreibt:

Printz von Wallis ist das schönste Mannsbild auf Gottes Erd boden, liebt die Music ausserordentlich, hat sehr viel gefühl, aber wenig geld …

Haydn hat zu den zahlreichen Konzertveranstaltungen Londons freien Eintrit

eine Artigkeit, die ihm in Wien nie bewiesen wurde. (Griesinger)

Er ist bis an den Rand seiner Kräfte gefordert, der Großstadtlärm setzt ihm zu, und schon bald sehnt er sich zurück nach Wien, auch wenn es ihn nicht derart auf Händen trägt wie England. Aber gerade das verschafft ihm die nötige Schaffensruhe. In London entstehen dennoch so wichtige Werke der musikalischen Weltliteratur wie u. a. die „Londoner“ Symphonie. In der vollbesetzten

erlebt er eines der grandiosen Händel-Konzerte mit über 1000 Mitwirkenden. Das Königspaar läßt es sich nicht nehmen, dabei zu sein und eine Reihe der herrlichsten Werke Händels zu hören. Haydn sitzt neben der Königsloge. Er weint wie ein Kind und ruft aus:

Er ist der Meister von uns allen.

In Oxford wird ihm die Ehrendoktor-Würde verliehen. Händel hatte diese Ehrung zurückgewiesen. Von den Lobesreden wird Haydn wenig verstanden haben, aber als er dann im schwarzen Talar mit Halskrause vor den 2000 ehrfürchtig schweigenden Zuhörern steht, faßt er seinen schwarzen Umhang und sagt:

I thank you.

Albert Christoph Dies erzählt er:

Ich kam mir in diesem Mantel recht possierlich vor; und was das schlimmste war, ich mußte mich drei Tage lang auf den Gassen so maskiert sehen lassen. Jedoch habe ich dieser Doktorwürde in England viel, ja ich möchte sagen, alles zu verdanken; durch sie trat ich in Bekanntschaft der ersten Männer und hatte Zutritt zu den größten Häusern.

Ab jetzt unterschreibt er mit „Dr. Joseph Haydn“ oder fügt seinem Namen „Doktor zu Oxford“ bei. Als Dank sendet er der Universität den dreistimmigen, vor- und rückwärts singbaren Kanon „The voice O Harmony is divine“.
Ende Juni 1792 reist Haydn zurück in seine Heimat.

Eine 2. England-Reise tritt er am 19. Januar 1794 an. Ursprünglich war geplant, gemeinsam mit dem jungen Beethoven zu reisen. Doch der Umgang mit dem war für beide Seiten unerquicklich verlaufen. Haydn reist ohne den Rebellen und Konkurrenten.

Diesmal ist die Londoner Gesellschaft besonders hingerissen von Haydns „Militär-Symphonie“. Karten zu seinen Konzerten erreichen Höchstpreise. Seine Londoner Einkünfte machen ihn zum wohlhabenden Mann.

In der Heimat ist Fürst Nicolaus II. Esterházy seinem kürzlich verstorbenen Vater Anton in der Regentschaft gefolgt und hat Haydn geschrieben, er habe beschlossen, die Kapelle auf Esterháza wieder zu errichten, und wünsche, daß Haydn zurückkehre und die Stelle als Kapellmeister wieder einnehme.

Die Engländer drängen ihn, bei ihnen zu bleiben. Sogar die Queen habe gesagt, erzählt Haydn:

Ich räume Ihnen des Sommers eine Wohnung in Windsor ein.

Er habe ihr geantwortet,

daß er aus Dankbarkeit an das Haus seines Fürsten gebunden sey, und daß er sich auch nicht auf immer von seinem Vaterlande, noch von seiner Frau trennen könne.

Daß der König ihn einen

guten, ehrlichen deutschen Mann

genannt hat, freut Haydn:

Diesen Ruf zu behaupten … ist mein größter Stolz.

Haydn erlebt noch eine „Dr. Haydns Night“, die mit seiner Symphonie „mit dem Paukenschlag“ und stürmischem Beifall endet:

Die ganze Gesellschaft war äußerst vergnügt und auch ich. Ich machte diesen Abend viertausend Gulden. So etwas kann man nur in England machen.

Doch Haydn ist erschöpft. Dem letzten Konzert mit seinen Werken bleibt er fern und zählt die Seiten seiner Werke, die er in England komponiert hat, darunter 12 Symphonien, und kommt auf 768 Blätter!

Anfang September 1795 erreicht er Wien.

Ausklang

Sein Verhältnis zu dem jungen Nicolaus II. bleibt kühl. Dagegen erwärmt ihn die Freundlichkeit der Fürstin Marie Hermenegild. Sie vermeidet ihm gegenüber das herablassende Er und spricht ihn auf Augenhöhe mit Sie an, lädt ihn oft von der Offizierstafel weg zu sich ein an die Familientafel, heißt ihn in Briefen

Wohledelgeborener, Lieber Kapellmeister v. Haydn.

Die Verhältnisse auch bei Hofe in Wien haben sich seit der Französischen Revolution gewandelt.
Auch Haydn seinerseits ist nicht mehr bereit, durch Unterwürfigkeit und Beflissenheit die Gunst des Fürsten zu erringen. Die Jahre in England haben auch ihn verändert. Der Fürstin aber komponiert er in sechs aufeinander folgenden Jahren zu ihrem Namenstag je eine neue Messe.

Eine seiner schönsten, innigsten Melodien ist die Kaiserhymne auf den Text „Gott erhalte Franz, den Kaiser“. Sie wird Haydn 1797 in Auftrag gegeben in der Hoffnung, durch sie die seelischen Kräfte des Volkes im Krieg gegen Napoleon zu stärken.

Haydn liebte sein Vaterland und sein Kaiserhaus mit innigster Treue … (Griesinger),

und so entsteht dieses einzigschöne, innige Liebeslied, dem Haydn in seiner Notenurschrift den Namen „Volcks Lied“ gibt, das er nun täglich auf dem Klavier spielt. Im dritten seiner sechs Streichquartette op. 76 ist die Melodie Thema des Variationssatzes.
Seit 1927 haben wir Deutschen das Glück, diese Melodie – auf den Text von Hoffmann von Fallersleben als das „Lied der Deutschen“ – unsere Nationalhymne nennen zu dürfen. Leider scheinen viele Gesangs- und Blasinstrumentengruppen die Liebeserklärung an unser Land aus der Hymne nicht herauszuspüren und entseelen sie zum Militärmarsch.

Das Haydnhaus in Gumpendorf ist der Ort, in dem die beiden letzten Oratorien Die Schöpfung und Die Jahreszeiten entstehen. Die Texte sind umstritten. Besonders der zu den Jahreszeiten von Baron van Swieten ist teils unter jedem noch erträglichen Niveau. Dennoch werden beide Spätwerke in ganz Europa schnell berühmt und bis heute oft aufgeführt.

Schiller allerdings gefällt nicht einmal Die Schöpfung. Nach der Weimarer Aufführung 1801 schreibt er an Körner:

Am Neujahrsabend wurde die Schöpfung von Heidn aufgeführt, an der ich aber wenig Freude hatte, weil sie ein charakterloser Mischmasch ist.

Er hat wohl zu sehr auf den Text geachtet. Haydn ist sein Leben lang kindlich gläubiger Katholik geblieben, der den Rosenkranz betet, wenn er mit einer Komposition nicht weiterkommt. Aber – so Griesinger:

Ueberhaupt war seine Andacht nicht von der düstern, immer büßenden Art, sondern heiter, ausgesöhnt, vertrauend, und in diesem Charakter ist auch seine Kirchenmusik geschrieben. Sein patriarchalisch frommer Sinn drückt sich besonders in der Schöpfung aus, und daher mußte ihm diese Komposition besser, als hundert andern Meistern gelingen.

“Erst als ich zur Hälfte in meiner Komposition vorgerückt war, merkte ich, daß sie gerathen wäre; ich war auch nie so fromm, als während der Zeit, da ich an der Schöpfung arbeitete; täglich fiel ich auf meine Knie nieder, und bat Gott, daß er mir Kraft zur glücklichen Ausführung dieses Werkes verleihen möchte.“

Griesinger fährt fort:

… eine natürliche Folge von Haydns Religiosität war seine Bescheidenheit; denn sein Talent war nicht sein eigenes Werk, sondern ein gütiges Geschenk des Himmels, dessen er sich dankbar bezeigen zu müssen glaubte.

Einem Verehrer versetzte Haydn,

… sehen Sie mich als einen Mann an, dem Gott ein Talent und ein gutes Herz verliehen hat; höher treibe ich meine Ansprüche nicht.

Bei einer äußerst liebevollen Ehrung 1808 in Wien, zu der er im Lehnstuhl getragen und wo auch die Schöpfung aufgeführt und mit großem Beifall belohnt wurde, machte der altersschwache Haydn

eine Bewegung mit den Händen gen Himmel, und sagte: “es kommt von dort!“

erzählt Griesinger, der dabei war.

Die Arbeit und besonders die Uraufführung der Jahreszeiten in Wien im Frühjahr 1801, die Haydn noch selbst leitet, verzehren seine letzte Kraft.

Er wurde kurz nach Beendigung der Arbeit von einem Kopffieber befallen …

Zunehmend hinfälliger versucht er noch, sein letztes Quartett zu vollenden.

“Es ist mein letztes Kind … aber es sieht mir doch noch ähnlich.” Das Quartett besteht nur aus einem Andante und einem Menuett, die beyde schon im Jahr 1803 fertig waren. Haydn wartete bis ins Jahr 1806 auf Zunahme seiner Kräfte und auf eine günstige Stimmung, um noch ein Allegro hinzufügen zu können: aber umsonst … (Griesinger).

Am letzten Maitage 1809 um 1 Uhr nachts stirbt Joseph Haydn. Er hinterläßt der Menschheit ein musikalisches Werk voller Schönheit, Seelentiefe und Humor, so daß Mozart sagen konnte:

Haydn ist der Komponist, der mich lachen und weinen macht.

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Mithus
Mithus
14 Jahre zuvor

Die Musikerbiographien sind wunderbare Zusammenfassungen, die ich immer wieder gerne lese. Vielen Dank dafür.

Frau Haydn, von der der menschenfreundliche “Papa” Haydn sagte: “questa bestia infernale”, muß ein Gegenstück davon gewesen sein, was der große Musiker in der Schöpfung im Schlußsatz in einmalig herzergreifender Weise von dem jungen Paar Adam und Eva im Duett singen läßt: “Holde Gattin….”

Wie muß es einen in Erstaunen setzen, dass Haydn die Wirklichkeit seiner Ehe ganz aus seiner Musik verbannen konnte? Genial und über den Dingen stehend. Ich hätte ihm dennoch etwas Besseres zu seiner Ergänzung als Mann gewünscht.

Mithus

josef
josef
14 Jahre zuvor

Vielen Dank für diesen sehr gut zusammengestellten Artikel. Rohrau liegt allerdings in Niederösterreich (Bezirk Bruck/Leitha), somit gerade nicht im Burgenland. Dem Gebiet des heutigen Burgenlands war Haydn natürlich trotzdem sehr verbunden.

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