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Ilse Behrens (1)

Ich darf mich glücklich schätzen, sie in den 50er Jahren noch persönlich kennengelernt zu haben, ehe sie im Januar 1960 mit 45 Jahren starb.

Ilse Behrens hatte als

Rotkreuz-Schwester

den gesamten 6-jährigen 2. Weltkrieg miterlebt und ihre Tagebuchnotizen zu einem ergreifenden Epos verarbeitet.

Buchtitel

In ihrer eindringlichen, dichten Sprache führt sie ihre LeserInnen unmittelbar an die Orte des Geschehens und hält sie von der ersten bis zur letzten Zeile in Bann.

Genial wechseln die Bilder: neben krassester Kriegswirklichkeit tiefe Menschlichkeit, heldenhafte Selbstverleugnung bis zur völligen Auslaugung der eigenen Kräfte.

Ilse Behrens hat mit ihrem Werk (Pähl 1952, 62 Seiten) den Ärzten und Schwestern des 2. Weltkrieges ein aufwühlendes Denkmal gesetzt. Hier sollen einige Stellen aus ihrem Buch wiedergegeben werden:

“Abschied von Genua”

28. August 1939

Genua, diese bunte lichterfunkelnde Stadt, liegt seit gestern verdunkelt im blauen Licht. Die Luft ist geladen mit Spannung, Angst und Sorge. Die Presse sorgt für sensationelle Berichte, schürt den plötzlich nicht mehr zu bändigenden Völkerhaß, läuft über vor Kriegshetze. Panikstimmung greift um sich, und die ersten Autos, vollbepackt mit Hab und Gut, verlassen schon die gefährdete Stadt. Ist unser Schicksal nun besiegelt oder gibt es noch einen Weg der Verständigung, des guten Willen?

30. August.

In unserem “ospedale internationale” brodelt und kocht es stärker denn je. Die italienischen Matrosen zwar sitzen unentwegt und unbewegt auf ihren Betten, die unvermeidlichen klebrigen Spielkarten in den Händen: la guerra? Sie zeigen ihre weißen Zähne und werfen ihre schwarzen Schöpfe mit mutwilliger Kopfbewegung zurück, nix, nix! Und ihre dunklen Augen strahlen den ganzen sorglosen Frohsinn ihrer Rasse wider.

Aber hier und dort stehen Holländer und Dänen herum. Sie lehnen aus dem Fenster, vergraben ihre Hände in den Hosentaschen, ihre Gesichter sind unruhig, sie wenden sich ab, wenn Hedi oder ich – als einzige Deutsche – das Zimmer betreten. Heute mittag war die Frau des holländischen Konsuls bei uns zu Tisch. Sie schnitt uns beide, das war wohl nicht zu übersehen. Und die dänische Schwester Sigrid verläßt ostentativ das Salutino, wenn ich es betrete.

Die Schweizer sitzen fast ununterbrochen am Radio und verteidigen glühend Polen. Was wir in Danzig wollen! Ach, ich habe mit Danzig gar nichts im Sinn. Ich möchte nichts weiter, als daß uns der stark bedrohte Frieden erhalten bliebe! …

31. August.

Nein, ich muß nach Deutschland! … Ich habe Angst, daß dann die Grenzen für unbestimmte Zeit geschlossen werden und ich hier unten sitze, während in Deutschland Kriegslazarette aufgestellt und hinausgeschickt werden. Ohne mich! Unmöglich! Wozu bin ich denn Schwester geworden! Doch nur, um dort zu helfen, wo wirklich Not ist.

1. September.

Und nun sitze ich zum letzten Male beim Kerzenlicht in meinem Zimmer, dessen Fenster zum Meer hinaus gehen, und nehme Abschied von Dir, Genua! Ich sehe noch einmal Dein Meer aufleuchten in einer Vielfalt von Farben, die unbeschreiblich ist. Ich sehe Deine Kuppen licht erglänzen und höre das Rauschen Deiner Palmen und Pinien, die sich im Abendwinde wiegen. Ich sehe Deine alten Plätze und Paläste. Dein bundes, fremdes Volk – Italien.

Und ich gehe noch einmal zu unserem Wunschbrunnen am Piazza del Ferrais. Vor ein paar Tagen noch funkelte die sprühende Fontäne am Abend in allen Farben des Regenbogens, lockte das Plätschern des Wassers Fremde und Einheimische immer wieder zu seinem Becken, auf dessem Grunde ungezählte Münzen schimmern. Denn – so geht die Fama – dieser Brunnen hat die Kraft, Wünsche zu erfüllen, wenn man sie zugleich mit einem Geldstück tief verschwiegen in den Brunnen versenkt.

Wir haben oft am Abend am Rande des Beckens gesessen. Rings um uns schwoll das bewegliche, bunte, ewig wechselnde Treiben dieser geliebten Stadt an und ab, flammten die bunten Lichter über Cafés, Restaurants und Geschäften auf, klang das heiter-musikalische Durcheinander fremder südlicher Sprachen unter einem sternübersäten samtblauen Himmel. Spielerisch haben wir Münzen in das Zauberwasser gleiten lassen und haben uns gewünscht, daß das Leben immer so bleiben möge, wie jetzt: bunt, warm, voller Freude und Farben! –

Nun schimmert er dunkel und unbeleuchtet, ganz verlassen auf einem verödeten Platz. Die Fontäne ist abgestellt. Unbewegt, wie erstarrt steht das Wasser im Becken. Die Münzen sind nicht zu erkennen, die Wünsche sind vergessen. Ich streiche noch einmal mit leiser Hand über das entzauberte, noch vom Sonnenlicht durchwärmte Gestein. Wie stumm ein Brunnen ist, wenn sein Wasser nicht mehr plätschert. Das Herz tut mir weh.

Plötzlich liegt die Fremdheit des Landes lastend auf mir. Lebe wohl, denke ich traurig, sie haben dich alle verraten! Sie laufen durch die Straßen, die Taschen voller Zeitungen, und Zeitungen in den Händen, sie löschen alles Licht aus, und reden von Haß und Tod, Zerstörung und Krieg, als hätten sie nie an Deinem Rande gehockt, mit kleinen Geldstücken geklimmert, und sich nichts anderes als Liebe und Leben, Glück und Frieden gewünscht.

Und dann fahre ich aus dem Bahnhof, dem dunklen genuesischen Bahnhof, und mein Blick hält die beiden fest, wie sie dort stehen irgendwie verbunden, Hedi und Dieter! Wir winken – waren Eure Gesichter je so unbewegt? Immer kleiner werdet Ihr, ach Gott, und dann ist nichts mehr da als letzte italienische Nacht. Hedi – Dieter! Wie waren wir still und stumpf schon heute abend!

Wie fern schon rauscht das Leben an uns vorbei! Auf Wiedersehen, Dieter! Du bist so groß, so blond, so sauber. Eines Tages wirst Du im Schützengraben liegen, grau und schmutzig, Kameraden rechts und Tote links, oder umgekehrt. Stöhnen und Sterben, Schmerzen und Not werden um Dich herum sein, dann denke an das lichte Italien und an unsere Zeit – wenn Du es kannst!

Im Lazarettzug am 11. März 1942

Wir fahren nach Osten.

Seit Tagen sehen wir nichts anderes als einen tief verhangenen Himmel über weiten, weiten weißen Feldern im grauen Licht, und Schnee, Schnee, Schnee. Wir blicken zum Fenster hinaus und spüren fast körperlich diese lautlose Einsamkeit und Fremdheit, die sich über das Land ausbreitet.

Seit Lemberg sind wir Gäste des Lazarettzuges, der leer nach S. fährt, um von dort irgendwo Verwundete in die Heimat zu holen. Es geht nur langsam vorwärts. Oft halten wir stundenlang auf offener Strecke. Transporte fahren an uns vorbei und überholen uns. Soldaten blicken zu uns herüber und grüßen und winken. Aber wie seltsam zurückhaltend und verschlossen sind ihre Gesichter! Ganz anders als in Frankreich.

Ach – Frankreich! Zehn Tage sind wir nun schon von Bordeaux mit dem Ziel Charkow unterwegs. Wir, die freiwillige Chirurgengruppe, Stabsarzt K. und Stabsarzt P., Leni, Toni, Käthe und ich und der kleine Trupp Sanitätsdienstgrade.

An einem frühlingsjungen, besonnten Tage nahmen wir Abschied. Viele erste Veilchen brachten die Kameraden uns an den Zug. Wir hatten alle Abteilfenster herunter gelassen, weich und mild strich die Luft zu uns herein. Und wir winkten, winkten. Auf allen Bahnhöfen, durch die wir fuhren, schrien und lachten uns Landser zu: “Wohin wollte ihr?” “Nach Rußland!” lachten wir zurück

Ja, wir wollten nach Rußland. Zwei Jahre Frankreich war nun mehr als genug. Wir saßen in gut ausgestatteten Lazaretten und hatten unsere Arbeit – gewiß. Aber der Krieg war nun im Osten, dort war Not und Leid und Arbeit, die kaum zu bewältigen war. So hatten wir uns von unserer lieben, altvertrauten Einheit gelöst – mit Schwierigkeiten zunächst, denn man wollte uns nicht fortlassen, und waren nun auf dem Wege zum Südabschnitt der Ostfront …

Der Zug bohrt sich, unablässig leise schuckelnd, in die schon beginnende Dämmerung, die sich wie ein Vorhang vor die Fenster legt und uns still macht. Wir lehnen unsere Stirn gegen die Scheibe und suchen nach irgend etwas Vertrautem da draußen. Vielleicht nach einem Stern am Himmel. Ein Stern, der auch über Deutschland steht. Vergeblich! Die Flocken fallen stetig und gelassen, wie gestern, heute und wohl alle Tage. Nur manchmal zeichnet sich, kaum noch vernehmbar, das schmale Kreuz eines Soldatengrabes von der leuchtendweißen Schneedecke ab, und hin und wieder huscht die fremdartige Sihouette eines Panjeschlittens geisterhaft über eine unsichtbare Straße. Und dann ist nichts mehr da als Rußlands grenzenlose frühe Nacht.

Fortsetzung folgt.

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