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“Holla die Waldfee!”

Werner von der Mühle

deckt wieder schöne sprachliche Zusammenhänge auf:

Wenn wir vor einer unlösbaren Aufgabe stehen und nicht mehr weiter wissen, gibt einem oftmals das deutsche Sprichwort:

„Wenn du glaubst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her“

neue Hoffnung. Bekommen wir dann Hilfe und uns fliegt wie aus dem Nichts die Lösung zu, kommt es manchmal zu dem spontanen Ausruf

„Holla die Waldfee!“

Wen meint man mit diesem Ausdruck, und wer hat da nachgeholfen? Gibt es eine Verbindung zwischen Holla und der Hoffnung auf Licht?

Die Antwort finden wir in unseren germanischen Wurzeln.

Es ist bekannt, daß die Kirche im Rahmen der Christianisierung versucht hat, die germanische Kultur zu verdrängen. Hierbei hat sie große Teile des germanischen Lebens vereinnahmt oder ins Gegenteil verkehrt.

So wurde beispielsweise aus dem Fest der Wintersonnenwende das Weihnachtsfest [der Geburt Jesu] oder aus einer heiligen Quelle im Wald ein Teufelsborn.

Den dunkelsten Ort der Christenheit, den Ort der Strafen und Qualen, nennt man Hölle.

Hölle heißt im Althochdeutschen hellia, im englischen hell. Der Name leitet sich von der germanischen Herrscherin der Unterwelt Hel ab.

Hel hat europaweit ihre Spuren hinterlassen.

  • Wir finden sie in der englischen Grafschaft Holland.

  • In Österreich gibt es die Bezirkshauptstadt Hollabrunn.

  • Die Holledau ist eine Kulturlandschaft in der Mitte Bayerns.

  • Helsinki heißt die Hauptstadt Finnlands.

  • Helsingborg ist eine Stadt im südschwedischen Schonen,

  • Helsingör eine in Dänemark.

  • Die Unabhängigkeit und Freiheit der Schweiz wird durch die stolze Frauenfigur Helvetia versinnbildlicht.

  • Die Liste deutscher Dörfer und Städte, die ihren Namen der germanischen Totengöttin zu verdanken haben, ist endlos. Wir finden Holdenstedt, Holdorf, Holenberg, Holle, Holleben, Hollen, Holstadt, Hollenbach genauso wie Hellwege, Hellenthal, Hellingen, usw.

Im Mittelhochdeutschen (Sprachstufe von etwa 1050-1350) wird der Teufel als hellemôr bezeichnet.

Laut dem berühmten Volkskundler Jacob Grimm setzte sich die Vorstellung von der Hölle als Aufenthalt der Verdammten erst im 13. Jahrhundert durch.

Die Kirche teilt ja bekanntlich alles in Gut und Böse ein. Ein Prinzip, welches von der modernen Medizin übernommen wurde, das in der freien Natur aber überhaupt nicht vorkommt …

Hatte die Hölle daher vor und noch in den ersten Jahrhunderten der Christianisierung eine andere Bedeutung?

Hilfreich bei der Beantwortung dieser Frage ist eine Geschichte aus der germanischen Mythologie über

Baldur und Hel.

Der germanische Lichtgott Baldur ist der Sohn des Allvaters Odin und seiner Frau Friija. Friija ist nebenbei bemerkt die Namensgeberin für den Wochentag Freitag.

Baldur gilt als der beste und edelste Gott unter den Asen. Durch eine List des Gestaltenwandlers Loki wird er getötet und landet bei Hel.

Der Beste aller Asen, der Sohn des Allvaters, landet also in der Hölle. Die Hölle wird somit ein Ort der Hoffnung und des Lichts gewesen sein, eben einfach hell. Das Gegenteil wurde sie erst durch das Christentum.

Da der Tod Baldurs bei den Asen große Trauer und Bestürzung hervorruft, reitet sein mutiger Bruder Hermod den gefährlichen Weg zu Hel, um Baldur zurückzuholen.

Auf diesem Ritt erlebt er manches Abenteuer. Die Begebenheit finden wir sprachlich in der Höllenfahrt/dem Höllenritt wieder.

Die Rockband ACDC hat den Höllenritt in dem Lied „Highway to hell“ besungen.

Hermods Rettungsversuch wird aber durch eine erneute List Lokis verhindert, und Baldur muß weiterhin in der Hölle bleiben.

Am Ende der Zeiten kommt es zum Endkampf, bekannt als Ragnarök oder auch Götterdämmerung. Die Welt geht unter, Himmel und Erde sind verbrannt, und fast alles Leben ist erloschen.

Überraschenderweise nimmt Hel nicht am Kampfgeschehen teil. Sie wird nicht erwähnt, sie bleibt verborgen. Ein nicht mehr so gebräuchlicher Begriff für verbergen ist verhehlen.

Kann man sich eine hoffnungslosere Zeit vorstellen als die Stunden nach dem Weltuntergang? Alles liegt in Schutt und Asche und ist zerstört.

Doch da erscheint ein Götterfunken. Baldur, die Lichtgestalt der Asen, kehrt aus Hels Reich auf die Erde zurück. Hel, die Helferin in höchster Not, hat ihm einen neuen Platz zugewiesen – Holla die Waldfee!

Baldur geht diesen Weg und erschafft mit Hilfe der wenigen Überlebenden eine neue, bessere Welt. Nun wird es klar, wie die eingangs erwähnten Sprüche zusammenhängen und wo sie herkommen. Der Begriff der Hel=Holla dürfte sich irgendwann auf die helfenden Wald- und Kräuterweiber übertragen haben, so daß diese Waldfeen in einem Atemzug mit Hel genannt wurden.

Diese weisen Frauen landeten in der Regel als Hexen auf den Scheiterhaufen, wo mit ihnen ihr altes Wissen verbrannte.

Die Geschichte um Hel und Baldur ist ein klarer Hinweis auf das Unsterblichkeitsdenken unserer Vorfahren. Die Seele wandert und muß allen Widrigkeiten zum Trotz nach dem Besten streben, sich weiterentwickeln.

Daher waren die Germanen auch so gefürchtet: sie hatten keine Angst vor dem Tod. Und wer keine Angst vor dem Tod hat, hat auch keine Angst vor irgendeiner Obrigkeit. Er strebt nach Freiheit. Etwas, das den Gehorsam fordernden monotheistischen Religionen mit ihren Absolutheitsanspruch vollkommen widerspricht und daher von ihnen bekämpft wird.

Lichtgott Baldur und die höllische Hel sind zwar aus dem Gedächtnis der Deutschen verschwunden, aber sie sind trotzdem noch versinnbildlicht nebeneinander anzutreffen.

Kennen Sie die Ortschaft Holle bei Hildesheim?

In der Umgebung von Holle finden wir zahlreiche Namen, die auf die germanische Geschichte verweisen. In Holle selber finden wir die Straßen „Am Thie“ und den „Hollenweg“ und erfahren, daß bei Ausgrabungen am Kirchberg germanische Schmuckstücke gefunden wurden.

Holle hatte schon in früher Zeit eine überregionale Bedeutung als Gerichtsstätte.  „Unter der Eiche bei Holle“ wurde das Grafengericht des „Niederen Go“ abgehalten. Die Straße an der Versammlungsstätte heißt noch heute „Am Thie“. Ich verweise bezüglich des Rechtsempfindens unserer Vorfahren auf den ersten Teil der Reihe „Ach! – Durchforstung“.

Passenderweise finden wir im Nordosten Holles den Höhenzug Lichtenberge. Ein sprachliches Andenken an Baldur und Hel oder nur Zufall?

Schaut man sich die Umgebung von Lichtenberg in Oberfranken an, finden wir in direkter Nachbarschaft das Höllental und das Dorf Hölle. Ein weiterer Zufall?

Schaut man sich die Umgebung von Hessisch Lichtenau an, findet man das Dorf Hollstein mit dem Naturdenkmal „Hollensteine“. Ich finde, irgendwann negiert sich der Zufall selbst.

Lichtenberg in Oberfranken mit dem Höllental, das bei der Ortschaft Hölle endet.

Weiteres zum Thema Hel/Hölle:

Für unsere Vorfahren waren Straßen, Seen, Löcher und Felsspalten mögliche Wege in die Unterwelt. Daher rührt der Name, der gerade im norddeutschen Raum häufig anzutreffenden Hellwege.

Ist es Zufall, daß die größten Hellwege (Westfälischer Hellweg, Hellweg unter dem Berg und Hellweg vor dem Santforde) allesamt Richtung Niederlande laufen? Der volkstümliche Begriff für die Niederlande lautet – Holland!

Oder wer kennt nicht sagenumwobene Orte wie das Holleloch, das Höllental oder den Hollsee, über die man angeblich in das Erdinnere gelangen kann.

Hel begegnet uns zudem in einem der berühmtesten deutschen Märchen. Sie ist die gerechte

Frau Holle.

Zwei Mädchen fallen in einen Brunnen und landen bei ihr in der Unterwelt. Frau Holle belohnt die beiden entsprechend ihrem Verhalten und weist ihnen auf der Erde einen neuen Platz zu.

Genau diese Aufgabe war ihr von Allvater Odin zugewiesen worden, als er sie in die Unterwelt schickte. Eben wegen dieser Aufgabe nahm sie nicht an der Götterdämmerung teil. Genau wie sie den Mädchen ihren neuen Platz zuweist, weist sie Baldur seinen neuen zu.

Der edle Baldur kehrt ebenso wie die Mädchen zurück. Hel trifft diese Entscheidungen aber nicht willkürlich, sondern immer gerecht entsprechend dem Verhalten eines jeden Einzelnen. Die Verantwortung liegt also bei jedem selbst.

Oftmals spielt der Holunderbusch in den deutschen Sagen und Mythen eine wichtige Rolle. Ihm werden in der Natur- und Pflanzenheilkunde allerlei helfende und heilende Fähigkeiten zugesprochen. So soll er u.a. harntreibend und entwässernd wirken.

Im Christentum wurde er wieder ins Gegenteil verkehrt. Er bekam den Beinamen Baum des Teufels, und Judas Ischariot soll sich an einem Holunder erhängt haben.

Nun werde ich mir erstmal für ein paar Heller ein kühles Helles gönnen. Das entspannt und gibt Anregungen für den nächsten Beitrag.

Adelinde:

Wunderschön, lieber Werner, und vielen Dank dafür! Aber einige Anmerkungen seien mir erlaubt:

Odin ist lt. Bernhard Kummer u. a. Vorgeschichts- und Mythenforschern ein neuer, fremder Gott aus dem Osten, der die Zerfallszeit urgermanischer Weltanschauung einleitete.

Im Zuge dessen verlor die weiblich gedachte Schöpfergottheit Freia ihren Rang. Du nennst sie Odins „Frau“.

Das Patriarchat vermenschlichte dieses göttliche Wesen, gab ihr eine Frauengestalt und setzte ihr männliche Götterpersonen vor. Dieser neuartige, echt orientalische Hierarchie-Gedanke findet in Deinem Satz mit den Worten „zugewiesen“ und „schickte“ ihren Niederschlag:

„… diese Aufgabe war ihr von Allvater Odin zugewiesen worden, als er sie in die Unterwelt schickte.“

Der Ehemann Odin wies also seiner Frau Friija/Freia zu und schickte sie. In dieser ungermanischen Formulierung wabert bereits die verzehrende Flamme des Orients.

Ihr erstes Opfer ist die germanische Gleichwertigkeit von Mann und Frau auf Augenhöhe.

Die Schöpfergottheit Freia hatte im gesamten indogermanischen Raum viele Namen, bei uns z. B. auch „Holle“. Sie erschien – wie die Mondphasen und die Jahreszeiten – in dreierlei Gestalt:

  • in der Jugend (zunehmender Mond und Auferstehung der Natur im Frühling) – versinnbildlicht mit der Farbe weiß,

  • vollerblüht und fruchttragend (Vollmond und Sommer/Herbst) – versinnbildlicht mit der Farbe rot,

  • altgeworden, als Hel zur Ruhe gekommen (abnehmender Mond – Winter) – versinnbildlicht mit der Farbe schwarz.

Unsere altdeutsche Reichsfahne führt die göttlichen Symbolfarben schwarz-weiß-rot, und man findet noch heute in kirchlichen Altären die dreifaltige Gottheit in drei aufeinanderbezogenen weiblichen Gestalten geschnitzt oder gemalt, die Hel auch als „schwarze Madonna“.

Selbstverständlich tragen sie heute biblische Namen, wie wir das aus der Fälscherwerkstatt des Christentums kennen, und man kann sie anbeten und um Vermittlung beim JHWH anflehen – absolut ungermanisch!

Daß Baldur Sohn Odins und „seiner Frau“ (!) Friija sei, ist auch eine neuartige, nicht urgermanische Version, niedergelegt in der Edda, einer Schrift aus bereits christlicher Zeit von Snorri Sturluson (1179-1241).

Baldur ist ursprünglich der Fruchtbarkeits-Heros. Er  hat keinen Vater, schon gar nicht Odin. Er ist eine Erschaffung Freias, des göttlichen Wesens, ursachlos, „jungfräulich“ aus ihr hervorgegangen wie die ganze Schöpfung, die Erscheinungswelt. Baldur ist eine herrliche, beliebte Versinnbildlichung ewiger Jugend und Schönheit der Natur.

Friija und Freia sind natürlich ein und dasselbe. Es ist doch so, daß unsere germanische Weltanschauung und Sprache sich im Laufe der Jahrtausende über die Völkerwelt bis hin nach Japan und China im Osten und bis nach Mexiko im Westen verbreitet haben. Es war die überlegene Kultur, die sie mit ihren seegängigen Schiffen vom Hohen Norden Europas nach Ost und West trugen. Das ist heute wissenschaftlich klar nachgewiesen, wenn man auch darin leider von den PC-„Historikern“ absehen muß.

So hat das „Wesen der Dinge“, wie Kant es genau entsprechend dem alten Gottahnen der vom Nordmenschen beeinflußten Kulturen nennt, diese Schöpfergottheit gestaltlos, jenseits von Raum-Zeit-Ursächlichkeit gedacht als Hervorbringerin der „Welt der Erscheinungen“. Sie war die Gottheit mit den tausenderlei Namen.

Bei Adelinde unter

https://www.adelinde.net/die-alleinige-und-all-einende-gottheit-und-der-absturz-der-religionen-vom-gotterleben-2-teil/

kann man u.a. von Marc Arel lesen, der seinen Lucius sagen läßt:

„Da bin ich, Lucius, durch dein Gebet gerührt, die Mutter der Natur, die Herrin aller Elemente, erstgeborenes Kind der Zeit, die Höchste der Gottheiten, Königin der Toten, Erste der Himmlischen, die alle Götter und Göttinnen in einer Erscheinung vereinigt … die alleinige Gottheit, welche unter mannigfacher Gestalt, verschiedenartigen Riten und vielerlei Namen der ganze Erdkreis verehrt, so nennen die Phrygier … mich Pessinuntia …, die Athener … nennen mich kekropische Athena, die Kyprier nennen mich paphische Venus, die Kreter Diktyna, die Sizilianer ortygische Proserpina; die Eleusinier nennen mich Demeter, andere Hera, wieder andere Bellona und Hekate und Rhamnusia. Aber die Äthiopier und die Ägypter … ehren mich mit eigenen Bräuchen und nennen mich mit meinem wahren Namen Königin Isis.“

Die Freia/Friija/Frigga/Kleito/Jörd der Nordleute sind in der Aufzählung des „Lucius“ nicht genannt. Marc Aurel lebte ja bereits im 2. Jahrhundert n. d. Zw. und schlug sich mit Christentum samt Frauenunterdrückung herum. Was er von der ursprünglichen Weltanschauung der alten Nordleute noch wußte, ist mir unbekannt.

Zu Baldur bei Adelinde https://www.adelinde.net/die-alleinige-und-alleinende-gottheit-und-der-absturz-der-religionen-vom-gotterleben-1-teil/

„Die Bibel setzt Šaddai in der Moses-Verkündigung mit JHWH gleich. JHWH ist einst ein matriarchaler Gott des Berges gewesen wie andere Götter des Vorderen Orient. Auf dem Berge Karmel tritt er in Wettstreit mit Ba’al, wer von beiden der fähigere Wettergott sei.“

Baal = Baldur = JHWH war einst matriarchaler Heros der Fruchtbarkeit. Unter den Hebräern in ihrer Sehnsucht nach festem religösem Halt in Vorschriften und „ehernen“ Gesetzen steigt JHWH zum Haupt„gott“ und Alleinherrscher auf. Er befiehlt im Alten Testament, seine zur Konkurrenz gewordene Gestalt mit Namen Baal zu verfolgen und die Baal-Priester zu vernichten.

Die Hebräer übernahmen bekanntlich aus der alten Weltanschauung und ihren heiligen Mythen, was sie brauchen konnten, und drehten es zumeist in das Gegenteil ihrer einstigen Bedeutung um.

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Astrid
Astrid
5 Jahre zuvor

Wie er-hell-end doch unsere deutsche Sprache ist!
DANKE, DANKE, DANKE –
für diese so aufschlussreichen Gedanken von Werner von der Mühle und auch von dir, liebe Adelinde!
Und – mehr, mehr, mehr…
… wie der kleine Hävelmann … 😉

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