Feed für
Beiträge
Kommentare

Gottes Reich in der Menschenseele

Das Paradies ist hier auf Erden

Die Alevitin Mely Kiyak, als freie Journalistin in Berlin lebend, berichtet im SPIEGEL SPECIAL 2/08:

… von überlieferten dogmatischen Ansprüchen des Islam haben sich die Aleviten früh emanzipiert mit der Aussage “Der Verstand sitzt im Kopf und nicht in der Krone.” Sie machen nämlich einen Unterschied zwischen der “äußeren” Bedeutung des Korans, der rein wörtlichen Ebene mit ihren Gesetzen und Verboten, und der “inneren”, eigentlichen Bedeutung der Religion; dieser müsse jeder Einzelne ein Leben lang selbstverantwortlich nachspüren. “Das größte heilige Buch, das es durchzustudieren gilt, ist der Mensch”, lautet ein Merksatz.

Hier ist eine vollkommen andere Lebensgrundlage empfohlen als im Dogmatismus der Weltreligionen. Der Wanderprediger Haci Bektas Veli habe gefordert:

Betet nicht mit den Knien, sondern mit dem Herzen,

und habe erkannt und gelehrt:

Das Universum ist die sichtbare Gestalt Gottes.

Und so seien die Aleviten stets

auf der Suche nach dem Göttlichen, um als Menschen Vollkommenheit zu erlangen. Sie suchen die Spuren Gottes im Handeln der Menschen, vor allem im Diesseits. Die Vorstellung eines – paradiesischen oder höllischen – Jenseits ist ihnen fremd.

Nach Bektas Veli laute der alevitische Glaubensgrundsatz:

Was immer du suchst, du mußt es bei dir selbst suchen! Nicht in Jerusalem, nicht in Mekka.

Das Göttliche spiegele sich in jedem Lebewesen:

Das Paradies ist hier auf Erden.

Irdisch ist auch die Hölle, vielfach und länderübergreifend erzeugt von Dogmatikern, die es fertig bringen, selbst höchste Weisheit in starre Glaubensformeln zu verwandeln und alle die zu verfolgen, die erkennen, daß das Reich Gottes ein Reich der Freiheit ist.

Dogmatiker hassen eigenständiges, freies Erleben und Bekennen. Sie wollen Buchstabentreue: “Es stehet geschrieben!” In der Extremform kennzeichnet Schiller sie mit dem Großinquisitor in seinem Don Carlos, wenn er ihn sagen läßt:

Der Verwesung lieber als der Freiheit!

Das Reich Gottes ist auf Erden erfahrbar,

führte auch Michael Wiesemann kürzlich vor Augen, als er zu der zahlreich zu einem Konzert erschienenen Zuhörerschaft in der Kirche seiner Heimatgemeinde vom Sinn der Veranstaltung sprach, die er veranlaßt hatte:

Die Menschen sollten sich “animieren” lassen von den Musik. Das Wort “animieren” sei zwar ein Modewort, man solle sich aber nicht davon abstoßen lassen. Es stamme von dem lateinischen Wort “animare” ab und bedeute “beseelen”. So animiere die Musik durch ihre Beseeltheit den Gottesdienst und die am Konzert Teilnehmenden. Auf diese Weise könnten wir schon hier auf Erden das Reich Gottes erfahren. Auch Albert Schweitzer habe darauf hingewiesen:

Wo sucht Ihr das Reich Gottes, wenn nicht in Euren Herzen und Seelen?

So manche Philosophin, so mancher Philosoph ist zum gleichen Ergebnis gekommen – ein freies Gotterleben, das die Menschen eint, die es in sich geschehen lassen, ganz gleich, wo auf Erden sie leben und welchem Volk sie angehören.

Die Musik des Universums

Da berichtet z. B. die amerikanische Ärztin Marlo Morgan in ihrem Buch “Traumfänger” von einem Stamm der Ureinwohner Australiens, der sich im Gegensatz zu den zivilisierten Veränderten “Die wahren Menschen” nennt, deren Lebensweise und Weisheit sie auf einer gemeinsamen dreimonatigen Wanderung durch Busch und Wüste kennenlernte.

Vor Ankunft der Engländer im Jahre 1788 lebten die etwa 300 000 Ureinwohner Australiens aufgegliedert in etwa 500 Stämmen herrschaftsfrei im Einklang mit der Natur. Im Stamm der “Wahren Menschen” sind sich Frauen und Männer jeden Augenblick ihres Lebenssinnes bewußt, den sie darin sehen, sich in immer größer werdender Weisheit und Hingabe an die Göttliche Einheit und die Musik des Universums zu vervollkommnen. Sie sagen:

Die Welt selbst wurde ins Leben gesungen.


image_pdfPDF erzeugenimage_printEintrag ausdrucken
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

1 Kommentar
Inline Feedbacks
Lese alle Kommentare
Wiesemann, Michael
Wiesemann, Michael
15 Jahre zuvor

Hier noch ein Wort von Fulbert Steffensky, dem Ehemann von Dorothee Sölle:
“Die Welt wird erst sichtbar, wo sie besungen wird” heißt es in einem jüdischen Wort. “Wir erschaffen die Welt ein zweites Mal, wenn wir ihre Schönheit besingen”.

1
0
Deine Gedanken interessieren mich, bitte teile diese mit!x