„Gott, du fernes Wort …“

Zum 3. Vorweihnachts-Sonntag schrieb Susanne Ackermann, Pastorin in Dannenberg, einen bemerkenswerten Besinnungs-Aufsatz, den ich in der Elbe-Jeetzel-Zeitung las und der mir nachgeht, unter der Überschrift:

Advent: Fehle mir

Wir lesen einen Text, dem das Kleben an biblischen Vorgaben, deren pflichtgemäße pastoral belehrende Bestätigung und somit Klischees fast völlig fehlen. Hier wagt eine eigenständige Denkerin innerhalb ihres kirchlich-christlichen Rahmens sich mit ganz eigenartiger Betrachtungsweise und Wortwahl hervor.

Dabei beschreibt sie zunächst die

ungeheure Geschäftigkeit, (die) in der Luft liegt oder vielmehr noch … auf den Menschen in dieser Zeit … am Ende, dann wenn alles getan ist, dann hoffen wir auf die große Freude für alle. Wenn wir dann nicht zu kaputt sind, um die überhaupt wahrzunehmen und mitzukriegen.

Wo bleibt da der Zugang zu Gott?

Bereitet dem Herrn den Weg, denn siehe, der Herr kommt gewaltig,

zitiert sie mit diesem (einzigen) Spruch die Bibel und fragt gleich anschließend, wie man denn das machen könne:

Wie kann man denn Gott den Weg bereiten?

Um dann die philosophische Antwort zu finden:

Gott den Weg zu bereiten, das ist so gesehen überhaupt kein Tun. Es ist eher ein Lassen. Ein Sein-Lassen. Es gehört keine Anstrengung dazu, noch nicht einmal ein festes Glauben gehört dazu. Überhaupt keine Anstrengung und keine fromme Leistung.

Gott, das göttliche Wesen dieser Welt, läßt sich nicht zwingen, nicht herbeizitieren. Es erscheint uns spontan, ungebeten, somit unverursacht.

Die Pastorin versucht es einmal so, vielleicht für viele befremdlich:

Bereitet dem Herrn den Weg. Vielleicht so, indem wir Gott vermissen.

Und nun weist sie auf die Absurdität einer Gottvorstellung hin, die die Kirchen einst vorgegeben hatten und die für die Menschen unglaubwürdig geworden sind:

Jungfrauengeburt … der liebe Gott mit weißem Bart …

Die Jungfrauengeburt indes ist so absurd nicht; sie ist ein uraltes, vorchristliches Sinnbild gerade für die Ursachlosigkeit göttlich schöpferischen Seins und Schaffens – im Christentum als einmaliges, geschichtlich konkretes, widernatürliches, alle Mütter als unrein verunglimpfendes Ereignis mißverstanden, so wie auch das Gott zum männlichen, gewaltigen „Allmächtigen“ verzerrt wurde.

So kommt es wohl, daß die Pastorin sich gedrängt fühlt zu sagen:

Gott, du fernes Wort einer fremden Sprache.

Müßte sie nicht besser sagen:

Gott, du Wort mit verfremdeter Bedeutung, die die Menschen von diesem Wort unserer deutschen Sprache entfernte.

Die Pastorin betet zu „Gott“:

Fehle mir!

Will sie die Menschen von diesem fremdgewordenen, entstellten Begriff befreien? Und sie damit hinführen zum Großen Sehnen nach dem anscheinend fehlenden wahren Göttlichen, dem schönen Guten – das ja mit der Wortschöpfung unserer Vorfahren in dem verwandten Wort „Gott“ zum Ausdruck kommt?

Dies Sehnen nach dem Göttlichen liegt ja in uns allen verborgen. Wir müssen es nur zulassen, sein lassen. Falls ich die Pastorin nun nicht fehlinterpretiert habe, könnte es sein, daß wir beide das Gleiche meinen. Denn sie beschließt ihre Betrachtung mit den Worten:

Ich glaube, daß der gewaltige Gott kleiner und leiser ankommt als wir denken. Und viel menschlicher.

 

Albert Anker (1831-1910), Zwei schlafende Mädchen auf der Ofenbank

Mein Weihnachtswunsch ist daher für jeden Menschen, das Glück der Geborgenheit in Gott erleben zu dürfen, das das Bild der schlafenden Mädchen versinnbildlicht:

Heimat zu haben in einem Menschen, dem man sich vorbehaltlos anvertrauen kann, weil man einander versteht und liebt – eins ist im unscheinbar klein und leise und so menschlich „ankommenden Gott“.