Gorch Fock: “Wir müssen dahin kommen, daß unser Leben leuchtet”

„Wir müssen dahin kommen,
daß unser Leben leuchtet –
Ein leuchtendes Leben führen
ist das Beste und Höchste.“ Gorch Fock

Die Schriftleitung der Zeitschrift

„Mensch und Maß“

genehmigte freundlich den hier folgenden Abdruck ihrer Abhandlung von

Heinrich Bergmann

Was wißt ihr noch von Gorch Fock?

 

Gorch Fock (Johann Kinau) (Bild: Wikipedia)

Wenn einer diese Forderung wahrgemacht hat, dann war es der Deutsche, Gorch Fock.

Er hat dieses schöne Wort geprägt als Ausfluß seines Wesens und seiner inneren Größe, er wußte, worauf es im Leben ankommt.

Diese Forderung stellte er nicht in erster Linie für andere auf, an sich selbst hat er sie am reinsten vollzogen und erfüllt.

Obwohl mehr als 100 Jahre darüber hin-gegangen sind, seitdem Gorch Fock in dem großen Völkerringen 1914/18 mit dem Schiff „Wiesbaden“ in die Tiefe sank, so lebt er heute doch noch in seinem Volk, wenn das Gedächtnis auch in Folge des gesamten Kulturverlustes weniger wird.

Auch wenn wir in der Gegenwart mit einem Wust aus Kulturlosigkeit überschüttet wer-den, welches uns unserer eigenen Art entfremdet, so strahlt doch das Leuchten, das von Gorch Fock ausgeht, bis in unsere Tage hinein.

Wir brauchen nur irgendeine Seite seiner Bü-cher aufzuschlagen, und schon wird es hell und licht um uns. In uns wird etwas an-gesprochen und geweckt, das fortklingt weit in den Alltag hinein.

„Was wißt ihr von Gorch Fock?“ fragte er selbst einmal und fuhr dabei gleichzeitig fort:

„Nach meinem Tod sprechen wir uns wieder.“

Damit war freilich kein mystisch-esoterisches Miteinander in Kontakt treten gemeint, es ist lediglich ein Wortspiel dafür, daß Werke nach dem Tod eines Kulturschaffenden nicht ver-gessen werden, wenn sie denn wahre Kultur sind. Das Allgemeingültige, Wesentliche sei-ner Person tritt  mit einem gewissen Ab-stand zur lebenden Person klarer in den Vor-dergrund gegenüber dem persönlichen Gan-zen.

Seine Tagebücher geben uns einigen Auf-schluß über sein Leben und seine innere Welt, aber doch noch zu begrenzt, als daß wir darin den ganzen Menschen erblicken könnten. Sein erschütterndstes Werk, das uns weit die Seele des Dichters öffnet, ist wohl sein Buch

„Seefahrt ist not“.

 

Immerhin mag hier ein Tagebuchauszug folgen, welcher auch kennzeichnend für  die Reife Johann Kinaus war:

„Es gibt drei Stufen: die erste: der Heimat den Rücken kehren, den Himmel stürmen wollen, die Welt aus den Angeln heben; die zweite: sich der Welt gram, der Heimat wieder zuwenden, in ihr alles sehen, sie zum Mittelpunkt allen Lebens machen, die Welt da draußen verachten; die dritte Stufe:

mit der Heimat im Herzen die Welt umfassen, mit der Welt vor Augen die Heimat liebend und bauend durchdringen. Diese drei Stufen sind’s.“*

„Was wißt ihr von Gorch Fock?“

 

Finkenwerder (vor Hamburg) (Bild: DoATrip)

Auf der Insel Finkenwerder inmitten des breiten Elbstromes wurde er als Johann Kinau dem Nordseefischer Heinrich Wilhelm Kinau und seiner Ehefrau Meta, geb. Holst, am 22.8.1880 geboren.

Hier lebte er als Knabe, hier besuchte er die schlichte Dorfschule, hier wuchs er aber auch zu jener inneren Größe heran, mit deren Geist er schließlich die Welt umfaßte.

Von hier aus gingen in den Nächten seine Träume aufs weite Meer hinaus, hier lag er im Grase und träumte in den Himmel hinauf, sodaß seine Mutter ihm manchmal zurief:

„So, Jan, nu go hin und speel mit de Kinner — na, Jan, dat muß du doch nee don.“

 

Elternhaus in Finkenwerder (Bild: Heimatvereinigung Finkenwerder e.V.)

Im Winter aber, wenn die Abende lang waren, saß die ganze Familie in der warmen Küche um den Tisch herum. Da erzählte nicht nur die Mutter den Kindern viele Märchen, auch der Vater, der herbe Fischersmann, wußte manches zu erzählen, was den Kindern zeit-lebens im Gedächtnis, vor allem aber im Herzen haften geblieben ist.

Seine Tante Aline Bußmann schrieb darüber:

„Nach solchen stillen Märchenabenden krochen die Kinder in ihr Wandbett, den Alkoven: Jan und ein Bruder oben, die Mutter mit den anderen Kindern unten.“ –

Trotz tiefer Religiosität ließ jedoch die Mutter ihre Jungen abends nie laut beten, nur die Mädchen.

Was das in den Kindern bewirkt hat, darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht ver-mittelte es den Jungen das Gefühl, nur weibliche Wesen müßten beten, die anderen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

Außer diesem Beten bzw. Nichtbeten wurden nicht viele Worte über Gott und Religion ge-macht. Ein Festtag wurde ganz heidnisch dadurch gefeiert, daß Vater und Mutter durch die Wiesen gingen in Ruhe und stiller Freude an der Natur. Sie trugen Gott in sich, und gingen auch nicht übermäßig oft in die Kirche. Gorch Fock sagte einmal:

„In die Kirche gehen, heißt dem Teufel in die Falle kriechen. Gott schall mi be-wuahrn.“

Seine Eltern meinten es ihm gut, wollten ihn von Wind und Wetter und den Unwäg-barkeiten der Seefahrt und des Fischer-berufes bewahren und gaben ihn deshalb als Lehrling in das Geschäft seines Onkels in Geestemünde – für Gorch Fock eine schreckliche Zeit, hören wir ihn selbst:

„Fremd verließ ich Geestemünde. Kein Lied, kein Leid, kein Freund und keine Stimmung blieb zurück. Alles war da menschlich kalt, nüchtern und ge-schäftsmäßig.“

In Bremerhaven besuchte er anschließend die Handelsschule, war in der Schreibstube einer Spedition beschäftigt und kam von dort nach Meiningen.

Hier blühte er auf, das Meininger Theater wurde seine Welt, Shakespeare, Grillparzer, Freytag, Heyse, Goethe, Schiller, Hebbel und Ibsen begeisterten den jungen Johann Kinau. Mit offenen Augen und begeistertem Herzen nahm er die Aufführungen in sich auf. Dabei reifte seine eigene Begabung unmerklich.

Nach weiteren Arbeitsstellen in Bremen und Halle (Saale) kehrte er 1904 nach Hamburg zurück. Dort arbeitete er zunächst bei der Zentraleinkaufsgesellschaft deutscher Kolo-nialwarenhändler. Ab 1907 arbeitete er dann  als Buchhalter bei der Hamburg-Amerika-Linie.

Hamburger Hafen, historische Aufnahme (Bild: Ekkehard Lauritzen)

Hier zu Hause erst erwachte seine volle Schöpferkraft. Der Hamburger Hafen und die Niederelbe, sie waren es, die er mit seiner ganzen Seele umfaßte. Gorch Fock kannte das Meer in seiner Schönheit, in seiner unge-heuren Kraft, aber auch in dem Unge-bändigtsein mit all den Gefahren und Schrek-ken.

Kampf und Liebe zur See bilden den Grundton aller seiner Werke, die ihn schließlich zum Dichter der Nordsee mach-ten.

Am 1.4. 1915 wurde Gorch Fock zum In-fanterieregiment 75 nach Bremen zur Aus-bildung einberufen. Da er körperlich nicht sehr kräftig war, konnte nur sein unbeug-samer Wille ihn alle Anstrengungen ertragen lassen.

Gewaltiges stürmte auf ihn ein, sein gottwaches Erleben spiegelt sich in seinen Briefen und Tagebuchaufzeichnungen. Hier zwei Briefstellen:

„Bremen, 2.4.1915. Wie ich mir vor-komme? – um 200 Jahre zurückversetzt ungefähr. Mitunter kommt mir alles wie ein großes Bühnenstück vor, indem ich eine kleine Rolle zu spielen habe. Mitunter meine ich zu träumen! Aber ich halte es gewiß aus und will mir auch meine äußere Gelassenheit und innere Fröhlichkeit nicht nehmen lassen. Ich reiße mich gewaltig zusammen, denn ich habe den Ehrgeiz, ein guter Soldat zu werden. – Ich werde als ein neuer Mensch zurückkehren, wenn der Friede da ist. Und bis dahin seid ihr meiner gewiß, wie ich Eurer gewiß bin.“

„Bremen, 8.4.1915 […] Laß mich zurücksein, und Du hast den neuen Gorch Fock! Und im neuen Deutschland beginnen wir ein neues Leben! Ich kom-me mir mitunter wie ein verwunschener König im Märchen vor, der als Bauer aufwacht und die Schweine hüten muß, bis er eines Tages alle Bedingungen erfüllt hat, und wieder mit der glän-zenden Krone auf dem Haupte dasteht!“

1915 – es war im Juli – zog das Reserve-Infanterie-Regiment 207 an die russische Front. Mit ihm Gorch Fock.

Wenn auch seine körperliche Kraft manchmal zu erliegen drohte, so wurde er doch nie mutlos. Sein unbeirrbarer Glaube an Deutschland und sein unbeugsamer Wille feuerten ihn immer wieder zum Durchhalten an.

Niemals dachte er an sich selbst, sondern immer nur an sein um sein Leben kämp-fendes Vaterland, in dem ja auch sein Hamburg und seine Elbe geborgen waren – für das wollte er sein Letztes geben. So konnte er in sein Kriegstagebuch schreiben:

„Wer ist richtig Soldat?
Der ein Vaterland hat!“

An anderer Stelle:

„Am frühen Morgen steht ein zu-rückgekehrter Urlauber aus Berlin in unserem Raum und bringt uns weiter nichts als Weiberklagen über Butter und Brot.  Ich verkenne die Not unserer Frau-en keineswegs, aber ich kann das Jammern von Männern darüber nur verachten! Ich habe von meinem Urlaub nicht den Preis der Butter mitgebracht, sondern den Preis meiner Frau, meiner Kinder und den Preis der Heimat.“

Und noch eine Stelle:

„Ich will mein altes, fröhliches Herz be-halten und nicht alt werden. Jung soll mein Herz bleiben. Ich bin stolz und froh, daß ich für eine solche Heimat streiten darf. Reiner war kein Schwert als meines! Geheiligt gehe ich hinaus: Ewige Sterne erhellen meine finstere Nacht, weiß ich. Daß ich kein gehörnter Sigfried bin, weiß ich freilich auch, aber ich halte die Fahne des Lebens so lange hoch, bis die müden Hände einmal sinken.“

Wenn wir weiter in seinen Tagebüchern lesen, heißt es unter dem 10.04.1916:

„Der Befehl ist da: Ich bin zur II. Ma-trosen-Division in Wilhelmshaven ver-setzt und fahre heute Nachmittag oder morgen früh ab…“

Immer klarer spürt man: Hier auf See ist Gorch Fock, wo er sein muß.

Man muß ihn selbst hören, wenn man mit-erleben will, welche Eindrücke sich seiner in der neuen Umgebung bemächtigten:

„Ich muß sehr viel umlernen und um-färben. Was feldgrau war, soll alles marineblau werden. Ich grüße hier die Deutsche Jugend, frischeste, schönste Mannesjugend, wie ich sie im Heere nicht gefunden habe. Mariner bleiben eben Mariner, die der Seewind in irgendeiner Weise angeweht und frisch erhalten oder aufgefrischt hat.“

Mit dem „31.05. Mittwoch“ brechen die Tage-buchaufzeichnungen ab.  SMS „Wiesbaden“ lag in Gefechtsbereitschaft. Die nun folgen-den schicksalsschweren Ereignisse verhinder-ten jede weitere Eintragung.

Der Bericht über die Seeschlacht, der nicht von ihm gegeben wurde, aber am Ende seines „Tagebuches“ steht, gibt ein erschütterndes Bild, von dem, was Menschen vermögen. Kein Versuch einer Schilderung des Kampfes der Männer auf der „Wiesbaden“, würde ihnen gerecht werden.

In ehrenhaftem Gedenken der Männer, die am 31.05.1916 im Skagerrak ihr Leben für Deutschland einsetzten und hingaben, lassen wir hier einige der Sätze folgen:

„Mit wehender Flagge, still und einsam, geht SMS ‚Wiesbaden‘ am 01.06.1916 um 4.00 Uhr morgens nach beispiellosem Kampf in die Tiefe, und das Meer schließt sich über ihrem Totenbett. Mit Tränen in den Augen sehen die Schiffbrüchigen ihren stolzen Kreuzer sinken, jetzt erst fühlen sie sich wahrhaft verlassen.

Noch lange, nachdem ‚Wiesbaden‘ ver-schwunden ist, schaukeln die Flöße auf der immer bewegter werdenden See. Es regnet. Eine steife Brise kommt auf und treibt alles Ringende auseinander. Die Wogen setzen Schaumkronen auf, über-schlagen sich wieder und wieder, kentern die Flöße – und jedes Mal versinkt einer der Unglücklichen. Aber immer noch klammern sich die Kräftigsten an den Planken fest und ringen mit der See um ihr Leben.

So vergeht der Tag, ohne das Rettung naht. Eine stürmische Nacht breitet wie-der ihr Dunkel über die grausige letzte Fahrt der totgeweihten Skagerrak-kämpfer, deren Schiffe auf dem Mee-resgrund liegen. Die Glieder erstarren vor Nässe und Kälte und werden von heftigen Krämpfen befallen. Manche Hand löst sich freiwillig, um der Qual ein Ende zu machen….

Wir müssen annehmen, daß Gorch Fock schon um 7.10 Uhr abends mit dem niederbrechenden Fockmast in die See geschleudert wurde, daß der Wasser-druck ihn jedoch aus dem Krähennest befreite und die Schwimmweste ihn an die Oberfläche trug. Die ‚Wiesbaden‘ wird er danach nicht wieder erreicht haben. Über den letzten Stunden des Dichters wird das Dunkel der Skagerraknacht liegen! –

Erst 4 Wochen später führten Wind und Wogen den entseelten Körper Schwedens Küste zu. Dort in den Außenschären des Gerichtsbezirks Kwile bargen ihn Fischer aus Fjellbacka. Sein Haupt trug noch die Mütze mit dem Stirnband der ‚Wies-baden‘, seine Brust die Erkenntnungs-marke ‚Wiesbaden 49‘.

Er trieb aufrecht stehend im Wasser, doch war der Kopf zurückgesunken, als habe der Blick noch im Verlöschen die Sterne gesucht …

In den Taschen befand sich seine Bordkladde mit den Aufzeichnungen …

Am 02.07.1916 begrub man ihn auf der kleinen unbewohnten Felseninsel Stens-holmen inmitten der einsamen Schä-renwelt neben den anderen Opfern, die das Meer an diese Küste trieb. Dort ruhen sie nun schon einige Jahre friedlich nebeneinander, Deutsche und Engländer, Gegner im Leben, verbunden im Tode.“

 

Grabstätte für Gorch Fock in Stensholmen/Schweden (Bild: Der Famiienstammbaum)

Wir wissen nicht, wie es Gorch Fock ging, als er die Unausweichlichkeit des Sterbens er-kannte. Doch wir können ahnen, mit wel-chen Gedanken der einsam auf dem Meere Dahintreibende seinem Ende entgegenging. Wie vorausschauend hat er in seinem Buch „Seefahrt ist not“ einen ähnlichen Tod, den Tod seines Fischermannes Klaus Mewes mit ergreifenden Worten  geschildert:

„Klaus Mewes fühlte, daß seine Arme ermatteten, und daß er es nicht mehr lange machen konnte. Noch einmal ließ er sich von einer Wogenriesin hoch heben und blickte von ihrem Gipfel über die See, die er so sehr geliebt hatte, dann gab er es auf.

Es paßte nicht zu seinem Wesen, sich im letzten Augenblick klein zu machen. Er konnte doch sterben! Er schrie nicht auf, noch wimmerte er, er warf sein Leben auch nicht dem Schicksal trotzig vor die Füße. Groß und königlich, wie er gelebt hatte, starb er, ein tapferer Held, der weiß, daß er seines Gottes Freude gelebt hat, und das er zu den Helden kommen wird.“

In Gorch Fock lebt alles das, was uns heute mehr denn je nottut:

Klarheit und Wahrheit, Furchtlosigkeit, Liebe und Verbundenheit zur Heimat. Mit diesen Schätzen hat das Deutsche Volk noch etwas zu gewinnen.

Darum aber auch ist das Leben Gorch Focks ein leuchtendes Leben, das seine Strahlen noch weit in kommende Geschlechter senden kann. Zum Abschluß bringe ich ein Zitat. Es zeigt, wie tief innerlich Gorch Fock trotz einiger Stellen, in denen er von „Gott“ spricht, heidnisch war, wie tief er letzte Einzel-erkenntnis schon gewann:

„ Es gilt, etwas für dieses Leben zu gewinnen, so zu gewinnen, daß es nicht genommen werden kann, weder durch Glück, noch durch Unglück!“

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Anmerkung:

*) Otto Brües,  Gorch Fock, Aus der Sammlung „Neue deutsche Jugend“