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Historiker Gerhard Bracke

fährt fort mit dem Abschnitt:

Noch immer schreibt der Sieger die Geschichte

Das Hauptgewicht dieses Abschnittes liegt auf der Schilderung der Forscher-tätigkeit des Bundeswehr-Generals Gerd Schultze-Rhonhof. Gerhard Bracke schreibt:

Als das mit größter Beharrlichkeit tabuisierte, seit dem Nürnberger Prozeß dogmatisierte und damit wissenschaftlicher Nachprüfung zu entziehende Thema kann die Schuldfrage des Zweiten Weltkrieges gelten. Bereits 1986 stellte der österreichische Gelehrte Prof. Dr. Ernst Topitsch, der ein Jahr zuvor sein Buch „Stalins Krieg – Die sowjetische Langzeitstrategie gegen den Westen als rationale Machtpolitik“ veröffentlichte, dazu fest:

„Vielfach besitzt die Behauptung der deutschen  A l l e i n schuld am Zweiten Weltkrieg auch heute noch den Rang eines Dogmas.“[1] […]

„Freilich stieß und stößt die notwendige Korrektur der fable convenue aus naheliegenden Gründen auf massiven Widerstand. Die Autoren, welche sich dafür einsetzten, wurden von der veröffentlichten Meinung und dem zeitgeschichtlichen Establishment oft in Acht und Bann getan, mitunter hat man ihnen auch die akademische Laufbahn abgeblockt.“ (ebd.)

Topitsch erinnert daran, daß diese Forschungen besonders die Rolle der Sowjetunion kritisch unter die Lupe genommen haben. Das gilt für Philipp W. Fabrys Buch über den Hitler-Stalin-Pakt (1971) ebenso wie für Dirk Kunerts scharfsinnige Untersuchung  „Ein Weltkrieg  wird programmiert“ (1984).

Die Kontroverse entzündete sich erst richtig an den bahnbrechen-den Büchern von Prof. Dr. Werner Maser („Der Wortbruch – Hitler, Stalin und der Zweite Weltkrieg“, 1994), Joachim Hoffmann („Stalins Vernich-tungskrieg 1941-1945, 1995), Viktor Suworow („Der Eisbrecher. Hitler in Stalins Kalkül“, 3. Aufl. 1989, „Der Tag M“, 1994)  und Dr. Walter Post („Unternehmen Barbarossa – Deutsche und sowjetische Angriffspläne 1940/41“, 1995).

Aufgrund bislang streng geheimer Dokumente in russischen Archiven gelangte der bedeutende deutsche Historiker Prof. Maser zu der Erkenntnis:

„Der von Andreas Hillgruber seit 1965 programmatisch komponierte, seitdem kontinuierlich ‘vervollständigte’ und bereits zu seinen Lebzeiten zwar als Konstruktion kritisierte, jedoch von zahlreichen Historikern als vermeintlich wissenschaftlich abgesicherte Tatsachenanalyse übernommene ‘Stufenplan’ Hitlers ist angesichts des Forschungsstandes und der Quellenlage unhaltbar.“[2]

Bemerkenswerterweise urteilt Dr. Wladimir Miljutenko, Leiter des Büros der Russischen Informationsagentur „Nowosti“ in Deutschland, darüber:

„Der bekannte Wissenschaftler bezog sich auf Dokumente, die sich buchstäblich gestern noch in russischen Archiven befanden und als ‘streng geheim’ eingestuft waren. Sie sollen zum Allgemeingut der öffentlichen Meinung in Deutschland werden und ein neues Licht auf den Ursprung des Krieges und die Schlüsselepisoden des Krieges werfen.“[3]

Gestützt auf weitere Dokumente, die von der deutschen Geschichtswissen-schaft bislang unbeachtet blieben, legte Dr. Walter Post in seinem Buch Beweise vor, wonach die Kenntnisse der deutschen Führung über den Aufmarsch der Roten Armee für die endgültige Entscheidung zum Angriff auf die Sowjetunion eine größere Rolle spielten, als bisher angenommen, und daß die Führung den Feldzug gegen die Sowjetunion überwiegend aufgrund realpolitischer Motive plante und begann.

Das ideologische  Moment spielte in dem  Zusammenhang eine Nebenrolle. Erst in der Nachkriegszeit setzte sich die Interpretation des Unternehmens Barbarossa  als „rassenideologischer Vernichtungskrieg“ durch. Post aber stellt den deutsch-sowjetischen Krieg in den dramatischen Zusammenhang der damaligen Weltpolitik mit dem Ziel, über Unternehmen Barbarossa „wieder Geschichte im Sinne Leopold von Rankes zu schreiben: Wie es wirklich gewesen und warum es so war.“[4]

Daß Stalin und der sowjetische Generalstab niemals daran dachten, in der strategischen Defensive zu verharren, daß die russischen Dokumente die gängige These vom überra-schenden „Überfall“ auf die friedliebende Sowjetunion als Legende enthüllen – dies wird von PC-orientierten Geschichtspolitik beharrlich ignoriert.

Ganzseitig verkündete „DIE ZEIT“ Nr. 25 vom 13. Juni 1997: „Die Legende vom Präventivkrieg“. Die arrogante wie dilettantische Abhandlung erinnert an das bekannte Palmström-Motiv aus Christian Morgensterns Gedicht  „Die unmögliche Tatsache“:

„weil, so schließt er messerscharf,
nicht sein kann, was nicht sein darf.“

Doch geschichtliche Wahrheit und philosophische Erkenntnis sind erhaben über die Anzahl derer, die sie gewonnen haben und auch vertreten.

Andererseits ist jede Neuerschei-nung zu begrüßen, die mit geschichtswissenschaftlichen Einsichten sich als überlegen gegenüber der allgemeinen geschichtspolitischen Verflachung und Verdummung erweist.

Nur das geschichtswissenschaft-lich gesicherte Tatsachenwissen dient der Aufklärung im Sinne der Definition des Philosophen Immanuel Kant vom Aufstieg des Bürgers aus seiner selbstver-schuldeten Unmündigkeit.

Den Mut zu diesem Aufstieg hat der Autor des Buches bewiesen, das als  bedeutendste zeitgeschichtliche Publikation der letzten Jahre gelten kann. Das Besondere daran: kein Fachhistoriker, sondern ein im Rankeschen Sinne kritisch fragender Generalstabsoffizier und freier Bürger suchte Antwort auf die Frage:

„Was hat die Generation meines Vaters dazu bewegt, nur 20 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg Adolf Hitler in einen neuen Krieg zu folgen?“

Generalmajor Gerd Schultze-Rhonhof, 37 Jahre im Dienst der Bundeswehr, der schon 1995 das Interesse der Medien auf sich zog, weil er das Bundesverfas-sungsgericht wegen seines sog. „Soldaten sind Mörder“-Urteils öffentlich kritisierte, gelangte zu überraschenden Ergebnissen.

Es entstand über den „langen Anlauf zum Zweiten Weltkrieg“ ein Buch mit dem Titel „Der Krieg, der viele Väter hatte“, das sich nicht nur wohltuend aus allen geschichtspolitischen Niederungen heraushebt, sondern in vollem Umfang und auf  bewundernswerte Weise geschichtswissenschaftlichen Ansprüchen gerecht wird.[5]

Im Unterschied zum heute üblichen Verfahren, die deutsche Geschichte mit dem Jahre 1933 beginnen zu lassen, beschränkte sich der Verfasser nicht einmal auf die deutsche Geschichte allein, sondern ging sämtlichen Ursachen im weltgeschichtlichen Zusammenhang seit der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges nach.

Zusammenhänge sind deutlich geworden, die bislang einfach übergangen wurden.

Ohne Kenntnis des zeitgleichen Geschehens in anderen Ländern ist vieles in der deutschen Geschichte zwischen 1919 und 1939 nicht zu verstehen. Es wäre unwissenschaftlich, die Wechselbeziehungen außer acht zu lassen.

Dazu mußte sich der Autor mit der Fülle vorliegender Sekundärliteratur auseinandersetzen, doch er beschränkte sich keineswegs darauf:

Dokumente beteiligter Außenministerien, Notizen und Memoiren englischer, französischer, italienischer, amerikanischer, polnischer und tschechischer Regierungschefs, Minister, Diplomaten und Armeeoberbefehlshaber führten zu dem eindeutigen Ergebnis:

„Es war eine ganze Anzahl von Staaten, die den Zweiten Weltkrieg angezettelt haben.“[6]

Gerd Schultze-Rhonhof kann sich ebenso auf den israelischen Botschafter in Bonn, Asher ben Nathan, beziehen, der in einem Interview auf die Frage, wer 1967 den Sechs-Tage-Krieg begonnen und die ersten Schüsse abgegeben habe, antwortete:

„Das ist gänzlich belanglos. Entscheidend ist, was den ersten Schüssen vorausgegangen ist.“ (ebd.)

Im Gespräch, das Götz Kubitschek 2007 mit General Schultze-Rhonhof führte, wurde auch das Kapitel „Geschichtsschreibung“ angesprochen. Es ist recht aufschlußreich, einen Blick auf die Vorgehensweise eines unvoreingenommenen Geschichts-forschers werfen zu können.

„Ich bin der Frage nachgegan-gen“, erklärt der Autor, „warum die Generation meines Vaters das getan hat, was man ihr vorwirft. Warum hat eine Generation, die ich als anständig erlebt habe, plötzlich einen Krieg begonnen und Verbrechen begangen? Ich habe angefangen, darüber zu lesen und bin dabei sehr schnell auf ausländische Literatur gestoßen. Da schreibt eine ganze Anzahl ausländischer Historiker über ihre Regierungen der zwanziger und dreißiger Jahre, daß die den Zweiten Weltkrieg mit verursacht hätten. So etwas hatte ich vorher in deutscher Literatur nicht gelesen.“[7]

Dabei beließ es der General jedoch nicht, er forschte weiter:

„Ich habe mir dann mehr und mehr ausländische Literatur besorgt, sie gelesen und nachgesehen, auf welche Quellen sich diese Historiker berufen. Ich habe mir dann die Quellen – soweit für mich erreichbar – besorgt und sie gelesen. So habe ich dann vier Jahre ganz konsequent zu diesem Thema geforscht. Konsequent heißt: Ich habe jeden normalen Arbeitstag von morgens bis abends gelesen und geschrieben, habe mir die erforderliche Literatur und die Akten besorgt, bin gereist, um Archive, Bibliotheken und Zeitzeugen aufzusuchen …“[8]

Der Interviewte gibt zu, über die erforschten Zusammenhänge kaum etwas gewußt zu haben, denn nur die oberflächlichen Kenntnisse eines Abiturienten standen ihm zur Verfügung.

„Aber über die Hintergründe der Entstehung des Zweiten Weltkrieges wußte ich herzlich wenig. Ich mußte mich systematisch durch das Thema hindurcharbeiten. Nach den ersten Büchern … bin ich systematisch vorgegangen und habe mir Frage um Frage und Zeitabschnitt für Zeitabschnitt erarbeitet.“

Man kann sagen, auch als Geschichtsforscher leistete Schultze-Rhonhof vorzügliche Generalstabs-arbeit, denn er hatte bald herausgefunden, „daß der Schlüssel zu jedem Zeitabschnitt in einem der vorausgegangenen Zeitabschnitte liegt. Nichts passiert ohne Vorgeschichte und nichts aus heiterem Himmel. Ich habe sehr bald bemerkt, wie viele Mitspieler es im internationalen Mächtespiel der Vorkriegs-geschichte gegeben hat und wie wenig deren Beiträge zum Entstehen des Zweiten Weltkrieges in Deutschland untersucht und beschrieben worden sind.“[9]

Von der Sekundärliteratur arbeitete sich der Autor zur Primärliteratur durch, ist in Archive gefahren oder hat sich aus Archiven Kopien schicken lassen, „um herauszufinden, was sich einst wirklich abgespielt hat“, und um sich „von den vorgegebenen Auffassungen der Historiker“ freizumachen.[10]

Stets auf der Suche nach dem Neuen war er „eigentlich mehr wie ein Kriminalbeamter und weniger wie ein Historiker“ tätig: „Was waren die Motive der damals Handelnden, was waren die Anlässe, wer hat wen angestoßen, wie ist was wirklich abgelaufen? Ich habe mit offenem Ergebnis geforscht.“ (S.68)

Hatte Schultze-Rhonhof es anfangs mehr als Nachteil empfunden, kein studierter Historiker zu sein, so hat er im Verlauf von zwei Jahren diese Tatsache eher als Vorteil wahrgenommen. Er brauchte sich keiner sogenannten Schule verpflichtet zu fühlen, noch war er durch vorgeprägte Auffassungen aus dem Studium belastet. Er sagt:

„Ich konnte unbefangen ans Werk gehen und hatte wenig Respekt. Wer zu viel Respekt vor etablierten Historikern mit sich herumschleppt, überprüft vielleicht auch zu wenig, wie die namhaften Historiker mit den Quellen umgehen. Ich habe Bücher von Geschichtsprofes-soren gelesen, in denen nicht wenige ihre Quellen falsch zitiert haben, falsch übersetzt haben und sogar sinnverkehrend falsch abgeschrieben haben. Ich unterstelle solchen Professoren weder Dummheit noch Schlamperei, sondern im harmlosen Falle kritiklose Abschreiberei voneinander, und im bösen Falle die Absicht zur politischen Manipulation ihrer Leser und Studenten.“[11]

Hinter dieser Umschreibung verbirgt sich im Grunde die Erfahrung mit Formen der Geschichtspolitik, die sich durch ihre Methodik offenbart. Davon grenzt Schultze-Rhonhof sein Bemühen um die Geschichte klar und entschieden ab:

„Wenn ich über meine Recherchen bei dem gelandet wäre, was ich vorher schon gewußt habe, also beim Geschichtsbewußtsein des deutschen Normalbürgers, dann hätte ich keinen Antrieb zum Schreiben gehabt. Erst als bei mir das große Erstaunen eingesetzt hat, daß vieles anders gewesen ist, als ich es früher gelernt habe, habe ich mich zum Schreiben entschlossen.“[12]

Der General wird dann noch deutlicher:

„Unser ganzes Volk ist doch in einem teilweise falschen Geschichtsbild gefangen. Ich habe in einer Schweizer Doktorarbeit gelesen, daß sich die deutschen Historiker nach dem Ersten Weltkrieg sofort daran gemacht hätten, die Kriegsursachen zu klären. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei das anders gewesen: Da wären sich die deutschen Historiker  samt und sonders sofort einig gewesen, daß der Krieg alleine von Hitler  verursacht worden wäre. Eine das Ausland miteinbeziehende Kriegsur-sachenforschung habe es deshalb in Deutschland nicht gegeben, so der Schweizer Historiker.“[13]

Und damit kommt die Reihe „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“ des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA) zur Sprache:

„Schon in der Einleitung des ersten Bandes steht, daß die ganze Reihe ‘deutschland-zentrisch’ angelegt ist. Das Ausland wird dort, so kann man der Einleitung entnehmen, nur einbezogen, wo es um deutsche Gewalt, Unrecht und Ausbeutung des eroberten Auslandes geht.

Da hat das MGFA zu Beginn seiner Arbeit, in Band I, nicht etwa die Frage untersucht, wer sonst möglicherweise Schuld am Ausbruch des Krieges trägt, sondern einfach ‘festgestellt’, daß die Deutschen schuld gewesen wären. Der Schuldanteil des Auslands ist ausgeblendet worden. Eine solche Verein-fachung läßt mich sofort vermuten, daß die ganze Arbeit des MGFA, soweit sie die Kriegsschuldfrage betrifft, unwissenschaftlich angelegt ist.“[14]

Diesen unwissenschaftlichen Ansatz belegt Schultze-Rhonhof überzeugend am Beispiel der Aufrüstungsfrage. Ein Übermaß an deutscher Aufrüstung zwischen 1933 und 1939 wird konstatiert, ohne das Verhältnis zu den Aufrüstungen der umliegenden Staaten in Betracht zu ziehen. In einem späteren Fachkapitel wird nicht einmal das angebliche Übermaß der deutschen Aufrüstung belegt.

„Da die zeitgleiche Rüstung des Auslands unterschlagen wird“, fügt der General hinzu, „kann der interessierte Leser aus der Bundeswehr auch nicht bemerken, daß Deutschland 1933 den gegen Deutschland verbündeten Nachbarländern an aktiven Heeresdivisionen 1 zu 12 unterlegen war. Selbst bei Kriegsbeginn, 1939, war die Unterlegenheit noch 1 zu 2,5. […] Das MGFA unterschlägt diese Wirkungen  und Wechselwir-kungen einfach unter dem Etikett ‘deutschlandzentriert’. Es hat den zu beweisenden Sachverhalt einfach als gegeben vorausgesetzt.“[15]

Auf der anderen Seite, so muß betont werden, gibt es eine ganze Reihe von Wissenschaftlern des Militär-geschichtlichen Forschungsamtes, die auf ihrem Sachgebiet saubere Arbeit geleistet haben.

Vor dem Hintergrund der tiefgreifenden Katastrophe von 1945 und vor dem Hintergrund des NS-Unrechtsstaates und seiner Verbrechen, so führt der General weiter aus, traut man den Machthabern auch die Alleinschuld am Kriege zu.

„Deshalb fiel die Umerziehung der Deutschen nicht schwer, eine Umerziehung, wie sie etwa nach dem Ersten Weltkrieg nicht denkbar gewesen wäre.“[16]

Am Schluß des Interviews wird die Frage gestellt, welche Thesen aus den Forschungsergebnissen abzuleiten wären. Der Verfasser formuliert präzise:

1. „Keine Phase der Geschichte ist ohne Kenntnis ihrer Vorgeschichte zu begreifen…“

2. „Der Zweite Weltkrieg hatte viele Väter. Wenn man den unmittelbaren Kriegsanlaß von den Kriegsursachen unterscheidet, kommt man schnell darauf, daß Hitler zwar den letzten Anschub zum Krieg gegeben hat, daß die Ursachen dieses Krieges aber von einer ganzen Anzahl verschiedener Regierungen in den vorhergehenden Jahrzehnten zusammengebraut worden sind.“[17]

3. „Der Erste und der Zweite Weltkrieg bilden strategisch und historisch eine Einheit.“ Das stimmt mit der britischen Auffassung überein, wenn von einem zweiten „Dreißigjährigen Krieg“ gesprochen wird.[18]

4. Eine weitere These bezieht sich auf die Geschichtsschreibung: „Die Historiographie fällt in unserem Lande durch Auswahl und Weglassen der Fakten und manchmal auch durch die ‘passende’ Verwendung längst aufgedeckter Fälschungen sehr unterschiedlich aus. Viele Historiker in Deutschland ordnen ihre Arbeit offensichtlich einem ideologisch-politischen Überbau unter.“[19]

Da er nicht Geschichte studiert hat, hält sich Schultze-Rhonhof nicht für „vorgeprägt“, schätzt sich im Gegenteil als „unabhängiger“ ein. „Das merke ich immer wieder, wenn ich bei meiner Arbeit auf Quellen stoße und sehe, daß sie seit Jahrzehnten ungeprüft fehlerhaft weitergereicht worden sind.“[20]

„Ich stelle fest, daß Texte falsch abgeschrieben sind und damit auch falsch zitiert werden, daß fremdsprachige Texte falsch übersetzt sind, daß Professoren diese Fehler eigentlich selber hätten bemerken müssen. Wenn einem so etwas dann gehäuft oder an entscheidenden Stellen begegnet, wittert man dahinter eine Absicht: Manipulation an den Quellen, damit Deutschland in einem ungünstigen Licht erscheint. […]

Die gleichen Professoren gehen den Schwächen und Untaten ausländischer Politiker und ausländischer Regierungen nicht mit der nötigen Sorgfalt nach. Meist unterschlagen sie sie sogar. Ich muß also feststellen, daß häufig nach einem miesen Bild von Deutschland gesucht wird und daß sogar manipuliert wird, wenn man nichts hinreichend Schlechtes finden kann.“[21]

Mit Geschichtswissenschaft im Sinne der hohen Forderungen einer methodisch  einwandfreien wie gewissenhaften Wahrheits-forschung hat das alles nichts mehr zu tun. Um so mehr ist die innere Einstellung zu hinter-fragen, die im wesentlichen das Meinungsmonopol bestimmt und das geschichtspolitische Treiben großer Teile der Historikerzunft prägt.

So stellt sich auch der General die berechtigte Frage:

„Warum schauen so viele deutsche Historiker so negativ auf ihr eigenes Volk? Warum stellen sie ihr Volk und seine – also auch ihre eigene – Geschichte so negativ dar? Zum einen unterliegen viele Historiker sicherlich dem Zwang, sich in der Abgrenzung zu Preußen, zum Kaiserreich und zum Dritten Reich zu übertrumpfen, das hat Konjunktur. Aber es muß mittlerweile noch etwas anderes sein. Vielleicht ist es sogar eine Art Gefallen an der eigenen Schuld: Sich selbst demütigen, das können wir Deutschen offensichtlich besser als sonst irgend jemand auf der Welt.“[22]

Natürlich übergeht die „Zunft der beamteten Alleinschuld-Historiker“[23] die für die historische Wahrheitsforschung und für unsere Selbstklärung so wichtigen Ergebnisse der akribischen, umfassenden Arbeit General Schultze-Rhonhofs mit arrogantem wie irritiertem Schweigen.

Dabei kann kein Deutscher, der willens und bereit ist, sich selbst ein zutreffendes, an zuverläs-sigen Quellen erarbeitetes Bild von der Vergangenheit zu machen und zur Überwindung der allgemein verbreiteten Unkenntnis beizutragen, dieses bedeutende Werk ignorieren.

Fortsetzung folgt

___________________

Anmerkungen

[1]Ernst Topitsch: Deutsche Alleinschuld?  MUT Nr. 226, Juni 1986, S.11
[2]Werner Maser, Der Wortbruch, S. 249
[3]Zit. Nach dem Klappentext des Buches
[4]Paul Carell im Geleitwort zu „Unternehmen Barbarossa“ von Walter Post, S. 11
[5]5. verbesserte Auflage, München  Okt. 2006
[6]Zitat aus dem Klappentext
[7]„Im Gespräch mit General Schultze-Rhonhof. Deutschland auf Augenhöhe“  Edition Antaios, Schnellroda 2007, S.66
[8]Ebd., S. 66 f.
[9]Ebd., S. 67
[10]Ebd., S. 68
[11]Ebd., S. 69
[12]Ebd., S. 70
[13]Ebd., S. 71
[14]Ebd., S. 72
[15]Ebd., S. 73
[16]Ebd., S. 77
[17]Ebd., S. 86 f.
[18]Ebd., S. 88
[19]Ebd., S. 92
[20]Ebd., S. 92 f.
[21]Ebd., S. 93
[22]Ebd., S. 94
[23]Ebd., S. 100

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