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Es gibt Zeiten und Epochen, in welchen den künstlerisch Schaffenden fast jeder Sinn für die Schönheit abhanden zu kommen scheint, und ich fürchte, wir leben in einer solchen,

schreibt Ferdinand Hiller nicht etwa im 20. oder 21. Jahrhundert, sondern im 19. und fährt fort:

Man strebt nach Neuem, Aufregendem, Aufstachelndem, Wirkungs- oder besser Effektvollem, man will überraschen, ja, betäuben, man will, koste es, was es wolle, tief und geistreich sein, – man verwechselt das Schöne mit dem Konventionellen, mit dem Oberflächlich-Glatten, und verachtet es wohl gar, weil man’s kaum begreift. Es ist freilich nur den auserlesensten Genies in Kunst und Poesie gegeben gewesen, zu gleicher Zeit tief und schön zu sein …

Damit meint er vor allem Franz Schubert, das lyrische Genie ohnegleichen.

Er komponierte leicht und zügig

Schubert am Schreibtisch beim Komponieren. Ölbild von Carlo Bacchi aus dem "Pariser Salon 1929" (aus: Ernst Hilmar, Schubert)

Schubert am Schreibtisch beim Komponieren. Ölbild von Carlo Bacchi aus dem "Pariser Salon 1929" (aus: Ernst Hilmar, Schubert)

Schubert wurde am 31. Januar 1797 geboren und starb am 19. November  1828, wurde also nur knapp 32 Jahre alt und hat uns dennoch über 1000 Werke hinterlassen. Er komponierte leicht und zügig.

In 4 ½ Stunden verfertigt,

schreibt er 1814 stolz unter den 1. Satz seines 8. Streichquartetts in B-Dur.

Schon allein sein Schriftbild beweist, wie leicht er komponierte, aber auch seine Freunde berichten davon, und die riesige Werkfülle ließe sich auch nicht anders erklären. Schuberts Erstschriften unterscheiden sich an Klarheit kaum von seinen Reinschriften.

Er komponierte regelmäßig von früh morgens bis mittags, hatte am Bett einen Stoß Notenpapier bereitliegen, um seine musikalischen Einfälle, die ihm schon beim Aufwachen kamen, sofort zu Papier bringen zu können.

Die japanische Pianistin Mitsuko Uchida hat Ende der 90er-Jahre bis 2001 das gesamte Klavierwerk Schuberts zu 2 Händen in einzigartig feinsinniger Nachschöpfung eingespielt. Die Japanerin spricht von ihrer „tiefen Liebe zu Schubert“. Man denke, die vielfach so alpenländisch-volkstümlich anmutende Musik Schuberts wird „tief geliebt“ von einer großen japanischen Künstlerin! Hätte Schubert Uchida gehört, wie hätte er sich gefreut, zumal er einmal gesagt hat:

Verschiedene Leute versicherten mir, daß die Tasten unter meinen Händen zu singenden Stimmen würden, welches, wenn es wahr ist, mich sehr freut, weil ich das vermaledeyte Hacken, welches auch ausgezeicneten Clavierspielern eigen ist, nicht ausstehen kann, indem es weder das Ohr noch das Gemüth ergötzt.

Freunde Schuberts und die „Ordnungsmacht“

Hiller beschreibt seinen Besuch bei einer Schubertiade 1827, so nannten die Freunde ihre Zusammenkünfte mit Schubert, wo er seine Werke – teils mit anderen Musikern gemeinsam – spielte, mit folgenden Worten:

Ein Stück folgte dem andern – wir waren unersättlich, – die Ausführenden unermüdlich. Ich habe noch meinen dicken, treuherzigen Meister vor Augen, wie er in dem großen Salon seitwärts vom Piano auf einem bequemen Sessel saß, – er sagte wenig, aber die hellen Tränen liefen ihm über die Wangen. Wie mir damals zu Mute, vermag ich nicht zu schildern. Es war eine Offenbarung.

Gundelhof - Haus Sonnleitner

Gundelhof - Haus Sonnleitner

Die Schubertiaden fanden bei meist wohlsituierten Freunden in deren Häusern statt. Besonders gut geeignet waren sicher die Räumlichkeiten bei Ignaz und Leopold Sonnleitner im Gundelhof auf der Brandstätte in Wien. Die Sonnleitners führten äußerst großzügig ein offenes Haus, in dem Künstler aller Kunstarten ihre Werke darstellen konnten. Ignaz Sonnleitner kannte alle Musiker seiner Zeit, war allen Freund und Förderer, und Beethoven vermachte ihm alle seine Papiere.

Die Freunde nannten ihre Schubertiaden zum Spaß auch „Kanevas“-Abende, denn: Wenn ein Neuer in den Kreis eingeführt werden sollte, soll Schuberts erste Frage stets gewesen sein:

Kann er was?

Johann Senn erinnert sich später:

Die deutschen Befreiungskriege 1813-1815 hatten auch in Österreich eine bedeutende geistige Erhebung zurückgelassen. Unter andern fand sich damals in Wien, gleichsam instinktartig, ohne alle Verabredung, ein großartiger geselliger Kreis von jungen Literaten, Dichtern, Künstlern und Gebildeten überhaupt zusammen, desgleichen die Kaiserstadt bis dahin schwerlich je gesehen hatte, und der mehrere Jahre fortbestand … In diesem Kreise dichtete Franz Schubert seine Gesänge …

Die äußere Befreiung des Vaterlandes war zwar durch den Sieg über Napoleon erreicht, aber nach innen senkte sich nach dem Wiener Kongreß 1815 und vor allem nach den Karlsbader Beschlüssen 1819 das Leichentuch der Unfreiheit mit Bespitzelung und Zensur bleischwer auf die Menschen und betrog sie in ihren Hoffnungen. Die sog. Demagogen, vaterländisch, gesamtdeutsch und freiheitlich denkende Menschen, sollten aus dem Verkehr gezogen werden.

So wurde auch der Schubertsche Freundeskreis von den Behörden beobachtet, und das Schicksal Senns hat die Freunde bis ins Mark getroffen. In einem Polizeibericht von 1821 lesen wir

über das störrische und insultante Benehmen, welches der … Johann Senn, aus Pfunds in Tyrol gebürtig, bey der angeordnetermassen in seiner Wohnung vorgenommenen Schriften Visitation, und Beschlag nahme seiner Papiere an den Tag legte, und wobey er sich unter andern der Ausdrücke bediente, “er habe sich um die Polizey nicht zu bekümmern,” dann, die Regierung sei zu dumm, um in seine Geheimnisse eindringen zu können. Dabei sollen seine bey ihm befindlichen Freunde, der Schulgehilfe aus der Rossau Schubert, und der Jurist St[r]einsberg, dann die am Ende herzugekommenen Studenten … in gleichem Tone eingestimmt, und gegen den amthandelnden Beamten mit Verbalinjurien und Beschimpfungen losgezogen seyn. […]

Außen: Verhaftung des Johann Senn Exzessives Benehmen desselben sowie der Studenten St[r]einsberg, Zehentner, Bruchmann und des Schulgehilfen Schubert.

Wir lesen in der Dissertation von Ilija Dürhammer, „Schuberts literarische Heimat“, noch ein weiteres Dokument, und zwar aus dem Gefängnis, darin heißt es:

daß Senn ohne grade eine Geistesverwirrung erlitten zu haben, sich in einem Zustande von geistiger Uiberspannung befinde, welche ihren Grund in dem aufgeregten volksthümlichen Zeitgeiste, u. in der von den norddeutschen Hochschulen ausgegangenen verderblichen Revolution und Demagogism athmenden Ideen habe.

Tief gekränkt von der menschenunwürdigen Behandlung und Freiheitsberaubung verweigert Senn seine Zusammenarbeit mit den Gefängnisbeamten.

Nachdem der Untersuchungs Coare den Senn das Excentrische und die Monstruosität seiner erklärten Grundsätze aus einandergesetzt u. ihn eines besseren [zu] belehren gesucht hatte, wurde ihm mit Fasten bey Wasser u. Brot u. endlich gar mit körperlicher Züchtigung gedroht, was auch sofort in Vollzug gesetzt wurde. Erst dadurch etwas mürber gemacht …

Usw. usf. – Schubert durfte, mit einer Verwarnung bedacht, wieder nach Hause gehen. Doch nun zu den anderen Freunden:

Die Freunde der Schubertiaden

Franz v. Schober, Gemälde von Leopold Kupelwieser (aus: Hilmar, Schubert)

Franz v. Schober, Gemälde von Leopold Kupelwieser (aus: Hilmar, Schubert)

Einer der engsten und auf Schuberts Lebensschicksal und damit auf die Musikgeschichte schlechthin einflußreichsten Freunde war Franz v. Schober. Er war Zeichner, Schauspieler und Dichter. Anselm Hüttenbrenner war ebenfalls Komponist, Johann Mayrhofer Dichter wie Johann Senn.

Diese Freunde lieferten Schubert ihre Gedichte zur Vertonung, ja, sie nahmen ihm die Lesearbeit ab und durchstöberten die Literatur nach weiteren brauchbaren Texten für ihn. Daher war es Schubert möglich, in seiner kurzen Lebenszeit an 800 Vokalwerke zu schaffen einschließlich der Opern und Messen, und sie machen zugleich 80 % des Schubertschen Gesamtwerks aus. Ohne seine Freunde wäre mit Sicherheit Schuberts Werk von ganz anderer Art gewesen. Albert Stadler berichtet:

Wer ihm um diese Zeit ein Gedicht zur Composition übergab, durfte überzeugt seyn, daß, wenn es den Tonsetzer ansprach, des andern Tages die gelungene Composition vorliegen werde.

Leopold Kupelwieser und Moritz v. Schwind waren Maler. Über Schwind lesen wir in den Erinnerungen eines weiteren Freundes, nämlich bei Eduard v. Bauernfeld:

Moritz von Schwind, Zeichnung von Leopold Kupelwieser (aus: Hilmar, Schubert)

Moritz von Schwind, Zeichnung von Leopold Kupelwieser (aus: Hilmar, Schubert)

Das Verhältnis zwischen Schubert und Schwind war eigen und einzig. Moritz Schwind, eine Künstlernatur durch und durch, war kaum minder für Musik organisiert als für Malerei. Das romantische Element, das in ihm lag, trat ihm nun in den Tonschöpfungen seines älteren Freundes zuerst überzeugend und zwingend entgegen – das war die Musik, nach der seine Seele verlangte. Und so neigte er sich auch dem Meister mit seiner ganzen jugendlichen Innigkeit und Weichheit zu. Er war völlig in ihn verliebt, und ebenso trug Schubert den jungen Künstler, den er scherzweise seine Geliebte nannte, im Herzen seines Herzens. Er hielt auch große Stücke auf Schwinds musikalisches Verständnis, und jedes neue Lied oder Klavierstück wurde dem jungen Freund zuerst mitgeteilt, welchem das immer wie eine neue Offenbarung seiner eigenen Seele klang.

Ein weiterer enger Freund war Joseph v. Spaun. Auch Spaun stellte seine Räumlichkeiten für die Leseabende der Freunde und die Schubertiaden zur Verfügung. Er beschützte Schubert und sein Werk väterlich-fürsorglich.

Spaun wurde bereits in ganz jungen Jahren Schuberts Freund. Sie lernten einander kennen, als Schubert 1808 mit 11 Jahren ins Stadtkonvikt aufgenommen wurde, einem Internat von hervorragendem Ruf mit humanistischem Gymnasium, wo viel musiziert wurde und in dem der um 9 Jahre ältere Spaun bereits Schüler war.

Fortsetzung folgt

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