Feed für
Beiträge
Kommentare

Felix Mendelssohn (2)

Fortsetzung von Folge 1

Familie Mendelssohn verehrt Goethe

Wie wenig aber die Namensänderung bei der nichtjüdischen Umgebung bewirkte, zeigen Texte von Karl Friedrich Zelter, Richard Wagner und anderen.

Zelter meldet sich und den 12-jährigen Felix bei seinem Duzfreund Goethe an, indem er schreibt:

Mich dürstet nach Deiner Nähe. – Meiner Doris und meinem besten Schüler will ich gern Dein Angesicht zeigen, ehe ich von der Welt gehe, womit ich’s freilich so lange als möglich aushalten will. – Der letztere ist ein guter hübscher Knabe, munter und gehorsam. Er ist zwar ein Judensohn, aber kein Jude. Der Vater hat mit bedeutender Aufopferung seine Söhne nicht beschneiden lassen und erzieht sie, wie sich’s gehört. Es wäre wirklich einmal eppes Rores, wenn aus einem Judensohn ein Künstler würde.

Zelter ist für seine Grobheiten bekannt. Aber als die Familie Mendelssohn nach seinem Tod diesen Brief veröffentlicht findet, ist sie mit Recht bestürzt.

Zelter war nicht nur der Musiklehrer von Fanny und Felix, sondern hatte schon Abraham unterrichtet. Abraham singt auch bei ihm im Chor der Berliner Singakademie mit.

Nach seiner ersten Begegnung mit Goethe in Frankfurt am Main 1797 schwärmt er Zelter, der schon viele Goethe-Gedichte vertont hat, die der Dichter hoch schätzt, von Goethes Persönlichkeit vor. Die große Goethe-Verehrung der Familie Mendelssohn nimmt hier ihren Anfang. Und es ist nicht zuletzt Abraham, der dazu beiträgt, daß eine 30jährige innige, leblange Freundschaft zwischen Goethe und Zelter ihren Anfang nimmt.

1804 heiraten Abraham und Lea und ziehen in das Haus Nr. 14 der Großen Michaelisstraße in Hamburg. Abraham arbeitet als Kompagnon seines Bruders Joseph in der Hamburger Filiale des Bankhauses J. & A. Mendelssohn. Wegen verbotener Geschäfte während der napoleonischen Kontinentalsperre gegen England verläßt Abraham 1811 mit seiner Familie fluchtartig die Hansestadt, um den französischen Zollfahndern nach Berlin zu entkommen. Felix hat sein Geburtshaus also nur die ersten beiden Jahre seines Lebens bewohnt.

1821 ist es dann soweit: Felix darf mit Ehepaar Zelter zu Goethe fahren. Fanny bleibt zu Hause. Sie ist ein Mädchen.

schreibt sie ihm,

Wenn Du zu Goethe kommst, sperre Augen und Ohren auf, ich rate es Dir! Und kannst Du bei Deiner Rückkehr nicht jedes Wort aus seinem Munde erzählen, so sind wir Freunde gewesen.

Goethe ist von Felix hingerissen, der nicht nur stundenlang am Klavier improvisieren, seine eigenen Kompositionen und u. a. die gedruckten Beethovens vortragen, sondern auch ein ziemlich unleserliches Autograph von Beethoven vom Blatt spielen kann. Mit einem kleinen Reim lädt Goethe Felix ein wiederzukommen.

Wir wünschen Dich allesamt zurück

– Felix, den Glücklichen.

Fanny

ist die künstlerisch ebenbürtige Schwester und lebenslang innige Freundin und künstlerische Partnerin von Felix.

Er hat keinen musikalischen Ratgeber als mich, auch sendet er nie einen Gedanken aufs Papier, ohne ihn mir vorher zur Prüfung vorgelegt zu haben,

berichtet die Siebzehnjährige.

Sie erhält zunächst den gleichen Instrumental- und Kompositionsunterricht bei Zelter wie Felix. Doch zur Konfirmation bekommt die Fünfzehnjährige von Vater Abraham eine besondere Mitgift, nämlich die schriftlich in einem Brief mitgeteilte Grenzfestsetzung, die sie als Frau bei ihren musikalischen Betätigungen – im Gegensatz zu Felix – nicht zu überschreiten habe:

Die Musik wird für ihn vielleicht Beruf, während sie für Dich stets nur Zierde, niemals Grundbaß Deines Seins und Tuns werden kann und soll; ihm ist daher Ehrgeiz, Begierde, sich geltend zu machen in einer Angelegenheit, die ihm sehr wichtig vorkommt, weil er sich dazu berufen fühlt, eher nachzusehn, während es Dich nicht weniger ehrt, daß Du von jeher Dich in diesen Fällen gutmütig und vernünftig bezeugt und durch Deine Freude an dem Beifall, den er sich erworben, bewiesen hast, daß Du ihn Dir an seiner Stelle auch würdest verdienen können. Beharre in dieser Gesinnung und diesem Betragen, sie sind weiblich, und nur das Weibliche ziert die Frauen.

Fanny gönnt dem Bruder offenbar neidlos dessen Fortkommen als Komponist, leidet aber doch stark an den ihr auferlegten Beschränkungen ihrer Schöpferkraft. Immer wieder muß sie sich Ermahnungen des Vaters, des Bruders und anderer „Herren der Schöpfung“ anhören wie z. B. die Abrahams, als sie schon 23 Jahre alt ist:

Du mußt Dich mehr zusammennehmen, mehr sammeln; Du mußt Dich ernster und emsiger zu Deinem eigentlichen Beruf, zum einzigen Beruf eines Mädchens, zur Hausfrau, bilden … Der Frauen Beruf ist der schwerste; die unausgesetzte Beschäftigung mit dem Kleinsten … die stete unausgesetzte Beobachtung des einzelnen, die Wohltat jedes Augenblicks und die Benutzung jedes Augenblicks zur Wohltat, das und alles, was Du Dir dazu denken wirst, sind die Pflichten, die schweren Pflichten der Frauen.

So viel Anerkennung sie ihrem Bruder Felix schenkt, so wenig erhält sie von ihm zurück. Im Gegenteil, er veröffentlicht bei der Drucklegung seiner Lieder op. 8 (1828) und 9 (1830) sechs Lieder von ihr unter seinem Namen.

Ihr Anteil an den Sachen,

schreibt später ihr Sohn Sebastian Hensel, sei aber noch viel größer gewesen. Ironisch teilt ihr Felix aus Leipzig mit, wo eines ihrer Lieder aufgeführt wurde und großen Anklang beim Publikum fand:

… ich meinesteils bedanke mich im Namen des Publikums zu Leipzig und den anderen Orten, daß Du es gegen meinen Wunsch doch herausgegeben hast.

Nach London schreibt sie Karl Klingemann:

… ich … kann aber nicht unterlassen zu sagen, wie angenehm es mir ist, in London für meine kleinen Sachen ein Publikum zu finden, das mir hier ganz fehlt. Daß sich jemand hier etwas abschriebe oder nur eine Sache zu hören verlangte, das kommt kaum einmal im Jahr vor, … man verliert am Ende selbst mit der Lust an solchen Sachen das Urteil darüber, wenn sich nie ein fremdes Urteil, ein fremdes Wohlwollen entgegenstellt. Felix, dem es ein Leichtes wäre, mir ein Publikum zu ersetzen, kann mich auch, da wir nur wenig zusammen sind, nur wenig aufheitern, und so bin ich mit meiner Musik ziemlich allein.

Auf die Bitte Mutter Leas, Felix möge doch Fanny zu Publikationen ermuntern, antwortet der inzwischen berühmte Komponist:

… ihr zureden, etwas zu publizieren, kann ich nicht, weil es gegen meine Ansicht und Überzeugung ist … ich halte das Publizieren für etwas Ernsthaftes (es sollte das wenigstens sein) und glaube, man soll es nur tun, wenn man als Autor sein Leben lang auftreten und dastehen will. Dazu gehört aber eine Reihe von Werken, eins nach dem andern … zu einer Autorschaft hat Fanny, wie ich sie kenne, weder Lust noch Beruf – dazu ist sie zu sehr eine Frau, wie es recht ist, sorgt für ihr Haus und denkt weder ans Publikum noch an die musikalische Welt, noch sogar an die Musik, außer, wenn jener erste Beruf erfüllt ist.

Fanny fügt sich zwar teils in das vorgegebene Frauenschema, zeigt aber immer einmal wieder ihre Erbitterung. Karl Klingemann z.B. antwortet sie auf seine Glückwünsche zu ihrer Verlobung mit dem Maler Wilhelm Hensel:

Beinahe hätte ich vergessen, Ihnen zu danken, daß Sie erst aus meiner Verlobungskarte geschlossen haben, ich sei ein Weib wie andere, ich meinesteils war darüber längst im klaren, ist doch ein Bräutigam auch ein Mann wie andre. Daß man übrigens seine elende Weibsnatur jeden Tag, auf jedem Schritt seines Lebens von den Herren der Schöpfung vorgerückt bekommt, ist ein Punkt, der einen in Wut und somit um die Weiblichkeit bringen könnte, wenn nicht dadurch das Übel ärger würde.

Familie Abraham Mendelssohn kauft 1825 in Berlin das Grundstück Leipziger Straße 3 mit einem 90 Jahre alten, renovierungsbedürftigen Gebäudekomplex der Barockzeit, ein insgesamt aber herrliches Anwesen, das Lea beschreibt:

Was uns zu diesem weit aussehenden Plan lockte, ist ein wundervoller Garten, vielmehr Park, voll herrlicher alter Bäume, der alles einengende eines Stadtgartens dadurch verliert, daß er ringsum von anderen Gärten begränzt ist.

Besonders angetan ist nicht nur Lea, sondern die ganze Familie von dem Gartensaal,

ein selbst für Berlin selten großer Saal, mit einer ovalen imposanten Kuppel, auf Säulen ruhend. Vier Stufen führen in den Garten hinab, von denen man eine Durchsicht von Baumgängen und Gruppen bis ans Ende hat …

In diesem Anwesen findet auch Fanny mit ihrer jungen Familie eine Heimstatt. Hier entsteht ein Kulturzentrum erster Güte, in dem sich das Bildungsbürgertum Berlins zu Fannys Sonntagsmusiken zusammenfindet, ein Rahmen, der es Fanny gestattet, ihr Können als Komponistin, Pianistin und Dirigentin in den ihr gesteckten Grenzen auszuleben.

Es ist nicht die große Öffentlichkeit, es ist ein privater Rahmen ohne Presse, aber immerhin hat sie hier ein Publikum, ein exzellentes zumal. Die Brüder Humboldt gehören dazu, Clara und Robert Schumann, Paganini, Gounod, Jenny Lind, Heinrich Heine, Ferdinand Hiller, Schleiermacher, Schlegel, die Varnhagens, Louis Spohr, Meyerbeer, Chopin, Lasalle, Paul Heyse, Liszt, Thorwaldsen.

1839/40 erlebt Fanny mit ihrem Mann Wilhelm Hensel ein volles Jahr Italien, darunter ein halbes Jahr Rom. Hier erfährt sie die lange entbehrte künstlerische Anerkennung, die ihr zukommt, sie wird von Künstlern, besonders von Charles Gounod, verehrt.

… ein besseres Publikum kann man wirklich nicht haben,

schreibt sie ins Tagebuch.

Ich schreibe auch jetzt viel; nichts spornt mich so an als Anerkennung …

Doch zu einem Ausbau ihrer Karriere reicht ihre Lebenszeit nicht mehr. Sie wird 1847 plötzlich und unerwartet, erst 42 Jahre alt, während einer Sonntagsmusik in der Leipziger Straße am Gehirnschlag sterben.

Felix Mendelssohn Bartholdy

hat inzwischen die weite Welt bereist. Sein Vater hat ihm nicht nur die siebenmonatige England-Schottland-Reise ermöglicht, die ihn tief beeindruckt und zu großen Werken inspiriert hat wie die Hebriden-Ouvertüre und die Schottische Symphonie, sondern schickt ihn bald darauf auf eine zweijährige Bildungsreise nach Süden mit dem Ziel Italien.

Felix trifft Künstler, gibt Konzerte, führt seine eigenen Werke auf. In seinem Kopf formt sich seine 4. Symphonie, die Italienische. Und auch seine Vertonung von Goethes Erster Walpurgisnacht nimmt Formen an.

Mendelsohns Freund, der Sänger Eduard Devrient, der später Meine Erinnerungen an Felix Mendelssohn Bartholdy und seine Briefe an mich herausgeben wird, erinnert ihn scherzhaft in einem Brief zu seinem 22. Geburtstag daran, etwas für die Unsterblichkeit zu tun, vor allem auch eine Oper zu komponieren. Mendelssohns Antwort wirft ein bezeichnendes Licht auf sein Ethos als schaffender Musiker. Er schreibt:

… ich schreibe ebenso wenig, um berühmt zu werden, als ich schreibe, um eine Kapellmeisterstelle zu erhalten … so lange ich … nicht gerade verhungre, so lange ist es Pflicht, zu schreiben, was und wie mir es ums Herz ist, und die Wirkung davon dem zu überlassen, der für mehr und Größeres sorgt …

Im gleichen Sinne schreibt er einer Cousine:

Ich nehme es mit der Musik sehr ernsthaft und halte es für unerlaubt, etwas zu komponieren, das ich eben nicht ganz durch und durch fühle. Es ist, als sollte ich eine Lüge sagen …

Viele Orte seiner Reisen hält er in Aquarellen fest, auch hier ein Künstler. Aus Italien und der Schweiz kommend, gelangt er 1832 über westdeutsche Städte nach Paris und schreibt an Zelter:

Wie ich jetzt nach all den Schönheiten, die ich in Italien und der Schweiz genossen hatte, nach allem Herrlichen, das ich gesehn und erlebt, wieder nach Deutschland kam, und namentlich bei der Reise über Stuttgart, Heidelberg, Frankfurt, den Rhein herunter bis Düsseldorf, da war eigentlich der Hauptpunkt der Reise, denn da merkte ich, daß ich ein Deutscher sei und in Deutschland wohnen wolle, so lange ich es könne. Es ist wahr, ich kann da nicht so viel Schönheit genießen, nichts Herrliches erleben, aber ich bin da zu Hause … es ist das ganze Land, es sind die Menschen, deren Charakter und Sprache und Gebräuche ich nicht erst zu lernen und mitzumachen oder nachzuahmen brauche, unter denen ich mich wohlfühle, ohne mich darüber zu wundern …

Es ist mir lebhaft aufgefallen, wie in Deutschland die Musik und der Sinn für die Kunst verbreitet ist und sich immer mehr verbreitet, während man ihn anderswo (hier zum Beispiel) konzentriert.

Und nun folgt sein Lob der dezentralen Kulturpflege in Deutschland:

Daraus folgt zwar vielleicht, daß es bei uns nicht so schnell in die Höhe, aber auch nicht so schnell auf die Spitze getrieben wird, und daraus folgt, daß wir den andern Ländern Musiker schicken können und doch noch reich genug bleiben. Ich habe mir das alles ausgedacht, wenn ich hier so oft Politik hören und zuweilen auch sprechen mußte, und wenn die Leute, namentlich aber die Deutschen, auf Deutschland schalten oder es beklagten, daß es keinen Mittelpunkt, kein Oberhaupt, keine Konzentrierung habe, und wenn sie meinten, das werde alles gewiß bald kommen. Es wird wohl nicht kommen, und ich denke, es ist auch ganz gut so. Was aber kommen wird und muß, das ist das Ende unserer allzugroßen Bescheidenheit, mit der wir alles für recht halten, was die andern uns bringen, unser Eigentum sogar erst achten, wenn’s die andern geachtet haben, … das tut mir immer leid, wenn wir selbst nichts von dem wissen wollen, was wir voraus haben.

Dieser Brief ist übrigens der letzte, den Zelter von ihm lesen konnte. Zelter starb 1832 keine zwei Monate nach seinem geliebten Freund Goethe. Mendelssohn befindet sich da schon wieder in seinem lieben England,

wo ich meine Freunde wiederfinde, mich wohl und unter wohlwollenden Menschen weiß.

Er geht ins Konzert, trifft

wunderschöne junge Engländerinnen, die ich lieb habe,

hört mit ihnen gemeinsam die Sechste von Beethoven und wird hinterher von jemandem aus dem Orchester entdeckt, der ruft:

“There is Mendelssohn”, und darauf fangen sie alle dermaßen zu schreien und zu klatschen an, daß ich eine Weile nicht wußte, was ich anfangen sollte, und als es vorüber war, ruft ein andrer: “Welcome to him”, und darauf fangen sie wieder denselben Lärm an …

Er fühlt sich geliebt.

… es war mir ein froheres Gefühl, als ich sagen kann.

Aber auch in Deutschland wird er bewundert. Düsseldorf bietet ihm die Leitung des Niederrheinischen Musikfestes an und gleich danach die Stelle des Städtischen Musikdirektors. Wie sich hier allerdings die schlecht bezahlten Musiker benehmen, erstaunt doch nicht wenig. Mendelssohn berichtet:

Eben komme ich aus der Egmont-Probe, wo ich zum ersten Male in meinem Leben eine Partitur entzweigeschlagen habe, vor Ärger über die dummen Musici.

Ja, die Kerle prügeln sich zuweilen

gern im Orchester. – Das dürfen sie nun aber bei mir nicht, und so muß zuweilen eine furiose Szene aufgeführt werden. – Beim Glücklich allein ist die Seele, die liebt habe ich also zum ersten Male eine Partitur entzweigeschlagen, und darauf spielten sie gleich mit mehr Ausdruck.

Noch schlimmer für ihn scheint die Intendanz des Theaters zu sein, die mit zu seinen Aufgaben gehört. Schon nach 14 Tagen ist ihm der Geduldsfaden gerissen, soll er sich doch von früh bis spät mit allen Kleinigkeiten der Organisation befassen und kommt kaum zu seinem eigentlichen Anliegen, der Musik. Er legt das Amt des Intendanten nieder. Der Leiter des Stadttheaters, der Dichter Carl Leberecht Immermann, nennt das einen

schnöden Treubruch,

und auch Vater Abraham macht ihm Vorwürfe.

Ein Intendant werde ich nicht wieder und will zeitlebens an die paar Wochen denken. Pfui Teufel! Sich mit den Menschen herumzanken wegen zwei Taler; gegen die Guten streng und gegen die Schlechten nachsichtig sein; vornehme Gesichter machen, damit sie den Respekt nicht verlieren, den sie gar nicht haben; ärgerlich tun, ohne sich zu ärgern – das sind lauter Sachen, die ich nicht kann und nicht können mag.

Nun führt er Oratorien von Händel auf, die Klavierkonzerte von Beethoven, Chöre von Carl Maria von Weber; komponiert an seinem Oratorium Paulus, an der Konzertouvertüre Das Märchen von der schönen Melusine, an den Liedern ohne Worte. Er macht die Bekanntschaft mit Frederic Chopin, ein Labsal inmitten

von fatalen Exemplaren

von Leuten – wie er schreibt –, mit denen er hier in der Provinz umgeben ist,

Predigern, die jede Freude sich und andern versalzen, trockenen prosaischen Hofmeistern, die ein Konzert für Sünde, einen Spaziergang für zerstreuend und verderblich, ein Theater aber für den Schwefelpfuhl und den ganzen Frühling mit Baumblüten und schönem Wetter für ein Moderloch ausgeben.

Keine zwei Jahre nach Beginn seiner Düsseldorfer Tätigkeit bekommt er im Januar 1835 das Angebot aus Leipzig, die Leitung der Gewandhaus-Konzerte zu übernehmen. Nun erleben die Leipziger ein anderes Niveau ihrer Konzerte. Mendelssohn bringt ihnen die ganz Großen zu Gehör. Er dirigiert mit Dirigentenstab – einer Neuerung, die er erfunden und schon in London angewandt hat – und mit der Orchesterpartitur vorne vor dem Orchester, heute alles Selbstverständlichkeiten.

Mendelssohns feuriges Auge übersah und beherrschte das ganze Orchester,

erzählt ein Augenzeuge.

Umgekehrt hingen aber auch aller Blicke an der Spitze seines Dirigentenstabes. Daher vermochte er mit souveräner Freiheit die Massen in jedem Augenblick nach seinem Willen zu leiten.

Die Leipziger sind begeistert, das Orchester steht geschlossen hinter ihm, die besten Interpreten stellen sich als Solisten ein wie Moscheles, Chopin, Clara Schumann.

Richard Wagner dagegen führt 1850 in der Neuen Zeitschrift für Musik in einem Aufsatz über das Judentum in der Musik aus:

Felix Mendelssohn Bartholdy … hat uns gezeigt, daß ein Jude von reichster spezifischer Talentfülle sein, die feinste und mannigfaltigste Bildung, das gesteigertste, zartempfindende Ehrgefühl besitzen kann, ohne durch die Hilfe aller dieser Vorzüge es je ermöglichen zu können, auch nur ein einziges Mal die tiefe, Herz und Seele ergreifende Wirkung auf uns hervorzubringen, welche wir von der Kunst erwarten …

Wagner schiebt die Glätte, die man in Mendelssohns Musik durchaus wahrnehmen kann, auf dessen jüdische Volksseele. Man fragt sich: mit welchem Recht, mit welcher Beweiskraft? Besonders, wenn man berücksichtigt, in welch herabsetzender Weise Wagner die Musik des Deutschen Johannes Brahms in der Öffentlichkeit verhöhnt hat. Wo bleibt da die Logik?

In einem veröffentlichten Brief an Marie Muchanoff bekräftigt er 1869 noch einmal seine Gesinnung:

Leipzig … hatte infolge der langjährigen Wirksamkeit des dort mit Recht und nach Verdienst geehrten Mendelssohn die eigentliche musikalische Judentaufe erhalten: wie ein Berichterstatter sich einmal beklagte, waren blonde Musiker dort zur immer größeren Seltenheit geworden, und der sonst durch seine Universität und seinen bedeutenden Buchhandel in allem deutschen Wesen so regsam sich auszeichnende Ort verlernte in betreff der Musik sogar die natürlichsten Sympathien jedes, sonst deutschen Städten so willig anhaftenden Lokalpatriotismus; er ward ausschließlich Judenmusikweltstadt.

Auch hier: Man sucht die Logik. Einerseits anerkennt Wagner, daß Mendelssohn wegen seiner Verdienste “mit Recht” verehrt werde, andererseits beschwert er sich darüber, daß „der Jude“ in einer deutschen Stadt wirkt.

Typisch für einen Juden – so Wagner – sei auch, daß Mendelssohn sich für Johann Sebastian Bach so stark einsetzt, dessen Musik in einer Epoche entstanden sei,

in welcher die allgemeine musikalische Sprache eben noch nach der Fähigkeit individuelleren, sicheren Ausdrucks rang: das rein Formelle, Pedantische haftete noch so stark an ihr, daß ihr rein menschlicher Ausdruck bei Bach, durch die ungeheure Kraft seines Genies eben erst zum Durchbruche kam.

Im Gegensatz zur Gestaltung Beethovenscher Musik, die eine gleich tief empfindende Seele beim Interpreten voraussetze, könne die Musik Bachs,

wenn auch nicht im Sinne Bachs, nachgesprochen werden, weil das Formelle in ihr noch das Überwiegende

sei. Und dazu reiche es bei einem jüdischen

sehr fertigen Musiker,

zu mehr eben nicht.

Die musikliebende Welt verdankt hingegen Felix Mendelssohn Bartholdy, daß Johann Sebastian Bachs unsterbliche Musik in ihr Bewußtsein zurückgeholt wurde, weil er es – gemeinsam mit Eduard Devrient – bei Zelter durchsetzte, daß Bachs Matthäus-Passion – nach 100 Jahren Dornröschenschlaf – 1829 in der Berliner Singakademie zur großen Begeisterung des Publikums wieder aufgeführt wurde, und zwar unter der Leitung des zwanzigjährigen Felix Mendelssohn Bartholdy. Kurz hintereinander gab es weitere Aufführungen, um dem Andrang der Menschen entgegenzukommen.

1833 bewirbt sich Mendelssohn nach dem Tod Zelters als dessen Nachfolger an der Berliner Singakademie. Aus der Zahl der 11 Bewerber wählt die Kommission nicht etwa den verdienstvollen, aber leider jüdischen Musiker, sondern den eher mittelmäßigen Rungenhagen.

Familie Mendelssohn, die sich für die Singakademie stark gemacht hatte – Abraham Mendelssohn hatte ihr einst kostbare Autographe von Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bach geschenkt – empfindet das Wahlergebnis als Affront und tritt geschlossen aus der Singakademie aus. Felix verwindet die Zurücksetzung lebenslang nicht, wie er nun auch seine Abneigung gegen Berlin nicht mehr ablegen wird.

Die Philosophische Fakultät der Universität Leipzig kennt offenbar keine Unduldsamkeit gegenüber einem Juden wie Mendelssohn, sie verleiht dem Siebenundzwanzigjährigen 1836 die Ehrendoktorwürde.

Als er jedoch noch einmal nach Düsseldorf zurückkehrt, um dort sein Oratorium Paulus aufzuführen, vermerkt Theaterdirektor Carl Immermann in seinem Tagebuch:

Mich verstimmte die Nähe Mendelssohns, den ich einmal auf der Straße sah und sehr gealtert und ins Jüdische verhäßlicht fand.

Alle Bemühungen der Familie Mendelssohn, sich dem deutschen Volk zu assimilieren, bringen es also nur höchstens zu Teilerfolgen.

1837 heiratet Felix Mendelssohn Cécile Jeanrenaud. Sie wohnen in Leipzig, und Felix zeichnet das Wohnzimmer. Allerdings die Figuren muß Cécile hinzufügen. Figurenmalen liegt Felix nicht.

Aber auch Landschaftsbilder

gelingen Cécile ganz vorzüglich. Doch wie es sich für eine Frau gehört, verzichtet sie auf eine Karriere in der Malerei, ist hauptberuflich Hausfrau und bringt fünf Kinder zur Welt, darunter Paul, den späteren Begründer der Firma AGFA.

Felix Mendelssohn ist außerordentlich fleißig, bewältigt ein hohes Arbeitspensum, setzt sich unter Druck, gönnt sich keine Erholungspausen, erschöpft seine letzten Kraftreserven. Im Sommer 1846 untersagt ihm sein Arzt jedes öffentliche Auftreten:

Endlich klage ich auch mich selbst an, weil mir das Dirigieren und gar das Spielen geradezu zuwider geworden ist,

äußert er am 6. Dezember. Und Devrient bestätigt:

Die blühende, jugendfrische Heiterkeit war einem gewissen Überdruß, einer Erdenmüdigkeit gewichen …

Mendelssohn gibt den Klavierunterricht am Leipziger Konservatorium auf, legt Anfang 1847 die Leitung der Gewandhauskonzerte nieder, geht aber auf seine mittlerweile 10. Englandreise. Völlig erschöpft kehrt er im Mai zurück. In Frankfurt am Main erhält er die Nachricht vom plötzlichen Tod seiner Schwester Fanny. Schreiend bricht er zusammen.

Mit seiner Familie reist er zur Erholung in die Schweiz. Nach anfänglicher Unfähigkeit, überhaupt eine Note aufs Papier zu bringen –

tiefgebeugt durch den Tod seiner Schwester

hat ihn ein Zeitzeuge gesehen –, schreibt er sein Streichquartett f-moll, jeder der vier Sätze Ausdruck seiner Trauer.

Am 17. September ist die Familie wieder in Leipzig. Am 7. Oktober schreibt Felix Mendelssohn sein letztes Werk, das Altdeutsche Frühlingslied. Augenzeugin Elise Polko berichtet:

… Da schob er das noch feuchte Blatt von sich und sagte, hastig aufstehend: “Es ist genug! Sorge dich nun nicht länger, Cécile! Jetzt will ich wirklich nicht mehr schreiben und eine Weile ausruhen!” Mendelssohns übergroße Nervenreizbarkeit trat seit einiger Zeit besonders auffallend hervor, wenn er Musik hörte oder selbst spielte. Sein Gesicht veränderte sich dann und wurde sehr blaß … An jenem Tage nun hatte Mendelssohn schon am Morgen sehr viel und anstrengend mit Moscheles und David musiziert …

Die Sängerin Livia Frege singt sein eben komponiertes Lied.

Hu, das klingt traurig! Aber es ist mir auch so zumute!

sagt er, springt „leichenblaß auf“ und klagt „über eisige Kälte in den Händen.“ Das ist der Anfang vom Ende. Mit 38 Jahren stirbt Mendelssohn wie seine Eltern und wie Fanny am Gehirnschlag, allerdings nicht wie sie schnell und schmerzlos, sondern erst nach drei, mehrere Tage auseinander liegenden Anfällen und unter unsäglichen Qualen.

Die letzten beiden Tage ist er ohne Bewußtsein, schreit „entsetzlich“, stundenlang. Am Abend des 6. November 1847 ist er erlöst.

Das sanfteste, friedlichste Lächeln war auf seinem Gesichte verbreitet.

Im Tode ist er wieder Felix, der Glückliche, der er in seinem Leben eben doch nicht immer gewesen ist. Seine Musik, zu seinen Lebzeiten hochgeschätzt, wird bis auf einige besonders populäre Stücke schnell vergessen, in den 12 Jahren der rassistischen Diktatur in Deutschland ganz verpönt und in neuerer Zeit wieder vermehrt aufgeführt.

Ob es sich beim Mendelssohnschen Werk, wie Richard Wagner sich ausdrückt, um

reine Judenmusikschönheit

handelt, die

unser rein menschliches inneres Sehnen nach deutlichem künstlerischem Schauen aber kaum nur mit der Hoffnung auf Erfüllung berührt,

sei dem Urteil jedes Einzelnen selbst überlassen.

image_pdfPDF erzeugenimage_printEintrag ausdrucken
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

1 Kommentar
Inline Feedbacks
Lese alle Kommentare
1
0
Deine Gedanken interessieren mich, bitte teile diese mit!x