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Erich Kästner über Respekt

Roland Koch macht zur Zeit Furore mit Parolen zur Strafverfolgung jugendlicher Gewalttäter. Jetzt wird ihm nachgesagt, er wolle schon Kinder in Gefängnisse bringen.

Erstaunlich eigentlich der Mut dieses Wahlkämpfers, solche Töne anzuschlagen in einem Land, das vor lauter – zur Schau gestellter – Liebe zu seinen Jugendlichen geradezu überquillt, so daß es kaum wagt, daran zu denken, ihnen Grenzen aufzuzeigen und sie notfalls heftig gegen solche anrennen zu lassen.

Da lesen wir in Erich Kästners Kinderbuch

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Pünktchen und Anton,

das zugleich ein hervorragendes Unterrichtswerk für Eltern wäre, um die Grundzüge einer guten Kindererziehung zu erlernen, eine sehr treffende “Nachdenkerei”:

Kann man denn überhaupt zu gut zu jemandem sein? Ich glaube schon. In der Gegend, wo ich geboren bin, gibt es ein Wort, das heißt: dummgut. Man kann vor lauter Freundlichkeit und Güte dumm sein, und das ist falsch. Die Kinder spüren es am allerersten, wenn jemand zu gut zu ihnen ist. Wenn sie etwas angestellt haben, wofür sie sogar ihrer Meinung nach Strafe verdienten, und die Strafe bleibt aus, dann wundern sie sich. Und wenn sich der Fall wiederholt, verlieren sie Schritt für Schritt den Respekt vor dem Betreffenden.

Respekt ist etwas sehr Wichtiges. Manche Kinder tun von selber fast immer das Richtige, aber die meisten müssen es erst lernen. Und sie bedürfen dazu eines Barometers. Sie müssen fühlen: O weh, was ich da eben getan habe, war falsch, dafür verdiene ich Strafe.

Wenn dann aber die Strafe oder der Verweis ausbleibt, wenn die Kinder noch dafür, daß sie frech waren, Schokolade kriegen, sagen sie sich vielleicht: Ich will mal immer hübsch frech sein, dann kriegt man Schokolade.

Respekt ist nötig, und Respektspersonen sind nötig, solange die Kinder, und wir Menschen überhaupt, unvollkommen sind.

1968

In der westeuropäischen Revolution von 1968 ging es mit Recht darum, sich von der Autoritätsgläubigkeit zu emanzipieren. Wer – vor allem als Erwachsener – wirklich eigenständig urteilt, guckt nicht, wer etwas sagt, sondern was jemand sagt. Das entspräche dem Ideal Immanuel Kants von der Selbstbefreiung aus Unmündigkeit.

Autorität sollte auch nicht lediglich durch ein “Amt” verliehen sein, sondern echte Autorität, echtes Gewicht verleiht sich die Persönlichkeit selbst.

Kinder bedürfen zunächst der Führung der Erwachsenen als Autoritäten, vor denen sie Respekt haben. Das Ziel einer guten Erziehung sollte aber sein, die Heranwachsenden zu befähigen, eigenständig – ohne ängstliches Schielen nach Autoritäten – zu forschen, zu denken, zu urteilen und ihre Meinung zu sagen. Das schließt den Respekt vor wirklichen Autoritäten, die etwas geleistet haben, ja nicht aus.

Leider wurde – wie’s bei Volksrasereien so üblich ist – das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Nun wurde auch natürlichen und verdienten Autoritäten der Respekt versagt. Eltern und Lehrkräfte wurden zunehmend wehrlos gegenüber Anmaßung und Unverschämtheit ihrer verhätschelten, mit Geschenken überschütteten und seelisch verwahrlosten Kinder und Jugendlichen.

In Westdeutschland stehen wir heute vor einem erklecklichen Scherbenhaufen, wenn es auch auf der anderen Seite eine große Anzahl wunderbarer Jugendlicher gibt, die innerlich frei und selbstbewußt ihr Leben in die Hand nehmen. Überdies ist zu beobachten, daß ein allgemeines Nachdenken über Erziehung begonnen hat.

In den mitteldeutschen Ländern scheint erst noch ein Nachholbedarf an Torheit in der Jugendführung zu seinem “Recht” kommen zu wollen, ehe auch dort (wieder?) das rechte Maß gefunden wird. Aber auch dort sind hervorragende Ansätze festzustellen.

Gewalttätige Erwachsene und Jugendliche können Furcht und Schrecken verbreiten. Mit Respekt – also Achtung – hat das nichts zu tun.

Wie sagte doch Kästner?

Respekt ist nötig, und Respektspersonen sind nötig …

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Anni
Anni
1 Jahr zuvor

Am Wochenende Pünktchen und Anton mit den Kindern (8, 8, 10) gehört. Genau mein Empfinden, das ist Pflichtlektüre, gerade für Eltern!
Heute morgen am Schulparkplatz stellte sich ein mind. 7 jähriger Junge nah an die Parkbucht und verhindert, dass eine Frau einparkt. Sie winke ihm freundlich aber bestimmt zu, er solle zur Seite gehen. Dessen Mutter blickt von ihrem Handy auf, umarmt ihren Jungen, gibt ihm einen Kuss und sieht die durchaus rücksichtsvolle Autofahrerin vorwurfsvoll an. Keine Spur eines Zurechtweisens. Eine verpasste Chance, die Regeln im Straßenverkehr zu erklären und dem Kind die Rolle eines aufmerksamen Verkehrsteilnehmers beizubringen. Eine verpasste Chance, einem kleinen Jungen eine Lektion zu erteilen über Respekt, Mitdenken, Verantwortung und Einordnung in ein Miteinander.
Derart sozialisierte Menschen sitzen zum Teil schon hinter dem Steuer, fummeln am Radio und am Handy und überholen von rechts, sie machen die Regeln, wie es ihnen gefällt.

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