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Eine Russin erlebt Deutschland

Uns problemgebeugten, die Fremden bewundernden und uns selbst beschimpfenden Deutschen tut es gut, einmal von Andern gesagt zu bekommen, wie sie es hier bei uns finden.

Die russische Germanistin Maria Drushinina hatte die Jahresversammlung des Vereins Deutsche Sprache (VDS) im thüringischen Mühlhausen besucht und nun die Güte, darüber in den „Sprachnachtrichten“ Nr. 36 des Vereins zu berichten. Weil es mir so gut gefiel, habe ich es abgeschrieben, um es hier zu veröffentlichen:

Manches schien mir paradiesisch

Meine Reise nach Deutschland dauerte fast 20 Stunden. Auf dem Flughafen Frankfurt am Main begann ich – wie immer, wenn ich in Deutschland bin –, mich über die deutsche Ordnung zu wundern. Es ist unmöglich, sich zu verlaufen. Überall hängen Schilder, die informieren, verweisen und keine Frage mehr offenlassen. Im schnellen, komfortablen und leisen Intercity konnte ich mich zwei Stunden erholen und die exzellent gepflegten deutschen Landschaften betrachten: grüne Felder, gut gewachsene Kühe, rote Dächer auf den Häusern, Fachwerkarchitektur, Gotik-Kirchen, tadellose Autobahnen, schöne, glänzende, teure Autos (VW, BMW, Audi, Mercedes) – alles beruhigend und anregend zugleich, manches paradiesisch.

,Deutschland – ein Wintermärchen‘ ging mir durch den Kopf, genauer: ,ein Sommermärchen‘. Unerwartet schnell wurde es dunkel. Ich war weit weg vom Polarkreis und von meiner Heimatstadt Archangelsk, wo wir jetzt weiße Nächte haben …

Wenig Jugend im VDS, aber viele Männer

… Die Stadt Mühlhausen hat mich tief beeindruckt: eine reiche Geschichte und Kultur, Thomas Müntzer, Johann Sebastian Bach, 14 Kirchen, das alte Rathaus, Kornmarkt, Blasiusturm. Die ganze Stadt ist VDS-Mitglied, und der Bürgermeister selbst kämpft gegen Anglizismen. Natürlich die thüringischen Würstchen. Eine lange Schlange beim Grillen. Gesprächsgruppen im Freien. Umtrunk in der Stadtbibliothek. Geschlossene Geschäfte am Wochenende. Nette Leute, die über Themen reden. Unsere Leute und Politiker in Rußland sind weit weg von solchen Themen, die meisten haben überhaupt keine Ahnung davon.

Erstaunlich breit ist die Palette der Berufe unter den VDS-Mitgliedern: Ärzte, Juristen, Lehrer, Unternehmer. Viele Gespräche mit den Deutschen und mit den anwesenden Ausländern haben mir gezeigt, daß die meisten VDS-Mitglieder angenehme, intelligente und wißbegierige Wortfreunde und begeisterte Sprachliebhaber sind. Es war wirklich ein Vergnügen, mit ihnen zu reden, zusammen zu essen, zu lachen und gemeinsam die thüringische Atmosphäre zu genießen.

Die VDS-Mitglieder sind aktiv, energisch und haben Humor. Sie wollen alles wissen, viel hören, viel Neues erfahren. Aber nur wenige junge Leute sind dabei. Die drei bis fünf Jüngeren, die ich erblickte, wirken wie exotische Exemplare. Überraschend viele Männer sind im VDS. Die Männer in Rußland haben andere Interessen. Männer auch an der Spitze des VDS: der Vorsitzende, der Vorstand. Ich betrachte das als ein gutes Zeichen für die Zukunft des Vereins Deutsche Sprache. Die Männer können, wenn sie wollen, viel leisten …

Ich komme gern wieder

… Vor dem Heimflug besuchte ich noch die Blumenstadt Erfurt, dann Gotha und Weimar, wo ich vor dem Denkmal von Goethe und Schiller verweilte. Es kommt in allen Deutsch-Lehrbüchern für russische Schüler vor.

Nun bin ich schon eine Woche zu Hause, aber meine Gedanken sind oft in Mühlhausen. Ich erinnere mich an sympathische VDS-Mitglieder, an Gespräche, an die gemütliche und gastfreundliche Atmosphäre rund um die Jahresversammlung. Lauter angenehme Erinnerungen an Deutschland und die Deutschen. Ich bin Russin, aber Deutschland und die deutsche Kultur sind ein Stück meines Lebens …“

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