Ein deutscher Paganini

Zum 150. Todestag Louis Spohrs am 22. Oktober 2009

Von Adelinde-Gastautor Hermann Weber

Es ist etwas Eigentümliches um Ruhm und Vergessenheit von Musikern, auch von bedeutenden Musikern.

Louis Spohr

Louis Spohr

So ist der als „deutscher Paganini“ bezeichnete und zu Lebzeiten und insbesondere in seinen Altersjahren, wo immer er hinkam in Europa, spontan geradezu wie ein Fürst gefeierte deutsche Violinvirtuose und Tondichter Louis Spohr heute leider nur noch wenigen Eingeweihten bekannt.

Seine zahlreichen Kompositionen, die sich durch einen eher weichen Gestus, eine vielfach chromatisch durchsetzte Harmonik, die manches von Richard Wagners Tristan und Isolde vorwegnimmt, und eine überaus elegante Virtuosität, übrigens nicht nur in der Behandlung der Violine, auszeichnen, sind nur noch bei wenigen Musikfreunden im Bewußtsein verankert.

Grund genug also, anläßlich seines 150. Todestages am 22. Oktober 2009, wieder einmal den Versuch zu unternehmen, Louis Spohr der Vergessenheit zu entreißen.

Kompositionen

Louis Spohr hat insgesamt

  • fünfzehn Violinkonzerte geschrieben, alle für den eigenen Gebrauch auf seinen zahllosen Konzertreisen. Sie sind somit hervorragende Spiegelbilder seines eigenen unverwechselbaren Violinstils. Hervorzuheben sind des weiteren seine
  • zehn Symphonien,
  • Chorwerke,
  • zehn Opern, die zu seinen Lebzeiten alle mehr oder weniger Erfolge waren, darunter „Jessonda“, ein Meilenstein in der Geschichte des deutschen Musiktheaters zwischen Carl Maria von Weber und Richard Wagner,
  • vier wunderschöne Konzerte für Klarinette und Orchester für den Virtuosen Johann Simon Hermstedt (1778–1846), sowie
  • zahlreiche kammermusikalische Werke, besonders auch mit Harfe.

Louis Spohr wurde am 5. April 1784 in Braunschweig als Sohn eines Arztes geboren. Er war somit zwei Jahre jünger als Paganini und zwei Jahre älter als Carl Maria von Weber.

Louis Spohr

Louis Spohr

Seinen Vornamen Ludewig französisierte bereits die Familie – nach dem damaligen bildungsbürgerlichen Brauch – in Louis, und Spohr behielt dies sein Leben lang bei.

Bereits als Fünfzehnjähriger wirkte er als Geiger in der Braunschweiger Hofkapelle mit und unternahm als Zwanzigjähriger 1804 seine erste Konzertreise.

Als er 1813 im Wien Ludwig van Beethovens die Stelle des Orchesterdirektors am Theater an der Wien übernahm, war er nicht nur der inzwischen anerkannt beste deutsche Violinist, sondern hatte auch imponierende Erfolge als Dirigent und Komponist vorzuweisen.

1806 heiratete Spohr die um drei Jahre jüngere Harfenvirtuosin Dorette Scheidler – sie wurden ein außerordentlich erfolgreiches Duo. In Spohrs Lebenserinnerungen lesen wir dazu:

Unter Musik verlebte das glückliche Paar auch die Flitterwochen. Ich begann alsbald ein eifriges Studium der Harfe, um zu ergründen, was dem Charakter des Instrumentes am angemessensten sei.

Doppelpedal einer Harfe

Doppelpedal einer Harfe

Da ich in meinen Kompositionen reich zu modulieren gewohnt war, so mußte ich besonders die Pedale der Harfe genau kennen lernen, um nichts für sie Unausführbares niederzuschreiben.

Bei der großen Sicherheit, mit der meine Frau schon damals die ganze Technik des Instrumentes beherrschte, konnte dies freilich so leicht nicht geschehen. Ich überließ mich daher auch ganz dem freien Fluge der Phantasie, und es gelang mir bald, dem Instrument ganz neue Effekte abzugewinnen.

Da die Harfe am vorteilhaftesten im Verein mit dem singenden Tone meiner Geige erklang, so schrieb ich vorzugsweise konzertierende Kompositionen für beide Instrumente allein. […]

Ich kam auf die Idee, die Harfe einen halben Ton tiefer als die Violine zu stimmen. Dadurch gewann ich zweierlei. Da nämlich die Geige am brillantesten in den Kreuztönen klingt, die Harfe aber am besten in den B-Tönen, wenn möglichst wenig Pedale angetreten werden, so erhielt ich dadurch für beide Instrumente die günstigsten und effektvollsten Tonarten: für Geige nämlich D und G, für Harfe Es und As.

Ein zweiter Gewinn war der, daß bei der tiefern Stimmung der Harfe nun nicht so leicht während des Spieles eine Saite riß, was bei öffentlichen Vorträgen in heißen Sälen dem Harfenisten so leicht geschieht und dem Zuhörer den Genuß verleidet.

Ich schrieb daher von nun an alle meine Kompositionen für Harfe und Violine in solcher verschiedener Stimmung. (Lebenserinnerungen I, Seite 98)

Besonders kaprizierte sich Spohr nun also auf Kompositionen von Stücken für Violine und Harfe, mit denen das Ehepaar dann im – übrigens selbst konstruierten – Reisewagen auf Konzertreise ging.

Prinzessin Marie von Preußen im Jahr 1838, Porträt von Julius Schoppe

Prinzessin Marie von Preußen im Jahr 1838, Porträt von Julius Schoppe

In Weimar, wohin wir durch die Herzogin von Gotha empfohlen waren, spielten wir mit großem Beifall bei Hofe und wurden von der Erbgroßherzogin, der Großfürstin Maria, reich beschenkt.

Unter den Zuhörern im Hofkonzerte befanden sich auch die beiden Dichter-Heroen Goethe und Wieland. Letzterer schien von den Vorträgen des Künstlerpaares ganz hingerissen zu sein und äußerte dies in seiner lebhaft-freundlichen Weise. Auch Goethe richtete mit vornehm-kalter Miene einige lobende Worte an uns. (Lebenserinnerungen I, Seite 103)

Im Jahre 1822 wurde Spohr in der Kurhessen-Residenz Kassel als Hofkapellmeister angestellt, und es begann für ihn bis zu seinem Tode eine Dienstzeit voll Ärger, schikanöser Hindernisse und Erniedrigungen, die der niedersächsisch dickköpfige Gerechtigkeitsfanatiker nur schwer ertrug.

Bedeutsam ist Spohr nicht nur als Musiker geworden, sondern ebenso in seinen 1860 und 1861 posthum erschienenen Lebenserinnerungen als

Chronist seiner Zeit,

Beethoven 1814

Beethoven 1814

insbesondere natürlich ihres Musiklebens. Fachkundig und kompetent – wenngleich sich mit der Sicht durch eine subjektive Brille auszeichnend – berichtete Spohr in ihnen, was er hörte und sah. Beispielhaft sei hier sein Bericht über das von Ludwig van Beethoven geleitete Konzert im Wiener Universitätssaal am 8. Dezember 1813 angeführt, das dessen Freunde für ihn arrangiert hatten und bei dem dessen 7. Symphonie sowie Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria, also dessen damals neueste Kompositionen, uraufgeführt wurden:

Alles, was geigen, blasen und singen konnte, wurde zur Mitwirkung eingeladen, und es fehlte von den bedeutenden Künstlern Wiens auch nicht einer. Ich und mein Orchester hatten uns natürlich auch angeschlossen, und so sah ich Beethoven zum ersten Male dirigieren.

Soviel ich auch hatte davon erzählen hören, so überraschte es mich doch in hohem Grade. Beethoven hatte sich angewöhnt, dem Orchester die Ausdruckszeichen durch allerlei sonderbare Körperbewegungen anzudeuten. So oft ein Sforzando vorkam, riß er beide Arme, die er vorher auf der Brust kreuzte, mit Vehemenz auseinander. Bei dem Piano bückte er sich nieder, und um so tiefer, je schwächer er es wollte. Trat dann ein Crescendo ein, so richtete er sich nach und nach wieder auf und sprang beim Eintritte des Forte hoch in die Höhe. Auch schrie er manchmal, um die Forte noch zu verstärken, mit hinein, ohne es zu wissen! (Lebenserinnerungen I, Seite 178)

Prinz Louis Ferdinand von Preußen, Portrait von Jean-Lauren Mosnier, 1799

Prinz Louis Ferdinand von Preußen, Portrait von Jean-Lauren Mosnier, 1799

Geradezu humorvoll nimmt sich sein Bericht aus über sein Zusammentreffen mit dem nicht nur musikliebenden, sondern musikalisch hochbegabten, klavierspielenden und auch komponierenden preußischen Prinzen Louis Ferdinand (1772-1806) anläßlich eines Manövers in Magdeburg im Jahre 1805: Er

erhielt … einen Brief von Dussek [gemeint ist der Klaviervirtuose und Komponist Johann Ladislaus Dussek, 1760-1812], der mir schrieb, sein Herr, der Prinz Louis Ferdinand, werde das große Militärmanöver in Magdeburg besuchen und wünsche, daß ich für diese Zeit sein Gast sei, um bei den beabsichtigten Musikpartien mitwirken zu können. Der Prinz werde selbst an den Herzog schreiben, um den Urlaub für mich zu erwirken. Dieser fand ohnhin keinen Anstand.

Ich reiste daher nach Magdeburg ab und fand in dem Hause, welches der Prinz für sich und sein Gefolge hatte einrichten lassen, auch ein Zimmer für mich. Ich führte nun ein sonderbares, wild bewegtes Leben, das aber meinem jugendlichen Geschmack für kurze Zeit ganz gut zusagte.

Oft schon des Morgens um 6 Uhr wurde ich wie auch Dussek aus dem Bette gejagt und im Schlafrock und Pantoffeln zum Prinzen in den Empfangssaal beschieden, wo dieser bei der damals herrschenden großen Hitze in noch leichterm Kostüm, gewöhnlich nur mit Hemd und Unterhose bekleidet, bereits vor dem Pianoforte saß.

Nun begann das Einüben und Probieren der Musik, die für den Abendzirkel bestimmt war, und dauerte bei des Prinzen Eifer oft so lange, daß sich unterdessen der Saal mit besternten und mit Orden behängten Offizieren angefüllt hatte. Das Kostüm der Musizierenden kontrastierte dann sonderbar genug mit den glänzenden Uniformen der zur Cour Versammelten. Doch das genierte den Prinzen nicht im geringsten, und er hörte nicht früher auf, als bis alles zu seiner Zufriedenheit eingeübt war.

Jan Ladislav Dusík, um 1810. Dieses Bild zeigt wohl am deutlichsten den Zustand, dem der Meister gegen Ende seines Lebens immer mehr verfiel. Wikipedia

Jan Ladislav Dusík, um 1810. Dieses Bild zeigt wohl am deutlichsten den Zustand, dem der Meister gegen Ende seines Lebens immer mehr verfiel. Wikipedia

Nun wurde eilig Toilette gemacht, ein Frühstück eingenommen und dann zum Manöver hinausgezogen. Ich erhielt ein Pferd aus dem Marstalle des Prinzen und durfte mich dem Gefolge anschließen. So machte ich zu meiner großen Belustigung eine Zeitlang alle kriegerischen Evolutionen mit.

Als ich jedoch eines Tages, neben einer Batterie eingeklemmt, länger als eine Stunde daselbst bei einem wahren Höllenlärm aushalten mußte, und es mir dann am Abend bei der Musikpartie schien, als höre ich nicht mehr so leise wie früher, da zog ich mich von dem Kriegsspektakel zurück und verbrachte von nun an die Stunden, in denen der Prinz meiner nicht bedurfte, wieder bei meinen frühern Magdeburger Bekannten.

Eine besonders freundliche Aufnahme fand ich im Hause des Geheimerats Schäfer. Dessen Tochter Jettchen, schon früher, so lange sie im Hause ihres Schwagers, des Kapellmeisters Le Gaye, zubrachte, ein Gegenstand meiner Huldigungen, war nun ins elterliche Haus zurückgekehrt und mir auch hier eine freundliche, zuvorkommende Wirtin.

Doch bald wurde der Prinz aus seinem Magdeburger Exil nach Berlin zurückberufen, und ich konnte daher, von ihm mit freundlichem Danke entlassen, nach Braunschweig zurückkehren. Dussek sagte mir beim Abschiede, der Prinz habe die Absicht gehabt, mir auch ein Honorar zuzuwenden, es sei aber jetzt solche Ebbe in seiner Kasse, daß er es für eine spätere, günstigere Zeit verschieben müsse. Diese trat aber nie ein, da der Prinz schon im folgenden Jahre in einem Gefecht bei Jena einen frühen Tod fand. (Lebenserinnerungen I, Seite 89 f.)

Schrifttum:

  • Louis Spohr: Lebenserinnerungen. Erstmals ungekürzt nach den autographen Aufzeichnungen herausgegeben von Folker Göthel, Band I und II, verlegt bei Hans Schneider, Tutzing 1968.
  • Peter Rummenhöller: Romantik in der Musik. Analysen, Portraits, Reflexionen. Deutscher Taschenbuch Verlag / Bärenreiter Verlag, München / Kassel 1989.