Die Ost-Vertriebene Karin Zimmermann rechnet mit Polen ab
Karin Zimmermann
schrieb als Vertriebene aus gegebenem Anlaß an den Vorstandsvorsitzenden der Deutsch–Polnischen Ge-sellschaft und Schatzmeister der SPD Dietmar Nietan einen
OFFENEN BRIEF
Sehr geehrter Herr Nietan,einem Pressebericht1 entnehme ich, daß sich der Staatssekretär im polnischen Außenmini-sterium, Arkadiusz Mularczyk, in einem Interview mit dem französischen Journalisten Olivier Bault dahingehend geäußert habe, die SPD sei im Hinblick auf die polnischen Reparationsforderungen in Höhe von 1,5 Billionen Euro „gesprächsbereit“.
Ich kann mir das zwar nicht vorstellen, aber für den Fall, daß die Äußerung doch richtig sein sollte, erlaube ich mir, darauf hinzu-weisen, daß Polen – über die anläßlich der Potsdamer Konferenz getroffenen Vereinba-rungen hinausgehend – große Teile Deutschlands besetzt hält.
Völkerrechtswidrig besetzt hält, wohlge-merkt!
Daß das so ist, können Sie schon dem von der CDU–Fraktion geforderten und von Prof. Dr. Klein von der Universität Potsdam speziell für diese Rechtsfragen gefertigten Gutachten entnehmen. 2, 3, 4
Aus der gegebenen Rechtslage beanspruche ich für mich persönlich und für meine Vorfahren:
1. Rehabilitation vom Vorwurf, Verbrechen begangen zu haben.5
2. Bestrafung der Täter.
3. Recht auf Rückkehr in die Heimat meiner Vorfahren sowie das Recht auf unbehelligte Ansässigkeit auf meinem Bauernhof.6
4. Rückerstattung des gesamten beschlag-nahmten und konfiszierten Eigentums,
5. Erstattung der Kosten für Wiederinstand-setzung dieses Eigentums (Haus, Ställe, Grund und Boden),
6. Schadensersatz für entgangene Einnahmen aus Nutznießung durch fremde Benutzer meines Eigentums.8 Die von Polen oft ge-brauchte Begründung, warum die Verantwor-tung für die vorgenommenen Vertreibungen nicht bei Polen liege, lautet:1. Die „Umsiedlungen“ sind bei der Potsdamer Konferenz so beschlossen worden und
2. Die Deutschen sind aus Angst vor der russischen Armee geflohen.Solche Fälle wird es sicher auch in großem Umfang geben, in meinem Fall aber eben nicht. Meine Familie (und ich als 3-Jährige auch) sind von polnischen Truppen mit vorgehaltenen Waffen am 26.06.1945 ge-zwungen worden, unsere Heimat zu ver-lassen. Die von meiner Mutter hierzu verfaßte Schilderung hänge ich hier an. Von einer Flucht kann daher keine Rede sein:
Die Schilderung der Mutter (Auszug):
Am 29.1.1945 nachmittags um 4 Uhr mußten wir denn auch vor den Russen flüchten. Wir hatten schon 8 Tage vorher über Nacht Flüchtlinge aus dem Osten – jeden Abend wieder neue. Wir haben nicht geahnt, daß wir da auch schon hätten mitziehen müssen.
Am 29.01.1945 vormittags hat Vater, Otto Hannebauer, unsere Pferde beschlagen lassen – es war sehr schwierig. Unsere Pferde waren jung und hatten längere Zeit im Stall gestanden. Unser Wagen war schon vollgepackt einige Tage fertig, weil es immer wieder hieß, daß wir wegmüßten. So ging es dann um 4 Uhr los bei grimmiger Kälte. Karin (3 ½ Jahre alt), Oma (Alma Hannebauer) und ich, wir saßen auf dem Wagen.
Zum Schutz gegen die Kälte hatten wir meinen großen Teppich über den Wagen gespannt.
Die Fahrt ging sehr langsam voran, weil so viel Schnee lag. Wir fuhren auch nur Feldwege durch die Dörfer. Die Hauptstraßen mußten frei bleiben, denn der Russe war schon näher, als wir glaubten. Wir fuhren über Polychen, Zantoch nach Jahnsfelde etwa 4–5 Stunden – es wurde oft gehalten. Jedes Mal, wenn der Vater „Halt“ schrie, fing Karin an zu weinen.
Wir wurden damals an diesem Abend in insgesamt 4 Gemeinden notdürftig auf Stroh, einer neben dem anderen untergebracht. Wir selbst waren in Jahnsfelde.
Diese Nacht bleibt mir unvergessen, es war schrecklich, man hörte schon das Schießen der Russen, und an mehreren Stellen brannte es schon. An Schlafen war gar nicht zu denken. Abends um 11 Uhr waren die Russen schon in unserem Dorf in Morrn und die noch zurückgebliebenen Bewohner lernten die Russen gleich kennen. Mit Rauben und Plündern ging es gleich los.
In Jahnsfelde, wo wir waren, kamen die Russen am nächsten Tag vormittags. Es war ein furchtbares Durcheinander. Angst und Schrecken gingen über uns. Anfangs glaubte ich, sie würden uns alle erschießen. Aber dann ließen sie uns gehen.
Es gab kein Licht und kein Wasser mehr – nur noch eine Pumpe gab‘s im ganzen Dorf. Wir waren auf dem Gutshof untergebracht. Dort blieben wir 3 Tage, dann mußten wir wieder nach Hause.
Wir fuhren über die Warthe direkt übers Eis zurück. Die Brücke war schon kaputt – ich glaube von unserem Volkssturm gesprengt. Die Russen nahmen uns die Pferde weg vom Wagen. Dann suchten wir uns wieder alte Russenpferde, die rumliefen – die zogen so schlecht – es war schrecklich.
Zu Hause sah es verheerend aus. Zu-rückgebliebene Nachbarn erzählten uns gleich, wie es ihnen ergangen war. Da gingen wir, unser Berliner Mädchen, Karin und ich nach Alexandersdorf zurück – es lag ganz abseits und da war noch Ruhe.
Nach 14 Tagen gingen wir wieder nach Morrn zurück. Inzwischen war Opa Ortskomman-dant geworden und es war schon etwas Ruhe im Dorf und bei uns auf dem Hof noch mehr. Der letzte Bürgermeister war schon erschos-sen und der Kopf wurde ihm auch noch abgefahren. Es wurden im Anfang noch meh-rere Männer erschossen. Unsere verpackten Sachen, die wir vom Wagen abgeladen hatten, wurden gleich so aufgeladen und weggebracht.
Wir hatten nichts anzuziehen – es war schrecklich. Hühner und Gänse waren schon geschlachtet – Vieh wurde abgetrieben – die Schweine waren auch alle weg.Einmal hatten wir noch geschlachtet, mußten aber alles gut verstecken, denn bei uns auf dem großen Hof wurde viel gesucht.
Aber zu Essen hatten wir immer. Im Frühjahr mußten die Frauen und Mädchen alle zur Arbeit – wurden mißbraucht und geschändet. Fünf junge Mädchen aus unserem Dorf sind gestorben. Ich bin durch die Kinder immer verschont geblieben, wie ein Wunder; ich war auch immer ganz dick, obwohl Doris erst im Juni geboren ist. Ich habe mich mit Karin auch immer versteckt, wenn Russen kamen – wir beide rannten immer.
Opa wurde auch verschleppt. Er wurde ver-hört, geschlagen und gepeinigt. Nach 3 Wochen kam er wieder zurück. Inzwischen war auch bei uns was los – auf den großen Höfen war es besonders schlimm. Ich habe während dieser Zeit mit Karin bei Schlabitz geschlafen.
Als unser Vieh weg war, holten wir auch Milch von Schlabitz für Karin. Zweimal mußten wir ganz von unserem Gehöft her-unter, weil die Russen dort Quartier machten. Das erste Mal über Ostern ein paar Wochen. Dann waren wir wieder drin. Doris war geboren (10 Tage alt), ich war noch nicht aus dem Bett – da kamen die Russen wieder, und wir mußten wieder raus.
Wir wohnten dann immer in der Nach-barschaft in einem kleinen Strohhaus. Dorthin kam kein Russe, aber auf unserem Hof, da kamen sie immer in Scharen, alle Tage, und suchten alles durch. Zu essen hatten wir bis dahin immer noch.
Nach weiteren 10 Tagen mußten wir unsere Heimat verlassen, am 26.06.1945. Innerhalb von 10 Minuten mußten wir die Häuser räumen – da waren die Polen schon drin. Ich hatte an dem Morgen noch 4 Brote gebacken in einem kleinen Ofen, der dort war, wo wir wohnten. So hatten wir noch wenigstens Brot mitzunehmen. Vater schob die Karre mit ein paar Säcken voll Habseligkeiten. Ich hatte mein Federbett, 2 Kopfkissen und das Kinderbett eingepackt.
Ich, mit Doris im Kinderwagen (20 Tage alt) und Karin an der Seite – sie wurde in 4 Wochen 4 Jahre alt. So stand das ganze Dorf versammelt 2–3 Stunden auf der Dorfaue.
Wir glaubten schon, die Polen und die Russen wollten nur unsere Wohnungen richtig aus-plündern, aber dann ging es gegen 14.00 oder 15.00 Uhr doch los.
Über Schwerin nach Waldowstränk, etwa 32 km sind wir gelaufen. Dort wurde Quartier gemacht unter freiem Himmel auf einer Wiese. Gegen Morgen kam ein Gewitter auf und wir mußten flüchten, daß wir unter ein Dach kamen. Ich kam mit den Kindern in eine alte Waschküche – da waren so viele Leute drin, daß ich Doris kaum aus dem Wagen nehmen konnte zum Stillen.
Am nächsten Morgen ging es dann weiter – es war ein jammervoller Anblick. Soweit das Auge reichte, vor und hinter uns alles Menschen – Menschen, die ihr Hab und Gut verloren hatten. Jeder mit dem wenigsten Gepäck auf kleinen Wagen oder Karren, denn Pferdewagen gab es nicht mehr.
Dennoch in Angst und Schrecken des We-nigen beraubt zu werden, denn wir wurden von den Polen getrieben wie Viehherden.
Wer zurückblieb, wurde erschlagen oder mußte elend umkommen.
Bei jeder Rast mußte ich Doris stillen am Straßenrand, und Oma sorgte für Essen. Manchmal kochte sie Suppe mit Wasser und Mehl. Etwas Mehl hatten wir noch mit, aber kein Salz und keinen Zucker – alles weg. Aber selbstgeernteten Pfefferminztee hatten wir mit, und das war sehr gut auf der Flucht, so hatten wir wenigstens etwas zu trinken unterwegs.
Viele Tote lagen auf den Straßen, aber es ging unaufhaltsam weiter, niemand kümmer-te sich darum, es war grausam. So ging es denn über Sonnenburg und Küstrin nach Berlin. In Küstrin war kein Stein mehr auf dem anderen. Alles war dem Erdboden gleichgemacht, denn dort waren schwere Kämpfe gewesen.
Nach 8 oder 10 Tagen hatten wir Berlin erreicht. Da gingen wir zu Handrichs …, einer Cousine von Opa. Karin wird sie noch kennen. Dort waren wir wohl 8 Tage, da gab es nichts zu essen – sie hatten selber nichts.
Dann wurde Doris so krank im Lager in Spandau. Sie hat dort eine ganze Nacht hindurch geschrieen. Es gab kein Licht und alle Fenster waren kaputt. Ich wurde zur Kinderärztin geschickt, aber es gab doch keine Medikamente. Trotz allem konnte ich stillen. Ich legte sie sehr oft an, aber sie trank immer nur ein paar Schluck und somit habe ich sie erhalten.
Wegen Doris Krankheit blieben wir 14 Tage in Spandau. Es gab so schlechtes Essen: Rübenschnitzel, gekocht mit ein bißchen Pferdefleisch. Aber es war kaum etwas darin zu sehen. Es war ein fürchterlicher Fraß – ich konnte es nicht essen. Ich bekam als Wöchnerin noch etwas Hirsebrei mit Milch gekocht, welchen ich mit Karin teilte.
Dann gingen wir und klopften an die Türen der Berliner um eine Scheibe Brot, und sie gaben uns alle was.
Von Berlin wurden wir nach Dame bei Jüterbog geschickt, ja ehe wir dorthin kamen war alles besetzt. Vater und Mutter konnten auch nicht mehr …
Das Verlassen unseres Eigentums kann auch nicht von der Potsdamer Konferenz so be-schlossen worden sein: Die fand erst einen Monat später, nämlich vom 17.07. bis 02.08.1945 statt.
Die polnischen Vertreibungen, deren Opfer ich bin, werden „wilde Vertreibungen“ ge-nannt, für die die polnische Regierung alleine verantwortlich war.
Wenn ich einmal davon ausgehe, daß die Durchsetzung obiger Ziffer 3:
„Recht auf Rückkehr in die Heimat meiner Vorfahren sowie das Recht auf unbe-helligte Ansässigkeit auf meinem Bau-ernhof“
nach sieben Jahrzehnten weder von der Bundesrepublik Deutschland noch von Polen gewünscht wird, verbleibt als materielle Entschädigung die Erstattung des Wertes meines Bauernhofes entsprechend den vor-genannten Ziffern 4–7.10.
Während man über die Kosten für In-standsetzung und den Schadensersatz für die entgangenen Einnahmen aus Nutznießung meines Eigentums durch polnische Benutzer Verhandlungen führen müßte, braucht dies, was die Fläche von Grund und Boden betrifft, nicht zu erfolgen.
Wenn ich mich bei der Restitution auf 20 Euro pro Quadratmeter beschränken würde, wäre das eine Restitutionssumme … von 7.808.800 Euro ergeben.11
Hinzu kämen die Kosten aus den Ziffern 5 und 6 der o.g. zustehenden Rechte. Würde man die pauschal mit nur 100.000 Euro veranschlagen, ergäbe sich ein Gesamt–Restitutionsbetrag von 7.908.800 Euro.
Sehr geehrter Herr Nietan, das bedeutet: Die von Polen verlangten 1,5 Billionen Euro brauchen Sie nicht zur Gänze auszubezahlen: Sie ziehen 7.908.800 Euro ab und überweisen diese auf mein Konto bei der hiesigen VR–Bank.
Die niedergelegten Grundsätze „Wirtschaftli-che, soziale und kulturelle Rechte“: Woh-nungs– und Eigentumsrückgabe bei der Rückkehr von Flüchtlingen und Binnenver-triebenen: Abschließender Bericht des Sonderberichterstatters Paulo Sérgio Pinheiro:
„Grundsätze der Wohnungs– und Eigen-tumsrückgabe an Flüchtlinge und Ver-triebene“ und den einschlägigen Resolutionen.
8 Aufstellung der Rechte der Vertriebenen durch den niederländischen Völkerrechtler Dr. Frans du Buy.
9 Diese enthält auch einen Auszug unserer Nutzflächen aus dem Katasteramt, die sich auf 39 ha, 4 ar und 40 qm belaufen.
10 Landwirtschaftliche Nutzflächen, Wohnge-bäude, Ställe, Inventar, …
11 Flächennachweis in der Schilderung mei-ner Mutter.
Dann wäre ich – so ist das zu sehen – völ-kerrechtlich korrekt abgefunden.
Abschließend darf ich noch hinzufügen, daß dieses Recht zum „Zwingenden Völkerrecht“ gehört, das für Debatten keinen Raum läßt.
Auch die Tatsche, daß ein Großteil der Ver-triebenen bereits verstorben ist, mindert die vorgetragenen Forderungen nicht: Die den von der Vertreibung Betroffenen zustehenden Rechte gehen auf deren Nachkommen über.
Sehr geehrter Herr Nietan,
ob es außer mir noch weitere Vertriebene gibt, die das gleiche Recht für sich in Anspruch nehmen können wie ich, weiß ich nicht ganz sicher, nehme es aber stark an.
Der letztlich an Polen zu zahlende Betrag dürfte dann deutlich niedriger ausfallen als gefordert und die Bundesrepublik Deutsch-land könnte, wie viele andere Staaten auch, von sich behaupten, in ihrem Zuständig-keitsbereich vollumfänglich geltendes Recht umgesetzt zu haben. Derzeit kann sie das nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Karin Zimmermann
Am Hang 19
53819 Neunkirchen–Seelscheid
E–Mail:info@Aviadoc.de
Vertriebenenausweis Nr.: A3334/30.358
(06.07.2023)
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