Der lange Arm Israels

Anne Will

hat das Thema ihrer Sendung am gestrigen Sonntag, dem 11. 1. 09, kurzfristig geändert. Ursprünglich war geplant, u. a. mit Joschka Fischer, Avi Primor, Daniel Barenboim und der palästinensischen Christin, Trägerin des Augsburger Friedenspreises und

Professorin Sumaya Farhat-Naser

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über den Krieg zwischen Israel und den Palästinensern im Gaza-Streifen zu diskutieren. “Wichtiges” Ersatzthema: “Tabu Freitod”!

Farhat-Naser erfährt kurz vor Sendebeginn,

daß sie sich den langen Weg im Taxi von Ihrem Heimatort im Westjordanland über Jericho und mehrere Grenzposten ins benachbarte Jordanien und von dort im Flieger nach Deutschland hätte sparen können,

berichtet Sonntag Aktuell.

Warum nimmt die über 60-Jährige die Strapazen überhaupt auf sich, ihr belagertes Gefängnis namens Westjordanland zu verlassen? Als Ältere und Frau komme sie leichter durch die Kontrollposten. Ihr 33-jähriger Schwiegersohn habe das Land noch nie verlassen können.

Ich will den Leuten im Ausland erklären, wie das ist. Daß ich als Palästinenserin nicht einfach zum Flughafen Tel Aviv fahren kann, der nur eine halbe Stunde entfernt ist. Daß wir Versorgungsprobleme haben, was Lebensmittel oder Medikamente anbelangt.

Sie ist eine der tapferen jüdischen und palästinensischen Friedensfrauen, die im Jerusalemer Center for Woman gemeinsam versuchen, Brücken zwischen den Völkern zu schlagen, aber nun schon seit 4 Jahren durch Krieg daran gehindert werden.

Die Auslöser des jetzigen Krieges sind ihrer Ansicht nach nicht die Raketen der Hamas. Die Gründe liegen viel tiefer:

Der Krieg im Gazastreifen ist nicht eine plötzliche Sache, sondern ein Resultat von mehr als 60 Jahren Vertreibung und mehr als 40 Jahren Besatzung. Die Probleme wurden immer komplizierter, die Menschen dort immer hoffnungsoser, und die Welt schwieg zu den Menschenrechtsverletzungen. Das ist ein Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt.

Das Schlimme ist, daß selbst Menschen wie Farhat-Naser die Hoffnung aufgegeben haben, denn:

Mit seiner Politik hat Israel, aber auch der Rest der westlichen Welt, der Hamas die Chance gelassen, viele Menschen auf ihre Seite zu ziehen. Der Bevölkerung im Gazastreifen geht es schlecht. Da ist sie leichte Beute für Radikale. Man hätte versuchen müssen, mit der Hamas, die ja demokratisch gewählt wurde, in einen Dialog zu treten, sie einzubeziehen.

Wenn die deutsche

Bundeskanzlerin

gleich nach Beginn des israelischen Großangriffes auf Gaza sich beeilt, vor der Öffentlichkeit zu betonen, daß die Hamas den Krieg begonnen habe und somit daran schuld sei, so ist für jeden Mitdenkenden ganz klar, was auch Joschka Fischer hervorhob, als er Berlin für die Solidarität mit Israel lobte:

Wir sind parteiübergreifend solidarisch mit Israel, und das ist Teil unserer Staatsräson seit Gründung der Bundesrepublik.

Natürlich hat eine solche Bindung mit Moral nicht wirklich etwas zu tun. Man kann sich richtigerweise solidarisch nur mit der Wahrheit, mit dem Anstand, mit den Menschenrechten für alle Menschen erklären, nicht aber auf unbestimmte Zeit einseitig mit unvollkommenen Menschen, ganz gleich, was die in der Zukunft auch immer anrichten würden. Das hätten wir Deutschen spätestens aus dem Eid auf den Führer lernen müssen.

Nun steht unsere Demokratie mal wieder zur Disposition. Anne Wills Thema fiel der Pressezensur zum Opfer. Welch einen langen Arm hat Israel in Deutschland, daß wir bereit sind, zu seinen Gunsten den wichtigsten Teil demokratischer Freiheit, die Meinungs- und Pressefreiheit, aufzugeben!

Der israelische Psycho-Therapeut Ofer Grosbard beschreibt in seinem Buch

“Israel auf der Couch”

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den Zustand extremer Selbstgerechtigkeit Israels:

Letztlich sind sich Kindheit und Politik sehr ähnlich. Beide sind so ursprünglich und libidinös, so zerrissen und so in Selbstgerechtigkeit verschanzt.

Er beschreibt den Glauben auch der Säkularen seines Landes Israel an die Auserwähltheit und die psychischen Folgen:

Es fällt uns schwer, unsere eigenen Aggressionen anzuerkennen, nachdem wir so hart daran gearbeitet haben, sie aus unserem nationalen Bewußtsein zu löschen. In einer Therapie braucht es Jahre, um solche Schutzmechanismen aufzulösen. Paranoia und Überheblichkeit gehen Hand in Hand und verstärken die Spaltung, die sagt, daß auf meiner Seite nur Gutes ist und auf der anderen nur Schlechtes.

Er spricht von den Lügen, die die Israelis sich selbst und den andern Völkern eingeredet haben,

unseren Lügen darüber, wie furchteinflößend wir sind … Reicht unsere tatsächliche Stärke nicht aus, daß wir der Welt Lügen erzählen und dann auch den Preis dafür zahlen müssen? Der Preis besteht darin, daß wir, die Starken, von der Welt als Aggressoren angesehen werden.

Und wie machen wir Deutsche mit unserer “Staatsräson” uns mitschuldig!