Denkmäler – Gedankensplitter nach einer Skandinavien-Reise (2)
Besitz stirbt,
Sippen sterben,
du selbst stirbst wie sie;
eins weiß ich,
das ewig lebt:
der Toten Tatenruhm.
Edda
Mit dem Archäologen Dr. Wolf-Dieter Tempel auf den Spuren der Wikinger
– so fuhr unsere Reisegruppe durch Dänemark, Schweden und Norwegen. Wir besichtigten – unter anderen schönen geschichtsträchtigen Objekten – Runenstein um Runenstein und Wikinger-Grabanlage um Wikinger-Grabanlage.
Beeindruckend und zu mancherlei Gedankensplittern Anlaß!
Krageholm bei Ystad
Im nebenstehenden Bild sehen wir unseren Reiseleiter an einem Stein auf dem Schloßgelände Krageholm in der Nähe der südschwedischen Stadt Ystad. Der Stein unterscheidet sich von den üblichen Runensteinen in Skandinavien: Denn er enthält keine Inschrift, wohl aber
das Bild eines Mannes, der ein Kreuz trägt, vermutlich einen christlichen Geistlichen.
Ungewöhnlich ist einerseits die fehlende Inschrift, andererseits war es aber auch nicht üblich, Geistlichen noch einen Runenstein zu setzen.
So Dr. Tempel, der es – wohltuend streng wissenschaftlich – unterließ, nun über die Bedeutung des ungewöhnlichen Bildsteines zu spekulieren. Der Kunststil des Bildes paßt jedoch zu dem der Runensteine aus der Kulturepoche der Wikinger. Und die traten in der Geschichte um etwa 800 bis 1000 kämpfend auf, als das Christentum vom Süden Europas her immer weiter nach Norden vordrang.
Die ältesten Runensteine findet man auf der Insel Gotland. Sie stammen aus dem 6., vielleicht schon dem letzten Abschnitt des 5. Jahrhunderts und enthalten bereits Bild und Ornamentschmuck. Die jüngeren Runensteine Schwedens, Norwegens und Dänemarks zeigen meist nur ein Schriftband, das oft durch Reptilienkopf und Schwanz als Schlange anzusprechen ist. Nach Einführung des Christentums lebt die Sitte, Runensteine aufzustellen, weiter, wobei die Christen meist ein Kreuz in die Mitte der Steinfläche ritzen ließen. (Dr. Tempel)
Und so war im Park des Adelssitzes Krageholm ein zweiter Stein zu besichtigen, ein Runenstein. Die Aufschrift heißt in deutscher Übersetzung:
Tonna setzte diesen Stein für Bram, seinen Kameraden (make), zusammen mit seinem Sohn Asgöt. Er (Bram) war der beste unter den Bauern und gab mildtätig Speisen.
Ein Gedenkstein also für einen hervorragenden Mann. Daß er neben seinem Beruf als Bauer auch ein Krieger gewesen wäre, wird nicht gesagt. Dr. Tempel erklärt:
Aufrecht stehende Steine mit Runeninschriften sind in ganz Skandinavien zu finden. In der Regel sind sie Gedenksteine für verstorbene Männer, ganz selten auch für Frauen.
Sölvesborg
Ebenso befindet sich in der St. Nicolai-Kirche der südschwedischen Stadt Sölvesborg ein Gedenkstein für einen Mann, dem nicht Kriegsruhm nachgesagt wird. Auch er wird gelobt für weises Handeln daheim, und zwar bei der Eingemeindung Ortsfremder. Gleichzeitig werden möglichen Frevlern des Denkmals harte Strafen angedroht. Der Text lautet zu Deutsch:
Den neuen Bauern, den neuen Fremdlingen gab Haduwulf ein gutes Jahr. Hariwolf für … ist jetzt Schutz. Tiefe Geheimnisse habe ich hier verborgen: Maßlos in Bosheit, dem Zaubertod verfallen, der dieses Denkmal zerstört.
Dr. Tempel erklärt:
Ein Kleinfürst oder Häuptling Haduwolf hat fremde Bauern aufgenommen und ihnen zu guten Ernten verholfen. Zu seinem Gedenken ist der Stein errichtet worden. Sein Sohn oder Verwandter Hariwolf läßt danach einer Sache oder Person (nicht mehr lesbar), wahrscheinlich ebenso den Neusiedlern, seinen Schutz angedeihen.
Auf die einstige religiöse Heiligkeit der Runen deutet die Inschrift auf einem Stein in Björketorp hin, der eine ähnliche Drohformel enthält und von „Glanzrunen“ spricht, Runen, die den Glanz des Himmels tragen:
Der Glanzrunen Reihe barg ich hier, Zauberrunen. Durch Argheit rastlos, draußen (in der Fremde) ist eines tückischen Todes, wer dieses (den Runenstein) zerstört.
Ledberg bei Linköping
Ob Krieger geehrt oder der Ragnarök-Mythos vom Weltenuntergang mit dem Fenriswolf erzählt wird auf dem Runen- und Bildstein in Ledberg, wissen wir nicht. Der Stein
trägt auf zwei Seiten Bilder von Kriegern, einem Wikingerschiff und Tieren, darunter einen Wolf mit weit aufgerissenem Maul, das um die Beine eines der „Kriegers“ greift, als wolle er die Person verschlingen.
Einige schwedische Forscher wollen darin Szenen aus dem Weltuntergangsmythos erkennen, wo der Fenriswolf den Gott Odin verschlingt … Es fehlen jedoch … die typischen Attribute des Gottes …
Auf einer der Schmalseiten des Steins befindet sich die Ritzung eines Kreuzes, das Wurzeln wie ein Lebensbaum aufweist.
Es ist möglicherweise nachträglich angebracht worden, um den Stein zu christianisieren. Es kann aber auch durchaus sein, daß in der Übergangszeit heidnische und christliche Überlieferungen von denselben Personen geglaubt, erzählt oder abgebildet wurden. (Dr. Tempel)
Im Staatlichen Historischen Museum Stockholm
sind mehrere Bildsteine der Wikingerzeit von der Insel Gotland zu betrachten.
Die Steine stammen aus der Zeit von 400 bis 1000 n. Chr. Sie bilden eine völlig eigene Gruppe der Gedenksteine, die früher beginnt als die sonst üblichen Runensteine Skandinaviens.
Dargestellt ist sehr häufig im unteren Teil ein Schiff, das wohl anzeigt, daß der Stein einem Seefahrer gewidmet ist.
Im oberen Teil sind oft Szenen aus den Götter- und Heldensagen zu sehen.
Diese Bildsteine – nur wenige enthalten auch Runen – stellen offenbar, und zwar sehr kunstvoll und sehr ästhetisch, die alten Mythen dar. Deutlich erkennbar ist Odin auf seinem achtbeinigen Pferd Sleipnir.
Bei dem Stein mit dem Reiter (unten) könnte es sich aber um einen Gedenkstein für einen Krieger-Helden handeln, der mit Lanze, Schwert und Schild in den Kampf reitet.
Der Ingvar-Stein im Schloßpark von Gripsholm
Seine Inschrift lautet:
Tola ließ diesen Stein errichten für ihren Sohn Harald, Ingvars Bruder. Sie fuhren mannhaft fern nach Gold, und gaben im Osten dem Adler Futter. Sie starben südwärts in Serkland.
Hier erfahren wir von dem berühmten Wikingerzug des Ingvar nach Osten. Seine Mutter Tola setzte den Stein und berichtet von den „mannhaften“ Handels-Kriegern, die im Osten – makaber! – dem Adler Futter gaben, d. h. Menschen töteten, die sich ihnen im Serkland (Sarazenenland?) wohl entgegengestellt hatten. Dabei fanden die Ostlandfahrer selbst den Tod.
Allein 25 Runensteine in Schweden erzählen von diesem Wikingerzug des Ingvar.
Ostland-Fahrer
Von rund 2500 schwedichen Runeninschriften der Wikingerzeit und des Mittelalters lassen sich über 100 den „Ostfahrerinschriften“ zurechnen, deren zentrales Verbreitungsgebiet nördlich und südlich des Mälarsees liegt. Durch die erwähnten Ortsnamen erschließen diese Runensteine den enormen Aktionsradius der Skandinavier nach Osten,
schreibt Christiane Zimmermann in ihrem Artikel „Sie starben im Osten“ in der Zeitschrift „Archeologie in Deutschland“ 4/2000 und fügt eine Karte der diesbezüglichen Runensteine bei:
Sie berichtet weiter:
Über Zweck, Verlauf und Risiken der Fahrten gen Osten informieren die Runensteine nur selten. Zu den Ausnahmen zählt der … Stein von Mervalla, der von Sveins zahlreichen Fahrten die Dúna hinauf nach Sœmgallir berichtet. Mit seinem Handelsschiff (knorr) mußte er dabei auch das gefährliche Kap Domesnes umsegeln.
Nach Osten, austr, ging auch die Fahrt der Söhne Ingigers, der Brüder von Styrlög und Holm. Muttzer und Brüder, bereits zu Christen geworden, setzten ihnen je einen Gedenkstein:
Styrlög und Holm errichteten diese Steine für ihre Brüder, dem Weg am nächsten. Sie starben auf dem Austrvegr, Thorkel und Styrbjörn, die vornehmen und mutigen Männer. Ingigerd ließ einen weiteren Stein errichten, im Gedenken an ihre Söhne, ein Monument für alle sichtbar. Gott helfe ihrer Seele. Thorir ritzte (dies).
„Für alle sichtbar“ waren sie denn auch an ihren Standorten an Brücken, Furten und Straßen.
Die Inschriften folgen einem immer gleichen Schema: Sie geben an, wer den Stein für wen gestiftet hat, in welchem (Verwandtschaft-)Verhältnis sie zueinander standen und für welche Leistungen die Toten geehrt werden. Oft liest man auch den Namen dessen, der die Runen geritzt hat. Genauere Angaben – vor allem für die Gründe der Fahrten – fehlen zumeist.
Neben der verbreitetsten sehr allgemeinen Angabe „austr“ findet sich allerdings auch hin und wieder die Formel „austr í Grikkjum“ („im Osten bei den Griechen“). Zimmermann erklärt:
Sie verweist ihrerseits auf das Gebiet des byzantinischen Kaisers, um den sich die berühmte skandinavische Warägerleibgarde (væringjar) scharte. In den Norden des Austrvegr weist dagegen die Formulierung austr í Garðum, die das Gebiet um Holmgarðr, nördlich und südlich des Ilmensees bezeichnet.
Auf der Karte ist Garðar eingetragen, heute ein Teil von Rußland. Die Autorin berichtet weiter:
Der Ortsname Holmgarðr selbst, der vermutlich ebenso für das ältere Gorodischtsche wie für das jüngere Nowgorod verwendet wurde, erscheint in nur drei Runeninschriften.
Weitere Reiseziele, die in den heutigen baltischen Staaten lokalisiert werden können, sind Eystland, Virland, Lifland und Vindøy, womit sowohl der Fluß als auch der Hafen in dessen Mündungsbereich gemeint sein kann.
Man fühlt sich an die Hanse erinnert! Der Welthandel ist also keine Erfindung unserer Zeit, sondern eine Erscheinung aus früher Zeit der ausgreifenden nordischen Seefahrervölker. Die Wikinger trugen ihre Schiffe Richtung Osten – wenn es sein mußte – auch über Land von Fluß zu Fluß.
Gern würden wir Näheres über die Ostreisen der Wikinger erfahren, als die bisher gefundenen Runensteine in ihrer formelhaften Beschränkung aussagen. Die Autorin meint aber, daß
… die in den letzten Jahrzehnten auf russischen Fundplätzen angetroffenen Runenfunde doch hoffen (lassen), daß sich die Einblicke in das Leben der „Ostfahrer“ in naher Zukunft konkretisieren und differenzieren lassen.
Jelling – Keimzelle Dänemarks
Die kleine Kirche von Jelling auf Jütland (rechts im Bild) steht zwischen zwei riesigen Grabhügeln. Auf dem Bild ist der nördliche, der Gormshügel – Gormshøj -, zu sehen. Dessen Gegenstück, der Südhügel, auf der andern Seite der Kirche ist nicht mit aufs Bild gekommen. Einst sah es dort wohl mal so aus, wie Henrik Rantzau es 1591 aufgezeichnet hat:
Eine merkwürdige und beeindruckende Anlage! Zu ihr gehören auch noch zwei Runensteine. Dr. Tempel stellte eine Aufriß-Zeichnung zur Verfügung:
Die eingezeichnete Schiffsform ergibt sich aus aufrecht stehenden Steinen unter dem Südhügel (r.), die darauf hindeuten, daß sich hier vor Errichtung der Kirche eine schiffsförmige Grabanlage befunden haben wird nach der Art, wie man sie in ganz Skandinavien antreffen kann. Die großen heute noch vorhandenen, so beeindruckenden Grabhügel wurden also auf einem alten – heiligen – Gräberfeld errichtet.
Im nördlichen Grabhügel (l.) wurde der Vater Harald Blauzahns, Gorm, der letzte heidnische König, bestattet. Bei der Ausgrabung jedoch fanden die Archäologen eine ausgeräumte Grabkammer. Dr. Tempel vermutet:
Wahrscheinlich hat sein bereits christlicher Sohn Harald den Vater in die zwischen den Grabhügeln errichtete Kirche umgebettet, die schon einen hölzernen Vorgängerbau hatte.
Harald Blauzahn, 958 zur Herrschaft über ganz Dänemark gelangt, nahm 965 das Christentum an und rühmt sich auf dem großen Runenstein, auf dessen Vorderseite der Gekreuzigte – noch im altnordischen Kunststil – abgebildet ist:
Harald König befahl, diese Grabmäler zu machen, nach Gorm seinem Vater und Thyra seiner Mutter, derselbe Harald, der ganz Dänemark und Norwegen gewann und die Dänen zu Christen machte.
Über seine Bedeutung erfahren wir bei Wikipedia:
Der Sohn Gorms des alten und seiner Frau Thyra Danebod fiel mehrmals in die Normandie ein, wo er 945 Richard den Furchtlosen unterstützte, indem er Ludwig IV. gefangen nahm und ihn zwang, Richards Herrschaft anzuerkennen.Er erkannte 948 die deutsche Hoheit an und gründete die BistümerÅrhus, Ripen, und Schleswig, wodurch die Christianisierung Skandinaviens begann. 950 gründete er Jomsburg (auch bekannt unter Julin, Jumne, Wollin) im späteren Pommern.
Aufgrund einer gescheiterten Rebellion gegen das Heilige Römische Reich ließ sich Harald um 960 am Poppostein taufen und bekam die Eider-Schlei-Grenze zugesprochen und damit Dänemark.
Er verbündete sich mit den Söhnen des von Håkon dem Guten vertriebenen Erik Blodøks. Nach dem Tode Håkons des Guten besetzte er Süd-Norwegen und nannte sich König von Norwegen. Er setzte die Söhne von Erik Blodøks zu Jarlen ein …
Im Südhügel gab es kein Grab. Dr. Tempel berichtet:
Man nimmt an, daß Gorm den Hügel für seine Gemahlin Thyra errichtet hat, die dann aber im Thyrahügel auf Fünen begraben sein wird.
Und so hatte Gorm für Thyra auf dem kleineren Runenstein in alter Weise einritzen lassen:
Gorm schuf diese Grabmäler nach Thyra, seiner Gemahlin, Dänemarks Zierde.
Der Leichnam Harald Blauzahns indes wurde im Dom zu Roskilde beigesetzt. Drinnen findet sich ein Bildnis von ihm (s. o.). An die ehemalige Wikingerkleidung erinnert an seinem Anzug nichts mehr.
Haitabu
Die vier südlichsten Runensteine wurden im Umkreis von Haitabu, dem alten Schleswig im südlichsten Teil des damaligen Dänemark, gefunden.
Hier erfahren wir auf einem Runenstein am Rande des Ortes Busdorf am Fuß eines Grabhügels aus der Wikingerzeit von einer Fahrt nach Westen, offenbar nach England. Die Inschrift lautet:
König Sven (Gabelbart) setzte (den) Stein nach Skarthi, seinem Gefolgsmann, der gefahren war (nach) Westen und nun getötet wurde bei Haitabu.
Zusammenfassung mit Gedankensplittern
Christiane Zimmermann stellt mit Recht fest, was auch mir als Reisender aufging:
Zwar hängt das Wort „Rune“ mit dem deutschen Verb „raunen“ zusammen, aber was uns die wikingerzeitlichen Runensteine … mitteilen, sind alles andere als Geheimnisse. Vielmehr gewähren ihre Inschriften schlaglichtartig Einblicke in die damalige Gesellschaft mit ihren geradezu kosmopolitisch vielschichtigen Kontakten.
Darüberhinaus haben die Bodenfunde einigen Aufschluß ergeben in den Alltag, die Kleidung, die Werkzeuge, die Behausungen, die Lebensart der Wikinger. Darüber in weiteren Reiseberichten hier bei Adelinde!
Aber viele Fragen bleiben offen, vor allem die nach der Weltanschauung der damaligen Menschen und nach ihrem Befinden beim Glaubensumbruch. Wie bewerkstelligte Harald Blauzahn die Christianisierung Dänemarks? Wurde Gewalt angewendet, kam es zu Verfolgungen, Gedankenknebelung?
Zerstörten die Wikinger – wie auch die Wenden – im 9. Jahrhundert die Hammaburg, die Urzelle Hamburgs, den nördlichsten Vorposten des Christentums, weil sie den mit Feuer und Schwert vordringenden neuen Glauben abwehren wollten? Setzte sich der Glaubenskrieg, den die südlichen Germanenstämme zu durchleiden gehabt hatten, bei den Wikingern fort?
Götterdämmerung und Wolfszeit hatte die Seherin Völuspá vorausgesagt. Und die Skandinavier erlebten nun in der Tat ein Jahrhundert grausamer Bürgerkriege.
Nach dem Glaubensumbruch bauten sie wie die Deutschen für ihren neuen Gottglauben großartige Kirchen und Dome. Zu dem beeindruckenden, in sich stimmigen, durch keinen fremden Zierrat beeinträchtigten Bau des Doms zu Uppsala wurde 1260 der Grundstein gelegt.
Offenbar sehr schöne Ostsee-Skandinavienreisen werden angeboten auf dem Blog http://www.ostsee-kreuzfahrt.net/.