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“Das ist das deutsche Wunder”

Im Juni 1964 konnte man in der

„Bundesturnzeitung“ Wels/Oberösterreich

noch etwas lesen, was man dieserart in den heutigen „Qualitätsmedien“ wohl nicht mehr findet.

Bild: Ansichtskarten-Center

Die Rede ist vom Glöcklbauer, der unter hohen Bäumen vor dem Wirtshaus „Wirt an der Mahr“ (in Südtirol) sitzt und seinen Rötel trinkt, als ein neureicher westdeutscher Bundesbürger zu ihm tritt und auf den Strom der Fahrzeuge deutet, in der „erdrückenden Mehrzahl mit deutschen Kennzeichen“.

„Da staunense, was? Fast alles deutsche Fahrzeuge. Tja, das deutsche Wunder!“

Der Glöcklbauer dreht ihm langsam das Gesicht zu. „Das deutsche Wunder? Hm …“ Er schüttelt den Kopf. „Da …“, mit der Hand deutet er auf eine in die Hauswand eingelassene Tafel.

„Das ist das deutsche Wunder.“

Was war geschehen 1809/10:

Wir lesen bei Heinz Kunzendorf, 

der sich in seinem Büchlein „Ich sage die Wahrheit“, Pähl o.J., auf den Roman von Peter Rosegger bezieht:

Seit 1797 wurde Tirol durch die Truppen Napoleons schwer heimgesucht. Bayern, das aus dem deutschen Reichsverband ausgeschieden war, kämpfte zusammen mit den Franzosen.

1809 kam es zur Volkserhebung in Tirol. In drei großen Schlachten am 12. April, 29. Mai und 13. August schlugen die Tiroler unter Führung von Andreas Hofer die Franzosen und die mit ihnen verbündeten Bayern auf dem Bergisel bei Insbruck.

Diese Erfolge gaben das Signal für alle von Napoleon unterdrückten Völker, sich gegen den Tyrannen zu erheben.

Obwohl Kaiser Franz II. die Tiroler hat wissen lassen, daß er keinen anderen Frieden unterzeichnen werde als den, der Tirol unauflöslich an den österreichischen Kaiserstaat knüpfen würde, hat er später am 24. Oktober 1809 im Frieden von Schönbrunn sein gegebenes Wort gebrochen, indem er mit den Franzosen und Bayern Frieden schloß und Tirol erneut abtrat.

Die Tiroler wollten es jedoch nicht glauben, daß ihr Kaiser sie im Stich gelassen haben sollte.

Vergleiche mit unserer heutigen Zeit und den Volks- und Hochverrätern in der Regierung drängen sich auf, zumal wenn wir lesen, was Andras Hofer am 4. November an Josef Speckbacher schrieb:

„Indem ich die gute Nachricht von Deinem glorreichen Siege erhalte, muß ich Dir die üble melden, daß Oestreich Frieden mit Frankreich geschlossen, und Tyrol – vergessen hat.

Jedoch müssen wir uns bis auf weiteres wehren, wenn wir angegriffen werden, indem jene Nachricht mir nicht wahrhaft vorkommt, und

Du weißt, wie oft wir belogen worden sind.“

Sie hielten die Friedensnachricht für eine Falle und setzten den Kampf fort, voran die Männer Andreas Hofer, Josef Speckbacher, Joachim Haspinger, Peter Mayr, Peter Sigmair und noch viele andere. Sie wußten, daß sie jetzt ganz allein auf sich gestellt waren. 

Lagebesprechung (Gemälde von F. Defregger, Bild: Billerantik)

So zog Peter Mayr mit seinen Leuten in die engen Schluchten des Eisacktales und verteilte sie an den Hängen und Felsstufen.

Eisacktal (Bild: alpenguide.de)

Peter Rosegger:

… Dort, wo gegenüber einer ragenden Wand hart am linken zerrissenen Felsenufer des Eisack die Straße sich eine längere Strecke hinzieht unter dem turmdachsteilen, spärlichen mit Erlen bewachsenen Hange und einer schmalen Brücke zu, dort wo hoch über diesem Hange klüftige Wände ragen, Wände, in deren Runsen Schutthalden und Steintrümmer lagern, auf kümmerlichem Erdreich auch einzelne Bäume stehen – dort rief der Mahrwirt seine Männer zur Arbeit.

Dort hoch oben mußten sie Bäume fällen und spalten, dieselben quer am Hange hinlegen, mit Weidengewinden an den Enden aneinanderbinden, als sollte ein Steg hergestellt werden entlang der steilen Lehne. Mit Seilen wurde der viele Klafter lange Steg so befestigt, daß er wie eine Hängebrücke war. Höher oben in den Klüften waren die Tragseile an bestimmten Stellen sorgfältig befestigt und zu je einem nun strammgespannten Seile ein Mann mit dem Beile verordnet.

Peter befahl, daß man beginne, den langen Hängesteig mit Schutt und Steinen und Felsblöcken vorsichtig zu belasten …

Anschaulich erzählt ein überlebender bayrischer Offizier, was nun geschah (nach Rosegger):

„Der ganze steile Berghang wurde vor mir lebendig, von unten nach oben löste sich eine ungeheure Lawine und fuhr unter Donnern und Krachen herab. Steine, Schutt, Baumstämme, Erdreich, eine wüste, in allen ihren Teilen wirbelnde, Splitter, Trümmer emporschnellende, grausig lebendige Masse kam herab.

Und dazwischen und darüber und darunter hausgroße Felsblöcke, zuerst mit der Lawine träg rutschend, dann sich überschlagend und in hohen Bogensprüngen zur Tiefe sausend.

Alles das sehe ich heute noch, dann verging mir das Auge; ein unbeschreibliches Prasseln, Knattern und Krachen überall, als stürzten die Berge ein – dann nichts mehr.“

Kunzendorf nun weiter:

Napoleon hatte daraufhin ein ansehnliches Kopfgeld auf die Herbeischaffung der führenden Männer gesetzt. Und wie immer fand sich auch jemand, der den Judaslohn einstreichen wollte.

Peter Mayr wurde verraten.

… Mit Stricken schleppten sie Peter Mayr nach Bozen in ein burgähnliches Gebäude mit meterdicken Mauern und schwer vergitterten Fenstern.

Kurze Zeit drauf wurde er dann dem Kriegsgericht unter dem französischen General Baraguay zugeführt.

Bild: Facebook

Schon beim Betreten des Saales waren die Anwesenden von der äußeren Erscheinung des Mahrwirts stark beeindruckt, was den General Baraguay zu der Äußerung in französischer Sprache veranlaßte:

„Das wäre also das Ungeheuer? Den Mann habe ich mir anders gedacht.“

Nun folgt das bezeichnende Frage-Antwort-Spiel, bei dem Peter Mayr Gelegenheit gegeben wurde, seine Tat bzw. seine Gründe dazu zu leugnen:

„Was glauben Sie, ist diese Muhre zufällig niedergegangen?“

Nach einigem Zögern antwortete der Mahrwirt: „Das glaube ich nicht.“

„Rebellen haben sie vorbereitet! Peter Mayr, wußten Sie um die Vorbereitung?“

„Ja“, antwortete Peter.

„Waren Sie mit dabei?“

„Ja!“

„Haben Sie mit Hand angelegt?“

„Ja!“

„Waren Sie einer der Rädelsführer?“

„Ich kann es nicht leugnen.“

„Wohl gar der Hauptanführer?“

Peter schwieg.

„Wissen Sie, wer anfangs den Plan für eine solche Muhre gefaßt hat? Und ganz besonders für diese Muhre, mit der Absicht, viele Hunderte von Menschen meuchlings zu töten? – Sprechen Sie, wer hat den Plan gemacht, geleitet, ausgeführt?“

Peter stand unbeweglich da und schwieg.

„Gestehen Sie es ein, Peter Mayr, daß Sie die Muhre ausgedacht haben und ausführen ließen?“

Jetzt hob Peter langsam sein Haupt und sagte: „Ja!“

Weiter sprach Baraguay zu ihm mit leise zitternder Stimme:

„Peter Mayr, Sie haben ja auch ein menschliches Herz in der Brust. Sie haben ja Weib und Kind und wohl noch andere Menschen, die Ihnen nahestehen. Haben Sie nie um einen gebangt, wenn er in Gefahr war? Als Sie durch Ihre Tat so namenloses Leid verursachen sollten, hat sich da Ihr Herz nicht geregt?“

„Wohl doch, wohl doch“, murmelte Peter.

„War dieses Herz denn ein verfluchter Kieselstein in diesen Tagen?“

„Herr, der Krieg!“ versetzte der Gefangene.

„Zum Henker, der Krieg!“ rief der General. „Friede war! Von den Völkern ersehnter, von Kaiser und König unterzeichneter Friede.“

Als zum Schluß die Frage an ihn gestellt wurde, ob er noch etwas zu seiner Verteidigung zu sagen habe, schüttelte der Mahrwirt nur den Kopf.

General Baraguay verurteilte Peter Mayr „zum Tode durch Pulver und Blei“, konnte aber, wie Kunzendorf schreibt,

„keine rechte Ruhe finden. Ihn dauertePeter Mayr.

Er gestand sich, daß er noch keinen gesehen, der sein Geschick so voller Stolz ertragen hätte.

Der französische General gestand sich ein, daß seine Seite, also die des Feindes Tirols, den Frieden zuerst gebrochen hatte und die Tat Peter Mahrs nur die Antwort darauf war.

Seine Frau, eine Deutsche, brachte es auf den Punkt:

Dieser Bauer, hat er’s denn wissen können, daß zu Wien der Frieden geschlossen war?

Das schlug bei ihm ein:

Peter Mayr kann gerettet werden.

Eine neue Untersuchung wurde eingeleitet. In der Zelle Peter Mayrs erschien Rechtsanwalt Voltolini (Gespräch nach Rosegger):

„Man hat zu wenig beachtet, daß dir bei der Geschichte in den Eisackschluchten die Tatsache, daß der Frieden geschlossen worden war, vollkommen unbekannt gewesen ist.“

Peter: „Das ist nicht so, mir ist der Friedensschluß wohl bekannt gewesen. Es ist an allen Mauerecken angeschlagen worden. Glauben hat man’s freilich nicht können, aber die Verordnung hat man gesehen und gehört und gelesen.“

Voltolini: „Hast du davon keine Kenntnis gehabt, warst du der Meinung, du verteidigest noch das Recht Österreichs und Tirols, so wie bei früheren Kämpfen, so wird die Sache anders stehen. Dann wirst du nicht als Rebell behandelt. –

Du wirst also morgen bei Gericht ruhig angeben, vom Friedensschluß und seinen Folgen hättest du nichts gewußt, seiest zur Zeit im Gebirg gewesen, hättest nur gehört, der Feind käme wieder und hättest dich eben mit den Waffen, die ein armes Bergvolk besitzt, neuerdings zur Wehr gesetzt.

Dir hätte es gar nicht einfallen können, daß in deinem Werk ein Verbrechen liege. Wenn du so sprichst, bist du gerettet.“

Peter: „Wer tut mir den Schimpf noch an in meiner letzten Stunde und verlangt, daß ich ein Lügner werden soll?“

Bild: Wissenschaft3000 – WordPress.com

Auch seine Frau Notburga versucht, ihn umzustimmen. Er antwortet ihr (nach Rosegger):

„Die Lüge ist ein falscher Freund;

wen sie heute scheinbar rettet, den bringt sie morgen um.

Nichts hasse ich so wild.

Wer hat denn unser Tirol in solch einen Jammer gestürzt?

  • Der Bonaparte hat gelogen,

  • die Bayern haben gelogen,

  • und unser Kaiser hat sein Wort nicht gehalten, hat uns verlassen in der größten Not.

An den Waffen sind wir nicht zugrunde gegangen,

an der Lüge sind wir zugrunde gegangen.

Und ich soll sie jetzt anerkennen, mit Blut und Leben heiligen und vor aller Welt sagen: ,Seht, ich halte es mit der Lüge!‘

Ich will lieber mit der Wahrheit sterben, als mit der Lüge leben.“

So blieb er auch bei der erneuten Gerichtsver-handlung fest, als der General ihm eine Lügen-Brücke bauen wollte (nach Rosegger):

„… Haben Sie zur Zeit Ihrer Tat in den Eisackschluchten gehandelt nur im guten Glauben an Ihr Recht?“

„Ja!“

„Haben Sie geglaubt, daß noch Krieg ist?“

Peter schwieg.

„Und haben nicht gewußt, daß der Frieden schon geschlossen war?“

„Ich habe es gewußt,

das ist die Wahrheit, und anders kann ich nicht reden.“

Der Glöcklbauer sah es richtig:

Das ist das deutsche Wunder.

Zum Glück wiederholt es sich immer wieder: Wieviele Deutsche und ausländische Deutschfreunde wurden und werden bestraft, weil sie unbeugsam eine – meist unerwünschte – Wahrheit vertreten!

Peter Mayr wurde am 20. Februar 1810 standrechtlich erschossen.

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Zeitzeuge
5 Jahre zuvor

Herzlichen Dank für die Veröffentlichung von Peter Mayr’s Geschichte, die mir bislang unbekannt blieb!

Es gab einige Menschen in all den Jahren, die sich einst unverrückbar der geschichtlichen Wahrheit Deutschlands verschrieben, und sei es drum, so wurde hoch geschworen, daß die Lüge der Wahrheit Aderlaß erfordert. ,Niemals’, so hieß es entschlossen, ,werde ich der Ahnen Siegel brechen und der Lüge der Wahrheit Vortritt gewähren’, doch, so staunte ich in der Vergangenheit immer wieder, um des mildernden Strafmaß Willen, war die Furcht dann doch größer als die Ehre.

,Das deutsche Wunder’ – eine Frage der Perspektive.

Menschen wie Peter haben jedenfalls ihren festen Platz in meinem Herzen, das sich am nächsten Jahrestag an ihn erinnern wird.

Mögen schlußendlich unterm Strich genügend von uns überbleiben…

Danke für Deinen Blog, Adelinde, viele Grüße seien Dir entsandt.

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