Das Ende des globalen Kapitalismus angelsächsisch-atlantischer Prägung
Die systemische Krise des sog. Westens. –
Das Ende des globalen Kapitalismus angelsächsisch-atlantischer Prägung
von Thomas Engelhardt
Die Eingeweihten (und wirklich Herrschenden) wissen es seit der letzten Finanzkrise: Das System ist aus den Fugen geraten, es funkti-oniert nicht mehr.
Bekanntlich wurde der globale Finanzzusam-menbruch vermieden, indem die Regierungen der westlichen Staaten die gewaltigen Schul-densummen der pleite gegangenen Großban-ken faktisch vergesellschafteten. Also das alte kapitalistische Spiel in Reinkultur! Ge-winne, also Profite, werden privatisiert, Schulden werden der Allgemeinheit aufgela-stet, will heißen vergesellschaftet.
Nicht zu vergessen, auch bundesdeutsche Banken waren betroffen:
Die Hypo Real Estate Holding GmbH (HRE) etwa, über die heute niemand mehr spricht, 2009 verstaatlicht. Oder die HSH Nordbank. Bei dieser wurde genau anders herum ver-fahren.
Diese Hamburg-schleswig-holsteinische Landesbank wurde, als nichts mehr ging, zerschlagen, aufgesplittet und am Ende die Reste privatisiert. Will heißen Abweichung von der Regel. Scheinbar. Man muß hinter die Fassade schauen.[1]
In welchem Zusammenhang stehen diese einzelnen Vorgänge mit der allgemeinen Entwicklung? „Vordergründig wohl nichts,“ wird der brave Bürger sagen. Weil er sich permanent an der Nase herumführen läßt! Interessant waren die Verlautbarungen des IAB (Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufs-forschung) vor vier Jahren. Die IAB- Leute prognostizierten in den kommenden Jahren 3 Millionen Arbeitslose und 2,5 Millionen Kurzarbeiter in Bundesdeutschland. Andere Experten malen ein noch düstereres Bild.
Die deutsche Wirtschaft stürzt in die schwerste Rezession der Nachkriegsge-schichte,
verlautbart etwa ein Bericht des Forschungs-instituts der Bundesagentur für Arbeit.
Eine Erinnerung: Im Zuge der Finanzkrise 2008/ 2009 wurde in der BRD ein Spitzenwert bei der Kurzarbeit von 1,5 Millionen Beschäf-tigten erreicht! Es ist angesichts der derzeit tatsächlich dramatischen Entwicklung damit zu rechnen, daß wir Ende nächsten Jahres oder in ca. 24-36 Monaten 5- 6 Millionen Arbeitslose und darüber hinaus 4- 5 Millio-nen Kurzarbeiter zu verzeichnen haben werden.
Weshalb? Mehrere Gründe müssen genannt werden.
Das Geschäftsmodell der bundesdeut-schen Wirtschaft funktioniert in einer sich verändernden Welt nicht mehr. Mit preiswert importierten Rohstoffen und Halbfabrikaten und unter Einsatz gün-stiger Energiepreise wurden hier auf dem Weltmarkt begehrte und hochwer-tige Produkte und Waren hergestellt.
Mehr als 30 % der Arbeitsplätze waren in der Automobil-Industrie und den Autozuliefe-rer-Unternehmen gebunden.
Der Umbau der bundesdeutschen Wirt-schaft unter Rot-Grün (Kanzlerschaft Gerhard Schröder) führte zum Verlust des Alleinstellungsmerkmals der deut-schen Industrie (ehemals führende Konzerne in der chemischen Industrie, Hoechst, BASF, Bayer wurden zerschla-gen und in Einzelunternehmen zersplit-tert, die einstige Spitzenstellung des deutschen Maschinenbaus ist Ge-schichte, führen-de Automarken VW, Audi, Mercedes-Daimler, BMW, führen-de Anlagenbauer beispielsweise Linde, haben ihre Marktposition verloren oder wurden wie Linde verramscht und auf dem Altar des Kapitals geopfert (Linde ist heute ein US-Unternehmen).
Auf dem internationalen Kapitalmarkt spielen bundesdeutsche Banken prak-tisch keine Rolle mehr. Die sog. Deut-sche Bank ist nurmehr eine interna-tionale Aktiengesellschaft mit dem Banksitz in Frankfurt/Main. Die Dresd-ner Bank als eine der drei großen bun-desdeutschen Geschäftsbanken exi-stiert seit 2009 nicht mehr.
Inflation und Energiekrise verschärfen die bereits vor Jahren in Gang gekom-mene Abwärtsbewegung der bundes-deutschen Wirtschaft. Kennmarken sind die Zahlen der Firmenpleiten bzw. In-solvenzen und die massive Abwande-rung von Schlüsselbetrieben, zuletzt des Konsumgüterherstellers Miele (Miele verlagert die Produktion nach Polen).
Wichtigstes Indiz für die sich verändernde Situation ist der Automarkt. Im Jahr 2023 wurden rund 3,7 Millionen Fahrzeuge neu zugelassen, davon 2,84 Mill. PKW. Von diesen 2,84 Mill. PKW waren nur noch 1,63 Mill. PKW deutscher Hersteller vertreten, jedoch 1,12 ausländischer, hauptsächlich asiatischer Hersteller.
Im Jahr 2022 wurden rund 878.000 Fahr-zeuge importiert, allein aus China werden mittlerweile 40 % aller hier zugelassenen E-Autos importiert, d. h. vier von zehn hier eingeführten E-Autos kamen zuletzt aus China (Stand Juni 2024). Diese Entwicklung wird an Dramatik noch zunehmen. Längst haben die Asiaten den einstigen hohen Stellenwert deutscher Automodelle und -marken infrage gestellt.
Die asiatischen Autos gelten als langlebiger, als zuverlässiger, als weniger reparaturan-fällig. Auch dies ein wichtiges Zeichen für den Niedergang der deutschen Wirtschaft. Kein Wunder. „Deutsche“ Autos werden hier nur noch zusammen geschraubt. Das System nennt sich „Basar-Ökonomie“.
Um Kosten zu sparen und möglichst preis-wert zu produzieren wird die Teile-Fertigung ins Ausland verlagert (so kommen beispiels-weise die Kabelbäume für VW aus der Ukrai-ne) und werden wichtige Komponenten auf dem Weltmarkt eingekauft. Mercedes-Benz (Daimler) besteht zu mehr als 60 % aus im Ausland produzierten Teilen, bei VW sind es mehr als 80 %. Deutsche Autos? Nein, die sich verschlechternden Qualitäten sind Folge der Basar-Ökonomie.
Im weiteren Szenario werden wir eine Re-zession größten Ausmaßes erleben, und mittelfristig wird diese Rezession in eine schwere Depression münden. So die Ein-schätzung auch vom IAB[2] (und anderen Forschungsinstituten).
D.h. selbst systemeigene Forschungseinrich-tungen malen inzwischen das Bild einer schweren systemischen Krise. Noch können die Ursachen dem Ukrainekrieg, der Inflation, der Energiekrise zugeschoben werden. Es wird jedoch nicht lange dauern, da andere Wahrheiten an die Oberfläche kommen.
Die Krise der bundesdeutschen Volkswirt-schaft ist jedoch lediglich Teil einer globalen systemischen Krise des westlichen Kapita-lismus. Die damit einhergehenden Schäden in der Realwirtschaft und im Finanzsektor wer-den von langfristiger Dauer (mindestens eine Dekade) und wohl sogar nachhaltiger Natur sein! In einer Wochenend- Kolumne war am 24. April 2020 in der Zeitung „Die Welt“ zu lesen:
Wir stehen erst am Anfang einer umwäl-zenden Krise, deren medizinisches Pro-blem (Corona) lediglich der Auslöser war.
Und weiter:
Wie in Zeitlupe nähern sich am Horizont verzögert die realwirtschaftlichen Schockwellen, die von der Vollbremsung der Wirtschaft der entwickelten Indu-striestaaten ausgelöst wurden.
Was folgt hieraus? Ende offen. Schon hört man jedoch Stimmen, daß die derzeitige Krise angeblich auch Chancen bietet. Heinz Bude etwa, seines Zeichens Soziologe und Hoch-schullehrer, will die Möglichkeit einer „Transformation“ der sozialen Marktwirt-schaft erkennen.[3]
Eine solche Betrachtung muß freilich ver-wundern. Ein waidwundes Tier also, der globale Finanzkapitalismus angelsächsisch-atlantischer Prägung, soll transformiert, will heißen irgendwie gerettet werden.
Nein, er kann nicht gerettet werden. Er ist am Ende. Nicht aufgrund des russischen Krieges in der Ukraine, nicht aufgrund der Energie-krise. Er war es bereits Ende 2019/ Anfang 2020, ohne diese These hier zu begründen. Der Kapitalismus des Westens ist am Ende, wie es der staatsmonopolistische Kapita-lismus des Ostens, der Staatssozialismus sowjetischer Prägung, im Jahr 1989/1990 war.
Das Ostblock-System, im Westen COMECON[4] genannt, im Osten RGW[5], ging an seinen inneren Widersprüchen zugrunde, der Kollaps war nicht aufzuhalten. Der von Gorbatschow unter der Losung „Glasnost und Perestroika“ eingeleitete Transformations-prozeß[6] beschleunigte das Ende nur noch. Das System war fertig.[7]
Genau so am Ende sind die Systeme der westlichen Staaten einschl. der sog. Bun-desrepublik. Auch das nur eine These freilich. Jedoch werden die laufenden Ereignisse der kommenden Monate und Jahre diese These bestätigen. Und dann wird festgestellt wer-den können: Mene Mene Tekel Upharsin, im übertragenen Sinne „gezählt, gewogen und zu leicht befunden“ …
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Anmerkungen
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Hamburg_Commercial_Bank
[2] Institur für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Heinz_Bude
[4] Comecon = englisch Council for Mutual Economic Assistance, kurz CMEA (oder Comecon) war eine internationale Organisation von sozialistischen Staaten unter Führung der Sowjetunion. Sitz der Organisation war Moskau.
[5] RGW = Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (11 Mitgliedstaaten). https://de.wikipedia.org/wiki/Rat_f%C3%BCr_gegenseitige_Wirtschaftshilfe#Energiesektor
[6] Glasnost und Perestroika = Transparenz, Offenheit und Umbau.
[7] Der leitende Redakteur des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ Fritjof Meyer veröffentlichte 1984 „Weltmacht im Abstieg. Der Niedergang der Sowjet-Union“, Bertelsmann, München 1984. Das Buch wurde verrissen, der Autor belächelt. Politik und Medien erlaubten sich abschätzige Urteile. 1991 brach das Sowjetimperium endgültig zusammen. Der Autor Fritjof Meyer wurde jedoch insbesondere durch seinen i. J. 2002 veröff. Artikel in der Zeitschrift „Osteuropa“ bekannt: Die Opfer von Auschwitz. Neue Erkenntnisse durch neue Archivfunde. (In: in: Osteuropa, 5/2002, S. 631 ff.).