Beethoven und seine “unsterbliche Geliebte”

Beethoven bezeichnete sich selbst als Tondichter.

Daher fragen viele Beethoven-Forscher nach den Lebensumständen, die die jeweiligen Hintergründe seiner Tondichtungen waren. Namentlich ihr Bemühen, das Geheimnis um Beethovens „unsterbliche Geliebte“ zu enträtseln, hat sie zu immer neuen Vermutungen und gedanklichen Konstruktionen geführt. Das lange gewahrte Geheimnis ist jedoch seit 26 Jahren gelüftet. Die

Musikwissenschaftlerin Marie-Elisabeth Tellenbach

hat 1983 ihre diesbezüglichen Forschungsergebnisse in ihrem Werk Beethoven und seine „unsterbliche Geliebte“ Josephine Brunswick – Ihr Schicksal und der Einfluß auf Beethovens Werk niedergelegt.

Buchtitel Tellenbach

Beethoven und diese geheimnisumwobene Frau haben sich selbst über ihre Liebesbeziehung weitgehend ausgeschwiegen.

Sollte man angesichts dieses bewunderungswürdigen Schweigens nicht die Ehrfurcht besitzen, es auch heute noch zu respektieren, und an die Frage nicht rühren?

fragt die Autorin mit Recht und antwortet sogleich selbst:

… es geht … nicht an, sich auf den Standpunkt zurückzuziehen: Wir wissen es nicht und wollen es nicht wissen. Denn wir überlassen damit Hypothesen das Feld, die schwere Schatten auf das Bild des Menschen Beethoven werfen und an seinem Werk Erklärbares unerklärt lassen.

All die abstrusen Deutungen, teils mit Eifer tiefenpsychologisch hergeleitet (Beethoven sei schwul gewesen, habe im Rotlicht verkehrt, habe seinem Neffen gegenüber pädophile Neigungen verspürt, habe an Syphilis gelitten, habe sich dauernd in irgendwelche adlige Damen verliebt, und die „Unsterliche Geliebte“ sei nur ein Traumbild gewesen), diese Deutungen, die m. E. mehr die Lebensart der Schreiber als die Beethovens enthüllen, zerfallen in nichts, wenn man der Beweisführung Tellenbachs folgt. Sie erkennt in Beethoven

eine Persönlichkeit, die auf dem Gebiet des Ethos und des Geistes an den Grenzen des Menschenmöglichen lebte … Und diese Persönlichkeit ist nicht von ihrem künstlerischen Werk zu trennen.

In Übereinstimmung u. a. mit dem langjährigen Leiter der musikwissenschaftlichen Abteilung des Deutschen Instituts in Rom Dr. Friedrich Lippmann folge ich in meinen Darlegungen hauptsächlich dem Werk Tellenbachs, weil es, wie Lippmann hervorhebt,

voller neuer, konkreter Ergebnisse (steckt,) die ein gründliches Studium der Dokumente sowie der Musik gezeitigt (hat,) ein Werk, das sich fesselnd (liest) und zugleich streng wissenschaftlich (ist).

Die Beweisführung Tellenbachs in einer kurzen Abhandlung in aller Tiefe nachzuvollziehen, ist nicht möglich – ich kann nur allen Musikliebenden empfehlen, dieses überzeugende Buch selbst zu lesen. Ich will hier darum nur ein paar Schlaglichter in Form von Texten und Musikbeispielen auf Beethovens leidvolles großes Sehnen werfen, das seiner tragischen, unerfüllten, bis an sein Lebensende nicht erloschenen großen Liebe zu Josephine von Brunswick entsprang und sein Werk mitprägte.

Josephine von Brunswick

wurde 1779 in Preßburg geboren als drittes Kind des Grafenpaares Brunswick. Mit ihrer älteren Schwester Therese und ihrer Mutter weilte sie im Mai 1799 in Wien. Therese schreibt in ihren Lebenserinnerungen:

Als wir jene merkwürdigen 18 Tage in Wien waren, wünschte meine Mutter, ihren zwei Töchtern Therese und Josephine den unschätzbaren Musikunterricht Beethoven’s zu verschaffen. Beethoven, wie Adalbert Rosti, ein Schulfreund meines Bruders, versicherte, würde nicht zu bewegen sein, der bloßen Einladung zu folgen; wenn aber Ihre Excellenz sich bequemen, die drei Treppen der engen Wendeltreppe am St. Petersplatz zu erklimmen, und ihm die Visite zu machen, so möchte er für den Erfolg bürgen. – Dieß geschah. Meine Sonate Beethoven’s mit Violine und Violoncello-Begleitung, wie ein Mädchen, das zur Schule geht, unter dem Arm, traten wir ein. Der unsterbliche, liebe Louis van Beethoven war sehr freundlich und so höflich, als er sein konnte. Nach einigen Phrasen de part et d’autre, setzte er mich an sein verstimmtes Piano und ich begann gleich damit, Violine und Violoncellobegleitung mit zu singen und spielte dabei recht brav. Dieß entzückte ihn so sehr, daß er versprach, täglich zu kommen, in das Hôtel zum Erzherzog Carl … Er kam fleißig, blieb aber statt einer Stunde von 12, bis oft 4 bis 5 Uhr, und wurde nicht müde, meine Finger, die ich empor zu strecken und flach zu halten gelehrt ward, nieder zu halten und zu biegen. Der Edle muß sehr zufrieden gewesen sein; denn durch 16 Tage blieb er nicht ein einzigsmal aus. Wir spürten bis 5 Uhr keinen Hunger … Damals ward mit Beethoven die innige, herzliche Freundschaft geschlossen, die bis an sein Lebensende dauerte. Er kam nach Ofen; er kam nach Martonvásár …

In der damals bestehenden Doppelmonarchie Österreich-Ungarn hieß der heutige Stadtteil von Budapest Buda noch Ofen. Dort besaß das ungarische Adelsgeschlecht derer von Brunswick ein Schloß und in Martonvàsàr einen Landsitz.

Bei dem Aufenthalt in Wien nun besuchten die 3 Damen Brunswick auch die Galerie Müller des Grafen Deym von Stritetz.

Galerie Müller, die Kunstagalerie am Rothen Turm. Kolorierte Umrißradieruang von Maria Geissler, um 1800. (aus: H. C. Robbins Landon, Beethoven)

Galerie Müller, die Kunstgalerie am Rothen Turm. Kolorierte Umrißradieruang von Maria Geissler, um 1800. (aus: H. C. Robbins Landon, Beethoven)

Joseph Graf Deym von Stritez (1752-1804). Unsignierte Miniatur (aus: Landon, Beethoven)

Joseph Graf Deym von Stritez (1752-1804). Unsignierte Miniatur (aus: Landon, Beethoven)

Dieser,

den ersten Familien der Monarchie

angehörend, 47 Jahre alt und noch unverheiratet, hielt bereits nach wenigen Tagen um die Hand Josephines an. Therese schreibt:

(er) sah die unvergleichliche Schönheit welche in Josephine gleichsam wie in der Knospe noch verborgen lag und entbrannte beim ersten Anblik von der heftigsten Leidenschaft.

Die Mutter hielt ihn für unermeßlich reich und bedrängte die Tochter, ihr Jawort zu geben. Josephine gab nach. Doch in ihren Aufzeichnungen kurz vor ihrem Tode 1821

bricht noch einmal die Schockwirkung dieses Erlebnisses hervor, das sie ihrer Mutter nie verziehen hat,

schreibt Tellenbach und zitiert Josephine:

Mit Feuereifer drang Deym auf Vollziehung der Vermählung mit unglaublicher Hast.

Und nach 6 Wochen fand sie denn auch statt. Als die Mutter bald darauf gewahr wurde, daß Deym sie getäuscht hatte und in finanziellen Schwierigkeiten steckte, wollte sie die Ehe rückgängig machen. Doch nun war Josephine dazu nicht mehr bereit. Sie erklärte, daß sie ihren Gatten

immer mehr liebe und schätze,

und aus Briefen ist zu entnehmen, daß die beiden eine recht gute Ehe führten. Aus ihr gingen 2 Töchter und 2 Söhne hervor. Im Januar 1804 starb Deym an einer Lungenentzündung. Erst nach seinem Tode gebar Josephine ihr viertes Kind.

Ludwig van Beethoven. Miniatur auf Elfenbein von Christian Horneman, signiert und datiert "Horneman 1803". Sammlung Bodmer, Beethovenhaus Bonn

Ludwig van Beethoven. Miniatur auf Elfenbein von Christian Horneman, signiert und datiert "Horneman 1803". Sammlung Bodmer, Beethovenhaus Bonn

Beethoven in diesen 4 1/2 Jahren

war

der standhafte Besucher der jungen Gräfin – unentgeltlich gab er ihr Unterricht. (Tellenbach)

Beethoven ist scharmant,

schreibt Josephine 1800 in ihrem Neujahrsbrief.

Er hat mir versprochen, daß er jeden dritten Tag kommen werde, um mir Stunde zu geben, wenn ich fleißig wäre. Und ich bin es wirklich.

Josephines Bruder bestätigt Ende des Jahres 1799:

Franz Graf von Brunsvik (1777-1849). Ölbild von Heinrich Thugut. Historisches Museum der Stadt Wien. (Landon)

Franz Graf von Brunsvik (1777-1849). Ölbild von Heinrich Thugut. Historisches Museum der Stadt Wien. (Landon)

Beethoven kommt jetzt fleißig zu Pepi und ist überhaupt sehr scharmant.

(Die Geschwister Brunswick nannten Josephine Pepi oder Pips.) Der Unterrichtserfolg der hochbegabten Schülerin stellte sich sehr bald ein, und schon Ende 1800 spielte Josephine in einem glänzenden Konzert

zu Ehren der Herzogin von Giovane

gemeinsam mit Beethoven

als einem wahren Engel

– wie sie schrieb – und anderen Musikern, wobei sie den Klavierpart der drei Violin-Sonaten op. 12 bestritt.

Die Herzogin war bezaubert und alles herrlich gelungen,

schwärmt Josephine. Therese notierte erfreut, man habe von Josephine gesprochen als

dieser göttlichen Gräfin Deym, der Meisterin des Klaviers und Herrin aller Herzen.

Sie muß auch Beethovens Geist aus seinen Kompositionen unmittelbar erspürt und zum Ausdruck gebracht haben, denn als er einmal wegen eines Katarrhs nicht zu ihr kommen konnte, schrieb er seinem Stellvertreter Zmeskall:

… was den Vortrag anbelangt …, so werden sie ihr nichts zu sagen brauchen …

Dieses Verstehen seiner Musik muß ihn zutiefst beglückt haben. Und Josephine bekannte ihm später:

noch ehe ich Sie kannte machte ihre Musick mich für Sie enthousiastisch.

Beethoven äußerte des öfteren seinen Vorsatz, sich von verheirateten Frauen innerlich fernzuhalten, um deren bestehende Ehe nicht zu gefährden. So schrieb er Josephine später:

Als ich zu ihnen kam – war ich in der festen Entschlossenheit, auch nicht einen Funken Liebe in mir keimen zu lassen.

Aus dieser Tatsache, einen festen Entschluß fassen zu müssen, geht hervor, wie berührt Beethoven von Anfang an von Josephine war. Therese schrieb, daß die junge Frau in jenen Jahren strahlte,

in allem Glanz der Jugend und Schönheit, mit Geist, Witz und Verstand.

Und:

Nie wird Josephine gewöhnlich wirken, obgleich sie sich zwanglos und lässig benimmt. Sie ist immer hübsch, anmutig und vornehm …

Nach dem Tode Deyms änderte sich Beethovens Lage.

Beethoven. Ölbild von Joseph Willibrord Mähler. Historisches Museum der Stadt Wien. 1804-1805 (Landon)

Beethoven. Ölbild von Joseph Willibrord Mähler. Historisches Museum der Stadt Wien. 1804-1805 (Landon)

Nun erscheint das Wort Hoffnung

oft und an gewichtiger Stelle,

schreibt Tellenbach. Zu Neujahr 1805 vertonte er für Josephine das Gedicht Tiedges, das er selbst mit der Überschrift “An die Hoffnung“ versah und in dem es heißt:

O Hoffnung! laß, durch dich emporgehoben, den Dulder ahnen, daß dort oben ein Engel seine Tränen zählt!

Nach dem Trauerjahr und nachdem sich Josephine von einem „Nervenfieber“ erholt hatte, kam Beethoven fast täglich zum Unterricht zu ihr in das kleine Landhaus in Hietzing nahe dem Schönbrunner Schloß.

Unsere kleinen Musiken haben endlich wieder angefangen,

schreibt die jüngere Schwester Charlotte von Brunswick, die Josephine Gesellschaft leistete, am 19. Dezember 1804 an Therese,

Pepi spielte vortrefflich Klavier; … Beethoven kommt sehr häufig, er unterrichtet Pepi. Das ist etwas gefährlich, gestehe ich dir.

Zwei Tage später schreibt sie an ihren Bruder Franz:

Beethoven ist fast täglich bei uns, gibt Pipschen Unterricht – du verstehst mich, mein Herz!

Und Therese antwortet:

Aber sage mir, Pepi und Beethoven, was soll daraus werden?

Beethoven indes begann im Jahr 1804 intensiver als zuvor an seiner Oper Leonore zu arbeiten, später Fidelio genannt. Noch fast 20 Jahre später zeigte er seinem Helfer Schindler

Gloriette im Schlosspark Schönbrunn (http://de.wikipedia.org/wiki/Gloriette_%28Wien%29)

Gloriette im Schloßpark Schönbrunn (http://de.wikipedia.org/wiki/Gloriette_%28Wien%29)

im Schönbrunner Hofgarten auf der Anhöhe zur linken Seite der Gloriette eine sich knapp über dem Boden teilende Eiche, in deren Gabelung sitzend er 1805 an der „Leonore“ geschrieben hatte.

Im Aufblühen der Beziehung zwischen Beethoven und Josephine und dem Schaffen an der Oper Leonore erkennt Tellenbach ein

biografisches und historisches Band.

Die große Arie der Leonore ist Ausdruck seiner eigenen Seele:

Komm, Hoffnung, laß den letzten Stern der Müden nicht erbleichen! Komm, o komm, erhell ihr Ziel, sei’s noch so fern, die Liebe, die Liebe wird’s erreichen.

Und in einem seiner Briefe an Josephine schreibt er – auch in Anbetracht seiner Schwerhörigkeit:

Ein Ereigniß machte mich lange Zeit an aller Glückseeligkeit des Lebens hienieden zweiflen – nun ist es nicht halb mehr so arg, ich habe ihr Herz gewonnen, o ich weiß es gewiß, welchen Werth ich drauf zu legen habe, meine Thätigkeit wird sich wieder Vermehren, und – hier verspreche ich es ihnen hoch und theuer, in kurzer Zeit werde ich meiner und ihrer Würdiger da stehn …

Auch er selbst hofft, durch die Liebe seiner Leonore, Josephine nämlich, wie Florestan aus dem Kerker – seiner Einsamkeit – befreit zu werden.

Sein Schaffen nimmt mächtigen Aufschwung,

es entstehen neben der Oper die glanzvollen, herrlichen Werke wie die Waldstein-Sonate, die heitere F-Dur Sonate op. 54, die Appassionata, die 4. Symphonie, das Klavierkonzert Nr. 4, die Rasumowsky-Quartette, das Violinkonzert!

Durch den biographischen Hintergrund wird die Ungebrochenheit als Merkmal dieser Stilperiode erklärlich,

schreibt Tellenbach.

Nur dadurch, daß Josephine Witwe wurde und Beethovens Liebe erwiderte, konnte sie ihre ganz einzigartige Stellung in seinem Leben einnehmen,

fährt Tellenbach fort. Und sie führt Fürst Lichnowsky an, den Freund und Förderer Beethovens, der

Carl, Fürst Lichnowsky (1756-1814). Unsigniertes Ölbild. Grätz bei Troppau (Landon)

Carl, Fürst Lichnowsky (1756-1814). Unsigniertes Ölbild. Grätz bei Troppau (Landon)

einst Charakterzüge an Josephine wahrnahm, die sie ihm als die geeignete Gefährtin eines Beethoven erscheinen ließen.

In einem seiner 13 gefundenen Briefe an Josephine bringt Beethoven seine Hoffnung zum Ausdruck:

Lange – Lange – Dauer – möge unsrer Liebe werden – sie ist so edel – so sehr auf wechselseitige Achtung und Freundschaft gegründet – selbst die große Ähnlichkeit in so manchen sachen, im Denken und empfinden – o sie laßen mich hoffen, daß ihr Herz lange – für mich schlagen werde – das meinige kann nur – aufhören – für sie zu schlagen – wenn – es gar nicht mehr schlägt – geliebte J….

Beethoven schrieb das Andante favori WoO 57,

zu dem Tellenbach berichtet:

Er hatte das Andante … bekanntlich als 2. Satz der Waldstein-Sonate komponiert. Dann aber löste er es aus dem Zusammenhang und schickte es Josephine mit den Worten “hier – Ihr – Ihr – Andante”.

Was ihm dieses Andante favori bedeutete, geht nicht nur aus dem Wort favori hervor, sondern auch aus seiner Reaktion auf einen Scherz damit:

Ferdinand Ries (1784-1838). Unsigniertes Ölbild. Beethovenhaus Bonn

Ferdinand Ries (1784-1838). Unsigniertes Ölbild. Beethovenhaus Bonn

Beethovens Schüler Ferdinand Ries

hatte es nach bloßem Hören dem Fürsten Lichnowsky beigebracht. Dieser nun machte sich besagten Scherz, indem er Beethoven sagte, er habe etwas komponiert, was nicht schlecht sei, und begann, ihm das von Ries aus dem Gedächtnis aufgeschriebene Andante favori vorzuspielen. Ries berichtet:

Beethoven wurde hierüber sehr aufgebracht, und diese Veranlassung war schuld, daß ich Beethoven nie mehr spielen hörte. Denn er wollte nie mehr in meiner Gegenwart spielen und begehrte mehrmals, daß ich bei seinem Spiel das Zimmer verlassen sollte.

Das Heiligtum seiner Seele war angetastet worden.

Im Gegensatz zu den meisten Werken Beethovens ist das Andante favori niemandem gewidmet, wie alle Werke Beethovens keine Widmung aufweisen, für die man eine enge Verknüpftheit mit dem gemeinsamen Schicksal der beiden nachweisen kann.

Die Widmungen der Werke an hochgestellte und reiche Persönlichkeiten verschaffte Förderung der Werke und war lebenswichtig für einen Komponisten. Ein Werk niemandem zu widmen, mußte Gründe haben. Werke ohne ausdrückliche Widmung können als in Wirklichkeit Josephine gewidmet angesehen werden, deren Namen es zu verschweigen galt.

Schon

1807 wendete sich das Schicksal der beiden ins Tragische.

Beethoven und Josephine sahen sich genötigt, sich voneinander zu trennen. Was war der Grund zur Trennung? Das zu verstehen, fällt uns Heutigen schwer: Josephine wurde von ihrer Familie gedrängt, als Angehörige des Adels ihre Verbindung mit dem Musiker aus bürgerlichem Stande aufzugeben!

Im selben Jahr 1807 komponierte Beethoven die Coriolan-Ouverture. Beim Hören dieser Musik könnte man darüber nachsinnen, ob man eine solche Musik schaffen kann, ohne selbst im eigenen Leben tiefstes Leid zu durchleben. Coriolan endet bekanntlich im Selbstmord.

Mein Herz haben Sie schon längst, lieber Beethoven,

hatte Josephine 1805 geschrieben und zugleich um Verschwiegenheit gebeten,

den größten Beweis meiner Liebe – meiner Achtung empfangen Sie durch dieß Geständnis, durch das Vertrauen!

Beethoven hat es nie gebrochen, er hat geschwiegen, obwohl sein gewaltiges Leid des Verzichts dadurch noch vergrößert wurde. Josephine selbst war in ihrem Standesbewußtsein befangen und damit ganz ihrer Zeit verhaftet. Sie wünschte, daß ihre Kinder als Aristokraten aufwuchsen und erzogen wurden.

Ich müßte heilige Bande verletzen, gäbe ich Ihrem Verlangen Gehör – glauben Sie – daß ich, durch Erfüllung meiner Pflichten, am meisten leide – und daß gewiß edle Beweggründe meine Handlungen leiteten,

schrieb sie ihm. Zwar hatte die Französische Revolution stattgefunden, die Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und damit die Abschaffung des Adelsstandes erstrebte, aber sie hatte diese Ziele nicht erreicht. Bedenken wir:

Der junge Mozart hatte bei Hofe noch mit der Dienerschaft zusammen essen müssen. Die Bresche, die Beethoven durch seine Persönlichkeit für die Späteren schlug, genügte tragischerweise noch nicht, ihm selbst die Ehe im höheren Adel zu ermöglichen (Tellenbach).

Erzherzog Rudolf von Habsburg (1788-1831). Ölbild von Johann Baptist Lampi d. Ä., 1805. Kremsier (Landon)

Erzherzog Rudolf von Habsburg (1788-1831). Ölbild von Johann Baptist Lampi d. Ä., 1805. Kremsier (Landon)

Franz Joseph Max, Fürst von Lobkowitz (1772-1816), Unsigniertes Ölbild, Kopie nach einem Gemälde von A. F. Oelenhainz. (Landon)

Franz Joseph Max, Fürst von Lobkowitz (1772-1816), Unsigniertes Ölbild, Kopie nach einem Gemälde von A. F. Oelenhainz. (Landon)

Wir wollen aber andererseits nicht verschweigen, daß es böhmische Adlige waren, die Fürsten Lobkowitz und Lichnowski, die gemeinsam mit dem Erzherzog Rudolf von Habsburg

Beethoven durch die Gewährung eines “lebenslangen Gehalts” einen finanziellen Freiraum verschafften, den vor ihm kein Künstler in dieser großzügigen und vorbehaltlosen Art erhielt. (Tellenbach)

1809, als Beethoven erwog, nach England zu gehen, unterzeichneten die drei einen entsprechenden Vertrag, Beethoven erhielt von ihnen jährlich 4000 Gulden, was sie auch in der Zeit des Staatsbankrotts des kaiserlichen Österreich 1811 durchhielten, und Beethoven blieb in Wien.

Beethoven ließ sich aber nicht kaufen. Nicht nur, daß er seine Gönner immer mal wieder wenig schmeichelhaft kennzeichnete wie „Lobkowitz’scher Esel“ oder „Seine Durchlaucht, die zwar meistens mit dem Verstande abwesend“, sondern nach einer beleidigenden Behandlung durch den Fürsten Lichnowsky schleuderte er diesem sogar stolz die Worte entgegen:

Fürst! Was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt. Was ich bin, bin ich durch mich. Fürsten hat es und wird es noch Tausende geben. Beethoven gibt’s nur einen.

Josephine von Brunswick?  (Dieses Medaillon wurde nach Beethovens Tod bei den Briefen an die Unsterbliche Geliebte in einer der Schubladen seines Schreibtisches gefunden)

Josephine von Brunswick? (Dieses Medaillon wurde nach Beethovens Tod bei den Briefen an die Unsterbliche Geliebte in einer der Schubladen seines Schreibtisches gefunden). Sammlung Bodmer. Beethovenhaus Bonn

Beethovens Schreibtisch

Beethovens Schreibtisch

Aber diese republikanische Gesinnung fand im Adel zu Beethovens Zeit noch keine Gegenliebe.

Jede Leidenschaft muß schweigen,

notiert Josephine in ihrem Tagebuch 1810,

jede Schwäche ausgerottet werden. Sie müssen alle in Ketten zu unseren Füßen liegen und schweigen … Gänzliche Verzichtleistung seiner Selbstheit … strenge Urtheile über sich selbst ohne Nachsicht.

Hier eifert sie der von ihr verehrten Römerin Arria nach, die sich durch Seelengröße und Standhaftigkeit auszeichnete. Aus Liebe zu ihrem zum Tode verurteilten Gatten erstach sie sich selbst mit dem Dolch. Josephine versuchte ihr Selbst zu erdolchen um der aristokratischen Erziehung ihrer Kinder willen.

Ich liebe Sie unaussprechlich – wie ein frommer Geist den andern – Sind Sie dieses Bündnisses nicht fähig? Anderer Liebe bin ich nicht für jetzo nicht empfänglich,

schreibt sie Beethoven und an anderer Stelle:

Meine ohnedieß für Sie enthousiastische Seele, noch ehe ich Sie persönlich kannte – erhielt durch Ihre Zuneigung Nahrung. Ein Gefühl, das tief in meiner Seele liegt und keines Ausdrucks fähig ist, machte mich Sie lieben; … die Güte ihres Charakters, ihre Zuneigung vermehrte es – dieser Vorzug, den Sie mir gewährten, das Vergnügen Ihres Umgangs, hätte der schönste Schmuck meines Lebens seyn können …

Josephine wünschte die sogenannte platonische Liebe zu Beethoven.

Ein unerträglich unklarer Zustand entwickelte sich.

Liebe J. da ich beinahe fürchten muß, daß sie sich von mir gar nicht mehr finden laßen – und ich mich den Abweisungen ihres Bedienten nicht mehr unterziehen mag – so kann ich wohl nicht anders mehr zu ihnen kommen – als Wenn sie mir hierüber ihre Mejnung offenbaren – ist es wircklich an dem – daß sie mich nicht mehr sehen wollen – so – gebrauchen sie Offenherzigkeit – ich Verdiene sie gewiß um Sie – als ich mich von ihnen entfernte, glaubte ich, dieses zu müßen, da es mir vorkam, als wünschten Sie dieses – obschon ich nicht wenig gelitten hierdurch –, so bemeisterte ich mich meiner doch – doch kamm es mir später wieder vor als – irrte ich mich in ihnen …,

schreibt Beethoven ihr. Diese Qualen konnte er nur dadurch mildern, daß er Josephine gar nicht mehr sah.

Wie wehe tut mir’s, sie nicht sehen zu können – doch besser ist’s für ihre, für meine Ruhe, sie nicht zu sehen.

Er schreibt die Cello-Sonate op. 69. Wer die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach kennt, kann das Motiv der Arie „Es ist vollbracht“ heraushören. Beethoven hat zur Widmung der Cello-Sonate vermerkt:

Inter Lacrimas et Luctum,

zu Deutsch:

Unter Tränen und Trauer,

und auch das Andante-favori-Motiv – hier schmerzverzerrt – ist herauszuhören.

Doch hoffe ich noch,

hatte Beethoven Josephine noch mitgeteilt. Sie aber brachte

das fürchterlichste Opfer ihres Lebens

für ihre Kinder: Sie heiratete 1810 einen Schüler des von ihr hochverehrten Pädagogen Pestalozzi, den baltischen Freiherrn Christoph von Stackelberg, den sie als Erzieher ihrer Kinder ausersehen hatte, der diese Aufgabe aber nur als Ehemann Josephines übernehmen wollte.

Die Ehe war von Anfang an unglücklich, der großsprecherische, pedantische, erpresserische Stackelberg entpuppte sich als zur Erziehung der Kinder völlig ungeeignet, legte Josephines Denken und Handeln nach seinen Maßstäben aus, brachte ihr Vermögen an sich und machte sich aus dem Staube, nachdem dieser elenden Ehe 2 Töchter entsprungen waren.

Wir waren immer Träumerinnen,

erinnert sich Therese später,

… im psychischen im außerweltlich Höheren lebend – wie könt es uns auf dieser, in dieser Welt, die wir nicht geachtet, gut gehen? Geldverhältnisse? Das Ideale riß uns hin, wir folgten gerne – wir glaubten, hofften, liebten! …

Josephine büßte ihre Fehlwahl mit völliger Verarmung.

Mit der Heirat seiner Geliebten 1810

beginnt eine neue (Schaffensperiode Beethovens), welche mit der vorhergehenden verglichen, eine auffallende Abnahme der Produktivität des Komponisten zeigt,

stellt der amerikanische Beethoven-Forscher Thayer fest.

Es war mit dem Manne eine Veränderung vorgegangen, zu groß und zu plötzlich, um dem gewöhnlichen Einflusse der vorgerückten Jahre zugeschrieben werden zu können … Die plötzliche Unterbrechung seines Triumphzuges als Komponist …

wundert sich Thayer. Im 3. Satzes des Streichquartetts op. 95 f-Moll, hören wir wieder das Motiv aus dem Andante favori, das in F-Dur gesetzt ist. Was ist daraus geworden im Allegro assai vivace ma serioso, f-Moll statt F-Dur und „serioso“!

Doch was geschah 2 Jahre später mit Beethoven 1812?

Er komponierte die heitere, freudig-erregte 8. Symphonie und die Violin-Sonate op. 96, die im 1. Satz ein kleines Gespräch wiederzugeben scheint und in den weiteren Sätzen große Ruhe verströmt:

Unverhofft sehen sich Josephine und Beethoven im Juli 1812 in Prag wieder. Beide wollen von dort weiter in die böhmischen Badeorte, Beethoven nach Teplitz, Josephine nach Karlsbad, wahrscheinlich dann weiter nach Franzensbad, wo sie zwar in keiner Gästeliste erscheint – Adlige waren damals nicht gezwungen, sich einzutragen -, wo aber der Name ihrer Familie aus Vorjahren mehrmals in Gästelisten des aufstrebenden Badeortes zu finden ist. Aus  Teplitz, wo die berühmte Begegnung Beethovens mit Goethe stattfand, schreibt Goethe:

Es ist Herr v. Beethoven für einige Tage von hier nach Karlsbad gegangen.

Beethoven blieb aber nicht nur einige Tage, sondern 1 ½ Monate fort und ist in einer Gästeliste in Franzensbad für 1 Monat eingetragen. Auch ein Brief von ihm an den Verlag Breitkopf und Härtel vom 9. August 1812 ist aus Franzensbad abgesendet. So läßt sich der 3teilige große Brief Beethovens vom 6. und 7. Juli an seine „unsterbliche Geliebte“ sehr gut in das Jahr 1812 einordnen.

Josephines Ehe mit Stackelberg ist zerrüttet, Stackelberg befindet sich seit Monaten in seiner Heimat Estland. Und

9 Monate später,

am 8. April 1813 bringt Josephine ein kleines Mädchen zur Welt. Sie hatte es schon 2 Monate nach der Empfängnis ihrer Schwester Therese überantwortet. Therese von Brunswick

Therese Gräfin von Brunswick (1775-1861). Ölbild von Johann Baptist Lampi d. Ä. Beethovenhaus Bonn

Therese Gräfin von Brunswick (1775-1861). Ölbild von Johann Baptist Lampi d. Ä. Beethovenhaus Bonn

schreibt:

Josephines Kind will ich nicht als das meinige ansehn, sondern es für seine Eltern mit der größten Verleugnung und wie es Pflicht ist, erziehen…

Und über die Geburt der Kleinen berichtet sie:

Nach Angabe der vorsichtigen und mutigen Mutter löste ich es, zog es an. Von dem Augenblick gehörte das liebliche Engelchen mein, und anderthalb Jahre kannte es Niemanden außer mich. Wir mietheten eine Ziege, welche mit Tagesanbruch in mein Zimmer gebracht wurde, wo das Kindchen an meiner Seite schlief; es wurde bedient und genährt durch mich … Den achten Tag war die Taufe im Zimmer der Mutter, und der Dominikaner-Mönch hatte Mühe, die Namen herzusagen, die wir in unserer Zärtlichkeit ihm beilegten: Maria, Theresia, Selma, Arria, Cornelia, Minona. Ich war Taufmutter, und das Kind wurde mir förmlich geschenkt.

Die Namen hatten beziehungsreiche Bedeutungen: Der Rufname Minona rückwärts gelesen ergibt Anonim.

Die Tochter des größten lebenden Musikers sollte in Anonymität aufwachsen,

bemerkt Tellenbach dazu. Der Name kommt aber auch in Goethes Werther vor. Dort ist die Rede von Minona als Tochter eines keltischen Sängers, und es heißt dort:

Alpin, lieblicher Sänger! und die sanftklagende Minona! – Wie verändert seid ihr, meine Freunde, seit den festlichen Tagen auf Selma, da wir buhlten um die Ehre des Gesanges …

Mit dem Namen Selma weist Josephine ausdrücklich auf diese Textstelle hin. Damals sprach man in gebildeten Kreisen gern in antiken Bildern, um eigene Lebensverhältnisse verschlüsselt darzustellen.

Cornelia, die ideale Mutter der Antike, war Josephines Vorbild, als sie um ihrer Kinder willen auf eigenes Lebensglück verzichtete.

Die Namen der „Taufmutter“ Therese waren in Wirklichkeit Maria Theresia. Auch diese Namen sollte die Kleine erhalten.

Der starken Römerin Arria, die sich selbst erdolchte, strebte Josephine nach, als sie versuchte, sich selbst und ihr Sehnen zu verleugnen und auf die Gemeinschaft mit dem Geliebten zu verzichten, womit sie sich und ihn ins Unglück und in unendliches Leid stürzte.

Aus der Sicht der kurzen glücklichen Zeit in Böhmen ist die Klavier-Sonate op. 90 zu verstehen, deren erster Satz überschrieben ist:

Nicht zu geschwind und sehr singbar vorgetragen!

In seinem Exemplar der Odyssee von Homer hat Beethoven die Worte Telemachs angestrichen:

Meine Mutter, die sagt es, er sei mein Vater; ich selber weiß es nicht, denn von selbst weiß niemand, wer ihn gezeugt.

Nun nach der Geburt Minonas, dem Zeugnis ihres außerehelichen Verhältnisses, galt es erst recht zu schweigen. Nach damaliger Sitte hätte Stackelberg Beethoven zum Duell herausfordern müssen. Beide Männer wären gesellschaftlich erledigt gewesen, wäre der „Sündenfall“ ans Tageslicht gekommen. Stackelberg reiste nach kurzem Aufenthalt in Wien wieder ab.

Beethoven 1814. Gerollter Punktierstich von Blasius Höfel, nach einer Bleistiftzeichnung von Louis Letronne. Gesellschaft der Musikfreunde Wien. (Landon)

Beethoven 1814. Gerollter Punktierstich von Blasius Höfel, nach einer Bleistiftzeichnung von Louis Letronne. Gesellschaft der Musikfreunde Wien. (Landon)

Zeitgenossen fiel in jenem Jahr 1813 Beethovens heruntergekommener äußerer Zustand auf. Er, der stets gut Gekleidete, wurde in abgerissenem Zeug angetroffen und lieh beträchtliche Geldsummen, obwohl er über gute Einkünfte verfügte.

Thayer hat einmal Ein- und Ausgaben des Jahres 1813 gegeneinander aufgerechnet. Ihm bleibt schleierhaft, wozu Beethoven das viele Geld brauchte. Der Gedanke, daß er Josephine bis zum Äußersten seiner Möglichkeiten beigesprungen ist, konnte Thayer zu seiner Zeit noch nicht kommen, ihm fehlten noch manche erst später entdeckten Papiere. Doch liegt der Gedanke nahe:

Beethoven erkundigt sich nämlich am Tage der Geburt seiner Tochter auch nach den Möglichkeiten, in Graz eine Akademie zu geben, um zu Geldmitteln zu kommen,

… denn leider wird Wien nicht mehr mein Aufenthalt sein können; vielleicht ist es jetzt schon zu spät,

schreibt er. In einem anderen Brief heißt es:

… nicht wissen kann ich, ob ich nicht bald als Landesflüchtiger von hier fort muß …

Zu damaliger Zeit machte sich der Vater eines außerehelichen Kindes strafbar.

Im Mai 1814 kehrte Stackelberg zurück,

um Josephine mit ihren Kindern nach Estland zu holen. Da sie sich weigerte mitzukommen, wendete er sich an die Polizei. Diese erschien prompt mit 6 Mann,

Josephine Gräfin Deam von Stritez, geb. Gräfin Brunswick. Unsignierte Miniatur. (Landon)

Josephine Gräfin Deym von Stritez, geb. Gräfin Brunswick. Unsignierte Miniatur. (Landon)

und die lieben Kleinen wurden ohne Abschied, der Reisewagen vor dem Thor, mit ihrer Gouvernante, die Josephine ihnen gegeben hatte uns entführt!!

berichtet Therese. Neben seinen eigenen beiden kleinen Töchtern nahm er auch Minona mit.

Beethoven dagegen hatte Weltruhm erlangt.

Während des Wiener Kongresses wird seine Oper Fidelio aufgeführt,

und bei der Akademie im großen Redoutensaal … waren die Kaiserinnen von Österreich und Rußland, der König von Preußen und andere “höchste Herrschaften” anwesend.

In den Gemächern des Erzherzogs Rudolph und in dem großartigen Palais des Grafen Rasumowsky machten die Fürsten Europas “ihm die Cour”. Gerade während Josephine diffamiert in Elend und Verborgenheit lebte, wurde Beethoven ein Grad öffentlicher Hochschätzung zuteil, der ihm wohl erlaubt hätte, eine Brunswick zu heiraten. Welche Ironie! (Tellenbach)

Von Fluchtplänen ist seit dem Sommer 1813 zwar keine Rede mehr, aber Beethoven wechselte seine Wohnungen in einer Häufigkeit, die es schwer werden ließ, ihn aufzufinden. An Franz von Brunswick schreibt er:

Was mich angeht, ja du lieber Himmel, mein Reich ist in der Luft, wie der Wind oft, so wirbeln die Töne, so oft wirbelts auch in der Seele …

Beethoven zwischen 1814 und 1816. Undatierte Bleistiftzeichnung von Gustav Adolph Hippius. Sammlung Bodmer, Beethovenhaus Bonn

Beethoven zwischen 1814 und 1816. Bleistiftzeichnung von Gustav Adolph Hippius. Sammlung Bodmer, Beethovenhaus Bonn

Und in sein Tagebuch schreibt er:

Ergebenheit, innigste Ergebenheit in dein Schicksal! Nur diese kann dir die Opfer zu dem Dienstgeschäft geben. O harter Kampf! … Du darfst nicht Mensch sein, für dich nicht, nur für andere: für dich gibt’s kein Glück mehr als, in dir selbst, in deiner Kunst. O Gott! gib mir die Kraft, mich zu besiegen! Mich darf ja nichts an das Leben fesseln. Auf diese Art mit A/J geht alles zugrunde.

Dennoch war Beethovens Hoffnung noch nicht ganz gesunken. Er schreibt seine Lieder An die Hoffnung und An die ferne Geliebte, in denen wir das Andante-favori-Motiv wiederfinden.

Bis zum Sommer 1816 müssen Josephine und Beethoven einander in Baden bei Wien und in Döbling noch getroffen haben, das läßt sich aus einigen Quellen erschließen.

Ein großes Glück für die Nachwelt stellt das

Tagebuch der Fanny Giannatasio

dar. Sie war die Tochter des Leiters eines Erziehungsinstituts in Wien, in dem Beethovens Neffe aufgenommen wurde, dessen Fürsorge Beethoven übernommen hatte. Fanny – Beethoven in nichterwiderter Liebe zugetan – gibt in ihrem Tagebuch Aussagen Beethovens und ihre Eindrücke von seinem Befinden wieder. So lesen wir aus dem Jahr 1816, was sie bei einem Gespräch Beethovens mit ihrem Vater mitgehört hatte:

Ich erfuhr, … er liebe unglücklich! … er (hatte) eine Person kennengelernt, mit welcher sich näher zu verbinden er für das höchste Glück seines Lebens gehalten hätte. Es sei nicht daran zu denken, fast eine Unmöglichkeit, eine Chimäre.

Wörtlich gibt sie Beethovens weitere Äußerung wieder:

Dennoch ist es jetzt wie am ersten Tag. Ich hab’s noch nicht aus dem Gemüth bringen können.

Sehr wahrscheinlich ist, daß er auf jeden Fall den

Sommer 1816 in Baden bei Wien mit Josephine

verbracht hat. Auch seine äußere Erscheinung wird nun wieder von einem Zeitgenossen hervorgehoben:

Beethoven war nicht wie Jean Paul in Lumpen gehüllt, sondern ganz in Gala…

Doch nach diesem Sommer scheint die Trennung endgültig gewesen zu sein. Beethoven hat in seinem Exemplar von Goethes Westöstlichem Divan die Verse angestrichen:

Beethoven 1815. Ölbild von Joseph Willibrord Mähler (Landon)

Beethoven 1815. Ölbild von Joseph Willibrord Mähler (Landon)

Wenig Blätter Freuden,
Ganze Hefte Leiden;
Einen Abschnitt macht die Trennung,
Wiedersehn! ein klein Kapitel,
Fragmentarisch. Bände Kummers,
Mit Erklärungen verlängert,
Endlos, ohne Maß …

Beethoven notiert ein Zitat des Plinius, allerdings in seinem Sinne etwas abgewandelt: „Vidi malum et accepi.“ Zu Deutsch: Ich habe das Unglück begriffen und auf mich genommen. Übereinstimmend sprechen Zeitgenossen vom Ausdruck unendlicher Trauer in Beethovens Augen.

Lisch aus

ist das Lied, das dem entspricht. Josephine geht an ihrer Schwermut zugrunde.

Der Körper nämlich ist nur mitleidend,

schreibt sie ihrem Arzt.

Die Seele leidet unerträglichen Schmerz…

Bis zu ihrem Lebensende entwirft sie tiefgründige Briefe an Beethoven, in denen wir erkennen können, daß sie Kants Kritik der reinen Vernunft gelesen hat. Ob Beethoven die Briefe je erhalten hat, wissen wir nicht. Therese schreibt in ihr Tagebuch:

Ob Josephine nicht Straffe leidet wegen Luigis Weh! Seine Gattin – was hätte sie nicht aus dem Heros gemacht!

Am 31. März 1821 stirbt Josephine im Alter von 42 Jahren. Sie wird auf dem Währinger Friedhof begraben.

Kein Gedenkstein bezeichnet ihr Grab, keine Inschrift sollte der Nachwelt auch nur schlichte und knappe Kunde von ihrer Existenz überliefern,

schreibt Tellenbach. Denn auch ihre Familie hatte sich von Josephine abgewandt. Hören Sie das Adagio ma non troppo aus der Klavier-Sonate – ohne Widmung! – op.110, komponiert in Josephines Todesjahr 1821!

Beethoven 1818. Bleistiftzeichnung v. Carl Friedrich August von Kloeber. Sammlung Bodmer. Beethovenhaus Bonn.

Beethoven 1818. Bleistiftzeichnung v. Carl Friedrich August von Kloeber. Sammlung Bodmer. Beethovenhaus Bonn.

Beethovens letzte, die 3. Schaffensperiode nimmt ihren Anfang 1818, nachdem er seine schwere Krise nach der endgültigen Trennung von Josephine überwunden hat und seine Schwerhörigkeit in völlige Ertaubung übergegangen ist.

Beethoven schreibt die Missa solemnis, die 9. Symphonie mit Schillers Ode an die Freude, die großen Klavier-Sonaten op. 106, genannt Hammerklavier, op.109, 110, 111 und die großen späten Streichquartette.

Genau 6 Jahre nach Josephine, am 26. März 1827, stirbt Beethoven 56jährig,

und Breuning und Schindler wählen für seine Grabstätte den Platz auf dem Währinger Friedhof,

wo er stets gern weilte,

wie Breuning sagte, nämlich an Josephines Grab.

Therese hatte Josephines Söhne beauftragt, die Papiere ihrer Mutter in einer

schönen Kiste oder Chatouille (zu verwahren.) Es sind Schätze für die Zukunft, der Menschheit angehörig,

schrieb sie ihnen. Unter diesen Schätzen befanden sich die erwähnten 13 Briefe Beethovens an Josephine, die 1957, also 150 Jahre nach ihrem Entstehen, erstmalig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.

Aber erst Marie-Elisabeth Tellenbach, hochgebildet und gewissenhaft, dabei empfindsam für die Gemütstiefe und Seelengröße Beethovens, konnte das Lebensbild dieses hervorragenden Menschen und Genies ins rechte Licht rücken.

Beethoven 1824. Kreidezeichnung von Stephan Decker. Historisches Museum der Stadt Wien (Landon)

Beethoven 1824. Kreidezeichnung von Stephan Decker. Historisches Museum der Stadt Wien (Landon)

Therese von Brunswick schreibt rückblickend:

Beethoven! ist doch wie ein Traum, daß er der Freund, der Vertraute unseres Hauses war – ein herrlicher Geist! warum nahm ihn meine Schwester Josephine nicht zu ihrem Gemahl … Josephines Herzensfreund! Sie waren für einander geboren …