Beethoven: „Ich habe nie daran geglaubt“
Vox populi – vox dei -?-
Die „vox populi“, die Stimme des Volkes, galt im Wien der Beethoven-Zeit nicht der hohen Kunst, namentlich nicht der Beethovens. Sie war alles andere als die Stimme des Göttlichen, die „vox dei“, nein, die Wiener in ihrer Masse liefen Rossini nach, der italienischen Leichtlebigkeit. Beethoven schien über dem Rossini-Fieber fast vergessen.
Nur wenige Freunde waren um Beethoven, den Mann voller Güte, Klarheit und Wahrhaftigkeit, der eine Musik schrieb, wie sie ihm in der Gottgeeintheit inmitten der freien Natur zuströmte. Nie war sie für irgendeinen Publikumsgeschmack gemacht.
Durch das Urteil der Gegenwart lasse er sich nicht beirren, sagte er dem jungen Breuning. Und Ferdinand Hiller berichtet von seinem Besuch Beethovens, der schon auf dem Sterbebett lag:
… als ich von dem ausschließenden Interesse sprach, welches damals die italienische Oper in Wien in Anspruch nahm, brach er in die denkwürdigen Worte aus: „Man sagt: vox populi, vox dei – ich habe nie daran geglaubt.“
Menschen wie er sind zu allen Zeiten einsam.
Denken wir an die heutige Massenbeeinflussung durch die Medien. Nur wenige Menschen sind bereit, ihr Denkvermögen zu aktivieren, die Ungereimt-heiten des Plandemie-Irrsinns zu erkennen oder gar nach den Hintergründen zu fragen. Versuchen, sie aufzuklären, widersetzen sie sich beinahe feindselig.
Denken wir an die Beschallung mit minderwertigster „Musik“, die mit ihrem niederen Gejaule und gedankentötenden Beat nicht den Namen Musik verdient, die sich überall aufdrängt – in Kaufhäusern, in Autos, bei der Handwerksarbeit, bei geselligen Veranstaltungen, ja bei „Events“ mit zigtausend „Fans“ – und nicht nur das Alltagsleben verpestet, sondern selbst die freie Natur, wo Gruppen von jungen Leuten sich einen möglichen Gedanken-austausch von ihr ersetzen lassen. Und das geht weltweit ohne Unterschied der Rassen und Völker.
Echte Kultur bleibt auf der Strecke. Wir erleben die Weltherrschaft des Minderwertigen.
Wie wohltuend ist es da, sich einmal der Erzählung des Tenorsängers Ludwig Cramolini zuzuwenden, der Beethoven auf seinem letzten Lager antraf, als er nach Jahren – zuletzt war er als „kleiner Louis“ mit seiner Mutter bei Beethoven gewesen – jetzt einmal wieder zu ihm kam. Auf seine Anmeldung war Beethoven bereit, ihn und seine Verlobte, die ausgezeichnete Fidelio-Sängerin Nanette Schechner, zu empfangen.
… wir müßten aber verzeihen, wenn er uns im Bette liegend empfange. Auch sollten wir Noten mitbringen, er wollte uns hören – wenigstens uns singen sehen.
Wir fuhren also an jenem Dezembertag nachmittags zu ihm hinaus. Als wir eintraten, lag der arme Mann auf seinem Krankenlager an der Wassersucht schwer danieder. Mit strahlenden, weitgeöffneten Augen sah er mich an, dann reichte er mir lächelnd seine Linke und sagte: „Das ist also der kleine Louis und jetzt sogar Bräutigam?“ Darauf nickte er gegen Nanny und sagte: „Ein schönes Pärchen und, wie ich höre und las, ein Paar tüchtige Künstler! Nun, wie geht es Ihrer lieben Mutter?“
Er reichte uns Papier und Bleistift, und wir führten die darauffolgende Konversation schriftlich, während er manchmal ziemlich unverständlich sprach. Darauf ersuchte er uns, ihm etwas zu singen. Schindler setzte sich an einen der beiden Flügel, die nebeneinander mitten im Zimmer standen, und wir stellten uns Beethoven vis-à-vis.
Ich schrieb ihm „Adelaide“, durch die ich eigentlich bei der Sängerwelt bekannt wurde, singen. Beethoven nickte freundlich. Als ich aber zu singen anfangen wollte, war mir vor Angst der Gaumen und Hals so trocken geworden, daß es mir unmöglich ward zu singen.
Ich bat Schindler, einige Momente zu warten, bis ich gesammelt sei. Beethoven fragte, was vorging, warum ich nicht sänge, und lachte laut auf, als ihm Schindler schrieb, was Ursache sei. Dann sagte er: „Singen Sie nur, lieber Louis! Ich höre ja leider nichts, ich will Sie nur singen sehen.“ Endlich faßte ich Mut und sang mit wahrer Begeisterung das Lied aller Lieder, Beethovens göttliche „Adelaide“.
Als ich fertig war, winkte mich Beethoven zu sich ans Bett und sagte, mir die Hand freundlich drückend: „Aus Ihrem Atemholen habe ich gesehen, daß Sie richtig singen, und in Ihren Blicken habe ich gelesen, daß Sie, was Sie singen, empfinden. Sie haben mir ein großes Vergnügen bereitet.“
… Nun sang Nanny die große Arie der Leonore aus „Fidelio“ und mit einer Begeisterung, daß Beethoven wiederholt taktierte und sie mit seinen weitgeöffneten Augen ordentlich verschlang. Nach der Arie hielt Beethoven längere Zeit seine Augen mit der Hand bedeckt, dann sagte er:
„Sicher sind Sie eine Meisterin und im Besitz einer Stimme, die an die Milder erinnern mag, der aber die Tiefe des Gefühls nicht so zu Gebote stand wie Ihnen, die sich deutlich auf Ihrem Gesicht zeigte. Wie schade, daß ich Sie nicht …“, wahrscheinlich wollte er sagen: „hören kann“, aber er brach ab und sagte:
„Ich danke Ihnen, Fräulein, für die schöne Stunde, und mögen Sie beide recht glücklich miteinander werden!“ Nanny war ebenfalls tief gerührt und drückte seine Hand an ihr Herz. Es entstand eine kleine Pause, dann sagte Beethoven: „Ich fühle mich doch recht angegriffen.“
Wir brachen auf, zuvor aber schrieben wir noch unseren Dank nieder mit der Bitte zu verzeihen, daß wir seine Ruhe störten, und den Wunsch, der liebe Gott möge ihm bald seine volle Gesundheit wiedergeben. Da sagte Beethoven lächelnd: „Dann schreibe ich eine Oper für euch beide. Grüßen Sie viele, viele Male Ihren Vater und Ihr liebes Mütterchen, und sollte ich nochmals gesund werden, will ich Schindler beauftragen, Sie zu mir zu bringen. Adieu, mein kleiner Louis, und adieu, mein lieber Fidelio!“ Er drücke uns nochmals die Hand, sah uns wehmütig, aber freundlich an und wendete schließlich seinen Kopf nach der Wand.
Wir gingen, leise auftretend, um ihn nicht zu stören, zur Tür hinaus und fuhren schon nach der Stadt zurück, als Nanny zuerst das Schweigen brach und sagte: „Wir haben den göttlichen Mann wohl zum letzten Male gesehen.“ Den gleichen Gedanken hatte ich auch. Ich gab Nanny meine Hand, und wir weinten bitterlich.