Angela Merkel – visionäre, illusionäre Politik oder Politik als Kunst des Möglichen?

Der Spiegel brachte in seiner Folge 9/2010 ein Gespräch mit dem englischen Philosophen

John Gray,

seines Zeichens Professor für Sozialphilosophie in Oxfort, den USA und an der London School of Economics. Beim Verlag Klett-Cotta sind zwei seiner Werke auf Deutsch erschienen mit den provokanten Titeln: “Politik der Apokalypse – wie die Religion die Welt in die Krise stürzt” und “Von Menschen und anderen Tieren – Abschied vom Humanismus”. Eine seiner Thesen:

Es gibt … keinen Fortschritt in der Geschichte der Menschheit in der Art, wie Hegel und später Marx dies annahmen. Die Geschichte ist nicht die stetige Entfaltung der Vernunft.

Die Richtigkeit dieser These können wir sehr leicht erkennen, wenn wir in der neueren und weiter zurückliegenden Geschichte der Menschheit zurückschauen und das Auf und Ab des Maßes betrachten, in der die Vernunft zur Anwendung kam. Die Menschheit macht nicht grundsätzlich Fortschritte in Richtung Humanismus. Denn jedem neuen Erdenbürger ist die Wahlfreiheit mitgegeben, sein Leben im Sinne eines gedeihlichen Zusammenlebens der Menschen zu gestalten oder nicht.

Darauf hat schon

Arthur Schopenhauer

hingewiesen, und Gray meint:

Die erste und vielleicht noch immer unübertroffene Kritik des Humanismus hat Schopenhauer vorgetragen. Er glaubte nicht an die universelle Emanzipation des Menschen, wie es der Zeitgeist Mitte des 19. Jahrhunderts verhieß

und woran noch

Immanuel Kant

– halbwegs – glaubte, wenn er in seinem Essay “Zum ewigen Frieden” hofft, daß sein Ideal eines freiheitlichen Zusammenlebens der Menschen in einem Zustand öffentlichen Rechtes zwar nur möglich sei

in einer ins Unendliche fortschreitenden Annäherung, (aber dennoch) keine leere Idee, sondern eine Aufgabe (sei), die nach und nach aufgelöst, ihrem Ziele … beständig näher kommt.

Solche Hoffnungen würde Gray wohl der Kategorie “Sirenengesänge” zuweisen. Doch alle Weltverbesserer glauben an sie, und wenn die Fanatiker unter ihnen anfangen, ihre Visionen in die politische Tat umzusetzen, wird es gefährlich, wie die terroristischen Regimes aller religiösen und anderer ideologischen Couleur aller Zeiten und Völker beweisen, die zum Guten und damit zu Paradiesen des Menschheitsglückes führen wollten mit Inquisition, Denunziation, Selbstmord-, Völker- und anderen Morden und immer perfider entwickelter Kriegstechnik, bis zum heutigen Tage.

Altbundeskanzler Helmut Schmidt,

der “Macher”, prägte angesichts der Visionen Willy Brandts 1980 einmal das Wort:

Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.

16 Jahre später vermerkte er in seinem Buch “Weggefährten – Erinnerungen und Reflexionen”:

In den grundlegenden Fragen muß man naiv sein. Und ich bin der Meinung, daß die Probleme der Welt und der Menschheit ohne Idealismus nicht zu lösen sind. Gleichwohl glaube ich, daß man zugleich realistisch und pragmatisch sein sollte.

Hat er da nicht gewissermaßen unsere Bundeskanzlerin beschrieben? Über sie gehen – vor allem im Inland – selbstverständlich die Meinungen auseinander. Bereits im selben Jahr 2005, als

ANGELA MERKEL

Bundeskanzlerin wurde, warf der DSZ-Verlag das reißerische Pamphlet von David Korn (bewußt jüdisch klingender Tarnname?), Wem dient Merkel wirklich? auf den Markt, das Merkel als gewissenlos stromlinienförmig an das jeweilige Polit-System in Deutschland angepaßtes, machtgeiles Subjekt darzustellen versucht – ein zusammengekleistertes Mosaik aus Vermutungen, Fingerzeigen, Unterstellungen, eine Hetzschrift, die auch Merkels hochachtbare Eltern nicht verschont.

Inzwischen sind verschiedene weitere Biographien über Merkel herausgekommen wie beispielsweise die von Evelyn Roll, Die Kanzlerin – Angela Merkels Weg zur Macht. Hier schreibt eine Journalistin, die Merkel auf ihrem Weg begleitete, die sie also – und mit ihr den “permanent überhitzten Politikbetrieb” (taz) – aus der Nähe selbst erlebt hat.

Evelyn Roll gilt z. B. der Welt als “Angela Merkels beste Biographin”, und ihr Buch verdient sicher das hohe Lob, das ihr auch andere Zeitungen aussprechen. Bucvhtitel

Brandneu ist nun bei Droemer herausgekommen “Eine Biographie in Bildern”: Angela Merkel – Das Porträt, herausgegeben von Sebastian Graf von Bassewitz mit vielen wunderbar gelungenen Schnappschüssen der Fotographin Laurence Chaperon. Die Bilder sprechen für sich und geben Antwort auf die Fragen:

  1. Wer ist dieser Mensch?
  2. Was kann eine so geartete Persönlichkeit in der Politik bewirken?
  3. Was macht Politik aus diesem Menschen?

Fragen nach Visionen und Idealen bleiben dagegen weniger beantwortet, z. B.:

  • Ist ihr Einsatz für den Umweltschutz vor dem “Treibhausgas CO2” wirklichen Idealen entsprungen?
  • Welcher Vision verdankt Deutschland Merkels bedingungslosen und bevorzugten Schutz jüdischer Interessen als “Staatsraison”?
  • u.v.a.m.

Viel jüdisches Lob

Kennt sie keine Abneigungen auch für andere von der “Vorsehung” auserwählte Visionäre wie den ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, den Kriegstreiber George W. Bush? Die Bilder, die sie und ihn nebeneinander zeigen, vermitteln den Eindruck innigster Freundschaft.

Mit welcher Philosophie erträgt sie alle, deren ideologischer Hintergrund und deren gelebte “Moral” sie eigentlich abstoßen müßten? Um auf Schopenhauer zurückzukommen: Der hebt in seinem Werk “Parerga Paralipomena”, Band II, den Chauvinismus hervor, der aus Bibelsprüchen hervorgeht, nach denen sich das jüdische Volk

einen Gott hielt, der ihm die Länder seiner Nachbarn schenkte oder verhieß, in deren Besitz es sich dann durch Rauben und Morden setzte, und dann dem Gotte einen Tempel darin baute.

Mag das heutige Israel sich äußerlich ganz und gar säkular gebärden, geleitet scheint es im Geiste von Tora und Talmud. Wie die Moslems verachten diese Gläubigen die “Ungläubigen” und handeln gegen sie rücksichtslos rassistisch

auf Jehova’s ausdrücklichen Spezialbefehl. (Schopenhauer)

Handelt die israelische Politik – besonders augenfällig gegenüber den Palästinsern – nicht getreu dem Wort Raschis, des bis heute berühmtesten Talmud-Gelehrten:

Die ganze Erde ist Gottes Eigenthum, er hat sie erschaffen, und gab sie dem, der ihm gefiel; früher hatte er das Land euch gegeben, es gefiel ihm aber, es euch wieder wegzunehmen, und es uns zu geben.

Wie vereinbart Merkel die von ihr vertretene “Staatsräson” mit den Menschenrechten, deren Einhaltung sie z. B. gegenüber China einfordert? Hat sie ganz schnell begriffen, daß – wie Bismarck sagte – Politik die Kunst des Möglichen ist, d. h. die Staatsfrau zu Kompromissen gezwungen ist, um für ihr eigenes Land soviel Frieden und Sicherheit zu gewährleisten wie möglich? Sie kann sich schließlich ihre Kontrahenten nicht aussuchen. Sie muß die nehmen, die da sind, und das Beste aus allen Gegebenheiten machen, für die sie nicht verantwortlich ist. Daß ihr das gelingt, betont

Henry Kissinger,

der sich im besagten Bildband zugleich zur Geopolitik äußert:

Die internationale Stellung von Deutschland ist komplexer und vielschichtiger als die von jedem anderen europäischen Land. Deutschland hat mehr Nachbarn als alle anderen Staaten. Es ist das stärkste Land in Europa, das sich aber isolieren würde, wenn es diese Stärke selbstherrlich zur Schau stellen würde.

Deutschland muß seine enge Verbundenheit zu Europa mit den Verpflichtungen gegenüber dem Atlantischen Bündnis in Einklang bringen. Es unterhält eine historisch gewachsene Beziehung zu Rußland und hat ein besonderes Interesse an Osteuropa.

Kanzlerin Angela Merkel hat alle diese politischen Strömungen mit außerordentlichem Geschick gelenkt. Ihre herausragenden Eigenschaften sind Weitsicht, stark ausgeprägtes analytisches Denken und eine unaufgeregte Entschlossenheit. Auf diese Weise hat sie Europa gestärkt und die atlantische Einheit wiederhergestellt. Zu allen strategisch wichtigen Mächten unterhält sie effektive Beziehungen, auch zu Rußland.

Über die geräuschvollen Beschwerden der Zentralräte der Muslime, vor allem aber der Juden in Deutschland kann man oftmals nur den Kopf schütteln wie auch über manche Rücksicht Merkels darauf zuungunsten der Deutschen. Wenn aber erreicht ist, daß

Charlotte Knobloch

sich durch Merkel in Deutschland geborgen fühlt und das unumwunden in herzlichen Worten zum Ausdruck bringt, so ist – einerseits – auch viel gewonnen. Im Bildband lesen wir ihr Lob:

Keinen Augenblick habe ich gezögert, als das Bundeskanzleramt in meinem Büro anfragen ließ, ob ich die Kanzlerin auf ihrer Israel-Reise im März 2008 begleiten wolle.

Die Reise mit Angela Merkel war etwas ganz Besonderes für mich. Ihre Ernsthaftigkeit, ihre Solidarität, ihre Empathie und ihre Neugierde, die bei mächtigen Politikern alles andere als selbstverständlich ist, haben mich beeindruckt.

Der politische und emotionale Höhepunkt war der Auftritt der Kanzlerin vor dem israelischen Parlament, der Knesset. Angela Merkel hielt eine beachtliche und berührende Rede, die nicht ohne Grund von den Parlamentariern stehend beklatscht wurde und die auch das israelische Volk bewegte.

Es ist gut zu wissen – für den Staat Israel und seine Menschen, für die jüdischen Bürger Deutschlands, aber auch für die jüdischen Gemeinden überall in der Diaspora -, daß wir einen derart verläßlichen Partner an unserer Seite haben. Das garantiert Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dafür danke ich ihr.

Andererseits fragt man sich, ob sie und ihre Landsleute den Deutschen denn nicht auch einmal etwas zurückgeben und wo sich für eine Bundeskanzlerin die Grenze befindet, jenseits derer sie ihrem Schenken auf Kosten des eigenen Volkes Einhalt gebietet.

Deutscher Altruismus

Die Gesamtschuld am 2. Weltkrieg und an den Kriegsgreueln – in der Nachkriegszeit einseitig Deutschland zugewiesen – sollte nach all den zwischenzeitlich international erbrachten Forschungsergebnissen allmählich auch von der “offiziellen” deutschen Politik differenzierter gesehen werden, als Merkel sie bei Gedenkfeiern verkündet.

Denn allmählich geht es um Sein oder Nichtsein eines deutschen Volkes auf seinem seit Jahrtausenden angestammten Grund und Boden. Schon Friedrich Hebbel sah die Möglichkeit voraus,

daß der Deutsche noch einmal von der Weltbühne verschwindet; denn er hat alle Eigenschaften, sich den Himmel zu erwerben, aber keine einzige, sich auf Erden zu behaupten, und alle Nationen hassen ihn wie die Bösen den Guten. Wenn es ihnen aber wirklich einmal gelingt, ihn zu verdrängen, wird ein Zustand entstehen, in dem sie ihn wieder mit den Nägeln aus dem Grabe kratzen möchten.

Das hört sich vielleicht etwas kraß an und hätte aus nichtdeutschem Mund angenehmer geklungen. Aber ist da nicht auch viel Wahres dran?

Denn erschreckend vieles befindet sich im Nachkriegs-Deutschland bis heute in nicht hinnehmbarer Unordnung. Eine Berserkerarbeit von hoher Brisanz müßte bewältigt werden, zu der “die Zeit” hoffentlich nicht erst dann als “reif” erscheint, wenn das deutsche Volk nicht mehr zu retten ist. Helmut Schmidt wagte eines der Probleme zu benennen:

Die multikulturelle Gesellschaft ist eine Illusion von Intellektuellen. (Die Zeit, Nr. 18/2004, 22. April 2004)

Er sagte aber auch:

“Heutzutage ist das wichtigste zu lernen, wie man andere Völker versteht. Und zwar nicht nur deren Musik, sondern auch ihre Philosophie, ihre Haltung, ihr Verhalten. Nur dann können sich die Nationen untereinander verstehen. (Weggefährten – Erinnerungen und Reflexionen, Siedler-Verlag Berlin 1996, S. 58)

Zu solchem Völkerverstehen gehören genau die Fähigkeiten, die Angela Merkel mitbringt. Mögen sie Schule machen auch bei denen, die gegenüber Deutschland stets nur die Hand aufhalten und Deutschlands polical correctness – zu ihrem Vorteil – scharf im Auge haben. Denn nicht wenigen Deutschen geht es mittlerweile wie Heinrich Heine:

Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.

Dennoch: Hochachtung vor einem solch uneitlen, dem Andern zugewandten, mitfühlenden, hochintelligenten Menschen, der zur Zeit unser ächzendes Staatsschiff – so gut es geht – durch die aufgewühlte See führt: die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel!