Albrecht Dürer: “… denn man schmäht uns Ketzer …”

Die Gründe tun dar, daß Ketzer zu töten sind … endlich ist für die hartnäckigen Ketzer eine Wohltat, wenn sie aus diesem Leben entfernt werden; denn je länger sie leben, um so mehr Irrtümer ersinnen sie, um so mehr Menschen verderben sie und ziehen sich so eine um so größerer Verdammnis zu. (Jesuit Bellarmin, 1542-1621)

Albrecht Dürer

 

Albrecht Dürer, Selbstbildnis (Bild wie alle folgenden Bilder – wenn nicht anders gekennzeichnet –  von KUNSTKOPIE:DE)

der überragende Künstler und Kämpfer für Gei-stesfreiheit wurde vor 550 Jahren am 21. Mai 1471 in Nürnberg geboren. Er starb am 6. April 1528.

Was wir in unserer heutigen Gegenwart an Ent-rechtung und Denkverboten erleben, war in seiner Art auch zur Zeit der Reformation vor 600 Jahren Thema Dürers. Sein Tod gibt Rätsel auf.

Helmut Dettmann

brachte in seiner Abhandlung „Gedanken um Dürers Tod“ in der Zeitschrift „Am heiligen Quell Deutscher Kraft“ Folge 3/1932 bemerkenswerte Hinweise, die Licht in das Dunkel des schon damals heftig am Werk befindlichen „Deep State“ werfen:

Bis hinein in die stillen Kammern der Kunst, bis in die Seele edelsten Deutschen Men-schentums brandeten die Wogen der Refor-mation. Wenig Klarheit herrschte noch, wofür der einzelne kämpfte.

Es war da ein Mann gekommen, Luther, der mit wenigen Worten die Fesseln von einem jahrhundertelang gebundenen Volkstum nahm.

Ungemessene Kräfte wurden plötzlich frei. Aber nach welcher Seite sollte sich das seiner Fesseln entledigte Volk wenden? Überall standen drohend die Wächter der Kurie und die ihr hörigen weltlichen Machthaber.

Von vielen Seiten wurde es gerufen, und wenn es sich dorthin wandte, traf es die Geißel der Züchtigung.

Dürer, Kopf eines Apostels

Dürer, Kopf eines Apostels

Empfindlicher noch hemmten die Fallen der Dunkelmänner, die schließlich die Bleigewichte des Christentums wieder an die Füße des Volks schmiedeten und jede selbständige Regung des Geistes-lebens argwöhnisch überwachten.

Mit Mißtrauen besonders verfolgten sie die Entwicklung geistiger Größen im Deutschen Volk, die durch ihr selbständiges Denken und vorbildliches Handeln ihren Zielen gefährlich werden konnten.

Albrecht Dürer war ein solcher Mensch. Er war von tiefer Liebe zum Deutschen Volke durchdrungen. Für dessen Größe schuf er.

Getragen von der Liebe aller Volkskreise, so zersplittert diese auch sonst waren, in Par-teien und Meinungen gespalten, war er der erste, der den kampfdurchtobten Boden der Reformation verlassen mußte.

 

Dürer, Adam und Eva – Eva reicht Adam den Apfel vom Baum der Erkenntnis, welch eine nie vergehende “Sünde” (gegen Rom)

Unvollendet hinterließ er sein großes kunst-theoretisches Lebenswerk, die „Vier Bücher von menschlicher Proportion“, von dem Wölfflin sagt, daß sie das Losungswort der folgenden Zeit enthalten, indem sie sich „auf den Grundbegriff der natürlichen Vollkom-menheit des Geschöpfes“ stützen.

Dürer selbst, in Vorahnung, daß er nicht ungestraft dafür bleiben wird, setzt seinem Werke die Worte voran:

„Ich weiß wohl, daß die Neidischen ihr Gift nicht bei sich behalten werden, es soll mich aber nichts hindern, denn es haben einst große Männer desgleichen leiden müssen.“

Er wußte, daß auch um ihn sich schon die Wetterwolken zusammengezogen hatten. Die schönen Lobreden täuschten ihn nicht.

 

Dürer, Madonna mit dem Kinde

Damals, als er die feinen Marienbilder herausgab, als er die Altäre der römischen Kirche mit seiner deutschen Phantasie schmückte, war er geliebt und gefördert worden.

 

Dürer, Das Rosenkranzbild

Als aber dann die Reformation kam und auch in seinem Herzen den Funken der Begei-sterung für die größte deutsche Tat seit Armins, des Cheruskerfürsten Sieg über die Römer, zu Flammen entfachte, wurden die Herren merklich kühler.

 

Dürer, Gottesmutter in der altheidnischen Gestalt der großen Schöpfergottheit “Od mit Kleinod” auf der Mondsichel, mit einem Sternenkranz über dem Haupt und als Sonne strahlend

Schließlich, als Dürer in klarer Sicherheit von Folgerung zu Folgerung weiterging, wandte sich auch Wilibald Pirkheimer, sein bester „Freund“, der sich anfangs noch auf die Platt-form reformatorischen Geisteslebens gewagt hatte, von ihm ab.

 

Dürer, Wilibald Pirkheimer

Man hat nachträglich versucht, es so darzu-stellen, als ob Dürer nur gelegentlich mit reformatorischen Forderungen sympathisiert hätte. Als das vor der Wissenschaft nicht mehr standhielt, versuchte man, den nachre-formatorischen Dürer als einen mürrischen alten Kauz hinzustellen, der den Todeskeim schon in sich trug und in greisenhafter An-wandlung in kindlichen Unverstand zurück-verfallen wäre.

Denn das war doch etwas zu deutlich, wenn er Rom in seinem Tagebuch der Niederlän-dischen Reise „der Hölle Pforten“ nennt und den Papst mit bemerkenswerter Klarheit zu den großen „Lügnern in dieser Zeit“ rechnet, und schließlich ausruft, daß das „unschuldige Blut, das der Papst, die Pfaffen und die Mönche vergossen“, nach Rache ruft.

 

Dürer, Bauern auf dem Markt

Wir haben Anzeichen dafür, daß Dürer selbst über Luther hinausging, daß er sich hinge-zogen fühlte zu der Welt des kernfesten Deutschen Bauern, der soeben im Begriffe war, seine Faust gegen die übermütig gewordenen Widersacher zu erheben.

 

Dürer, Bauern

In seiner Werkstatt jedenfalls herrschte ununterbrochen Münzerscher Geist. Seinen drei besten Schülern, Georg Penz, Hans Sebald und Barthel Beham, den „gottlosen Malern“, wurde der Prozeß gemacht, weil sie sich offen zu Münzer bekannten und für ihn warben. In dem Prozeß übertraf einer den anderen an guter Deutscher Haltung.

 

Dürer, Thomas Münzer

Barthel Beham bekannte, „… er könne von der Taufe nichts halten …“

Und Georg Penz, Dürers gelehrigster Schüler, findet den Mut, dem Rate der Stadt Nürnberg offen zu erklären: „… auf die Frage, ob er glaube, daß ein Gott sei: Ja, er empfinde es zum Teil, ob er aber wisse, was er wahrhaft für denselben Gott halten solle, das wisse er nicht. – Was er von Christo halte: Von Christo halte er nichts. – Ob er dem hl. Evangelium und dem in der Schrift verfaßten Worte Gottes glaube? Er könne der Schrift nicht glauben …“*

In protestantischen Geschichtsquellen wird die volle Wahrheit, der logische Schluß aus Dürers Verhalten nicht gewagt auszuspre-chen, und in jesuitisch-katholischen Kreisen weiß man sehr wohl, warum man Schatten über seine letzten Jahre und sein Ende breiten möchte.

Interessant ist, was der Jesuit Janssen im 6. Band der „Geschichte des Deutschen Volkes“, Freiburg 1924, S. 72 schreibt, da es uns zeigt, was wir einmal von einer römisch ge-schauten Geschichtsschreibung zu erwarten haben:

„Was er (Dürer) aber selbst in Aufrissen für eine Denksäule auf eine gewonnene Schlacht, für ein Siegesdenkmal über die geschlagenen aufrührerischen Bauern … ,Neues‘ lieferte, läßt es für seinen Ruhm nicht bedauern, daß er durch seinen Tod daran verhindert wurde, die ,noch gar viel wunderlichen, seltsame und künstli-che Dinge‘ zu veröffentlichen, welche er nach Pirkheimers Angabe in der Seele trug.“

Janssen zitiert hier eine Stelle aus Pirkhei-mers Nachwort zu Dürers „Menschlicher Proportion“ und scheint mit diesem einer Meinung zu sein, was ihren Dank für Dürers „rechtzeitigen Tod“ betrifft, denn dieser setzt noch hinzu:

„Aber Gott, der alle Dinge zum Besten verordnet, hat solches nicht ohne Ursach verhindert, sein Name sei gelobt und geehrt ewiglich“.**

Wir erkennen hier, warum es den Jesuiten und den damaligen Rosenkreuzern und sonstigen Dunkelmännern peinlich gewesen wäre, wenn Dürer in dieser Richtung weiter gearbeitet hätte.

 

Dürers Entwurf eines Denkmals für die geschlagenen Bauern (Bild: akg.images.de)

Der Entwurf zum Denkmal über die geschla-genen aufrührerischen Bauern verrät nämlich, ganz abgesehen von seinem künstlerischen Wert, Dürers feste Zuneigung zu dem soeben in grausamer Weise vernichteten Bauernstand und stammt aus der Zeit unmittelbar vor seinem Tode. Er stellt folgendes dar:

Kriegsknechte haben aus den brennenden Dörfern die Habseligkeiten der getöteten Bauern zusammengeschleppt und zu einer Säule aufeinander gestülpt und hohnlachend einen vom Schwerte durchbohrten trauenden Bauern daraufgesetzt.

Wölfflin schreibt in seinem Buch: „Die Kunst A. Dürers“, S. 16:

 

Dürer, Bauer auf der Spitze der Bauernsäule (Bild: Gutefrage)

„Nur die treffliche Gestalt des trauernden Bauern verräth vielleicht etwas von der Empfindung, die Dürer dabei hatte.“

Allerdings wäre diese offene Stellungnahme Dürers Grund genug für die Inquisitoren ge-wesen einzuschreiten. Dazu kam folgendes:

 

Türken mit einer Nürnberger Feldschlange, Radierung von Albrecht Dürer (Wikipedia)

Im Orient rüsteten sich die Türken, das Henkeramt an dem widerspenstigen Deutschen Volke zu übernehmen.

Der im Jahre 1529, ein Jahr nach Dürers Tode, folgende Türkeneinfall und ihr Er-scheinen vor den Toren Wiens ist nicht nur ein Werk der damals in Deutschland sehr eifrigen Juden, die die günstige Gelegenheit, daß Deutschland in Glaubenssachen freier zu denken begann, gern in ihrem Sinne abbiegen und gleich geachtet sein wollten.***

Auch zu Dürer mußte das Gerücht gedrungen sein, daß man den Türken die Tore Wiens und damit den Weg nach Deutschland öffnen wollte.

Da veröffentlichte er 1527, 2 Jahre vor dem Türkeneinfall, sein Büchlein „Unterricht zur Befestigung der Städte, Schlösser und Flecken“, das er dem König von Ungarn und Böhmen widmete. Dürers Anregung ist der Grundstein für die Deutsche Befestigungs-kunst geworden und seine Warnung

„wie die Länder, so den Türken gelegen sind, sich derselben Gewalt und Geschoß erretten möchten“,

mochten wohl dazu beigetragen haben, daß die Völker auf der Hut waren. Auch hier liegt ein Grund, warum man den unliebsamen Mahner mit dem klaren Blick gern verschwin-den sehen wollte.

 

aus Dürers 4 Büchern von menschlicher Proportion (Bild: im MoneyMuseum)

Ein Brief aus dem Todesjahr Dürers zeigt die Schwierigkeiten, die ihm sein guter „Freund“ Pirkheimer machte, der ihm bei der Redaktion der Vorrede zu seinen „Büchern von Mensch-licher Proportion“ behilflich sein sollte, und der den wohl 10mal umgearbeiteten Text, ohne Dürers Wünsche zu berücksichtigen, nach dessen Tode dem Druck übergab. Dürers Brief lautet:

„Mein Herr! ich bitte Euch wollet die Vorrede so einrichten, wie ich im Folgenden anzeige:

Erstens begehr ich, daß gar keine Ruhmredigkeit oder Hochmut darin bemerkt werde.

Zweitens, daß gar keines Neides gedacht werde.

Drittens, daß von nichts anderem die Rede sei als von dem, was in dem Buche steht.

Viertens, daß nichts aus anderen Büchern Gestohlenes gebraucht werde.

Fünftens, daß ich allein für unsere Deutsche Jugend schreibe“ usw.

Schon die Anrede „Mein Herr“, sonst wenig-stens „Günstiger Herr“ oder „meinem lieben günstigen Herrn und hochersprießlichen Freund …“, dann der befehlsmäßige Ton Sr. Kaiserlichen Majestät Rat gegenüber und die Grußlosigkeit und Inhalt zeigen den Zorn Dürers, der die Grenzen der Höflichkeit schon sprengen läßt.

Nun befindet sich auf der Rückseite dieses Briefes ein geheimnisvolles Brieffragment, unterzeichnet von einem Manne, der sich „Nanus Flavus“, etwa „der gelbe Zwerg“ nennt.**** Er stammt, wie Thausing wohl zu Recht vermutet, von einem Geistlichen (vielleicht auch von einem Ordensbruder Pirkheimer?) und lautet folgendermaßen:

„… Gebt ihm Brief und Siegel, daß er Euch nicht angreift. Straft ihn, daß er nicht so böse sei, weise werden und Euch folgen wolle. Will er zürnen, so sagt, Ihr habt es in der besten Absicht getan. Will er sich nicht daran kehren, so bittet ihn, als lägt Ihr vor ihm auf Euren Knien. Danach verheißt ihm zehntausend Rosenkränze und tausend Feiertage, zwanzig Metten und zwanzig Vespern, und was Ihr sonst erdenken könnt. Gebt ihm aber nichts als Worte. So wird er sich ohne Zweifel daran kehren, Euch glauben und aufhören. Probatum est!, schmiert Euch damit.“

Bisher hat man sich mit diesem Brief keinen Rat gewußt. Ob ein Zusammenhang zwischen beiden besteht, wurde nicht weiter erörtert. Vielleicht kann ich aber folgenden Schluß wagen, indem ich behaupte, daß ein innerer Zusammenhang zwischen beiden Briefen besteht:

  • Pirkheimer, der eine ähnliche Rolle wie Melanchthon gegenüber Luther spielte, erhält den Brief Dürers mit den klaren Forderungen.

  • Der Brief ist einer von vielen, die das angespannte Verhältnis zwischen den beiden hervorrief.

  • Darauf setzt Pirkheimer sich mit seinem geistlichen Gewissensrat auseinander.

  • Dieser schreibt ihm auf der Rückseite von Dürers Briefen seine Antwort.

  • Bei der nachträglichen Vernichtung des Briefwechsels, der vielleicht Klarheit über Dürers Tod gebracht hätte, ent-ging dem Spurenvertilger dieser halbe Brief, da er auf der Rückseite eines Dürerbriefes stand.

Der Brief verrät eine geradezu gemeine Ge-sinnung. Ein solcher „geistlicher Gewissens-rat“, wie ihn Thausing nennt, kann auch zum letzten Mittel raten, wenn der Erfolg aus-bleibt.

Pirkheimer hätte sich jedenfalls dann streng an die Mahnung gehalten, wofür die vielma-lige Umarbeit der Vorrede im gleichen Sinne zeugt. Wie sagt doch der Jesuit Bellarmin (1542-1621) …:

„Diese Gründe tun dar, daß Ketzer zu töten sind … (siehe oben!)“,

wobei zu berücksichtigen ist, daß Dürer sich selbst zu den „Ketzern“ zählte, denn er schreibt schon 1524:

„… denn man schmäht uns Ketzer …“

 

Dürer, MELENCOLIA § I


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Anmerkungen

*) M. Tausing, Dürer, Leipzig 1874
**) Reliquien von Albrecht Dürer, Nürnberg 1928.S. 158
***) Auch Janssen berichtet in seiner „Geschichte des Deutschen Volkes“ wunderliche Dinge hierüber, die nicht nur jesuitischem Denken entstammen.
****) Abgedruckt in M. Thausing, Dürers Briefe, Tagebücher und Reime, Quellenschr. f. Kunstgeschichte, III. Teil, Wien 1872, S. 180