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Matriarchale Mythen und das Mutterrecht

Schon Johann Jakob Bachofen

[hatte] aus dem Vorhandensein mutterrechtlicher Züge in den Hoch- und Randkulturen des Alten Orients [geschlossen], daß dem späteren Vaterrecht eine frühere mutterrechtliche Familienform vorausgegangen sein müsse,

so der Brockhaus. Bachofen stützte seine Ansicht auf den überlieferten antiken Mythen. Die Matriarchatsforschung wurde u.a. durch Heide Göttner-Abend­roth weitergeführt. Sie tritt der Auffassung entgegen, das Matriarchat sei „Vorform“ menschlicher Gesittung gewesen, primitiver „unbewußter Zustand“, der auf den „höheren Bewußtheitszustand“, wie ihn das nachfolgende Patriarchat darstelle, geradezu hindrängte.

Dadurch, daß in den letzten Jahrzehnten ein Heer gebildeter Frauen die Kapazität weiblichen Denkvermögens und weiblicher geistiger Leistungskraft unter Beweis stellt, haben wir keine Schwierigkeiten damit, uns vorzustellen, daß Frauen sich an der Schaffung von Zeugnissen der Urzeit ebenso beteiligt haben wie Männer. Wir wissen es im einzelnen nicht, aber es wurde aus patriarchalischer Erfahrung stets so dargestellt, daß in der Frühgeschichte der Völker alle Erfindungen und Kunstschöpfungen von Männern erbracht wurden, während Frauen meist dumpf an der Herdstelle hockend von Kindern umgeben dargestellt wurden, wenn überhaupt.

Heute haben wir keine Hemmungen, uns mit dem

Engländer Gordon Childe

vorzustellen, daß die

systematische Entwicklung von Wissen und Technologie, die wir „Wissenschaft“ nennen, in vorgeschichtlichen Jahrtausenden [entstand], und unter diesen ersten „Wissen­schaftlern“ auch Frauen [waren]. Sie erfanden Werkzeuge, sammelten Kenntnisse über eßbare und heilsame Pflanzen und entdeckten vermutlich „die Chemie der Töpferei, die Physik des Spinnens, die Mechanik des Webstuhls und die Botanik von Flachs und Baumwolle.“(13)

In alten Sagen

wird von hervorragenden Frauen berichtet: z. B. von Dido, die im 9. Jahrhundert v. u. Z. Karthago gründete. Oder Homer berichtet aus der späten Bronzezeit des 8. Jahrhunderts v. u. Z. von Agamede, die „sämtliche Arzneien“ kannte, „die auf der weiten Welt wuchsen“, wie es in der Ilias heißt. Und in seiner Odyssee erzählt er von weiteren berühmten Ärztinnen wie Helena von Troja und Polydamna. Der Name Polydamna bedeutet „Bezwingerin vieler Krankheiten“.

Im Tempel von Sais, nördlich von Memphis in Ägypten, lautet eine Inschrift:

Ich kam von der Medizinschule zu Heliopolis und studierte an der Frauenschule zu Sais, wo mich die göttlichen Mütter Krankheiten heilen lehrten.(14)

Alic berichtet:

Medizinheilkunde war in Ägypten schon vor dem Jahr 3000 v. Chr. ein anerkannter Beruf, und gebildete Frauen arbeiteten als Ärztinnen und Chirurginnen … Medizinische Papyrusrollen behandeln die Gynäkologie, das Spezialgebiet von Ärztinnen. Die Rolle von Kahun (ca. 2500 v. Chr.) … berichtet von Spezialistinnen, die Schwangerschaftsdiagnosen stellten …, Unfruchtbarkeitstests durchführten“ u. a.

Chirurginnen führten Kaiserschnitte durch, operierten Brustkrebs und schienten Knochenbrüche. „Ärztin“ war oft gleichbedeutend mit „Priesterin“, denn in den ältesten Urkunden war es die Isis, welche die Heilbehandlungen vorschrieb“(15)

Im alten Ägypten galt Isis als die „Große Mutter“, die den Völkern des Niltals Gesetze, Religion, Schrift und Heilkunde gab, sie die Kunst der Einbalsamierung, des Landbaus, der Nahrungsherstellung aus Getreide lehrte, und der die Erfindung des Segelbootes zugeschrieben wurde.(16)

Andere Völker gaben dieser großen mütterlichen Schöpferkraft ihre eigenen Namen. Sie schrieben ihren Göttinnen die Erfindung des Spinnens und Webens, der Zahlen, der Schreibkunst zu. Sie sahen sie als Schutzpatroninnen von Schiffahrt und Handel, von Literatur und Geschichte. Die Göttin Urania war die griechische Muse der Gestirne, und die ägyptische Seshat befähigte die Baumeister, bedeutende Gebäude nach den Sternen auszurichten.(17)

Hätten Frauen auf diesen Gebieten nicht Wesentliches geleistet, wie wären die Altvorderen darauf gekommen, weiblichen Gottheiten solche Fähigkeiten zuzuschreiben, ja, eine mütterliche Schöpferkraft als die göttliche Hervorbringerin des Weltalls anzunehmen, die „Große Mutter“?

Wie gestaltete sich nun das gesamte Leben in mutterrechtlichen Kulturen? Das spiegelt sich in ihren Mythen.

Heide Göttner-Abendroth

Heide Göttner-Abendroth (Foto: MatriArchiv St. Gallen)

kennzeichnet treffend das Wesen der Religionen. Sie legt Wert darauf zu betonen, daß diese Mythen keine matriarchalen Religionen seien.

Denn Religionen sind von einer herrschenden Gruppe institutionalisierte Glaubensrichtungen und als solche insgesamt patriarchal. Ohne eine solche Institutionalisierung, die regelmäßig von Zentralismus und Hierarchie gekennzeichnet ist, hätten sie sich nicht weltweit ausbreiten und zu den heutigen Staats- und Großreligionen entwickeln können.

Dabei werde ihre

maskuline Gottesvorstellung … verknüpft mit einem absoluten Wahrheitsanspruch, der in missionarische Intoleranz mündet. Ihr Ritus ist starre Wiederholung eines vergangenen spirituellen Ereignisses, dem Einmaligkeit zugesprochen wird

– der Religionsstifter ist und bleibt der vergöttlichte Einzige – und jenes Ereignis wird „in unantastbaren Dogmen festgehalten“, in Heiligen Schriften. Bei der “matriarchalen Haltung“ dagegen – so Göttner-Abendroth – sei die Göttin

nicht außerhalb und jenseits der Welt in einem abstrakten Nirgendwo [wie der patriarchale Gott JHWH oder Allah z. B.], sondern die Welt ist die Göttin. Deshalb braucht man auch nicht mittels unglaubwürdiger Dogmen an sie zu „glauben“, denn Kosmos und Erde sind immer da, im Land, in den Elementen, in jedem Menschen. Göttinverehrung ist daher individuell oder kollektiv frei gestalteter musischer Ausdruck, in welchem die Lebenskräfte selbst gefeiert werden.(18)

Mathilde Ludendorff

Für die, denen die religionsphilosophischen Werke Mathilde Ludendorffs bekannt sind, tun sich in der Sicht auf die Religionen vertraute Anschauungen auf. Den Satz: „Die Welt ist die Göttin“ würden sie jedoch nicht mittragen, sondern – in Anlehnung an die Philosophin – betonen, daß auch sie die Lebenskräfte des Göttlichen in tiefster Seele erleben, wie sie uns in der Schöpfung deutlich werden, daß sich in ihr aber das Göttliche selbst nur in einer begrenzten Zahl seiner Wesenszüge spiegelt, es selbst darüber hinaus unendlich und uns in all seinen weiteren Wesenszügen und Möglichkeiten ohne Zahl verschlossen bleibt.

Für Mathilde Ludendorff ist die Welt nicht gleichzusetzen mit der Gottheit, sondern das Weltall ist nur die eine ihrer Möglichkeiten, in Erscheinung zu treten. In den Erscheinungen dieser Welt spiegelt sich das Göttliche als ihr Wesen wieder, ist selbst unendlich und läßt sich von den endlichen Erscheinungen nicht begrenzen. Die Philosophie Mathilde Ludendorffs ist kein Pantheismus.

Heide Göttner-Abendroth betont, die mutterrechtlichen Mythen

und die dazu gehörigen Verehrungsformen [seien] keine isolierten, dumpfen „Kulte“, sondern komplexe, geistig hochstehende Erklärungsmuster von Welt, die späteren philosophischen Systemen entsprechen, nur daß ihre Sprache die der Bilder und nicht der Begriffe ist.(19)

Völlig übereinstimmend mit Mathilde Ludendorff , die in ihrem Werk Des Menschen Seele das mythische Bild unserer Vorfahren von der Weltesche Yggdrasil in seiner Offenbarung tiefer Welterkenntnis unserer Vorfahren so wunderbar deutet, sagt Heide Göttner-Abendroth ,

die verschiedenen rituellen Verehrungsformen [hängen] geistig zusammen, was von der bisherigen Forschung nicht wahrgenommen wurde und die Ursache für die verständnislose Zerstückelung in einzelne „Kulte“ ist. [Damit sei] bereits ausgeschlossen, daß es sich bei diesen „Kulten“ in monotoner Wiederholung nur um die Idee der „Fruchtbarkeit“ handelt … Hinter der Verehrung der Gebärfähigkeit der Frauen wie der Regenerationskraft der Natur [überhaupt] stand statt dessen der Respekt vor dem Mysterium des Lebens, des Todes und der Wiedergeburt.(20)

Auch die Höhlenforscherin Marie König

Marie E. P. König, Bildausschnitt eines Fotos von Rainer König.

räumt mit den bisher gängigen Deutungen der Höhlenmalereien auf, die die Höhlenhochkultur in ein menschheits-einheitliches chtonisches Korsett zwängen wollen: Statt Jagdzauber und Dämonenbeschwörung sieht Marie König Welterkenntnis als Anlaß der Darstellungen. Der Kosmos ist der Lehrmeister, Weltallweite atmet die Seele der Europäerin und des Europäers schon vor mindestens 20 000 Jahren.

Das Lehrbuch der Menschheit ist der Himmel gewesen,

schrieb Marie König 1973 in ihrem Werk Am Anfang der Kultur.(21)

Gut ein halbes Jahrhundert vorher hatte Mathilde Ludendorff in ihrem Werk Triumph des Unsterblichkeitwillens geschrieben:

… der nächtliche Sternenhimmel ist die älteste heilige Schrift Gottes.

Marie Königs Ausspruch bezieht sich auf die Vernunfterkenntnis, Mathilde Ludendorffs auf das intuitive innerseelische Gotterleben.

Entscheidend wichtig sei, betont Göttner-Abendroth, daß es so wenig wie den platten „Fruchtbarkeitskult“ einen „Mutterkult“ gegeben habe:

Mutterkult mit seiner Reduktion der Frau auf ihre bloße Gebärfunktion zu Zwecken der Bevölkerungspolitik ist typisch patriarchale Erfindung. In den matriarchalen Kulturen ging es um die Verehrung aller regenerativen und kulturschöpferischen Kräfte der Göttin-Frau, die vom Leiblichen bis zum Geistigen reichen: Verehrt wurde ihre Vielfalt und Umfassendheit, in die der Mann als Teil des Ganzen eingeschlossen war.(22)

Und da sind wir auch schon bei einem wesentlichen Kennzeichen des Matriarchats.

Im Mutterrecht ist der Mann nicht der Unterdrückte.

Das Matriarchat ist kein Herrschaftssystem und somit auch kein Gegenstück zum Patriarchat.

Auch Männer können Träger matriarchaler Denkweise sein und sind es zu allen Zeiten gewesen. Ebenso können andererseits Frauen im patriarchalen Herrschaftsdenken befangen sein. Es geht nicht um Herabsetzung des Männlichen zugunsten einer Erhöhung des Weiblichen oder gar um Vorherrschaft von Frauen.

Es geht um eine grundlegend andere Weltanschauung als die heute weitverbreitete, die sich auch daraus erklären läßt, daß die Völker sich mit zunehmender Bevölkerungsdichte gezwungen sahen, sich gewaltsam gegen andere durchzusetzen, um Lebensraum zu gewinnen bzw. zu verteidigen. Ein patriarchalisch geführtes Volk ließ die Umstellung des benachbarten Volkes auf patriarchale Organisationsform notwendig erscheinen, und so ist es leicht vorstellbar, daß fast alle Völker aus dem Willen zur Selbsterhaltung heraus zum Patriarchat und damit zu Machtentfaltung übergingen. Die es vermieden, waren dem Machtkampf meist nicht gewachsen.

Ich versuche nun, kurz das Grundmuster zu skizzieren, das uns Heide Göttner-Abendroth vermittelt, nach welchem sich die weitverbreiteten matriarchalen Mythen gestalteten:

Bild des Buchumschlages Heide Göttner-Abendroth, Die Göttin und ihr Heros

Die Farben weiß-rot-schwarz sind die heiligen Farben des Matriarchats. Sie und der dreifaltige Mond versinnbildlichen die Lebensphasen der Frau und damit der Natur im Kreislauf des Jahres:

Die weiße Sichel … ist das Symbol der Göttin in ihrer Mädchengestalt, der Göttin des zunehmenden Jahres (des Frühlings), der jugendlichen Jägerin mit dem silbernen Bogen …

Die purpurne Doppelsichel, deren Spitzen einander zugewandt sind, so daß sie eine Rundung ergeben, ist das Zeichen des Vollmonds, wenn er glühend am Horizont steht. So ist er das Symbol der Göttin in ihrer Gestalt als erwachsener Frau, der Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit, die im Höhepunkt des Jahres (im Sommer) regiert. Sie ist die Schöpferin der Welt, denn der rote Vollmond bedeutet das Welt-Ei, das sie in Gestalt einer Taube legte: Als es zerbrach … fiel die ganze Schöpfung heraus. Darum ist auch dieses Zeichen gespalten …

Die schwarze Sichel … ist das Symbol der Göttin in ihrer Greisengestalt, der Schnitterin mit der Todessichel … [sie] ist die Herrin der tiefsten Region, der Unterwelt. Dort wohnt sie als winterliche Todesgöttin, die alles Leben mit sich in die Tiefe nimmt, um es nach seiner Metamorphose im neuen Jahr wieder zum Licht aufsteigen zu lassen. Und damit beginnt der Kreislauf des mythischen Jahres der Göttin von vorn.

Doch wie der Mond in allen drei Phasen eine Einheit ist, so ist die Göttin in allen drei Gesichtern nur eine Gottheit … Die Triade der heiligen Farben Weiß-Rot-Schwarz ist bereits ein Symbol für sie selbst; deshalb trägt manche mythische Gestalt diesen Dreiklang … [Denken wir z.B. an Schneewittchen!]

Die Sonne ist das Symbol des Heros, des menschlichen Partners der Göttin. Männliche Götter gab es im matriarchalen Kosmos nicht. Die Mädchengöttin initiiert ihn [den Heros] im Frühling, sie verleiht ihm die Würde eines sakralen Königs. Im Sommer vollzieht die Frauengöttin mit ihm das zentrale Fest, die Heilige Hochzeit, die Land und Meer fruchtbar macht. Zu Beginn des Winters tötet ihn die Greisingöttin und führt ihn in die Unterwelt, aus der er am Anfang des nächsten Jahres geläutert wiedergeboren wird. (23)

Soweit die Beschreibung Göttner-Abendroths. Auch Marie König hebt die drei Phasen des Mondes hervor, die in Höhlenmalereien in Darstellungen gehörnter Tiere zu erkennen sind. Die Dreiheit scheint dem Menschen der Jungsteinzeit wichtig und schon das Dreieck ein Begriff gewesen zu sein:

Dreieck und Stier­bild im gegenseitigen Bezug wurden über­liefert.(24)

Und wie JHWH einst Regen und Fruchtbarkeit bringender Stierheros war, so ist sein Zeichen noch heute das Dreieck, das sog. Auge Gottes. So ist das Prinzip des Männlichen bildlich im Stier dargestellt, aber auch im Bild der Sonne.

Die Sonne, Sinnbild des Heros, geht auch täglich unter. Und so ist dies sein Heldentum: zugunsten des Lebens, des Ganzen, freiwillig in den Tod zu gehen. An seiner Stelle wurde aber auch ein Stier geopfert. Wie die Sonne stets und täglich aus der „Unterwelt“, der Dunkelheit der Nacht, wieder aufersteht, so glaubte man an die Wiedergeburt der Lebewesen überhaupt und sah wahrscheinlich in der Tötung des Heros nichts Unrechtes, zumal der Heros freiwillig zur Großen Mutter in die Unterwelt, zur Hel, ging, wie Göttner-Abendroth berichtet.

In den weltweit gefeierten Jahreszeitenfesten wurden diese Naturvorgänge versinnbildlicht dargestellt und gefeiert. Sie sind bis heute überliefert, aber mit christlichen Inhalten überdeckt und ihres Sinnes beraubt.

Die „Göttin“, die göttliche Schöpferkraft also, wurde durch eine Priesterin vertreten. Der heilige König oder Heros war Sinnbild der geschaffenen Schöpfung, daher auch als Sohn der Göttin gedacht, die ihn hervorgebracht hat, er vertritt neben der übrigen Natur auch die Menschen. Somit verbindet sich bei der „Heiligen Hochzeit“ die Schöpferkraft in Gestalt der Priesterin mit der Schöpfung, ihrem Geschöpf, in Gestalt des Heros.

Dieses Bild der ihr Geschöpf, den „Sohn“, liebenden Gottheit, zeigt deutlich die Intuition, daß die göttliche Schöpferkraft eins ist mit ihrer Schöpfung, zeigt das gottlebendige Weltbild der frühen Menschen, fernab materialistisch-mechanistischer Welterklärung. Das Weltall wurde als gottdurchseelt erlebt, wie wir in der Sprache Mathilde Ludendorffs sagen können.

Die uralte Große Mutter unserer nordeuropäischen Vorfahren war Jörd, das bedeutet Erde. Sie wurde später vermännlicht in Njörd. In der Geschichtsschreibung Roms über Germanien wurde sie „Nerthus“ genannt. Jörd war die älteste Göttin der Wanengruppe, zu der noch ihre Tochter Freyja und ihr Sohn Freyr gehören.(25)

Bezeugt ist bei den Wanen die Geschwister-Ehe und ein nur ihnen eigentümlicher Zauber,

heißt es im Brockhaus. Und diese Geschwister-Ehe bezeugen auch die Mythen der ganzen Welt.

Ansonsten wissen wir von den alten Mythen des fried­li­chen Götter­ge­schlech­tes der Wa­­nen unmittel­bar kaum et­was, nur in alten Sagen und Märchen wer­den noch Ü­ber­reste vermu­tet. Der Sage nach gab es eine gewaltige Göt­ter­schlacht zwi­schen den Wanen und den pa­triarchalen Asen, die ob­siegten. Was wir aber noch über die Ur­my­then un­serer nordi­schen Vorfahren er­fah­ren aus den Bild­werken, die aus der Erde gegraben wur­den, zeigt eine fast völlige Übereinstimmung mit noch gut erhaltenen schriftlichen und bildneri­schen Darstellungen in Eu­ro­pa, Asien und Afrika.

Jörd ist die Rhea und Hera in Griechenland, die Kybe­le und Anat in Kleinasien, Isis, Hathor, Neith und Nuth in Ägypten, Inanna im Zweistromland, Anahi­ta in Persien, Prithivi und Shakti (Kali) in Indien und viele andere in den Kultu­ren der Erde.

Sie werden übereinstimmend in heiligen Hainen, auf Anhöhen verehrt, feiern dort mit dem Heros, dem heiligen König die Heilige Hochzeit. Ihre Attribute sind das Füllhorn oder die Schale, Kuhhornkrone, Schlange, Mondsichel, Sonnenscheibe, Sonnenwagen, Thron.

War man Jahrhunderte lang davon ausgegangen, daß „die Kultur“ sich ex oriente bis nach Nordeuropa ausgebreitet hätte, so können wir heute aufgrund der C-14-Radio­kar­bon-Methode sicher sein, daß der Weg die umgekehrte Richtung ge­nom­men hat.

Der britische Professor Colin Renfrew schreibt:

Nun ist klar, daß die Megalithbauten in der Bretagne früher als 4000 v. Chr. erbaut wurden, also eintausend Jahre, bevor die monumentale Grabarchitektur im östlichen Mittelmeer, und 1500 Jahre, bevor die Pyramiden erbaut wurden. Der Ursprung der europäischen Begräbnissitten und -monumente darf nicht im Nahen Osten, sondern in Europa selbst gesucht werden. (26)

Entlang der Meeresküsten bis hin nach Japan, den Osterinseln und Amerika finden wir Megalithbauten. Mit ihnen scheinen auf dem eben genannten Weg über alle Meere die nordischen Mythen gewandert zu sein.

Die Minangkabau

Dr. M. D. B. Aman, Sippenälteste (Bildausschnitt, Foto: Cillie Rentmeister, Frauenwelten - Männerwelten, Opladen 1985, aus: H. Göttner-Abendroth, Das Matriarchat II,1)

Auf Sumatra finden wir eine noch heute bestehende Mutterkultur. Frau Dr. Aman ist bzw. war dort eine „Induah“, das heißt eine Sippenälteste der Minangkabau. Das Sippenhaus ist der Ort, wo in basisdemokratischen Redeversammlunen Entscheidungen gefunden werden.

Zünglein an der Waage ist dabei mit ihrer natürlichen Autorität die Sippenälteste. Das Sippenhaus gehört den Frau­en der Sip­pe genauso wie das Sippen­land, das nicht verkauft werden darf, son­dern in weiblicher Linie vererbt wird. Auch alles durch Handel erworbe­ne Eigentum von Frauen und Män­nern wird in den Besitz der Sippe, deren Verwalte­rin die „Induah“ ist, eingeglie­dert.(27)

In einer Dorfgemeinschaft sind mehrere Sippenhäuser vereinigt. Ein Bruder der „Induah“, dessen Betragen „sanft und freundlich, duldsam … und würdevoll sein“ muß, darf die Entscheidungen der Sippenhäuser vermitteln. Es zählt

zur höchsten Würde eines Mannes, „Panghulu“ (Vermittler) zu werden, denn seine Würde ist es, nicht sich und seine Privatinteressen zu vertreten, sondern die Sippe seiner Mutter und Schwestern.(28)

Die Sippenlinien einer „Suku“, einer großen Sippe, die über mehrere Dörfer und Gegenden verbreitet ist, führen sich auf eine gemeinsame Ahnfrau zurück. Die klassisch-matriarchale Dorfgemeinschaft umfaßte 4 Sippen.

Die jeweils ge­gen­überliegenden waren Heiratsgemeinschaften. Die Frauen blieben auf ihren Wohnsitzen, die Männer aus dem gegen­überliegenden Mutterhaus verbanden sich mit den Frauen in Besuchs-Ehe. Sie gehörten aber in das Haus ihrer Mütter, wohin sie auch immer wieder zurückkehren durften. So entstanden feste Verwandtschaftsbande zwischen den An­ge­hörigen der Heiratssippen.

Die Inzucht war dabei kein Thema. Heide Göttner-Abendroth, die Mathilde Ludendorff ablehnt, weil diese von Rassen und Völkern spricht, ahnt offenbar gar nicht, wie sehr sie mit ihrer Begeisterung bei der Schilderung dieser matriarchalen Sippengesetze ihr nahe ist: Durch die Heirat von Gleichen entstand das Dauerbündnis, die Rassereinheit ermöglichte das Gefühl der Zusam­men­gehörigkeit mit dem eigenen Volk.

Engste Inheirat war und ist bei allen Stammesgesellschaften die Regel, sie haben Jahrtausende mit generationenlanger Inheirat körperlich und geistig gesund gelebt. Das zeigt, daß Inheirat bei nichtdefekter genetischer Struktur kein Problem, sondern sogar ein Vorteil ist. [Dieser] muß den matriarchalen Frauen bewußt gewesen sein, denn sie pflegten ihn mit ihren Spielregeln,

hebt Göttner-Abendroth hervor.(29)

Dieses noch lebende Beispiel von Sumatra enthält, was alle Matriarchate gekennzeichnet hat: Die Männer zogen zwecks Heirat zu den Frauen (Matrilokalität), vererbt wurde in weiblicher Linie (Matrilinealität). Heiraten unter Verwandten waren nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht. Dies alles diente als Grundlage für jahrtausendelanges Bestehen des Volkes von Gleichen unter Gleichen.

Was aber die Minangkabau-Kultur besonders auszeichnet, ist, daß sie mit den andrängenden Patriarchalisierungsversuchen fertig wurde, indem sich ihre Menschen anpaßten, ohne ihre Kultur und Freiheit aufzugeben. Die Frauen hielten am Sippenbesitz fest, der unveräußerlich blieb, und gaben den Handel mit landwirtschaftlichen und häuslichen Erzeugnissen nicht aus der Hand. Sie blieben somit autark, auch als ein Königshaus

nach hinduistisch-patriarchalem Vorbild von Java aus über die Minangkabau errichtet wurde. Die unabhängigen Dorf-Republiken akzeptierten keinerlei Einfluß des Königs in ihren Angelegenheiten. Der König konnte auch keine Armee mittels Steuern aufbauen, um Einfluß zu erzwingen … So blieb dieses Königshaus eine formale Autorität, dem die Minangkabau höflich formale Ehre erwiesen.

Schwieriger wurde die Situation der Frauen während der „Padri-Kriege“, in denen der Islam mit Feuer und Schwert unter den Minangkabau verbreitet wurde. Jedes Dorf mußte jetzt … eine Moschee haben, die als Koranschule für Männer eingerichtet wurde, wo ihnen neue, patriarchale Prinzipien gepredigt wurden. Aber den Koranlehrern standen im Dorf die „Panghulu“ gegenüber, die würdevollen Vertreter der matriarchalen Sippen … Sie opponierten als der alte, angestammte Dorfrat gegen die neuen Koranlehrer, bis ein Kompromiß gefunden war.(30)

Der Islam blieb eine äußerlich hingenommene Religion, die Frauen aber blieben in den Sippenhäusern beieinander und bestimmten ihre Angelegenheiten selbst.

Als die Holländer Land der Minangkabau besetzen wollten, gelang es diesen, durch geschicktes Ausspielen islamischer gegen holländische Ansprüche, die Holländer ins Grenzland Rantau abzudrängen. Dort veränderten sich dann die Verhältnisse durch Kapitalisierung der Landwirtschaft, Einführung der Geldwirtschaft und Industrialisierung.

Durch kluge Erbregeln gelang es den Frauen im Kernland, daraus noch Vorteile zu ziehen. Beispielsweise legen die Pendler ihren Verdienst im Mutterhaus nieder. Frauen besitzen sogar in den Städten außerhalb ihres Kernlandes eigene Häuser, in die „sie gelegentlich aus Gründen der Ausbildung ziehen.“ Die patriarchalen Verhältnisse, die sie in den Randgebieten nun hautnah erleben können, festigen ihr matriarchales Bewußtsein und ihren Willen,

rechtzeitig die entsprechende Gegenstrategie zu entwickeln, bevor sie von diesen Prozessen überrumpelt [werden](31)
… So sehen wir hier eine erstaunliche Flexibilität des „Adat“ [des Mutterrechtes der Minangkabau], ein Matriarchat, das keine Rückzugsgesellschaft ist, sondern sich unter den aufeinanderfolgenden Herausforderungen weiterentwickelt. „Das Adat verwittert nicht im Regen und bekommt im Sonnenschein keine Risse!“ sagen die Minangkabau selber dazu.(32)

Hier wird also durch kluge Regelung des Gemeinschaftslebens selbst in Zeiten großer Gefahr Freiheit bewahrt. Das ist den allermeisten matriarchalen Völkern nicht gelungen. Göttinnen wurden zu herrschenden Göttern umgedeutet, die geheimnisvolle Schöpferkraft, die in allem wirkt, verlor an Ansehen und geriet aus dem Bewußtsein, nüchterne Vernunft, diesseitiges Machertum und Raffgier bekamen die Oberhand. Volksboden wurde käuflich. Das war der Anfang vom Ende der Freiheit eines Volkes. Daher forderte Erich Ludendorff:

Heilige deutsche Erde darf nicht Handelsware sein!

Zugunsten mächtiger patriarchaler, kapitalistischer, erdumspannender Herrschaftsinstitutionen verlor der Einzelmensch Freiheit und Einfluß, verloren Völker die Freiheit, ihr Gemeinschaftsleben selbst nach eigener Art zu gestalten.

Wiedergeburt weiblicher Weisheit

  • Sokrates war angewidert von den alten Mythen, die er nicht verstand.
  • Platon wertete den Eros zwischen den Geschlechtern ab und lobte statt dessen die „geistige Fruchtbarkeit“, die Liebe unter Männern, als die für Philosophen einzig bedeutsame.
  • „Für Aristoteles und Thomas von Aquin bildete die Frau lediglich ein Gefäß für den männlichen Samen, sonst hatte sie keinen Anteil an der Zeugung der Nachkommen“, neuen Lebens.(33)

Mit dem Verschwinden der Frau von der kulturellen Bildfläche der Völker scheint auch weibliche Weisheit immer wieder zu Tode gekommen zu sein. Wir Heutigen aber sind in der Lage, ihre Wiedergeburten im Rückblick auf die Vergangenheit und ganz besonders heutigentags erleben zu können, wenn wir auch noch immer Mühe haben, sie immer wieder aus der Gefahr zu retten, totgeschwiegen zu werden, und sie auf der Bildfläche sichtbar zu erhalten.

Denn das Größte, was der Menschheit geschenkt wurde, ist die Philosophie einer Frau, Mathilde Ludendorffs, die – in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaft – den Sinn des Weltalls und des Menschenlebens sowie der Mannigfaltigkeit der Völker erlösend umfassend und tief überzeugend zu deuten weiß. Ihr Werk ist, wäre es Allgemeingut, zugleich Grundlage für Freiheit und Frieden unter den Völkern.


[13] V. Gordon Childe, What Happened in History, Harmondworth 1964, S. 15, zitiert bei Alic, S. 24

[14] Kate C. Hurd-Mead, An Introduction to the History of Women in Medicine. Annals of Medical History, NS 5 (1933), S. 18, zitiert bei Alic, a.a.O., S. 34

[15] Alic, a.a.O., S. 33-34

[16] a.a.O., S. 28

[17] a.a.O., S. 29-30

[18] Heide Göttner-Abendroth, Die Göttin und ihr Heros, München 1993, S. 13-15

[19] a.a.O., S. 14

[20] a.a.O., S. 14-15

[21] Marie König, Am Anfang der Kultur, Suhrkamp, 1995

[22] a.a.O., S. 15

[23] a.a.O., S. 19-20

[24] a.a.O., S. 160

[25] a.a.O., S. 122

[26] zitiert bei Jürgen Spannuth, Die Atlanter, 1976, S. 144, übernommen von Britta Verhagen, Götter am Morgenhimmel, Tübingen, 1983, S. 57, und von Dieter Braasch, Pharaonen und Sumerer – Megalithiker aus dem Norden, Tübingen 1997, S. 14

[27] Heide Göttner-Abendroth, Das Matriarchat II,1, Kohlhammer, 1999, S. 148

[28] ebenda

[29] a.a.O., S. 153

[30] a.a.O., S. 154

[31] a.a.O., S. 155-156

[32] a.a.O., S. 156

[33] siehe Marit Rullmann/Werner Schlegel, Frauen denken anders, Suhrkamp 2000, S. 46

 


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