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In dieser letzten Folge seiner Abhandlung befaßt sich

Gerhard Bracke

mit der

Alleinkriegsschuldthese

Daß aus dem deutsch-polnischen Konflikt
ein europäischer Krieg
und aus diesem seit 1941
ein Weltkrieg entstanden ist,
wird zur Aufrechterhaltung der Alleinschuldthese
bewußt vereinfacht dargestellt.
Dazu dient in erster Linie
die verlogene Legende vom „Überfall auf Polen“.

Die englische und die französische Kriegserklärung an Deutschland
sind seit langem aus dem kollektiven Bewußtsein ausgeblendet,
der 3. September spielt
beim alljährlichen Gedenken
überhaupt keine Rolle.

Lückenhaftes Teilwissen wird mit Ideologischem ausgefüllt.

Dies ist ein englischer Krieg, und sein Ziel ist die Vernichtung Deutschlands!

erklärte W. Churchill am 3. September 1939 (wiederholt im November).

Dieser gegnerische Vernichtungswille steigerte sich bis zum Inferno von Dresden.

Aber aus Anlaß der 70. Wiederkehr des Untergangs der Barockstadt Dresden

ließ sich Bundespräsident Gauck zu der
geschichtlich unbedarften Bemerkung hinreißen:

Wir wissen, wer den mörderischen Krieg begonnen hat. Wir wissen es.

Wie recht hatte doch der israelische Botschafter in Bonn, Asher ben Nathan, als er auf die Frage, wer 1967 den Sechstagekrieg begonnen und die ersten Schüsse abgegeben habe, antwortete:

Das ist gänzlich belanglos. Entscheidend ist, was den ersten Schüssen vorausgegangen ist.

75 Jahre, nachdem das deutsche Linienschiff „Schleswig-Holstein“ mit der Beschießung der Westerplatte, jenes Munitionsdepots vor Danzig, die Angriffshandlungen begann, gab Bundespräsident Gauck an eben diesem Ort wiederum eine geschichtsferne Deutung ab, in der nichts an Ursachen und Anlaß erinnert:

Hitler nutzte Polen als Laboratorium für seinen Rassenwahn, als Übungsfeld für seine Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik gegenüber Slawen und Juden.

Zwar hob das deutsche Staatsoberhaupt in seiner Rede auch hervor, daß wir den

aufrichtigen Umgang mit der Vergangenheit brauchen, der nichts verschweigt,

doch wird bei solchen Anlässen prinzipiell alles Wesentliche verschwiegen.

In heutiger Zeit kann sich kein deutscher Politiker, kein Staatsmann den „aufrichtigen Umgang mit der Vergangenheit“ leisten, denn der setzte die Wahrnehmung von Fakten und damit einen Tabubruch mit dem Alleinschulddogma voraus.

Gerd Schultze-Rhonhof unterstreicht im Nachwort der 7. Auflage seines Standardwerkes „Der Krieg, der viele Väter hatte“:

Daß aus dem Polenkrieg dann doch ein Weltkrieg wurde,
verdankt die Welt in erster Linie England.
Als Deutschland England 1939/40
mehrmals vorgeschlagen hatte,
den Krieg mit einem Frieden zu beenden,
bei dem Deutschland Polen freigeben und
nur das ohnehin deutsche Danzig
und den weitgehend deutsch bewohnten Korridor behalten wollte,
hat England auf der Fortsetzung des Krieges bestanden. (35)

Aber auch die Legende vom angeblichen „Stufenplan“ Hitlers kann Schultze-Rhonhof  ̶  wie vor ihm bereits andere Historiker, u.a. Prof. Hellmut Diwald  ̶ beweiskräftig widerlegen.

Hitler, der mit dem geplanten neuerlichen Pakt mit Stalin eigentlich Großbritannien zu einem schon mehrfach angebotenen Frieden bringen wollte, sah sich plötzlich der Gefahr einer britisch-russischen Zange ausgesetzt.

Seine Befürchtungen in dieser Richtung wuchsen vom Spätherbst 1940 mit dem Eintreffen immer neuer Nachrichten vom weiteren Aufmarsch der Roten Armee, den er selbst in einem Gespräch mit dem rumänischen Staatschef Antonescu als den „größten Aufmarsch der Geschichte“ bezeichnete.

Erst angesichts dieser neuen Gefahr beschloß Hitler den Angriff gegen die Sowjetunion. (36)

Die Westmächte konnten den siegreichen Polenfeldzug zwar nicht behindern, aber Englands Kriegsausweitungsstrategie bestimmte den weiteren Verlauf zur Entfesselung des Zweiten Weltkrieges.

  • Schon im September 1939 drängte Churchill in einer Denkschrift an das Kabinett auf Maßnahmen zur Unterbindung der deutschen Erzzufuhr über Norwegen.
  • Damit wurde Nordeuropa  ̵  nach dem sowjetischen Angriff auf Finnland  ̵  durch die Alliierten in das Kriegsgeschehen einbezogen.

  • Deren Planungen und Maßnahmen waren den deutschen Gegenmaßnahmen stets um einen Schritt voraus, „bis sie mit dem letzten, entscheidenden Schritte zu spät kamen.“ (37)

Zu der Zeit profitierte Deutschland immer noch von der sowjetischen Unterstützung auf der Grundlage des Paktes.

Nach dem Kriege leugnete die Sowjetunion
(wie schon im  Nürnberger Prozeß)
die Existenz des Geheimen Zusatzprotokolls,
das diese Sieger- und Richtermacht
in den Augen der Westmächte einschließlich USA
als mitschuldig an der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges erscheinen lassen mußte.

Washington und London
rückten im Zuge des Ost-West-Konfliktes
und der sowjetischen Berlin-Note
bereits 1959 regierungsamtlich
von der Nürnberger These
einer Alleinschuld Deutschlands
am 2. Weltkrieg ab
und bezichtigten die Sowjetunion der Mittäterschaft.

Stalin war da ganz anderer Auffassung und wies die Schuld ganz allgemein gemäß der Lehre Lenins dem kapitalistisch-imperialistischen System zu (Rede Stalins vom 9. Februar 1946).

Deshalb betonte die Sowjetregierung (wie übrigens auch 1939/40  nach Ablehnung der deutschen Friedensangebote durch England)

die Mitschuld Frankreichs, Englands und der USA am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges.

Faßt man zusammen, „so ergibt sich“, stellt Walter Post in der Einleitung seines Buches fest,

daß die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, die USA, Großbritannien und die Sowjetunion, schon wenige Jahre nach dem Nürnberger Prozeß regierungsamtlich übereinstimmend die Auffassung vertraten, daß Deutschland keineswegs allein am Kriegsausbruch schuld sei. (38)

In den USA begann eine revisionistische Diskussion der Ursachen des Zweiten Weltkrieges kurz nach 1945.

Der Ausgang war die Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses des amerikanischen Kongresses zur Aufklärung der Hintergründe des japanischen Angriffs auf Pearl Harbor.

Aufgrund des skandalösen Materials brachte Christian Morgenstern, Chefredakteur des Chicago Tribune, 1947 ein Buch heraus, in dem er offen darlegte,

wie Präsident Roosevelt als eigentlicher Kriegstreiber die Japaner zum Angriff auf die amerikanische Flotte in Pearl Harbor provozierte, um die USA gegen den Willen von Kongreß und Bevölkerung  in einen Krieg an der Seite Großbritanniens und Chinas hineinzuführen. (39)

Zur Kriegspolitik Roosevelt verfaßten dann auch einige der renommiertesten Historiker wie Charles A. Beard und Harry E. Barnes umfangreiche Studien.

Der amerikanische Historiker Charles C. Tansill bezog in seinem 1952 veröffentlichten Buch Back Door to War („Hintertür zum Krieg“) den europäischen Kriegsschauplatz mit ein. Der keineswegs deutschfreundlich gesinnte Forscher wies nach,

daß Präsident Roosevelt an der Verschärfung der europäischen Krise 1938/39  maßgeblichen Anteil hatte.

Da aber die amerikanische Neutralitätsgesetzgebung Roosevelt an einer militärischen Intervention in Europa hinderte und da Hitler sich nicht zu einer Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten provozieren ließ, suchte der Präsident die kriegerische Auseinandersetzung mit Japan, um auf diesem Umweg in den europäischen Konflikt eingreifen zu können.

Der Krieg mit Japan war für Roosevelt sozusagen „die Hintertür zum Krieg“ in Europa. (40)

Tansill vertritt auch die Auffassung, daß der Versailler Vertrag einen neuen Weltkonflikt unvermeidlich gemacht habe.

Der Professor für Geschichte der amerikanischen Diplomatie an der Georgetown University war übrigens zehn Jahre lang Berater für Diplomatiegeschichte beim Senate Committee on Foreign Relations.

Nach dem Urteil Walter Posts zeichnen sich seine Untersuchungen durch einen hohen Grad an Professionalität aus.

Ergänzend sei noch auf die 1961 erschienene umfangeiche Studie des amerikanischen Historikers David L. Hoggan Der erzwungene Krieg“ und das kritische Buch des Engländers Alan John Perce-vale TaylorThe Origins of the Second World War“ hingewiesen.

Bei unserer Untersuchung handelt es sich keineswegs,
wie immer wieder gern behauptet,
um eine Angelegenheit der „Apologetik“
noch gar um eine „Umdeutung der Geschichte“,
wie sie Bundeskanzlerin Merkel für Deutschland kategorisch meint ausschließen zu müssen.

Es geht um nichts anderes

  • als die historisch zuverlässige Bewertung von Fakten,

  • um den unverstellten Blick auf unsere Geschichte in größeren Zusammenhängen,

  • um den ideologiefreien Blick auf alle an der Katastrophe beteiligten Akteure,

  • damit wir, einzig vom Wahrheitswillen beseelt, wie es Hellmut Diwald einmal formulierte,

unsere Geschichte selbst in die Hand nehmen können.

Die verzerrte Sicht der Zeitgeschichte ist gleichbedeutend mit einem verzerrten Selbstverständnis.

Denn daß die Deutschen von ihrer Vergangenheit als Gemeinschaft getrennt und abgeschnitten wurden, darauf wies Karlheinz Weißmann unlängst in Verbindung mit dem, wie er es nannte, „inhaltlich entkernten“ Volkstrauertag (weder „Volk“ noch „Trauer“) hin:

Man muß diesen Vorgang als Teil eines größeren begreifen, in dem die Deutschen von ihrer Vergangenheit als Gemeinschaft getrennt und abgeschnitten wurden.

Eine Entfremdung ohne Beispiel, eine Anomalie, die nur so und nicht anders bezeichnet werden darf, eine Krankheit so tief eingefressen, daß man ihr Ausmaß und ihr Vorschreiten nur aus der Distanz und im Vergleich erkennt. (41)

  • Nur durch Überwindung jeder dogmatisch verordneten Bevormundung unseres Geschichtsverständnisses,
  • im Wahrnehmen von Tatsachen,
  • geschärft durch Urteilskraft,

finden wir als Volk zum Selbstverständnis zurück, dessen wir um der Zukunft willen bedürfen.

Wahrhaftigkeit im geschichtlichen Denken ist die einzig tragfähige Grundlage von Völkerversöhnung und -verständigung.

Und die bereits vor 30 Jahren ausgesprochene Mahnung des Historikers Prof. Dr. Hellmut Diwald hat an Gültigkeit nichts verloren:

Ein Volk, das sich seiner Vergangenheit berauben, seine Erinnerung verzerren und seinen Selbstwert verstümmeln läßt, entwurzelt seine Existenz. (42)

_________________________

Anmerkungen

35) Gerd Schultze-Rhonhof, Der Krieg, der viele Väter hatte, München, 7. überarbeitete und erweiterte Auflage 2012, S. 612

36) Ebd., S. 613 f.

37) Hermann Boehm, Norwegen zwischen England und Deutschland, S. 13

38) Walter Post, a.a.O., S. 16

39) ebd., S. 18

40) ebd., S. 19

41) Karlheinz Weißmann, Eine tief eingefressene Erkrankung, JF Nr. 47/14, S. 13

42) Helmut Diwald, Mut zur Geschichte, Bergisch Gladbach 1983, S. 8

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