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Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: „Ich bin der Faschismus.“ Nein, er wird sagen: „Ich bin der Antifaschismus.“ Das soll – wie treffend! – der italienische Sozialist Ignazio Silone einmal gesagt haben.

Diana Thorn, Von einem, der auszog, Musik zu machen – und das Fürchten lernte*

Erich Kloss dirigiert in der Walzwerkhalleder Vereinigten Deutschen Metallwerke in Frankfurt-Heddernheim

In ihrem überaus spannenden Sachbuch zur Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert zeigt die Autorin am Beispiel eines außerordentlichen Künstlers und Menschen und dessen Schicksal auf, wie ein Gesinnungssystem mit seiner aus Engstirnigkeit geborenen Unmenschlichkeit das andere ablöste. Der immer gleiche Dünkel dem Vorhergehenden gegenüber ist das Kennzeichen der jeweils neuen Rechtgläubigen mit ihrem immer gleichen Säuberungswahn.

Wir befinden uns in unserer Wiedergabe der Geschichte des Musikers Erich Kloss nach den Schilderungen Diana Thorns in der Zeit des alliierten Bombenterrors über Deutschland im Sommer 1944, des Kriegsendes 1945, des Neuanfangs und der Zeit danach unter Leitung unserer „Befreier“.

Sorge um die Existenz

In München herrscht Bombenangst …

An einem Junitag steht Milly mit Koffer und kleiner Tochter in einer Menschenmenge am Bahnhof und wartet schicksalsergeben, bis sie von den Helfern des städtischen Evakuierungsprogramms in einen der Züge in Richtung Umland geschoben wird … (a.a.O., S. 196-197)

Am Bahnhof Dießen steigt sie aus dem überfüllten Zug aus. Die Szene auf dem Bahnhof wirft ein Licht auf die Hilfsbereitschaft der Deutschen, wie sie auch besonders in der damaligen Notlage des Volkes aufblühte:

Wer in Dießen ein Quartier zur Verfügung stellen kann, ist am Bahnhof versammelt. Etwas wie Marktatmosphäre kommt auf, als sich die Einheimischen ihre künftigen Untermieter aus der Ansammlung wildfremder Menschen picken.

Ein älteres Weiblein fliegt auf die elegante junge Mutter mit ihrem kleinen Mädchen und schleust sie eilig aus dem Getümmel. Maria Abendthum hat 1 1/2 Mansardenzimmer unterm Dach ihrer Jugendstilvilla … zu bieten, einen Garten gibt es auch … (ebd., S. 197)

Milly hat es allen Gefahren zum Trotz durchgesetzt, noch einmal schwanger zu werden. Sie bringt in Pähl am Tag des Stauffenberg-Attentats auf Hitler ihre zweite Tochter zur Welt.

Derweil dröhnen alliierte Bomber über München. Bis Ende des Monats werden bei sechs Luftangriffen mehr als dreitausend Menschen dem Massaker an der Zivilbevölkerung zum Opfer fallen.

Am Nachmittag des 20. Juli kommen [Töchterchen] Edda und der von zwiespältigen Gefühlen zerrissene Vater mit dem Rad von Dießen herüber …

Er hat die Kriegsopfer in den Lazaretten gesehen, die Ratlosigkeit der Offiziere. Der Krieg gilt als verloren. Wie lange blieben seine Einkünfte gesichert, um die größer gewordene Familie zu ernähren? (ebd., S. 198)

In der Reichsmusikkammer häufen sich die Notfälle. Man versucht zu helfen, wo es unter den gegebenen Verhältnissen nur geht.

Ansonsten gilt es, Blindenkonzerte und Veranstaltungen fürs Blindenlazarett zu unterstützen und vemißte Musiker zu suchen und zu melden. Noch in seinem Niedergang ist der Kammer-Apparat perfekt geordnet. (ebd., S. 199)

Das Ende des Reichssymphonieorchesters

Am 1. Februar 1945 werden die Reste des NS-RSO und der Münchener Symphoniker zum „Gau-Symphonieorchester des Traditionsgaues München-Oberbayern“ zusammengeklaubt. Laut Ausweis Nr. 2 für Staatskapellmeister Erich Kloss dient es der Betreuung der Wehrmacht und wird in der Rüstung sowie zu öffentlichen Konzerten eingesetzt …

Am 25. Februar geht der 46. Luftangriff der Alliierten auf das zerbombte München nieder … wieder … kommen an die 600 Einwohner ums Leben. Das Reich liegt in den letzten Zügen.

Dabei scheint alles im Sinne der anglo-amerikanisch/russischen Allianz zu verlaufen. (ebd., S. 200)

Durch die Dezimierung namentlich der Arbeiter unter der Zivilbevölkerung – so die begründete Vermutung der Autorin – konnten mögliche Aufstände verhindert werden. Sie zitiert einen „freien Mitarbeiter des PDS-Organs Neues Deutschland, den Journalisten und Buchautor Günter Reimann**, 1997:

Stalin und Roosevelt/Truman hatten fast panische Befürchtungen, daß sich die Arbeiter vor (!) der Besetzung (durch die Alliierten) erheben könnten. Sie wollten als Siegermächte das eroberte und zerstörte Deutschland beherrschen und es „entgermanisieren“. (ebd.)

70 Jahre später scheinen sie mit Hilfe der Bundeskanzlerin Merkel und des Bundespräsidenten Gauck diesem Ziele ein großes Stück näher gekommen zu sein.

Die „Befreier“

Mit dem 29. April kommen die Eroberer in den Ort. Die Polizei wird entwaffnet, alles, was schießt, schneidet oder sticht, muß bis 13:00 Uhr am Martplatz abgegeben werden, auch Ferngläser und Photoapparate werden eingesammelt.

Dießen ist besetzt, wird per „Ausläuten“ verkündet, wenn auch nur ein einziger Schuß falle, werde der Ort unter Artilleriefeuer genommen. Oben am Weg zur Kirche steht eindrucksvoll ein Panzer, das Kanonenrohr auf den Markt gerichtet. Weitere Panzer stauen sich auf den Straßen.

Im Kloster-Lazarett neben der Kirche holt man verwundete SS-Leute aus den Betten und ringsum unbescholtene Bürger aus ihren Häusern, Kommandostationen werden eingerichtet. (ebd., S. 201)

Allen Dießenern wird klar geworden sein: Jetzt geht sie los, die Demokratie mit ihren Menschenrechten!

Ab 18:00 Uhr ist Ausgangssperre. Lamellenritzen und Vorhangspalten gewähren gleichwohl furchtsame Blicke nach draußen, wo der Abtransport deutscher Kriegsgefangener in vollem Gange ist. Mit Peitschenschäften und Gewehrkolben schlagen die amerikanischen Soldaten zu, mit Vorliebe auf die ausgemergelten grauen Schädel der Besiegten.

Der Elendstreck ist Teil eines Gefangenenheeres von zwölf Millionen; Hunderttausende werden in den kommenden Monaten in den Lagern verhungern und verdursten. (ebd., S. 201-202)

De Gaulles Truppen bringen die Steigerung:

Etwa 300 Franzosen unter dem Kommando eines Capitaine Belvalette nehmen in Dießen Quartier und machen sich sogleich daran, heimgekehrte Wehrmachtsangehörige in ihren Häusern aufzuspüren und ins Dießener Rathaus zu befördern, wo ein provisorisches Gefängnis eingerichtet ist. …

Der junge Polizeioffizier Teichmann aus Raisting … will bei seiner Verhaftung noch die Uniform anlegen, wird von den französischen Soldaten jedoch davon abgehalten, weil man es eilig habe. Es sei auch nicht nötig, wird ihm bedeutet.

Am Morgen nach den Festnahmen überrascht Capitaine Belvalette den kommissarischen Dießener Bürgermeister mit der Ankündigung, er wolle heute vier Männer erschießen lassen, denen Spionagetätigkeit vorgeworfen werde. Beweis sei die Tatsache, daß die Männer in Zivil angetroffen worden seien. (ebd., S. 202-203)

Dem Bürgermeister ist kein entsprechender Kleidererlaß bekannt.

Belvalette schickt ihn zur Nachhilfe hinüber zum Dießener Hotel Neue Post, wo ein 10×20 cm großer Zettel hängt: „Deutsche Soldaten, die noch nicht vom Militär entlassen sind und in Zivil angetroffen werden, werden erschossen.“ (ebd., S. 203)

Teichmann ist unter den Opfern der Exekution!

Die vier Menschen sterben ohne Rechtsverfahren, ohne Kenntnis einer Schuld.

Eine Benachrichtigung der Angehörigen gibt es nicht. Nachdem man die Toten gleich am Ort verscharrt hat, wird die Nachricht von ihrer Hinrichtung durch den Gemeindediener ausgeläutet: „Wegen Spionage erschossen wurden: …“ (ebd.)

Die Franzosen plündern und stehlen den Deutschen

Radios, Uhren, Schmuck, ganze Warenlager aus den Geschäften, Weinvorräte aus den Kellern …

Immer wieder verschwinden Mädchen und tauchen tief verstört nach einiger Zeit wieder auf. In Riederau sind Vergewaltigungen an der Tagesordnung.

… Besonders wüst treiben es die Franzosen im Hinterland zwischen Ammersee und Lech*** auf den Dörfern. So ungehemmt, wie sie die Tiere der Dorfbewohner massakrieren, schrecken sie auch vor der Ermordung der Einwohner nicht zurück … Wer Glück hat, wird an einem Baum ins Visier genommen und doch nicht erschossen („du zu alt“) oder muß sein Grab schaufeln und wird dann doch nicht hineingestoßen.

Auch die Amerikaner verstehen sich auf Scheinhinrichtungen. Bleibenden Ruhm als Schauplatz einer solchen Tortur wird das Dörfchen Unterfinning erlangen … (ebd., S. 204)

Ersparen wir uns weitere Schilderungen! Jedenfalls:

Als die Franzosen am 27. Mai ihr ziviles Schlachtfeld räumen, sind die Dörfer verwüstet, Hab und Gut der Landbevölkerung – wo nicht weggeschleppt – zertrümmert oder verbrannt.

Die Überlebenden beginnen, ihre Toten zu suchen … Von der 70-jährigen Austragbäuerin bis zum 12-jährigen Mädchen hat kaum ein weiblicher Bewohner die Franzosenzeit ohne Vergewaltigung überstanden. (ebd., S. 205)

Der Wohnung beraubt

Trittbrettfahrer des alliierten Unrechts-Regimes ergaunern sich die Münchener Wohnung der Familie Kloss. Die Sängerin Sommerschuh mit Ehemann Mauermann, einem gewieften Advokaten, deren Wohnung beschädigt ist, jammert, und der gutgläubige Erich Kloss bietet ihnen an,

bei ihm in der Auffahrtsallee zu wohnen, bis das bereits für sie laufende amtliche Wohnraum-Beschaffungsprogramm ihre endgültige Unterkunft bestimmt. (ebd., S. 207)

Das Wohnungsamt bestimmt zwar, daß die Wohnung für die 4 Personen der Familie Kloss samt 2 Konzertflügeln gebraucht wird, so daß die Sommerschuhs nach 18 Tagen wieder ausziehen müßten, doch die denken nicht daran. Sie nutzen

die jetzt angebrochene Zeit der Säuberung Deutschlands von den Nationalsozialisten … Zwar dürfte es für Sommerschuh/Mauermann schwierig werden, für sich eine Verfolgung durch das NS-Regime nachzuweisen und so in den Besitz der Wohnung zu gelangen; dazu haben beide zu gut im Milieu verdient – wie aber steht es um die Belastung von Erich Kloss mit seinem „Führer“-Orchester?

Als der Dirigent am 17. August 1945 sein Nymphenburger Heim betreten will, versperrt ihm ein an die Tür geklebter Erlaß der „Wohnungspolizei“ den Zugang.

Die Wohnung ist ab sofort beschlagnahmt, samt Konzertflügeln und allem Mobiliar.

Mit flatternden Nerven eilt der Ausgesperrte zum Wohnungsamt. Hier erfährt er, daß er gemäß Verordnung der geltenden Not-Gesetze der amerikanischen Siegermacht aufgrund seiner Eigenschaft als Vorstand eines NS-Ortsgruppenvereins enteignet worden sei. (ebd., S. 208)

Das Elite-Orchester des Deutschen Reiches wird aufgelöst und verschwindet auf Nimmerwiedersehen.

Die Säuberung Deutschlands

Treffend bemerkt Thorn:

Im Herbst 1945, am 6. Oktober, erscheint als Prototyp der neuen freien Presse die Ur-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung – Münchner Nachrichten aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Sport. (ebd., S. 209-210)

Sie schreibt: General Eisenhower habe die Säuberung in der amerikanischen Besatzungszone, also auch Bayerns, angeordnet. Den zögerlichen Ministerpräsidenten Schäffer habe er abgesetzt, auch General Patton – die Deutschen nun aus der Nähe erlebend und dadurch deutschfreundlich geworden – habe gehen müssen.

Die von den Nationalsozialisten beschworene „Volksgemeinschaft“ – hat sie je bestanden, fragt man sich beim Anblick der plötzlich zu Antifaschisten gewendeten Deutschen, Menschen, die stets auf der richtigen Seite sind. Jetzt in der neu ausgebrochenen „Demokratie“ helfen nun solche Deutsche, eigene Volksangehörige –  Schicksalsgenossen! – in ihrer Existenz zu vernichten. Nun erst ist Deutschland besiegt:

Neuer Regierungschef in Bayern ist der Sozialdemokrat Wilhelm Hogner, der die gründliche „Auskehr der Nazis aus den Ämtern“ gelobt (noch sind von 470 000 erst 50 000 entfernt) und ein Wahl-Verbot für Nazis verfügt, „bis sie demokratisch denken gelernt haben“.

Befriedigt stellt das [Lizenz-]Blatt fest, daß in der amerikanischen Zone bereits 120 000 Nazis aus ihren Ämtern entlassen wurden, was einen Zuwachs von 50 000 allein im August bedeute.

Ansonsten  füllen Hinrichtungen verurteilter Nationalsozialisten die Seiten, auch zwei letzte Exekutionen der Naziherrschaft sind erwähnt …

Es fällt auf, daß sich die journalistischen Beiträge im Ton den Hetztiraden des soeben beseitigten Regimes als durchaus ebenbürtig erweisen, im Aufschäumen von Metaphern fast überlegen …

Fast geht unter, was in einer kleinen Ecke der Wirtschaftsseite steht: Amerikaner und Vereinte Nationen „übernehmen“ in der amerikanischen Zone 16 deutsche Industrieanlagen in Sach- und Vermögenswerten; darunter IG Farben (Kapital 1 400 Millionen) mit 24 Betrieben, Bayerische Motorenwerke und Kugelfischer (größte Kugellagerfabrik Europas). Die Werke werden demontiert oder, soweit beschädigt, vernichtet. (ebd., S. 210)

Die Sieger und ihre deutschen Handlanger scheinen sich nicht zu schämen. In Nürnberg tagt das Sieger-Tribunal gegen die deutschen „Kriegsverbrecher“.

Erich Kloss dagegen kommt glimpflich davon: Er darf zwar nicht mehr konzertieren, aber arbeiten darf er noch, und zwar als Zwangsarbeiter

unter amerikanischem Kommando: Steine klopfen, Gräben ausheben, Straßendämme aufschütten. (ebd., S. 214)

Doch auch im „demokratischen“ Nachkriegsdeutschland unter alliierter Führung klappt das Maulkorbverteilen wie am Schnürchen:

Am 8. Januar 1946, dem Tag, an dem die Ministerpräsidenten von Bayern, Württemberg-Baden und Groß-Hessen mit amerikanischer Hilfe das „Gesetz zur Befreiung von Nationalismus und Militarismus“ in Stuttgart aus der Taufe heben, erhält Erich Kloss eine Mitteilung vom Landsberger Landratsamt. Die Militärregierung hat ihn in die Liste„ aktiver Nationalsozialisten“ aufgenommen. (ebd., S. 217)

Das Spruchkammerverfahren kommt zu dem Beschluß, ihn als „Mitläufer, Gruppe IV“ einzustufen. Er kann jetzt wieder seinen Beruf ausüben. Doch wird darauf bestanden, daß er einen Sühnebeitrag von 1200 Reichsmark bezahlt. Dazu ist der Mittellose nicht imstande. Sehr richtig kennzeichnet Thorn die ganze Falschheit des neuen Regimes:

Die Hilfs-Sheriffs in den Kammern sind nicht eingesetzt, Gerechtigkeit zu üben, sondern deren Anschein zu erwecken …

Der Unterhalt für die Familie läßt die Kammer kalt. (ebd., S. 227)

Zu allem Elend wird der Familie Kloss nun auch noch die Dießener Wohnung entrissen. Am 26. Oktober 1947 geht sie über an die polnisch-jüdische Familie Sbik.

Zu acht waren sie am Morgen gekommen – amerikanische Soldaten – und hatten die Mutter mit den zwei kleinen Mädchen aus der Wohnun geholt. Innerhalb vier Stunden mußte sie, was sie an Lebensnotwendigem zu brauchen glaubte, hinunter auf die Straße schaffen. Ein rothaariger GI mit Peitsche hatte die Räumungsaktion überwacht.

Als alles mit Hilfe von Nachbarn herunter getragen war, befahl der Rothaarige, das meiste wieder hinaufzuschleppen, weil es von den Wohnungsnachfolgern benötigt werde … (ebd., S. 233)

Die Familie Kloss war nun obdachlos. Wohin sollte sie sich wenden? Neben ihrem Eigentum waren auch ihre Papiere bei den Sbiks eingeschlossen. Schließlich landet sie in der Küche der ehemaligen Villa des Simplizissimus-Zeichners Heine, eingerichtet mit Küchentisch, Wasserhahn und Herd. Zum Comfort der Bleibe gehört auch ein

Plumpsklo am Ende einer langen, nach Norden offenen Galerie, das man sich mit der adligen Nachbarin teilt. (ebd., S. 237)

Etwas tröstlich ist, daß in Heines verlassenem Atelier der Steinway-Flügel von Erich Kloss untergebracht ist. Ansonsten ist alles verloren. Bleibt noch übrig

die Schächtung des Namens von Erich Kloss.

Wer ohne Namen ist, ist nicht. Die Büttel der verordneten, neuartigen „Demokratie“ der Antifaschisten wissen das. In ihrem bewundernswerten Gerechtigkeitssinn lassen sie Erich Kloss vielleicht hier und da musizieren, gern auch in

verschiedenen „Amerika-Häusern“ …, wie sie derzeit allenthalben als Repräsentanten amerikanischer Kultur aus dem Boden schießen. Kompositionen Neuer Amerikanischer Musik von Autoren wie Frederic Jakobi, Roy Harris oder Ulric Cole sollen von amerikanischer Musikkultur zeugen, zwischendrin erholt man sich bei einem Dvořák Klavierquintett. (ebd., S. 242)

Aber stets ohne Nennung seines Namens. Als er sich im Kultusministerium beim Leiter der Musikabteilung Dr. Kannewischer – nach Vorlage des von der dortigen „Politischen Abteilung“ angeforderten Spruchkammer-Urteils! – erkundigt, ob er „auch als Dirigent und Solist eingesetzt werden könnte, erklärte er: „Ausgeschlossen, nur als Begleiter oder für Kammermusik“.

Bei einem nochmaligen Vorsprechen bei Kannewischer zeigte dieser ihm

eine Anweisung der Politischen Abteilung, wonach der Musiker Erich Kloss nicht als Solist eingesetzt und sein Name nicht im Rundfunkprogramm genannt werden darf. (ebd., S. 243)

Die Befreier und Führer zu unserem „freiesten Staat, den es je auf deutschem Boden gegeben habe,“ haben nach Auskunft Kannewischers das Sagen bei

Radio München [, einem] Sender der Militärregierung, und man müsse das Gesicht wahren … Er bedauerte, nichts machen zu können; im Haus habe jemand Einspruch erhoben. Meine Bitte um Namensnennung und Gegenüberstellung wollte er nicht erfüllen. Der Betreffende habe nur darauf hingewiesen, daß ich 1932 der Partei beigetreten sei. Im Übrigen könne ich aber im Funk [anonym im Orchester] als Musiker tätig sein.

So hat Kloss das Geschehen schriftlich festgehalten. Er ergänzt:

Ich schied mit den Worten, es bewahrheite sich auch in diesem Fall, daß man die Kleinen hänge und die Großen laufen lasse. Er bestätigte, das ganze Säuberungsgesetz sei so, das sei nicht zu ändern. (ebd., S. 244)

Auch dem Intendanten fällt kein Ausweg ein, der wenigstens einen Hauch von Moral aufgewiesen hätte. Er sei mit Kannewischer und der Musikabteilung

übereingekommen, es bei der Entscheidung der Politischen Abteilung zu belassen. Sie könnten auch nicht gestatten, daß ich (wie von Herrn Westermeier**** vorgeschlagen) den zweiten Klavierpart bei einem „Duo Hans Westermeier“ übernähme.

Denn hier wäre die Nennung seines Namens unvermeidbar gewesen.

Dagegen hielt es der Intendant für möglich, daß ich bei einem TRIO gehobener Unterhaltungsmusik mitwirkte, wenn mein Name ungenannt bleibe …

Dazu bemerkt Thorn:

Dem früheren Leiter des Kleinen Funkorchesters wird es nicht gestattet werden, im Trio seines ehemaligen Bratschers Georg Troibner mitzuspielen.

Bei anderer Gelegenheit fragt er Kannewischer,

wie lange denn meine Aussperrung bei Radio München noch dauern solle … „Für immer“,

war die Antwort. Die große Menschlichkeit des dem NS so überlegenen neuen Systems ist dabei,

mit der radikalen Tilgung seines Namens seine künstlerische Existenz vollständig auszulöschen,

vermerkt Thorn. (ebd., S. 244-246)

Ein bescheidener Neuanfang

Im Januar 1949 wird der Besatzungssender Radio München in eine „Anstalt des öffentlichen Rechts“ umgewandelt und in Bayerischer Rundfunk umbenannt.

Das Nürnberger Frankenorchester ist an ihn herangetreten, bei Gastkonzerten mitzuwirken

unter der Voraussetzung, daß er für den Rundfunk zugelassen sei, da die Nürnberger Konzerte häufig vom Sender übertragen würden.

In Sorge, weil er die Aussichtslosigkeit erlebt hat, beim Münchner Sender wieder Fuß zu fassen, wendet er sich an den Staatsintendanten Lippl,

der sich zwar immer mal wieder mit Unterlagenmaterial aus dem Entnazifizierungsverfahren versorgen läßt, um dann weiterhin Schweigen zu bewahren …

wochen- und monatelang.

In der Zwischenzeit bittet er [Kloss] in weiteren Briefen um Geduld beim Nürnberger Orchester …

Posten, wie er sie sich wünscht, um an frühere Zeiten wieder anzuknüpfen, werden – wie Thorn mit Recht schreibt –

längst wieder nach Parteipräferenzen vergeben …, nur daß es jetzt die wieder aufgelegten Parteibücher von Sozial- und Christdemokraten sind, die über Besetzungen entscheiden. (ebd. S. 259-260)

… zum x-ten Mal sieht sich der Dirigent genötigt, die Beurteilungen aus der Spruchkammerakte zusammenzuraffen und mit der Bewerbung einzureichen.

Kein verurteilter Krimineller hätte mehr Mühe mit einer Anstellung haben können –

trifft Thorn den Nagel auf den Kopf. Endlich am 1. September 1949 ist er „Ständiger künstlerischer Leiter und Chefdirigent des Fränkischen Landesorchesters“, zunächst auf ein Jahr für 800 Deutsche Mark Jahresgehalt!

Doch damit endet seine Verfolgung nicht. Seine Neider und Feinde, teils selbst ehemalige Pgs., tragen ihm seine NS-Vergangenheit nach, so erklärt z. B.

der inzwischen als unrechtmäßiger „Doktor“ aufgefallene SPD-Mann Beck …: „Keinen Pfennig für ein Orchester, das von Kloss dirigiert wird“.

Es ging heiß her, und wenn ich nicht gestürzt wurde, so verdanke ich das den Mitgliedern des Fränkischen Landesorchesters, das geschlossen vor mich trat, der Nürnberger Gewerkschaft und einigen fränkischen Rundfunkräten. Seither habe ich Ruhe, unberufen! (ebd., S. 263)

Nach 5-jähriger „Besatzungszeit“ gibt Familie Sbik die Kloss’sche Wohnung frei. Sie hinterläßt Schmutz, sperrmüllreifes Mobiliar, einen ausgeleerten Kleiderschrank. Familie Kloss kann ihre Küchen-Unterkunft verlassen und in ihre – demolierte – Wohnung zurückkehren.

Doch immer noch

achtet man in den Redaktionsstuben der Süddeutschen Zeitung besonders penibel darauf, daß sein Name nicht erscheint. Eine Rezension, die es bereits in die Layout-Montage der Kulturseite geschafft hatte, wird mit einem roten „Nazi“ markiert und umgehend daraus entfernt – Gepflogenheit einer Zeitung, die in ihrer Erstausgabe am 6. Oktober 1945 mit dem Anspruch angetreten war,

„nach dem Zusammenbruch der braunen Schreckensherrschaft“ durch „keine Zensur gefesselt, durch keinen Gewissenszwang geknebelt“ zu sein. (ebd., S. 273)

Ein Beispiel einer Rezension führt Thorn an für die Aufführung einer Kantate, deren Ausführende, die Sänger, Sängerinnen, Sprecher, sämtlich mit Namen genannt werden. Den Namen des Dirigenten sucht man vergebens.

Auf Plattenhüllen werden die Ausführenden der Konzerte samt und sonders – außer Kloss – genannt.

In München hat man es … so weit getrieben, daß man gar nichts druckt, was mit dem Namen Kloss in Verbindung steht.

Thorn sieht das alles als ein Syndrom an, das sich

unter dem Stichwort „organisiertes Totschweigen“ zusammenfassen

lasse. Nachdem sich jahrelang für Kloss,

den Dirigenten, den es nicht gab,

nichts geändert hat, tritt

Milly energisch und selbstbewußt in Aktion

Sie ergänzt die mageren Einnahmen ihres Mannes, indem sie eine Tätigkeit in einem Buchverlag annimmt. Sie macht den Führerschein und kauft einen schwarzen Käfer in Wolfsburg. Sie organisiert den Erwerb eines Stückchens Land am Ammersee, dazu eine Abbruchhütte, so daß die Familie sich dort erholen kann.

1962 bringt sie es zum Erwerb einer geräumigen Altbau-Etage in München-Schwabing.

"der gefesselte Genius Erich Kloss" (Diana Thorn)

Doch das Fränkische Landesorchester mit seinem Chefdirigenten Erich Kloss darbt weiter vor sich hin. Dennoch

bleibt die Qualität des Orchesters hoch. Sein unterbezahlter Chefdirigent zieht unermüdlich finanziell unterernährten Nachwuchs auf, den er regelmäßig, bei erlangter Reife, an die gefüllten Krippen der großen Orchester verliert. Die schauen inzwischen nur allzu gern nach Nürnberg, wenn es um Neubesetzungen geht.

So haben es denn die sich ändernden und alles verändernden Zeitläufte bewirkt, daß aus dem rücksichtslosen Störenfried der Mittagspausen älterer Orchestermitglieder ein väterlicher Musikerzieher für junge Instrumentalisten geworden ist, „Papa Kloss“, wie sie ihn inzwischen in zutraulicher Verehrung nennen.

Das Ende

Kloss stirbt, wie er gelebt hat:

Mit nicht erkanntem, nicht kuriertem Herzinfarkt begibt er sich Mitte Mai 1967,

die vielstimmigen Vorhaltungen seiner Familie mißachtend, direkt vom Krankenlager auf den Weg nach Nürnberg … Ein durch nichts zu erschütterndes Pflichtgeühl und Rücksichtnahme auf den Terminplan der zur Aufnahme bestellten Künstler lassen keine Rücksicht auf die eigene Gesundheit zu.

Fieberrot und am Ende seiner Kräfte kehrt er von dieser Fahrt zurück. Zum ersten Mal in seinem Leben habe er nurmehr sitzend dirigieren können, erzählt er in merkwürdigem Stolz …

In selbstzerstörerischem Trotz hatte er den Gewaltakt gegen sich verübt …

Am 31. Mai 1967 stirbt Erich Kloss.

Zwei oder drei Tage später erhält Milly die Nachricht von der Werbung um den Dirigenten Erich Kloss seitens des Philadelphia Philharmonic Orchestra.

Nach all dem Hoffen und Warten, dem vergeblichen Scharren und Kratzen an den fränkischen Kerkerwänden – ausgerechnet jetzt, nur Stunden nach seinem Tod – ergeht der ersehnte Ruf in die Welt an den Dirigenten!

Diana Thorn erwähnt in dem Zusammenhang Wilhelm Furtwängler, dem es nicht gelungen sei, in den USA Fuß zu fassen und von dessen Schicksal Willy Brandt in seinen Erinnerungen schreibt:

Nachgeborene, die dem Dirigenten vorhalten, den Nazis gedient zu haben, wissen nicht, wovon sie reden. Die Wege zwischen begnadeter Kunst und erbärmlicher Politik sind verschlungen.

Man kann sich aussuchen, wie Henry Kissinger mit seinem in zwiefachem Sinne treffenden Abschiedswort für Helmut Schmidt verstanden sein wollte:

… Helmut sah sich in der Pflicht, sein Land aus dem Gestern in eine Welt zu führen, die Deutschland nie gekannt hatte.

Eine, die noch aus besagtem „Gestern“ stammt, die noch von Tapferkeit und Treue weiß, von Gefährtenschaft im Reiche Hoher Kunst, die verehrte – seinerzeit 85-jährige – Pianistin Elly Ney, spielt beim Eröffnungskonzert der Saison 1967/68 der Nürnberger Symphoniker die Beethoven-Konzerte Nr. 4 und 5

zu Ehren des verstorbenen Erich Kloss.

Diana Thorn hat ihn der Vergessenheit entrissen. Ihr sei Dank für ihre überlegene Gesamtschau, in der sie das Schicksal von Erich Kloss darstellt!

_________________________________

* Verlag Hohe Warte, Pähl 2014

**Der Spiegel 46/1997, „Ein Mann für alle Jahreszeiten.“

***Archiv Heinrich Pflanz, Landsberg.

**** Hans Westermeier, Rundfunkpianist und Langenhan-Schüler.

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Maurer
Maurer
4 Jahre zuvor

Das Buch ist sehr interessant und zeichnet die Zeit sehr ausdrücklich wieder.

jasosans
jasosans
4 Jahre zuvor

Verehrte Adelinde, haben Sie Dank für diese Veröffentlichungen. Ich werde sie mit Ihrer Erlaubnis weiter verbreiten, wann und wo sich die Gelegenheit dazu ergibt.

Willy Slansky
Willy Slansky
1 Jahr zuvor

Im Heimatjahrbuch des Saale-Orla-Kreises 2023 wird ein Beitrag über Erich Kloss erscheinen. Er wurde in der Kreisstadt Schleiz des heutigen Saale-Orla-Kreises geboren.

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