Feed für
Beiträge
Kommentare

Wilhelm Furtwängler war Komponist und einer der bedeutendsten Dirigenten, den die Welt gesehen hat

Darin gleichen diktatorische Regimes einander:

Sie messen und beurteilen auch die Überragenden eines Volkes mit ihren regime-ideologischen Maßstäben. Wer nach denen nicht spurt, wird – nicht nur – mit Worten niedergemacht und dem Volk entfremdet und seinem Bewußtsein entzogen.

Wilhelm Furtwängler (Foto: Brockhaus)

Ich erinnere mich noch gut unseres Musiklehrers in einem Hamburger Gymnasium, wie er uns jungen Schülerinnen im Nachkriegs-Deutschland – entgegen dem neuen Mainstream – ein Bild Wilhelm Furtwänglers zeigte und sagte:

Dies war die Idealgestalt, die wir verehrten.

Kaum zu fassen aber:

Der von Goebbels verfolgte Furtwängler wird – wie so viele Zeitgenossen des NS – auch im Mainstream Nachkriegs-Deutschlands nicht von übler Nachrede verschont.

Seine „Verbrechen“:

  1. Er war – ehe er 1934 wegen der nat.-soz. Kulturpolitik zurücktrat – von 1933-34 Vizepräsident der Reichsmusikkammer.
  2. Er blieb den Deutschen mit seiner Musik während des NS-Regimes treu und daher im Land. Er machte es sich nicht wie andere leicht, indem er sich von Deutschland absetzte. Erst in letzter Minute vor der ihm drohenden Vernichtung im nationalsozialistischen Zwangsstaat kurz vor Kriegsende konnte er noch in die Schweiz entweichen.

Das letzte Konzert inmitten von Trümmern

Ein Beispiel zu Punkt 2 schildert KARLA HÖCKER in ihrem Büchlein Begegnung mit Furtwängler, Bertelsmann1956, S. 32-35, damit ein Licht nicht nur auf Furtwängler, sondern auch auf die Deutschen werfend:

Dann, rasend schnell, begann das Ende. Der fürchterliche Sog des „totalen Krieges“ verschlang wie ein gefräßiger Riese alles, was das Leben der Menschen noch lebenswert, was es menschlich sein ließ. Die große Musik verstummte fast ganz, die Kunstwerke wurden verlagert, Museen, Noten, Bücher, Theater – alles geopfert.

Unter der kleinen Zahl prominenter Künstler, die bis zuletzt in das arme, zertrümmerte und aus tausend Wunden blutende Berlin kamen, stand Wilhlem Furtwängler an erster Stelle.

Seine letzten Konzerte, zwischen Stromabsperrungen und gellenden Sirenen, von Tod und Vernichtung schaurig umstellt, waren wie ein Triumph des Geistes über die Materie, letzter Halt in einer stürzenden Welt.

Wieder sind es Einzelszenen, oft nur Augenblicksbilder, die sich mir mit besonderer Deutlichkeit eingeprägt haben; so die Probe am 10. Dezember 1943, als kurz zuvor fast alle größeren Gebäude um den Philharmonie-Komplex zerstört worden waren.

Furtwängler, von einer Tournee kommend, mußte über Berge von Schutt und verbogenen Eisenträgern klettern, um den Saaleingang zu finden. Er habe nicht geglaubt, daß hinter diesen Trümmern noch irgend etwas stehen könne, sagte er zum Orchester, mit einem schwachen Versuch zu scherzen.

Im Verlauf dieser Probe mußte ihm Oswald Schrenk, der später selber durch Bomben ums Leben kam, die Mitteilung machen, daß Bote & Bock getroffen sei und unter den Mauern auch Furtwänglers Sinfonie liege – allerdings im Tresor.

Furtwängler sagte nichts, aber er wurde leichenblaß bei dieser Hiobspost und ging eine ganze Weile schweigend vor dem Podium auf und ab. Knapp sechs Wochen später stand auch dieses, stand die Philharmonie nicht mehr: Das Orchester war heimatlos geworden.

In dieser schweren Zeit zeigte sich Furtwänglers innere Verbundenheit mit den Philharmonikern; nicht mit Worten, schon gar nicht in wehleidigem Beklagen.

Er war in Augenblicken der Not absolut sachlich. Es war einfach sein Da-Sein, sein echtes Mitgefühl und das Bemühen, trotz der zunehmenden Gewalt der Angriffe alle möglichen Behelfssäle auszuprobieren, um wenigstens noch eine Art Notbetrieb und damit den Bestand des Orchester aufrechtzuerhalten.

Und fast nach jeder Probe, jedem Konzert fanden sich verzweifelte Menschen vor seinem Künstlerzimmer ein, Musiker, deren Existenz von den Mächten der Zeit bedroht war, oft ganz fremde, die selber oder deren Angehörige aus „rassischen Gründen“ in Gefahr waren: Denn daß Furtwängler half, wo er konnte, war allgemein bekannt.

Er vertraute dabei auf die Macht seines Namens, und es war ihm vollständig gleichgültig, ob, was er tat, denen „oben“ genehm war …

Keines seiner Konzerte hat sich dem Gedächtnis mit so geisterhafter Eindringlichkeit eingeprägt wie das allerletzte, am 23. Januar 1945, das im Admiralspalast stattfand, einem ehemaligen Ausstattungstheater mit flacher rotsamtener Eleganz.

Es begann um drei Uhr nachmittags, der allabendlichen Alarme halber. Gleich zu Anfang, es war im langsamen Satz der Es-Dur-Sinfonie von Mozart, gab es so etwas wie eine Schrecksekunde. Plötzlich erlosch das Licht!

Nur ein paar Notlämpchen brannten und warfen einen schwachen bläulichen Schimmer über die Musiker, die weiterspielten, über Furtwängler, der ruhig weiterdirigierte. Zwei, vier, sechs Takte: dann versickerte der Klang. Nur die Ersten Geigen wußten noch weiter, schmerzlich suchend verlor sich ihre holde melodische Linie im Nichts.

Furtwängler wandte sich um, sein Blick irrte über die Zuhörer, über das verstummte Orchester, langsam ließ er den Taktstock sinken. Es war offenbar: Der Krieg, die brutale Realität hatte über das Geistige den Sieg davongetragen.

Zögernd verließen die Musiker das Podium, Furtwängler folgte. Erst nach einer Weile wurde mitgeteilt, daß es sich um eine unvorhergesehene Stromabsperrung handle, deren Ende ungewiß sei. Es könne Stunden dauern. Doch diese vage, nichts versprechende Nachricht vertrieb nicht einen einzigen der Zuhörer!

Fröstelnd standen sie in den dunklen Foyergängen umher, im trostlos grauen Hof; und hinter der Bühne warteten die Orchestermitglieder, und auch sie verteilten sich nicht, wie sonst, sondern blieben zwischen den seltsamen Umrissen der Versatzstücke in Gruppen beieinander, als ströme ihnen aus diesem Zusammenstehen etwas wie Sicherheit oder Schutz oder doch wenigstens Trost zu.

Furtwängler, mitten unter ihnen, überragte alle, und sein Gesicht zeigte einen Ausdruck tiefster Besorgnis. Es war so deutlich, daß dies ein letztes Konzert war, dem keines mehr folgen würde. Es war so deutlich, wohin dies alles steuern mußte! Was sollte aus dem Orchester werden, wenn es keine Konzerte mehr gab?

Wie eine dunkle Gewitterwolke hing das Kriegsschicksal über allem: der Stadt, den Menschen, der Musik.

Als nach einer Stunde geduldigen Ausharrens das Konzert seinen Fortgang nahm, dachten wohl viele der Hörer an die holde Mozart-Melodie, die noch, eine schmerzliche Frage, im Raum zu schweben schien. Es war sonst üblich, nach Unterbrechungen innerhalb eines Konzertes das zuletzt begonnene Stück noch einmal anzufangen; doch niemand wunderte sich, als Furtwängler den Einsatz für die abschließende Brahms-Sinfonie gab.

Jene Mozartsche Schönheit, „selig in sich selbst“, hatte in dieser Stadt nichts mehr zu suchen, das schienen auch die Hörer zu fühlen, deren Applaus am Schluß von wortloser Eindringlichkeit war.

Das war die Treue eines Großen zu seinem Volk in der Not.

Daß er nie Mitglied der NSDAP war, vielen Juden den Verbleib im Berliner Philharmonischen Orchester ermöglichte und auch andern jüdischen Musikern geholfen hat, nützte ihm – gegenüber den neuen Rechtgläubigen dann im Nachkriegs-Deutschland – wenig. Sie zerrten ihn, den Nicht-Nationalsozialisten, vor die Entnazifizierungs-Kommission.

So hängt ihm bis heute in den Augen gewisser Leute, die jeden Volkstreuen gern zum „Nazi“ stempeln, braune Farbe am Rockschoß.

2012 jedoch – welch unfaßlicher Glücksfall! – fielen KLAUS LANG durch Zufall die nicht gedruckten und nicht veröffentlichten, vor sich hin verstaubenden Aufzeichnungen über die „Entnazifizierung“ Furtwänglers in die Hände. Diese Aufzeichnungen sind nun bei Shaker Media verlegt worden unter dem Titel Wilhelm Furtwängler und seine ENTNAZIFIZIERUNG. Wirklich wahr:

Furtwängler – ein Gegner des NS-Regimes – mußte sich entnazifizieren lassen!

NS-Propaganda-Minister Goebbels hatte sich an Furtwängler gerächt, nachdem der sich geweigert hatte, bei der Produktion eines NS-Propaganda-Films mitzuwirken. Für Furtwängler kam nur in Frage, die Kunst um ihrer selbst auszuüben. Er ließ sie und sich selbst nicht für andere Zwecke, schon gar nicht für politische Propaganda, mißbrauchen.

Die Folge waren Herab- und Hintansetzungen am laufenden Band. Furtwängler hätte es sich wie andere leicht machen und sich ins Ausland absetzen können. Er tat es nicht, er blieb in Deutschland. Die Deutschen dankten es ihm. Das zeigt ein Beispiel, das der

Zeuge Boleslaw Barlog vor der Entnazifizierungs-Kommission

ablegte. Er war Regisseur gewesen und ab 1945 Intendant des Berliner Schloßpark-Theaters. Er berichtet u. a. von folgender Begebenheit, die ein Licht auf das Leben im NS wirft und wiederum zeigt, was in vielen Deutschen damals im Innersten vorging:

Ich habe noch ein anderes Konzert erlebt, in dem Herr Hitler mit Anhang – ich glaube unvorbereitet – erschien. Die SS besetzte die Eingänge, sie hatten nach meiner Meinung die Notwendigkeit gesehen, Dr. Furtwängler nicht den eindeutigen Erfolg … zu lassen, sondern sie wollten einen Teil dieses Erfolges auf sich beziehen.

Der Saal fieberte. Dann kam Furtwängler. Die Leute standen auf den Stühlen; es war überwältigend.

Am Schluß dieses Konzertes wiederholten sich die Beifallsstürme, diese eindeutige Demonstration, die weit über jedes Maß hinausging.

Und unten ganz klein saß der Herr „Führer“ und bekam gar nichts ab, weder bei seinem Kommen noch bei seinem Abgang.

Es trat tiefe Stille ein, fünf oder sechs Arme gingen [zum Hitlergruß] hoch, und kaum hatte er die Tür durchschritten, als der Applaus für Furtwängler wieder losging.

Später sagte ich zu Dr. Furtwängler: „Herr Doktor, dieses ist die erste öffentliche Protestdemontration gegen den Nationalsozialismus.“

Barlog bezeugt ebenso, daß Furtwängler sich selbst im Angesichte des „Führers“ nicht dazu bringen ließ, den befohlenen und allgemein üblichen Hitlergruß zu entbieten:

In einem Konzert, in dem Furtwängler die Neunte Symphonie zu dirigieren hatte, saß auch der Herr Hitler dort unten. Furtwängler dirigierte die „Neunte“ und nahm als guter Kamerad und Künstler Prof. Kittel zum Schlußapplaus mit aufs Pult. Beide Herren verneigten sich, und während Herr Kittel seinen Arm bis zur Decke emporriß, machte Dr. Furtwängler eine kaum merkliche Verbeugung. Das passierte zehn bis zwölf Mal.

Ich war im Künstlerzimmer. Dann kamen die Herren des Orchesters und sagten: „Lieber Herr Doktor, auf den Knien flehen wir Sie an, erweisen Sie denen dort den deutschen Gruß. Wenn Sie es nicht für sich tun, dann tun Sie es für uns.“

Furtwängler sagte darauf: „Ich habe doch den Stab in der Hand, ich kann es nicht; der Mann denkt ja, ich will ihm drohen.“

Sicher hat jeder den „Witz“ verstanden. Sie alle aber kuschten vor dem Meinungs-Terror, dem damaligen Mainstream.

Furtwängler waren Parteiveranstaltungen, zu denen – wie hier versucht und mißlungen – Konzerte ausarten konnten, zutiefst zuwider. 60 oder 70 mal – so berichtet er – habe er seine Teilnahme an Parteiveranstaltungen abgesagt, Absagen

die zum Teil unter sehr schwierigen Situationen gegeben wurden und die einen der Hauptpunkte bildeten, warum die Partei immer wieder und immer mehr gegen mich gereizt war.

Goebbels erfindet die großen Verherrlichungsfeiern zu den „Führer“-Geburtstagen

Nur 4 solcher Veranstaltungen konnte Furtwängler nicht umgehen. Er sagt vor der Kommission über sie aus:

In erster Linie – und das ist das, was mir am allerschwersten geworden ist – handelt es sich um die Leitung der Neunten Symphonie zum Geburtstag von Hitler im Jahre 1942.

Ich war damals in Wien und sollte zur selben Zeit ein Konzert in Berlin dirigieren, es war zum 20. April. Man trat an mich heran.

Das war so eine neue Idee von Goebbels, der es infolge der etwas gefährlich werdenden Kriegslage als Propagandaminister für nötig hielt, den Namen Hitlers mehr in den Vordergrund zu schieben.

Er hat damals sozusagen diese großen Feiern des Führergeburtstages mit erfunden.

Er hielt eine Rede und stellte das Ansinnen, daß ich und nur ich diese Feier dirigieren müsse … In diesem Fall konnte ich … nicht zurück.

Ich habe diesen Geburtstag dirigiert, habe aber meine ganze Diplomatie – die sonst nicht weit her ist – angewandt, um in den weiteren Jahren dem 20. April zu entgehen.

Natürlich war in den Jahren 1943 und 44 dasselbe. Ich habe dann ärztliche Zeugnisse bekommen, die sich aber der Vorsicht halber nicht auf diesen April beschränkten, sondern auf Monate vorher und nachher. Im Jahre 1943 galt ich von Februar bis Mai krank und habe in diesem Zusammenhang ganze Reisen abgesagt.

Im Jahre 1944 bin ich sogar noch weitergegangen. Da war es äußerst brenzlig, nochmals abzusagen. Da habe ich – um mich zu tarnen – eine Parteiveranstaltung angenommen. Es ist die einzige, die ich mit vollem Bewußtsein angenommen habe.

Es war am 15. März ein geschlossenes Konzert in der Burg in Prag mit dem Philharmonischen Orchester, um meine Absage, die nachher mit großen ärztlichen Attesten – u. a. von Sauerbruch – erfolgte, plausibel zu machen.

Die Sache war damals so, daß kein Mensch in der Partei mir das glaubte, und man mir auf diese Weigerung hin den Hals hätte brechen können. Ich bin auch damit noch durchgekommen.

Als er sich 1938 weigerte, vor den Parteigrößen in Nürnberg die „Meistersinger“ aufzuführen, und das damit begründete, keine Zeit und kein Material zu haben, schickte der Alleinherrscher Hitler mal eben das ganze Orchester aus Wien nach Nürnberg, so daß Furtwängler

keine Möglichkeit sah, sich auszuschließen.

Die Neunmal-Klugen der Nachkriegs-Zeit – zumal wenn sie sich im neuen, sich demokratisch nennenden Regime auf der „richtigen“ Seite befinden -, wissen nicht, was es heißt, in einem totalitären Staat zu leben und seinen Anstand zu bewahren.

Doch den bewahrte Furtwängler selbst während dieser Entnazifizierungs-Gesinnungs-Schnüffelei. Karla Höcker berichtet:

Während Furtwängler ein paar Frühstücksbrote auspackte, sagte er gelassen: „Ich weiß jetzt genau, wie so etwas ist. So ‘ne Entnazifizierung könnte ich jetzt jede Woche mitmachen!“

Aber ganz so einfach ging dieser Kleinkrieg nicht an ihm vorbei. An seine Frau, die in der Schweiz verzweifelt nach einer Wohnung für die Großfamilie suchte, schrieb er einen Tag nach der abschließenden Verhandlung am 30. Januar 1947:

… Der schwerere Teil, das Widerstehen gegenüber den Anforderungen und Verletzungen der „Welt“ kommt jetzt erst.

Einige Gedanken aus seinem Schlußwort

Die Kunst zeugt von der Nation, von der sie entstammt und zwar von deren ewigem Wesen, nicht von deren Tagespolitik. Die Kunst steht in Wahrheit – obwohl von ihnen ausgehend – über den Nationen.

Es ist die politische Funktion der Kunst, gerade in unserer Zeit überpolitisch zu sein. Wenn ich daher als unpolitischer, überpolitischer Künstler in Deutschland blieb, so habe ich schon dadurch Politik gegen den Nationalsozialismus gemacht, denn der Nationalsozialismus kannte nur politisierende Kunst.

Deutschland befand sich in einer furchtbaren Krise, und es war Aufgabe der deutschen Musik, für die ich mich mitverantwortlich fühlte und alles tat, was in meinen Kräften lag, über diese Krise hinwegzuhelfen. Das war vom Ausland aus nicht möglich.

… Die Sorge, vom Nationalsozialismus für eine Propaganda mißbraucht zu werden, mußte für mich zurücktreten vor der größeren, höheren: die deutsche Musik in ihrem Bestand zu erhalten.

Ich machte also weiter Musik für Deutsche. Die Menschen, die einen Mozart und einen Beethoven hervorbrachten, lebten auch jetzt unter der Oberfläche des Nationalsozialismus weiter.

Niemand, der damals nicht in Deutschland war, konnte beurteilen, wie es hier aussah. Meint Thomas Mann wirklich, daß man im Hitler-Deutschland nicht Beethoven musizieren konnte?

Wen konnte Beethoven mit seiner Botschaft der Freiheit mehr ansprechen als gerade die Deutschen, die unter dem Terror Hitlers leben mußten?

Ich konnte Deutschland in seiner tiefsten Not nicht verlassen. In diesem Moment hinauszugehen, wäre mir wie schimpfliche Flucht erschienen.

Schließlich bin ich Deutscher, gleichviel wie man das von außen betrachtet.

Ich bereue nicht, für das Deutsche Volk dies getan zu haben.

Epilog

Als Furtwängler am 30. November 1954 an einer fieberhaften Bronchitis starb, stellte Karla Höcker

sich die Frage, ob es im Grunde nicht so war, daß etwas in ihm es gar nicht mehr wollte, daß die Veränderungen der geistigen Welt, in der er lebte und wirkte, für ihn unannehmbar geworden waren.

Zuweilen bei Gesprächen in dieser allerletzten Zeit hatte man das Gefühl, daß er die künftige Entwicklung der Kunst mit unheimlicher Klarheit voraussah und an ihr weder teilnehmen konnte noch wollte.

Wir werden die geheimnisvollen Ursachen, die ein Menschenleben beenden, niemals ergründen, werden nie erfahren, warum Wilhelm Furtwängler im neunundsechzigsten Jahr seines Lebens und zu einem Zeitpunkt von uns gehen mußte, da seine Wirksamkeit, ja sein bloßes Dasein für die abendländische Kultur notwendiger denn je war!

Heute scheint eines der letzten Gespräche mit ihm, das um die großen Werke kreist, schon ahnungsvoll von diesem näher rückenden Abschied umwittert. Furtwändler umreißt darin noch einmal die Fragen der Programmgestaltung; nun aber nicht mehr vom Standpunkt eines verantwortlichen Orchesterleiters …, sondern einzig von dem eines Liebhabers großer Musik.

Dieses Gespräch erschien am 25. Dezember 1953 in der Neuen Zeitung:

H.: „In Ihren Programmen erscheinen seit Jahren regelmäßig die großen Werke der Sinfonik, vor allem die Sinfonien Beethovens, Brahms’, Bruckners, Schuberts und Schumanns. Daneben Bach, Händel, Haydn und Mozart.“

Nach längeren gedanklichen Umschweifen führt der Frager H. Furtwängler wieder zurück auf seine Frage,

„warum Sie bestimmte Werke des 18. und 19. Jahrhunderts wieder und wieder aufführen.“

Furtwängler: „… weil ich – auch heute, in meinen ,alten’ Tagen – nicht in erster Linie als neugieriger Wanderer durch die Literatur gehe oder als wissenschaftlich Interessierter, sondern als Liebhaber.

Ich führe die großen Werke auf, weil ich sie liebe; der Enthusiasmus, die Wärme, Süßigkeit, Schönheit und Größe, die solche Musik ersten Ranges, und nur diese, in mir weckt, sind der Quell, der Grund all meines Musizierens.

… Als ich kürzlich in einer Musikzeitschrift die Zusammenstellung künftiger Programme in den Abonnementskonzerten großer deutscher Musikinstitute überflog, kam mir zum Bewußtsein, daß im ganzen heute nur ein verschwindender Bruchteil – etwa zwei Zehntel – von Musik ersten Ranges geboten wird, und zwar ersten Ranges quer durch die Musikgeschichte hindurch.

… Daher kommt es, daß zum Beispiel eine Beethovensche Sinfonie heute ein seltener Gast geworden ist (während es für mich immer noch ein Fest bedeutet, eine solche aufführen zu dürfen) …

… Je älter ich werde, desto weniger interessiert mich Musik zweiten, dritten oder vierten Ranges, denn sie erschöpft sich bald. Nur jene große ewige Musik, die ich als Musik erstens Ranges bezeichnet habe, erschöpft sich nicht. Sie gibt allem unserem Musizieren, so wie ich es verstehe, seinen eigentlichen Sinn.“

Furtwängler blieb auch hierin er selbst und seinem innersten Erleben treu,

ohne sich in seinen Äußerungen in irgendeiner Weise um den Mainstream-Terror der neuen Zeit dem Kunstschaffen gegenüber zu kümmern. Bei anderer Gelegenheit sagte er:

Man muß vordringen zu dem, was in allen Zeiten, bei allen Meistern ziemlich ähnlich war. Das, worin sie einander verwandt sind, ist das Tiefere und Ursprünglichere ihrer geistigen Gestalt; das andere ist Mode, Gewand, Zeitgeist im äußeren Sinne.

image_pdfPDF erzeugenimage_printEintrag ausdrucken
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

2 Comments
Inline Feedbacks
Lese alle Kommentare
elke
elke
8 Jahre zuvor

Oh, nun weiß ich endlich, warum mein Vater so ein großer Verehrer Furtwänglers war.

Von Furtwängler kannte ich bisher nur folgende Aussage über Haydns “Kaiserlied” und sein Erlebnis damit in den Südtiroler Bergen. Sie machte ihn mir schon zum herausragenden Menschen und Musiker. Furtwängler schrieb über Joseph Haydn:

“Allein schon die Schöpfung jener einen Melodie macht ihn unsterblich, die zuerst als österreichisches Kaiserlied, dann als sogenanntes “Deutschlandlied” nicht umsonst die eigentliche und wahre Nationalhymne der Deutschen wurde, jene Melodie, die mir immer, von welcher Seite man sie auch betrachtet, als das schönste und vollendetste melodisch-musikalische Gebilde erschienen ist, das ich innerhalb der gesamten Musikgeschichte kenne.

Wahrhaftig, diese Melodie ist von ebenso vollendet ästhetischem Gleichmaß wie gedrängter Kraft, ist ebenso erfüllt von strahlendem Glanz und überquellender Wärme wie von urtümlicher Weite und Größe des Gefühls und hat in der ihr eigenen Vereinigung von innerem Adel und großartigem, die Herzen höher schlagen lassendem Gemeingefühl nicht ihresgleichen.

Und dennoch zeugt sie in jedem Ton von ihrem Schöpfer. Wahrlich glücklich, wer solches erfinden durfte, so offenbar ausersehen zum Gefäß göttlicher Gnade …

Im Sommer 1914, acht Tage vor Ausbruch des großen Krieges, stieg ich frühmorgens vom Sellajoch herunter nach Kolfuschg. Der Talkessel von Corvara, der vor mir lag, war vollständig von Morgennebeln ausgefüllt, die von oben von der Sonne beschienen wurden. Da tönte mir plötzlich gleichsam aus den Wolken – wie ich später erfuhr, gespielt von einem österreichischen Kaiserjägerregiment – diese Melodie in aller ihrer Stille und riesig strahlenden Größe entgegen. Die Berglandschaft, die Sonne, die Melodie, alles vermählte sich, war gleichsam eins.

Es ist kein geringer Prüfstein für die Musik, wie sie sich in freier Natur ausnimmt.

Nie bin ich der Größe der Musik unmittelbarer inne geworden als damals.” Wilhelm Furtwängler

2
0
Deine Gedanken interessieren mich, bitte teile diese mit!x